Brechbarkeit finden, die zwischen der Brechbarkeit des äußersten Roth und des äußersten Violett enthalten sind; aber obgleich dies sehr wenig von der Wahrheit abweicht, so zeigen doch die dunkeln Linien, die man mit Hülfe des Fernrohres wahrnimmt, daß sehr kleine Lücken auch hier, den großen Lücken in jenem vorigen Bei- spiele ähnlich, vorhanden sind. Wir waren vorhin geneigt von sechs verschiedenen Farbenstrahlen zu reden, oder von sieben, wenn wir Newton folgen wollen, der im Blau zwei Farben unter- scheidet; aber wir erkennen jetzt, daß wir viel mehrere ungleich brechbare Strahlen annehmen müssen, wenn gleich unser Auge eine ganze Reihe benachbarter Strahlen grün, eine andre Reihe be- nachbarter Strahlen gelb nennt, u. s. w. Ein dünner auf das Prisma fallender Strahl breitet sich fächerförmig aus, wenn er aus dem Prisma hervorgeht, und wenn wir den kleinen Winkel, den der äußerste rothe Strahl mit dem äußersten violetten macht, in tausend Theile zerlegen, so ist jede dieser tausend Abtheilungen als mit Strahlen von ungleicher Brechbarkeit erfüllt anzusehen; indeß lehren Fraunhofers Versuche, daß unter diesen tausend Strah- len, die nach dem Gesetze der Stetigkeit immer einer etwas mehr als der andre gebrochen werden, doch hie und da einer fehlt. So, glaube ich, muß man diese wichtige Entdeckung verstehen, und folglich müssen wir, wenn gleich im Allgemeinen der Glanz des Farbenbildes von den Seiten gegen die Mitte zunimmt, zuge- stehen, daß dieser Fortgang nicht strenge nach dem Gesetze der Ste- tigkeit erfolgt.
Diese Linien nun bieten, da sie an genau bestimmten Stellen des prismatischen Sonnenbildes liegen, ein völlig strenges Mittel zur Vergleichung der Brechung in verschiedenen Körpern dar. Richtet man nämlich das Fernrohr so, daß genau die dunkle Linie, die ungefähr an der Grenze des Orange und Gelb (wo diese durch unmerklichen Uebergang verbunden sind,) sich befindet, in der Mitte des Fernrohres erscheint, so hat man durch die Stellung des In- struments (Fig. 61.) und durch gehörige Berechnung, die Brechung eines ganz bestimmten Farbenstrahles, den man bei Anwendung eines andern brechenden Körpers genau wiederfinden kann. Jetzt erst läßt sich also von dem Brechungsverhältnisse für verschiedene Körper mit Bestimmtheit sprechen, und wenn wir uns früher be-
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Brechbarkeit finden, die zwiſchen der Brechbarkeit des aͤußerſten Roth und des aͤußerſten Violett enthalten ſind; aber obgleich dies ſehr wenig von der Wahrheit abweicht, ſo zeigen doch die dunkeln Linien, die man mit Huͤlfe des Fernrohres wahrnimmt, daß ſehr kleine Luͤcken auch hier, den großen Luͤcken in jenem vorigen Bei- ſpiele aͤhnlich, vorhanden ſind. Wir waren vorhin geneigt von ſechs verſchiedenen Farbenſtrahlen zu reden, oder von ſieben, wenn wir Newton folgen wollen, der im Blau zwei Farben unter- ſcheidet; aber wir erkennen jetzt, daß wir viel mehrere ungleich brechbare Strahlen annehmen muͤſſen, wenn gleich unſer Auge eine ganze Reihe benachbarter Strahlen gruͤn, eine andre Reihe be- nachbarter Strahlen gelb nennt, u. ſ. w. Ein duͤnner auf das Prisma fallender Strahl breitet ſich faͤcherfoͤrmig aus, wenn er aus dem Prisma hervorgeht, und wenn wir den kleinen Winkel, den der aͤußerſte rothe Strahl mit dem aͤußerſten violetten macht, in tauſend Theile zerlegen, ſo iſt jede dieſer tauſend Abtheilungen als mit Strahlen von ungleicher Brechbarkeit erfuͤllt anzuſehen; indeß lehren Fraunhofers Verſuche, daß unter dieſen tauſend Strah- len, die nach dem Geſetze der Stetigkeit immer einer etwas mehr als der andre gebrochen werden, doch hie und da einer fehlt. So, glaube ich, muß man dieſe wichtige Entdeckung verſtehen, und folglich muͤſſen wir, wenn gleich im Allgemeinen der Glanz des Farbenbildes von den Seiten gegen die Mitte zunimmt, zuge- ſtehen, daß dieſer Fortgang nicht ſtrenge nach dem Geſetze der Ste- tigkeit erfolgt.
Dieſe Linien nun bieten, da ſie an genau beſtimmten Stellen des prismatiſchen Sonnenbildes liegen, ein voͤllig ſtrenges Mittel zur Vergleichung der Brechung in verſchiedenen Koͤrpern dar. Richtet man naͤmlich das Fernrohr ſo, daß genau die dunkle Linie, die ungefaͤhr an der Grenze des Orange und Gelb (wo dieſe durch unmerklichen Uebergang verbunden ſind,) ſich befindet, in der Mitte des Fernrohres erſcheint, ſo hat man durch die Stellung des In- ſtruments (Fig. 61.) und durch gehoͤrige Berechnung, die Brechung eines ganz beſtimmten Farbenſtrahles, den man bei Anwendung eines andern brechenden Koͤrpers genau wiederfinden kann. Jetzt erſt laͤßt ſich alſo von dem Brechungsverhaͤltniſſe fuͤr verſchiedene Koͤrper mit Beſtimmtheit ſprechen, und wenn wir uns fruͤher be-
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Brechbarkeit finden, die zwiſchen der Brechbarkeit des aͤußerſten
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ſehr wenig von der Wahrheit abweicht, ſo zeigen doch die dunkeln
Linien, die man mit Huͤlfe des Fernrohres wahrnimmt, daß ſehr
kleine Luͤcken auch hier, den großen Luͤcken in jenem vorigen Bei-
ſpiele aͤhnlich, vorhanden ſind. Wir waren vorhin geneigt von
ſechs verſchiedenen Farbenſtrahlen zu reden, oder von ſieben, wenn
wir Newton folgen wollen, der im Blau zwei Farben unter-
ſcheidet; aber wir erkennen jetzt, daß wir viel mehrere ungleich
brechbare Strahlen annehmen muͤſſen, wenn gleich unſer Auge
eine ganze Reihe benachbarter Strahlen gruͤn, eine andre Reihe be-
nachbarter Strahlen gelb nennt, u. ſ. w. Ein duͤnner auf das
Prisma fallender Strahl breitet ſich faͤcherfoͤrmig aus, wenn er aus
dem Prisma hervorgeht, und wenn wir den kleinen Winkel, den
der aͤußerſte rothe Strahl mit dem aͤußerſten violetten macht, in
tauſend Theile zerlegen, ſo iſt jede dieſer tauſend Abtheilungen als
mit Strahlen von ungleicher Brechbarkeit erfuͤllt anzuſehen; indeß
lehren Fraunhofers Verſuche, daß unter dieſen tauſend Strah-
len, die nach dem Geſetze der Stetigkeit immer einer etwas mehr
als der andre gebrochen werden, doch hie und da einer fehlt.
So, glaube ich, muß man dieſe wichtige Entdeckung verſtehen,
und folglich muͤſſen wir, wenn gleich im Allgemeinen der Glanz
des Farbenbildes von den Seiten gegen die Mitte zunimmt, zuge-
ſtehen, daß dieſer Fortgang nicht ſtrenge nach dem Geſetze der Ste-
tigkeit erfolgt.
Dieſe Linien nun bieten, da ſie an genau beſtimmten Stellen
des prismatiſchen Sonnenbildes liegen, ein voͤllig ſtrenges Mittel
zur Vergleichung der Brechung in verſchiedenen Koͤrpern dar.
Richtet man naͤmlich das Fernrohr ſo, daß genau die dunkle Linie,
die ungefaͤhr an der Grenze des Orange und Gelb (wo dieſe durch
unmerklichen Uebergang verbunden ſind,) ſich befindet, in der Mitte
des Fernrohres erſcheint, ſo hat man durch die Stellung des In-
ſtruments (Fig. 61.) und durch gehoͤrige Berechnung, die Brechung
eines ganz beſtimmten Farbenſtrahles, den man bei Anwendung
eines andern brechenden Koͤrpers genau wiederfinden kann. Jetzt
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/193>, abgerufen am 21.11.2024.
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