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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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Dieser wichtige Einfluß, den theils schon eine ungleiche Glätte
der Oberfläche, ganz vorzüglich aber die ungleiche innere Beschaffen-
heit der festen Körper zeigt, wird am deutlichsten sichtbar bei der
Berührung fester und flüssiger Körper. Es ist bekannt, daß gewisse
Körper vom Wasser nicht naß werden, sondern daß das Wasser sich
von ihnen zurückzieht, und wo es etwa nicht ganz sich von der Ober-
fläche entfernen kann, sich in Tropfen zusammenzieht, statt daß
andre Körper benetzt, mit einer Wasserschichte überzogen, aus dem
Wasser hervorgehn. Wenn eine dünne Wasserschichte auf einer ho-
rizontalen Oberfläche eines fetten Körpers angebracht wird, so zieht
sie sich in Tropfen zusammen, und wir sehen hier deutlich, daß die
fette Oberfläche das Wasser wenig anzieht, daß dagegen die irgend-
wo etwas mehr angehäuften oder zufällig etwas mehr festgehaltenen
Wassertheilchen die umgebenden Wassertheilchen heran ziehen und
so die größeren Tropfen bilden. Da hingegen, wo eine Befeuch-
tung der Oberfläche statt findet, halten diese Oberflächen die Flüs-
sigkeit mit bedeutender Gewalt fest, und diese Kraft läßt sich in
mehreren merkwürdigen Erscheinungen nachweisen.

Erscheinungen in den Haarröhrchen.

Eine der auffallendsten dieser Erscheinungen ist das Aufsteigen
der Flüssigkeiten in Haarröhrchen. Es ist bekannt, daß wir in
einer befeuchteten Feder die Dinte über die Oberfläche im Gefäße
heraufsteigen sehen, daß in einer Reißfeder, deren Seitenflächen
einander nahe sind, die Flüssigkeit, in welche wir sie eintauchen,
hinauftritt; daß im Löschpapier die Befeuchtung, indem wir es in
Wasser tauchen, viel höher als die Oberfläche geht; und das, was
wir hier oft sehen, zeigt sich uns noch genauer in engen Glasröhren,
die wir in Wasser, Alcohol und andre Flüssigkeiten eintauchen.
Diese Röhren, die man ihres engen Durchmessers wegen Haar-
röhrchen nennt, füllen sich, wenn sie etwas befeuchtet in solche
Flüssigkeiten eingetaucht werden, bis über die umgebende Ober-
fläche des Flüssigen mit diesem an, und zeigen uns dadurch, daß
die Röhrenwände eine größere Anziehungskraft auf die Flüssigkeit
ausüben, als die Theilchen des Flüssigen unter sich, indem nur
durch diese Anziehungskraft jenes den Gesetzen der Hydrostatik an-
scheinend widersprechende Hinaufsteigen erklärlich ist. Dieses Hin-

Dieſer wichtige Einfluß, den theils ſchon eine ungleiche Glaͤtte
der Oberflaͤche, ganz vorzuͤglich aber die ungleiche innere Beſchaffen-
heit der feſten Koͤrper zeigt, wird am deutlichſten ſichtbar bei der
Beruͤhrung feſter und fluͤſſiger Koͤrper. Es iſt bekannt, daß gewiſſe
Koͤrper vom Waſſer nicht naß werden, ſondern daß das Waſſer ſich
von ihnen zuruͤckzieht, und wo es etwa nicht ganz ſich von der Ober-
flaͤche entfernen kann, ſich in Tropfen zuſammenzieht, ſtatt daß
andre Koͤrper benetzt, mit einer Waſſerſchichte uͤberzogen, aus dem
Waſſer hervorgehn. Wenn eine duͤnne Waſſerſchichte auf einer ho-
rizontalen Oberflaͤche eines fetten Koͤrpers angebracht wird, ſo zieht
ſie ſich in Tropfen zuſammen, und wir ſehen hier deutlich, daß die
fette Oberflaͤche das Waſſer wenig anzieht, daß dagegen die irgend-
wo etwas mehr angehaͤuften oder zufaͤllig etwas mehr feſtgehaltenen
Waſſertheilchen die umgebenden Waſſertheilchen heran ziehen und
ſo die groͤßeren Tropfen bilden. Da hingegen, wo eine Befeuch-
tung der Oberflaͤche ſtatt findet, halten dieſe Oberflaͤchen die Fluͤſ-
ſigkeit mit bedeutender Gewalt feſt, und dieſe Kraft laͤßt ſich in
mehreren merkwuͤrdigen Erſcheinungen nachweiſen.

Erſcheinungen in den Haarroͤhrchen.

Eine der auffallendſten dieſer Erſcheinungen iſt das Aufſteigen
der Fluͤſſigkeiten in Haarroͤhrchen. Es iſt bekannt, daß wir in
einer befeuchteten Feder die Dinte uͤber die Oberflaͤche im Gefaͤße
heraufſteigen ſehen, daß in einer Reißfeder, deren Seitenflaͤchen
einander nahe ſind, die Fluͤſſigkeit, in welche wir ſie eintauchen,
hinauftritt; daß im Loͤſchpapier die Befeuchtung, indem wir es in
Waſſer tauchen, viel hoͤher als die Oberflaͤche geht; und das, was
wir hier oft ſehen, zeigt ſich uns noch genauer in engen Glasroͤhren,
die wir in Waſſer, Alcohol und andre Fluͤſſigkeiten eintauchen.
Dieſe Roͤhren, die man ihres engen Durchmeſſers wegen Haar-
roͤhrchen nennt, fuͤllen ſich, wenn ſie etwas befeuchtet in ſolche
Fluͤſſigkeiten eingetaucht werden, bis uͤber die umgebende Ober-
flaͤche des Fluͤſſigen mit dieſem an, und zeigen uns dadurch, daß
die Roͤhrenwaͤnde eine groͤßere Anziehungskraft auf die Fluͤſſigkeit
ausuͤben, als die Theilchen des Fluͤſſigen unter ſich, indem nur
durch dieſe Anziehungskraft jenes den Geſetzen der Hydroſtatik an-
ſcheinend widerſprechende Hinaufſteigen erklaͤrlich iſt. Dieſes Hin-

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[6/0020] Dieſer wichtige Einfluß, den theils ſchon eine ungleiche Glaͤtte der Oberflaͤche, ganz vorzuͤglich aber die ungleiche innere Beſchaffen- heit der feſten Koͤrper zeigt, wird am deutlichſten ſichtbar bei der Beruͤhrung feſter und fluͤſſiger Koͤrper. Es iſt bekannt, daß gewiſſe Koͤrper vom Waſſer nicht naß werden, ſondern daß das Waſſer ſich von ihnen zuruͤckzieht, und wo es etwa nicht ganz ſich von der Ober- flaͤche entfernen kann, ſich in Tropfen zuſammenzieht, ſtatt daß andre Koͤrper benetzt, mit einer Waſſerſchichte uͤberzogen, aus dem Waſſer hervorgehn. Wenn eine duͤnne Waſſerſchichte auf einer ho- rizontalen Oberflaͤche eines fetten Koͤrpers angebracht wird, ſo zieht ſie ſich in Tropfen zuſammen, und wir ſehen hier deutlich, daß die fette Oberflaͤche das Waſſer wenig anzieht, daß dagegen die irgend- wo etwas mehr angehaͤuften oder zufaͤllig etwas mehr feſtgehaltenen Waſſertheilchen die umgebenden Waſſertheilchen heran ziehen und ſo die groͤßeren Tropfen bilden. Da hingegen, wo eine Befeuch- tung der Oberflaͤche ſtatt findet, halten dieſe Oberflaͤchen die Fluͤſ- ſigkeit mit bedeutender Gewalt feſt, und dieſe Kraft laͤßt ſich in mehreren merkwuͤrdigen Erſcheinungen nachweiſen. Erſcheinungen in den Haarroͤhrchen. Eine der auffallendſten dieſer Erſcheinungen iſt das Aufſteigen der Fluͤſſigkeiten in Haarroͤhrchen. Es iſt bekannt, daß wir in einer befeuchteten Feder die Dinte uͤber die Oberflaͤche im Gefaͤße heraufſteigen ſehen, daß in einer Reißfeder, deren Seitenflaͤchen einander nahe ſind, die Fluͤſſigkeit, in welche wir ſie eintauchen, hinauftritt; daß im Loͤſchpapier die Befeuchtung, indem wir es in Waſſer tauchen, viel hoͤher als die Oberflaͤche geht; und das, was wir hier oft ſehen, zeigt ſich uns noch genauer in engen Glasroͤhren, die wir in Waſſer, Alcohol und andre Fluͤſſigkeiten eintauchen. Dieſe Roͤhren, die man ihres engen Durchmeſſers wegen Haar- roͤhrchen nennt, fuͤllen ſich, wenn ſie etwas befeuchtet in ſolche Fluͤſſigkeiten eingetaucht werden, bis uͤber die umgebende Ober- flaͤche des Fluͤſſigen mit dieſem an, und zeigen uns dadurch, daß die Roͤhrenwaͤnde eine groͤßere Anziehungskraft auf die Fluͤſſigkeit ausuͤben, als die Theilchen des Fluͤſſigen unter ſich, indem nur durch dieſe Anziehungskraft jenes den Geſetzen der Hydroſtatik an- ſcheinend widerſprechende Hinaufſteigen erklaͤrlich iſt. Dieſes Hin-

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/20>, abgerufen am 23.11.2024.