Auges annimmt, eine eigene Art von Lebensthätigkeit, die einen Gegensatz nach zu starkem Reitze hervorbringt und hier beim Sehen einen Gegensatz, der auf unser Bewußtsein so wirkt, wie es die Er- gänzungsfarbe in andern Fällen als objective Farbe thut. Diese Erklärung, die mit andern Erscheinungen der Lebensthätigkeit zu- sammenstimmt, hat sehr viel für sich; sie scheint mir indeß die vo- rige nicht aufzuheben, sondern man kann gar wohl annehmen, daß die nach optischen Gesetzen aus dem Weiß hervorgehende Ergän- zungsfarbe den Eindruck unterstützt, den jener sich durch eine entge- gengesetzte Thätigkeit wieder herstellende natürliche Zustand des Or- gans bewirkt. Diese entgegengesetzte Thätigkeit scheint darum nicht geleugnet werden zu können, weil man Farben-Erscheinungen im Hinblicken auf einen dunkeln Grund nach sehr ähnlichen Gesetzen sieht.
Aehnliche Erscheinungen kommen manche vor. Die schon vorhin erwähnten Schattenbilder der Sonne sind, wenn man sie genau betrachtet, blau oder purpurfarben, so wie es die Ergän- zungsfarbe der orangefarben untergehenden Sonne fordert, und das Bild der Lichtflamme im geschlossenen Auge, das nach langem Hin- sehen auf die Lichtflamme bemerkt wird, gehört gleichfalls hieher.
Eine andre hiermit verwandte Erscheinung ist das Doppelbild bei der Spiegelung in einer gefärbten, unbelegten Glasplatte, wo nämlich der dunkle Körper neben einer weißen Fläche in dem Bilde, welches von der Spiegelung an der Hinterseite der Glasplatte aus- geht, am Rande die Ergänzungsfarbe zu der des gefärbten Glases zeigt. Stellt (Fig. 107.) AB eine gelbe Glasplatte, DE einen dunkeln Gegenstand, O das Auge vor, so wissen Sie, daß sich dem Auge zwei Bilder des dunkeln Gegenstandes zeigen, eines durch die zwischen d und e zurückgeworfenen Strahlen an der Vor- derseite des Glases, ein zweites durch die zwischen dI und eI an der Hinterseite zurückgeworfenen Strahlen. Das Auge O erhält aber von fg her reflectirte Strahlen, die von FG ausgehen, also sieht es auf dem zweiten Bilde des dunkeln Gegenstandes das Bild des weißen Himmels, wenn von FG Strahlen des weißen Himmels herkommen. Da wir annehmen, daß der dunkle Gegenstand in D und E begrenzt ist, so kommen aus der Gegend h reflectirte Strahlen des hellen Himmels zum Auge, und diese sind gelb, weil
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Auges annimmt, eine eigene Art von Lebensthaͤtigkeit, die einen Gegenſatz nach zu ſtarkem Reitze hervorbringt und hier beim Sehen einen Gegenſatz, der auf unſer Bewußtſein ſo wirkt, wie es die Er- gaͤnzungsfarbe in andern Faͤllen als objective Farbe thut. Dieſe Erklaͤrung, die mit andern Erſcheinungen der Lebensthaͤtigkeit zu- ſammenſtimmt, hat ſehr viel fuͤr ſich; ſie ſcheint mir indeß die vo- rige nicht aufzuheben, ſondern man kann gar wohl annehmen, daß die nach optiſchen Geſetzen aus dem Weiß hervorgehende Ergaͤn- zungsfarbe den Eindruck unterſtuͤtzt, den jener ſich durch eine entge- gengeſetzte Thaͤtigkeit wieder herſtellende natuͤrliche Zuſtand des Or- gans bewirkt. Dieſe entgegengeſetzte Thaͤtigkeit ſcheint darum nicht geleugnet werden zu koͤnnen, weil man Farben-Erſcheinungen im Hinblicken auf einen dunkeln Grund nach ſehr aͤhnlichen Geſetzen ſieht.
Aehnliche Erſcheinungen kommen manche vor. Die ſchon vorhin erwaͤhnten Schattenbilder der Sonne ſind, wenn man ſie genau betrachtet, blau oder purpurfarben, ſo wie es die Ergaͤn- zungsfarbe der orangefarben untergehenden Sonne fordert, und das Bild der Lichtflamme im geſchloſſenen Auge, das nach langem Hin- ſehen auf die Lichtflamme bemerkt wird, gehoͤrt gleichfalls hieher.
Eine andre hiermit verwandte Erſcheinung iſt das Doppelbild bei der Spiegelung in einer gefaͤrbten, unbelegten Glasplatte, wo naͤmlich der dunkle Koͤrper neben einer weißen Flaͤche in dem Bilde, welches von der Spiegelung an der Hinterſeite der Glasplatte aus- geht, am Rande die Ergaͤnzungsfarbe zu der des gefaͤrbten Glaſes zeigt. Stellt (Fig. 107.) AB eine gelbe Glasplatte, DE einen dunkeln Gegenſtand, O das Auge vor, ſo wiſſen Sie, daß ſich dem Auge zwei Bilder des dunkeln Gegenſtandes zeigen, eines durch die zwiſchen d und e zuruͤckgeworfenen Strahlen an der Vor- derſeite des Glaſes, ein zweites durch die zwiſchen dI und eI an der Hinterſeite zuruͤckgeworfenen Strahlen. Das Auge O erhaͤlt aber von fg her reflectirte Strahlen, die von FG ausgehen, alſo ſieht es auf dem zweiten Bilde des dunkeln Gegenſtandes das Bild des weißen Himmels, wenn von FG Strahlen des weißen Himmels herkommen. Da wir annehmen, daß der dunkle Gegenſtand in D und E begrenzt iſt, ſo kommen aus der Gegend h reflectirte Strahlen des hellen Himmels zum Auge, und dieſe ſind gelb, weil
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Auges annimmt, eine eigene Art von Lebensthaͤtigkeit, die einen
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gaͤnzungsfarbe in andern Faͤllen als objective Farbe thut. Dieſe
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die nach optiſchen Geſetzen aus dem Weiß hervorgehende Ergaͤn-
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gengeſetzte Thaͤtigkeit wieder herſtellende natuͤrliche Zuſtand des Or-
gans bewirkt. Dieſe entgegengeſetzte Thaͤtigkeit ſcheint darum nicht
geleugnet werden zu koͤnnen, weil man Farben-Erſcheinungen im
Hinblicken auf einen dunkeln Grund nach ſehr aͤhnlichen Geſetzen
ſieht.
Aehnliche Erſcheinungen kommen manche vor. Die ſchon
vorhin erwaͤhnten Schattenbilder der Sonne ſind, wenn man ſie
genau betrachtet, blau oder purpurfarben, ſo wie es die Ergaͤn-
zungsfarbe der orangefarben untergehenden Sonne fordert, und das
Bild der Lichtflamme im geſchloſſenen Auge, das nach langem Hin-
ſehen auf die Lichtflamme bemerkt wird, gehoͤrt gleichfalls hieher.
Eine andre hiermit verwandte Erſcheinung iſt das Doppelbild
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naͤmlich der dunkle Koͤrper neben einer weißen Flaͤche in dem Bilde,
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dem Auge zwei Bilder des dunkeln Gegenſtandes zeigen, eines
durch die zwiſchen d und e zuruͤckgeworfenen Strahlen an der Vor-
derſeite des Glaſes, ein zweites durch die zwiſchen dI und eI an der
Hinterſeite zuruͤckgeworfenen Strahlen. Das Auge O erhaͤlt aber
von fg her reflectirte Strahlen, die von FG ausgehen, alſo ſieht
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herkommen. Da wir annehmen, daß der dunkle Gegenſtand in
D und E begrenzt iſt, ſo kommen aus der Gegend h reflectirte
Strahlen des hellen Himmels zum Auge, und dieſe ſind gelb, weil
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/241>, abgerufen am 16.02.2025.
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