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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832.

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um 10 Pfähle von Fußdicke auf einmal abzuschneiden, bietet nicht
selten auffallende, aber auch gefährliche Erscheinungen dar. Die
dabei oft entstehenden Eisdämmungen, wo der Strom sich durch
über und unter einander geschobene Eisschollen selbst den Ausgang
versperrt, bringen die gefährlichsten Ueberschwemmungen hervor;
und obgleich zuweilen ein Zertrümmern dieser Dämme durch Kano-
nenkugeln oder ein Zersägen durch zeitig genug gemachte Einschnitte
in das Eis, die Gefahr abwenden kann, so sind doch in großen
Strömen die Fälle oft von der Art, daß sie allen durch mensch-
liche Kraft anzuwendenden Hülfsmitteln viel zu mächtig sind.

Unter den noch nicht ganz erklärten Erscheinungen bei der
Entstehung des Eises in Strömen verdient wohl das sogenannte
Grund-Eis erwähnt zu werden. Da die Kälte uns immer durch
die Luft zugeführt wird, und die Erde im Innern, wenigstens in
unsern Gegenden, keineswegs die Frostkälte hat, so scheint es schon
deswegen nicht wohl möglich, daß sich Eis auf dem Boden der
Gewässer bilden sollte. Dies scheint in süßem Wasser noch um so
mehr nicht geschehen zu können, da das schwerste Wasser nicht das
von 0° Wärme, sondern das von etwa 4 Gr. Wärme ist, also
am Boden ein Wasser sich sammeln muß, das nicht die Gefrier-
kälte hat. Gleichwohl sind die Behauptungen, daß es ein Grund-
Eis gebe, daß man mehrmals ein ganz entschiedenes Entstehen des
Eises am Boden der Gewässer bemerkt habe, so oft wiederholt wor-
den, daß man kaum an ihrer Wahrheit zweifeln kann. Nach eini-
gen Beobachtungen scheint es, als ob die gute Wärmeleitung eines
steinigen Ufers die Abkühlung bewirken könne; aber nach andern
Beobachtungen entsteht auch in 10 Fuß Tiefe mitten im Flusse auf
dem Boden Eis, und ein Beobachter in Solothurn fand die
Aar am Boden in 10 bis 12 Fuß Tiefe gefrierend und 0° kalt,
während das obere Wasser noch + 11/2 bis 2° warm, die Luft aber
sehr kalt war. Wenn diese Eisbildung am Boden der Flüsse statt
findet, so überziehen sich zuweilen die auf dem Boden liegenden
Körper so mit Eis, daß sie mit demselben bis auf die Oberfläche
des Wassers heraufgehoben werden *).


*) Biblioth. univ. XLI. p. 201. Phil. Transact. for 1816.

um 10 Pfaͤhle von Fußdicke auf einmal abzuſchneiden, bietet nicht
ſelten auffallende, aber auch gefaͤhrliche Erſcheinungen dar. Die
dabei oft entſtehenden Eisdaͤmmungen, wo der Strom ſich durch
uͤber und unter einander geſchobene Eisſchollen ſelbſt den Ausgang
verſperrt, bringen die gefaͤhrlichſten Ueberſchwemmungen hervor;
und obgleich zuweilen ein Zertruͤmmern dieſer Daͤmme durch Kano-
nenkugeln oder ein Zerſaͤgen durch zeitig genug gemachte Einſchnitte
in das Eis, die Gefahr abwenden kann, ſo ſind doch in großen
Stroͤmen die Faͤlle oft von der Art, daß ſie allen durch menſch-
liche Kraft anzuwendenden Huͤlfsmitteln viel zu maͤchtig ſind.

Unter den noch nicht ganz erklaͤrten Erſcheinungen bei der
Entſtehung des Eiſes in Stroͤmen verdient wohl das ſogenannte
Grund-Eis erwaͤhnt zu werden. Da die Kaͤlte uns immer durch
die Luft zugefuͤhrt wird, und die Erde im Innern, wenigſtens in
unſern Gegenden, keineswegs die Froſtkaͤlte hat, ſo ſcheint es ſchon
deswegen nicht wohl moͤglich, daß ſich Eis auf dem Boden der
Gewaͤſſer bilden ſollte. Dies ſcheint in ſuͤßem Waſſer noch um ſo
mehr nicht geſchehen zu koͤnnen, da das ſchwerſte Waſſer nicht das
von 0° Waͤrme, ſondern das von etwa 4 Gr. Waͤrme iſt, alſo
am Boden ein Waſſer ſich ſammeln muß, das nicht die Gefrier-
kaͤlte hat. Gleichwohl ſind die Behauptungen, daß es ein Grund-
Eis gebe, daß man mehrmals ein ganz entſchiedenes Entſtehen des
Eiſes am Boden der Gewaͤſſer bemerkt habe, ſo oft wiederholt wor-
den, daß man kaum an ihrer Wahrheit zweifeln kann. Nach eini-
gen Beobachtungen ſcheint es, als ob die gute Waͤrmeleitung eines
ſteinigen Ufers die Abkuͤhlung bewirken koͤnne; aber nach andern
Beobachtungen entſteht auch in 10 Fuß Tiefe mitten im Fluſſe auf
dem Boden Eis, und ein Beobachter in Solothurn fand die
Aar am Boden in 10 bis 12 Fuß Tiefe gefrierend und 0° kalt,
waͤhrend das obere Waſſer noch + 1½ bis 2° warm, die Luft aber
ſehr kalt war. Wenn dieſe Eisbildung am Boden der Fluͤſſe ſtatt
findet, ſo uͤberziehen ſich zuweilen die auf dem Boden liegenden
Koͤrper ſo mit Eis, daß ſie mit demſelben bis auf die Oberflaͤche
des Waſſers heraufgehoben werden *).


*) Biblioth. univ. XLI. p. 201. Phil. Transact. for 1816.
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[93/0107] um 10 Pfaͤhle von Fußdicke auf einmal abzuſchneiden, bietet nicht ſelten auffallende, aber auch gefaͤhrliche Erſcheinungen dar. Die dabei oft entſtehenden Eisdaͤmmungen, wo der Strom ſich durch uͤber und unter einander geſchobene Eisſchollen ſelbſt den Ausgang verſperrt, bringen die gefaͤhrlichſten Ueberſchwemmungen hervor; und obgleich zuweilen ein Zertruͤmmern dieſer Daͤmme durch Kano- nenkugeln oder ein Zerſaͤgen durch zeitig genug gemachte Einſchnitte in das Eis, die Gefahr abwenden kann, ſo ſind doch in großen Stroͤmen die Faͤlle oft von der Art, daß ſie allen durch menſch- liche Kraft anzuwendenden Huͤlfsmitteln viel zu maͤchtig ſind. Unter den noch nicht ganz erklaͤrten Erſcheinungen bei der Entſtehung des Eiſes in Stroͤmen verdient wohl das ſogenannte Grund-Eis erwaͤhnt zu werden. Da die Kaͤlte uns immer durch die Luft zugefuͤhrt wird, und die Erde im Innern, wenigſtens in unſern Gegenden, keineswegs die Froſtkaͤlte hat, ſo ſcheint es ſchon deswegen nicht wohl moͤglich, daß ſich Eis auf dem Boden der Gewaͤſſer bilden ſollte. Dies ſcheint in ſuͤßem Waſſer noch um ſo mehr nicht geſchehen zu koͤnnen, da das ſchwerſte Waſſer nicht das von 0° Waͤrme, ſondern das von etwa 4 Gr. Waͤrme iſt, alſo am Boden ein Waſſer ſich ſammeln muß, das nicht die Gefrier- kaͤlte hat. Gleichwohl ſind die Behauptungen, daß es ein Grund- Eis gebe, daß man mehrmals ein ganz entſchiedenes Entſtehen des Eiſes am Boden der Gewaͤſſer bemerkt habe, ſo oft wiederholt wor- den, daß man kaum an ihrer Wahrheit zweifeln kann. Nach eini- gen Beobachtungen ſcheint es, als ob die gute Waͤrmeleitung eines ſteinigen Ufers die Abkuͤhlung bewirken koͤnne; aber nach andern Beobachtungen entſteht auch in 10 Fuß Tiefe mitten im Fluſſe auf dem Boden Eis, und ein Beobachter in Solothurn fand die Aar am Boden in 10 bis 12 Fuß Tiefe gefrierend und 0° kalt, waͤhrend das obere Waſſer noch + 1½ bis 2° warm, die Luft aber ſehr kalt war. Wenn dieſe Eisbildung am Boden der Fluͤſſe ſtatt findet, ſo uͤberziehen ſich zuweilen die auf dem Boden liegenden Koͤrper ſo mit Eis, daß ſie mit demſelben bis auf die Oberflaͤche des Waſſers heraufgehoben werden *). *) Biblioth. univ. XLI. p. 201. Phil. Transact. for 1816.

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/107>, abgerufen am 23.11.2024.