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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832.

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Daß die Magnetnadel in ihrer natürlichen Stellung bei uns
nicht genau nach Norden zeigt, habe ich schon erwähnt; der Win-
kel, um welchen sie von Norden, vom Meridiane, abweicht, heißt
ihre Abweichung oder Declination. An den meisten Or-
ten der Erde findet eine ähnliche Abweichung statt, und zwar so,
daß der Nordpol der Nadel an einigen Orten, wie bei uns, nach
Westen abweicht, an andern nach Osten. In unsern Gegenden ist
die westliche Abweichung ungefähr 17 Grad. Diese Abweichungen
sind nur in der Nähe der magnetischen Pole der Erde einer ziemlich
genau richtigen und leicht zu übersehenden Regel unterworfen,
nämlich der Regel, daß dort die Spitze der Nadel sich nach dem
nächsten magnetischen Pole der Erde richtet. Hansteen hat, in
d[e]r Ueberzeugung, daß es nicht wohl anders sein könne, durch
Beobachtungen der Abweichung zuerst die Lage der Pole zu bestim-
men gesucht, indem er die Durchschnittspuncte der Richtungslinien
aufsuchte, die ihm die Beobachtungen der horizontalen Nadel im
nördlichsten America für den einen Pol, in Sibirien für den zwei-
ten Pol, und so in der Gegend südlich von Neuholland für den
dritten Pol und in den Gegenden südlich von America für den vier-
ten Pol, angaben, und so hat er die Lage des am genauesten be-
kannten Poles sehr nahe richtig bestimmt. Es ist einleuchtend,
daß die Regel nur in der Nähe dieser Pole gültig sein kann, in-
dem eine Magnetnadel, die weit entfernt von den Polen, etwa in
der Mitte zwischen zweien jener Pole, liegt, offenbar einer nach
beiden Nordpolen hin gerichteten Anziehung ihres Nord-Endes unter-
worfen ist; ihre Richtung wird also zwar dem stärker wirkenden
mehr zugewandt sein, als dem andern, aber doch nicht so, daß sich
daraus so leicht die wahre Lage des einen oder andern Poles auf
eine sichere Weise herleiten ließe *). Parry sah, als er sich
nördlich von dem über Nord-America liegenden Pole befand, den
Nordpol der Magnetnadel gegen Südwest oder gegen Südost ge-
kehrt, so wie es seine Lage gegen den aus andern Beobachtungen
bekannten magnetischen Pol forderte.


*) Ueberhaupt ist diese Angabe unvollkommen, und so ist auch die
Lage der auf unsrer Charte eingetragenen Pole nur als einigermaßen
der Wahrheit nahe anzusehen.
Ee 2

Daß die Magnetnadel in ihrer natuͤrlichen Stellung bei uns
nicht genau nach Norden zeigt, habe ich ſchon erwaͤhnt; der Win-
kel, um welchen ſie von Norden, vom Meridiane, abweicht, heißt
ihre Abweichung oder Declination. An den meiſten Or-
ten der Erde findet eine aͤhnliche Abweichung ſtatt, und zwar ſo,
daß der Nordpol der Nadel an einigen Orten, wie bei uns, nach
Weſten abweicht, an andern nach Oſten. In unſern Gegenden iſt
die weſtliche Abweichung ungefaͤhr 17 Grad. Dieſe Abweichungen
ſind nur in der Naͤhe der magnetiſchen Pole der Erde einer ziemlich
genau richtigen und leicht zu uͤberſehenden Regel unterworfen,
naͤmlich der Regel, daß dort die Spitze der Nadel ſich nach dem
naͤchſten magnetiſchen Pole der Erde richtet. Hanſteen hat, in
d[e]r Ueberzeugung, daß es nicht wohl anders ſein koͤnne, durch
Beobachtungen der Abweichung zuerſt die Lage der Pole zu beſtim-
men geſucht, indem er die Durchſchnittspuncte der Richtungslinien
aufſuchte, die ihm die Beobachtungen der horizontalen Nadel im
noͤrdlichſten America fuͤr den einen Pol, in Sibirien fuͤr den zwei-
ten Pol, und ſo in der Gegend ſuͤdlich von Neuholland fuͤr den
dritten Pol und in den Gegenden ſuͤdlich von America fuͤr den vier-
ten Pol, angaben, und ſo hat er die Lage des am genaueſten be-
kannten Poles ſehr nahe richtig beſtimmt. Es iſt einleuchtend,
daß die Regel nur in der Naͤhe dieſer Pole guͤltig ſein kann, in-
dem eine Magnetnadel, die weit entfernt von den Polen, etwa in
der Mitte zwiſchen zweien jener Pole, liegt, offenbar einer nach
beiden Nordpolen hin gerichteten Anziehung ihres Nord-Endes unter-
worfen iſt; ihre Richtung wird alſo zwar dem ſtaͤrker wirkenden
mehr zugewandt ſein, als dem andern, aber doch nicht ſo, daß ſich
daraus ſo leicht die wahre Lage des einen oder andern Poles auf
eine ſichere Weiſe herleiten ließe *). Parry ſah, als er ſich
noͤrdlich von dem uͤber Nord-America liegenden Pole befand, den
Nordpol der Magnetnadel gegen Suͤdweſt oder gegen Suͤdoſt ge-
kehrt, ſo wie es ſeine Lage gegen den aus andern Beobachtungen
bekannten magnetiſchen Pol forderte.


*) Ueberhaupt iſt dieſe Angabe unvollkommen, und ſo iſt auch die
Lage der auf unſrer Charte eingetragenen Pole nur als einigermaßen
der Wahrheit nahe anzuſehen.
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[435/0449] Daß die Magnetnadel in ihrer natuͤrlichen Stellung bei uns nicht genau nach Norden zeigt, habe ich ſchon erwaͤhnt; der Win- kel, um welchen ſie von Norden, vom Meridiane, abweicht, heißt ihre Abweichung oder Declination. An den meiſten Or- ten der Erde findet eine aͤhnliche Abweichung ſtatt, und zwar ſo, daß der Nordpol der Nadel an einigen Orten, wie bei uns, nach Weſten abweicht, an andern nach Oſten. In unſern Gegenden iſt die weſtliche Abweichung ungefaͤhr 17 Grad. Dieſe Abweichungen ſind nur in der Naͤhe der magnetiſchen Pole der Erde einer ziemlich genau richtigen und leicht zu uͤberſehenden Regel unterworfen, naͤmlich der Regel, daß dort die Spitze der Nadel ſich nach dem naͤchſten magnetiſchen Pole der Erde richtet. Hanſteen hat, in der Ueberzeugung, daß es nicht wohl anders ſein koͤnne, durch Beobachtungen der Abweichung zuerſt die Lage der Pole zu beſtim- men geſucht, indem er die Durchſchnittspuncte der Richtungslinien aufſuchte, die ihm die Beobachtungen der horizontalen Nadel im noͤrdlichſten America fuͤr den einen Pol, in Sibirien fuͤr den zwei- ten Pol, und ſo in der Gegend ſuͤdlich von Neuholland fuͤr den dritten Pol und in den Gegenden ſuͤdlich von America fuͤr den vier- ten Pol, angaben, und ſo hat er die Lage des am genaueſten be- kannten Poles ſehr nahe richtig beſtimmt. Es iſt einleuchtend, daß die Regel nur in der Naͤhe dieſer Pole guͤltig ſein kann, in- dem eine Magnetnadel, die weit entfernt von den Polen, etwa in der Mitte zwiſchen zweien jener Pole, liegt, offenbar einer nach beiden Nordpolen hin gerichteten Anziehung ihres Nord-Endes unter- worfen iſt; ihre Richtung wird alſo zwar dem ſtaͤrker wirkenden mehr zugewandt ſein, als dem andern, aber doch nicht ſo, daß ſich daraus ſo leicht die wahre Lage des einen oder andern Poles auf eine ſichere Weiſe herleiten ließe *). Parry ſah, als er ſich noͤrdlich von dem uͤber Nord-America liegenden Pole befand, den Nordpol der Magnetnadel gegen Suͤdweſt oder gegen Suͤdoſt ge- kehrt, ſo wie es ſeine Lage gegen den aus andern Beobachtungen bekannten magnetiſchen Pol forderte. *) Ueberhaupt iſt dieſe Angabe unvollkommen, und ſo iſt auch die Lage der auf unſrer Charte eingetragenen Pole nur als einigermaßen der Wahrheit nahe anzuſehen. Ee 2

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/449>, abgerufen am 22.11.2024.