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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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der Hausindustriellen die dunkelste Seile des Arbeiterdaseins ver-
treten. Von den Hütten auf den Höhen der Berge bis zu den ver-
stecktesten Thälern, bis zu den dunkelsten Höhlen der Großstädte er-
streckt sich ihr Arbeitsbereich. Endlose Arbeitszeit, niedrigster Lohn,
allen Regeln der Gesundheit spottende Arbeitsstätten sind ihre Kenn-
zeichen. Weder Krankheit noch Alter schützt hier vor Ausbeutung;
das kleinste Kind, wie die müde Greisin müssen arbeiten - arbeiten
ohne Rast und Ruh, um besten Falls dafür das Leben zu fristen.
Die Gesetzgeber gehen an ihnen vorüber; fürchten sie sich, hinein
zu blicken in diesen Abgrund, weil er vielleicht all ihren Ueber-
brückungskünsten spotten dürfte? Sie heucheln Ehrfurcht vor der
Familie, vor der geheiligten Stätte des häuslichen Heerdes, die kein
Unberufener betreten darf; haben sie nicht längst den Unberufensten,
den Kapitalismus, eintreten lassen? Dulden sie nicht stillschweigend,
daß er jeden Rest von Familienleben und Familienglück mit ehernen
Füßen zertritt? Jn der Hausindustrie haben die Unternehmer den
Ausweg entdeckt, der es ihnen ermöglicht, selbst den geringen vor-
handenen Arbeiterschutz zu umgehen. Sie schließen sogar zuweilen
ihre Fabriken und geben die Arbeit in die Hände der Haus-
industriellen - denn die menschliche Maschine ist immer noch billiger,
als die von Stahl und Eisen, und ihre Heizung kostet weniger
Geld. Und vor allein die Frauen sind nur allzu gefügige Werkzeuge.

Das Problem der Hausindustrie, dessen Lösung für die Arbeite-
rinnen beinahe eine Lebensfrage genannt werden kann, gewinnt
dadurch noch an Bedeutung, daß nicht nur die Frage der Frauenarbeit,
sondern auch die der Kinderarbeit mit ihm in engstem Zusammen-
hange steht. Die bis vor kurzem gültigen Bestimmungen der Ge-
werbe-Ordnung verboten die Beschäftigung von Kindern unter 13
und erschwerten die der Kinder unter 14 Jahren. Für die jungen
Leute zwischen 14 und 16 Jahren besteht der zehnstündige Arbeits-
tag und wurden einige unbedeutende Arbeitspausen festgesetzt, die
Nacht- und Sonntagsarbeit sowie die Arbeit unter Tage untersagt.
Aber das Gesetz ist auch hier auf halbem Wege stehen geblieben, indem
es, genau wie beim Arbeiterinnenschutz, Ausnahmen aller Art zuläßt
und die größte Masse der arbeitenden Kinder nicht erfaßt. Nach
langen Mühen und Anstrengungen, an denen schließlich die nächst
den Eltern kompetentesten Beobachter der Kinder, die Lehrer, energisch
theilnahmen, - sie wissen ja nur zu gut, daß Arbeitsunlust und
geistige Trägheit fast immer nur die Folgen körperlicher Ueber-
anstrengung sind - gelang es schließlich, die Regierung zu einer
besonderen Untersuchung der Kinderarbeit zu bewegen. Die Halb-
heit freilich trug auch sie an der Stirne geschrieben, denn sie beschränkte
den Kreis der Enquete nur auf die gewerblich thätigen Kinder unter
Ausschluß der zahllosen im häuslichen Dienst und in der Landwirth-
schaft beschäftigten. Trotz dieser ungerechtfertigten Einschränkung
ergab sich die riesige Summe von über einer halben Million Kinder

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der Hausindustriellen die dunkelste Seile des Arbeiterdaseins ver-
treten. Von den Hütten auf den Höhen der Berge bis zu den ver-
stecktesten Thälern, bis zu den dunkelsten Höhlen der Großstädte er-
streckt sich ihr Arbeitsbereich. Endlose Arbeitszeit, niedrigster Lohn,
allen Regeln der Gesundheit spottende Arbeitsstätten sind ihre Kenn-
zeichen. Weder Krankheit noch Alter schützt hier vor Ausbeutung;
das kleinste Kind, wie die müde Greisin müssen arbeiten – arbeiten
ohne Rast und Ruh, um besten Falls dafür das Leben zu fristen.
Die Gesetzgeber gehen an ihnen vorüber; fürchten sie sich, hinein
zu blicken in diesen Abgrund, weil er vielleicht all ihren Ueber-
brückungskünsten spotten dürfte? Sie heucheln Ehrfurcht vor der
Familie, vor der geheiligten Stätte des häuslichen Heerdes, die kein
Unberufener betreten darf; haben sie nicht längst den Unberufensten,
den Kapitalismus, eintreten lassen? Dulden sie nicht stillschweigend,
daß er jeden Rest von Familienleben und Familienglück mit ehernen
Füßen zertritt? Jn der Hausindustrie haben die Unternehmer den
Ausweg entdeckt, der es ihnen ermöglicht, selbst den geringen vor-
handenen Arbeiterschutz zu umgehen. Sie schließen sogar zuweilen
ihre Fabriken und geben die Arbeit in die Hände der Haus-
industriellen – denn die menschliche Maschine ist immer noch billiger,
als die von Stahl und Eisen, und ihre Heizung kostet weniger
Geld. Und vor allein die Frauen sind nur allzu gefügige Werkzeuge.

Das Problem der Hausindustrie, dessen Lösung für die Arbeite-
rinnen beinahe eine Lebensfrage genannt werden kann, gewinnt
dadurch noch an Bedeutung, daß nicht nur die Frage der Frauenarbeit,
sondern auch die der Kinderarbeit mit ihm in engstem Zusammen-
hange steht. Die bis vor kurzem gültigen Bestimmungen der Ge-
werbe-Ordnung verboten die Beschäftigung von Kindern unter 13
und erschwerten die der Kinder unter 14 Jahren. Für die jungen
Leute zwischen 14 und 16 Jahren besteht der zehnstündige Arbeits-
tag und wurden einige unbedeutende Arbeitspausen festgesetzt, die
Nacht- und Sonntagsarbeit sowie die Arbeit unter Tage untersagt.
Aber das Gesetz ist auch hier auf halbem Wege stehen geblieben, indem
es, genau wie beim Arbeiterinnenschutz, Ausnahmen aller Art zuläßt
und die größte Masse der arbeitenden Kinder nicht erfaßt. Nach
langen Mühen und Anstrengungen, an denen schließlich die nächst
den Eltern kompetentesten Beobachter der Kinder, die Lehrer, energisch
theilnahmen, – sie wissen ja nur zu gut, daß Arbeitsunlust und
geistige Trägheit fast immer nur die Folgen körperlicher Ueber-
anstrengung sind – gelang es schließlich, die Regierung zu einer
besonderen Untersuchung der Kinderarbeit zu bewegen. Die Halb-
heit freilich trug auch sie an der Stirne geschrieben, denn sie beschränkte
den Kreis der Enquete nur auf die gewerblich thätigen Kinder unter
Ausschluß der zahllosen im häuslichen Dienst und in der Landwirth-
schaft beschäftigten. Trotz dieser ungerechtfertigten Einschränkung
ergab sich die riesige Summe von über einer halben Million Kinder

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[17/0016] der Hausindustriellen die dunkelste Seile des Arbeiterdaseins ver- treten. Von den Hütten auf den Höhen der Berge bis zu den ver- stecktesten Thälern, bis zu den dunkelsten Höhlen der Großstädte er- streckt sich ihr Arbeitsbereich. Endlose Arbeitszeit, niedrigster Lohn, allen Regeln der Gesundheit spottende Arbeitsstätten sind ihre Kenn- zeichen. Weder Krankheit noch Alter schützt hier vor Ausbeutung; das kleinste Kind, wie die müde Greisin müssen arbeiten – arbeiten ohne Rast und Ruh, um besten Falls dafür das Leben zu fristen. Die Gesetzgeber gehen an ihnen vorüber; fürchten sie sich, hinein zu blicken in diesen Abgrund, weil er vielleicht all ihren Ueber- brückungskünsten spotten dürfte? Sie heucheln Ehrfurcht vor der Familie, vor der geheiligten Stätte des häuslichen Heerdes, die kein Unberufener betreten darf; haben sie nicht längst den Unberufensten, den Kapitalismus, eintreten lassen? Dulden sie nicht stillschweigend, daß er jeden Rest von Familienleben und Familienglück mit ehernen Füßen zertritt? Jn der Hausindustrie haben die Unternehmer den Ausweg entdeckt, der es ihnen ermöglicht, selbst den geringen vor- handenen Arbeiterschutz zu umgehen. Sie schließen sogar zuweilen ihre Fabriken und geben die Arbeit in die Hände der Haus- industriellen – denn die menschliche Maschine ist immer noch billiger, als die von Stahl und Eisen, und ihre Heizung kostet weniger Geld. Und vor allein die Frauen sind nur allzu gefügige Werkzeuge. Das Problem der Hausindustrie, dessen Lösung für die Arbeite- rinnen beinahe eine Lebensfrage genannt werden kann, gewinnt dadurch noch an Bedeutung, daß nicht nur die Frage der Frauenarbeit, sondern auch die der Kinderarbeit mit ihm in engstem Zusammen- hange steht. Die bis vor kurzem gültigen Bestimmungen der Ge- werbe-Ordnung verboten die Beschäftigung von Kindern unter 13 und erschwerten die der Kinder unter 14 Jahren. Für die jungen Leute zwischen 14 und 16 Jahren besteht der zehnstündige Arbeits- tag und wurden einige unbedeutende Arbeitspausen festgesetzt, die Nacht- und Sonntagsarbeit sowie die Arbeit unter Tage untersagt. Aber das Gesetz ist auch hier auf halbem Wege stehen geblieben, indem es, genau wie beim Arbeiterinnenschutz, Ausnahmen aller Art zuläßt und die größte Masse der arbeitenden Kinder nicht erfaßt. Nach langen Mühen und Anstrengungen, an denen schließlich die nächst den Eltern kompetentesten Beobachter der Kinder, die Lehrer, energisch theilnahmen, – sie wissen ja nur zu gut, daß Arbeitsunlust und geistige Trägheit fast immer nur die Folgen körperlicher Ueber- anstrengung sind – gelang es schließlich, die Regierung zu einer besonderen Untersuchung der Kinderarbeit zu bewegen. Die Halb- heit freilich trug auch sie an der Stirne geschrieben, denn sie beschränkte den Kreis der Enquete nur auf die gewerblich thätigen Kinder unter Ausschluß der zahllosen im häuslichen Dienst und in der Landwirth- schaft beschäftigten. Trotz dieser ungerechtfertigten Einschränkung ergab sich die riesige Summe von über einer halben Million Kinder 2

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/16>, abgerufen am 21.11.2024.