Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.recht gut, wie ihr kleiner Haushalt, trotz aller Wirthschaftlichkeit, recht gut, wie ihr kleiner Haushalt, trotz aller Wirthschaftlichkeit, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0023" n="24"/> recht gut, wie ihr kleiner Haushalt, trotz aller Wirthschaftlichkeit,<lb/> immer mehr Geld kostet; dann schelten sie wohl auf den Budiker<lb/> nebenan und auf die Grünkramfrau im Keller und meinen, die<lb/> mästen sich von ihren sauer erworbenen Groschen. Wenn aber die<lb/> Wache aufzieht und die Soldaten vorbeimarschiren, oder gar hoch<lb/> zu Roß mit klingendem Spiel die Straße heraufreiten, dann laufen<lb/> sie hinaus und gaffen und freuen sich. Die jungen Mädchen kommen<lb/> aus Läden und Fabriken, die Kinder aus den Schulen, und sie rennen<lb/> im Takt hinterher mit glänzenden Augen und klopfenden Pulsen,<lb/> voller Freude über das bunte Bild und den lauten Spektakel. Daß<lb/> sie sich an Körper und Geist die Milliarden abdarben müssen für<lb/> diese Pracht und diese schmetternden Fanfaren – darüber haben<lb/> sie noch niemals nachgedacht. Würden sie es wissen, würden die<lb/> Frauen – alle Frauen – ahnen, daß nicht nur der Mangel an<lb/> Nahrung, daß auch die minderwerthige geistige Kost, die ihren<lb/> Kindern zugeführt wird, die überfüllten Schulen, der Mangel an<lb/> Lehrern, ihre unzureichende Besoldung die Preise sind für dies<lb/> „herrliche Kriegsheer“, sie wären längst keine schwärmerischen Be-<lb/> wunderer des bunten Rockes mehr. Aber es giebt auch noch direktere<lb/> Gründe für das Jnteresse der Frauen an den Fragen des <hi rendition="#b">Militarismus</hi><lb/> und <hi rendition="#b">Marinismus.</hi> Der Mutter rauben sie den Sohn und nur zu<lb/> oft geben sie ihn ihr wieder, körperlich und moralisch zusammen-<lb/> gebrochen. Und – wieder ein Zeichen dafür, wie recht die Leute<lb/> haben, die da sagen, diese Gesellschaftsordnung sei eine gerechte! –<lb/> ist der junge Mann das Kind armer Eltern, so wird er ihnen um<lb/> so länger entrissen: zwei Jahre dienen muß er, während derjenige,<lb/> den das Geschick zufällig in ein warmes Nest legte, nur ein Jahr<lb/> zu dienen braucht. Doch damit nicht genug: nicht immer haben<lb/> wir Zeiten des Friedens; unsere fernen Kolonien sind oft die Ursache<lb/> kleiner Scharmützel; um des chinesischen Abenteuers willen mußten<lb/> Schaaren von jungen Leuten unter die Waffen treten, und wenn<lb/> nicht der Kampf selbst, so fordern Klima und Krankheiten aller Art<lb/> die Opfer blühender Menschenleben. Und warum? Etwa weil das<lb/> Vaterland in Gefahr steht, weil es gilt, Leben, Ehre, Freiheit zu<lb/> vertheidigen, – Güter, für die jeder Mann sein Leben in die Schanze<lb/> schlagen wird? Sehr fern liegen dem Volke die Weltmachtsgelüste<lb/> der Regierenden, und eine rechte Mutter, die den Sohn lehrte, tapfer<lb/> zu sein und furchtlos, Ehre und Freiheit höher zu stellen als das<lb/> Leben, die muß sich empören, wenn man ihn zwingen will, für<lb/> Besitzgier oder romantische Träume Anderer sein Blut zu vergießen.<lb/> Noch Schlimmeres aber hat sie zu fürchten: die Armee gilt als die<lb/> stärkste Stütze der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung. Dem jungen<lb/> Soldaten wird Gehorsam gegen den Vorgesetzten als erste Pflicht<lb/> gepredigt; gehorchen muß er nicht nur, wenn es gilt, gegen Kaffern<lb/> und Chinesen zu kämpfen, gehorchen muß er auch, falls die herrschenden<lb/> Klassen den Kampf wider den „inneren Feind“ heraufbeschwören sollten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0023]
recht gut, wie ihr kleiner Haushalt, trotz aller Wirthschaftlichkeit,
immer mehr Geld kostet; dann schelten sie wohl auf den Budiker
nebenan und auf die Grünkramfrau im Keller und meinen, die
mästen sich von ihren sauer erworbenen Groschen. Wenn aber die
Wache aufzieht und die Soldaten vorbeimarschiren, oder gar hoch
zu Roß mit klingendem Spiel die Straße heraufreiten, dann laufen
sie hinaus und gaffen und freuen sich. Die jungen Mädchen kommen
aus Läden und Fabriken, die Kinder aus den Schulen, und sie rennen
im Takt hinterher mit glänzenden Augen und klopfenden Pulsen,
voller Freude über das bunte Bild und den lauten Spektakel. Daß
sie sich an Körper und Geist die Milliarden abdarben müssen für
diese Pracht und diese schmetternden Fanfaren – darüber haben
sie noch niemals nachgedacht. Würden sie es wissen, würden die
Frauen – alle Frauen – ahnen, daß nicht nur der Mangel an
Nahrung, daß auch die minderwerthige geistige Kost, die ihren
Kindern zugeführt wird, die überfüllten Schulen, der Mangel an
Lehrern, ihre unzureichende Besoldung die Preise sind für dies
„herrliche Kriegsheer“, sie wären längst keine schwärmerischen Be-
wunderer des bunten Rockes mehr. Aber es giebt auch noch direktere
Gründe für das Jnteresse der Frauen an den Fragen des Militarismus
und Marinismus. Der Mutter rauben sie den Sohn und nur zu
oft geben sie ihn ihr wieder, körperlich und moralisch zusammen-
gebrochen. Und – wieder ein Zeichen dafür, wie recht die Leute
haben, die da sagen, diese Gesellschaftsordnung sei eine gerechte! –
ist der junge Mann das Kind armer Eltern, so wird er ihnen um
so länger entrissen: zwei Jahre dienen muß er, während derjenige,
den das Geschick zufällig in ein warmes Nest legte, nur ein Jahr
zu dienen braucht. Doch damit nicht genug: nicht immer haben
wir Zeiten des Friedens; unsere fernen Kolonien sind oft die Ursache
kleiner Scharmützel; um des chinesischen Abenteuers willen mußten
Schaaren von jungen Leuten unter die Waffen treten, und wenn
nicht der Kampf selbst, so fordern Klima und Krankheiten aller Art
die Opfer blühender Menschenleben. Und warum? Etwa weil das
Vaterland in Gefahr steht, weil es gilt, Leben, Ehre, Freiheit zu
vertheidigen, – Güter, für die jeder Mann sein Leben in die Schanze
schlagen wird? Sehr fern liegen dem Volke die Weltmachtsgelüste
der Regierenden, und eine rechte Mutter, die den Sohn lehrte, tapfer
zu sein und furchtlos, Ehre und Freiheit höher zu stellen als das
Leben, die muß sich empören, wenn man ihn zwingen will, für
Besitzgier oder romantische Träume Anderer sein Blut zu vergießen.
Noch Schlimmeres aber hat sie zu fürchten: die Armee gilt als die
stärkste Stütze der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung. Dem jungen
Soldaten wird Gehorsam gegen den Vorgesetzten als erste Pflicht
gepredigt; gehorchen muß er nicht nur, wenn es gilt, gegen Kaffern
und Chinesen zu kämpfen, gehorchen muß er auch, falls die herrschenden
Klassen den Kampf wider den „inneren Feind“ heraufbeschwören sollten.
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(2022-08-30T16:52:29Z)
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Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition.
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