häufig: Humboldt schätzt, daß auf einer mit geeignetem Wald bestandenen Quadratmeile wohl zwei- tausend Stück Brüllaffen vorkommen mögen, und sah Banden von ihrer vierzig. Rengger begegnete nur kleinern Gesellschaften, meist Familien von drei bis zehn Mitgliedern.
Der Brüllaffe ist eines derjenigen amerikanischen Thiere, welches schon seit der ältesten ge- schichtlichen Zeit den Reisenden, immer aber nur unvollständig, bekannt wurde und deshalb zu vielen Fabeln Veranlassung gab. Solche haben heutigen Tages noch unter den nicht selbst beobach- tenden Weißen und Jndianern Geltung. Wir lassen sie gänzlich bei Seite und halten uns dafür an unsere Gewährsmänner. Schomburgk mag uns die Thiere zuerst vorstellen; dann wollen wir den Mittheilungen der Uebrigen folgen.
"Nach meiner Ankunft," sagt jener ausgezeichnete Beobachter, "hatte ich bei Auf- und Untergang der Sonne aus dem Urwalde das schauerliche Geheul zahlreicher Brüllaffen herübertönen hören, ohne daß es mir bei meinen Streifereien gelungen wäre, die Thiere selbst aufzufinden. Als ich eines Morgens nach dem Frühstück, mit meinem Jagdzeug versehen, dem Urwalde zuschritt, schallte mir aus der Tiefe desselben abermals jenes wüste Geheul entgegen und setzte meinen Jagdeifer in volle Flammen. Jch eilte also durch Dick und Dünn dem Gebrüll entgegen und erreichte auch nach vieler Anstrengung und langem Suchen, ohne bemerkt zu werden, die Gesellschaft. Vor mir auf einem hohen Baume saßen sie und führten ein so schauerliches Concert auf, daß man wähnen konnte, alle wilden Thiere des Waldes seien in tödlichem Kampfe gegen einander entbrannt, obschon sich nicht leugnen ließ, daß doch eine Art von Uebereinstimmung in ihm herrschte. Denn bald schwieg nach einem Taktzeichen die über den ganzen Baum vertheilte Gesellschaft, bald ließ ebenso unerwartet einer der Sänger seine unharmonische Stimme wieder erschallen, und das Geheul begann von neuem. Die Knochentrommel am Zungenbeine, welche durch ihre Resonanz der Stimme eben jene mächtige Stärke verleiht, konnte man während des Geschreies auf und nieder sich bewegen sehen. Augenblicke lang glichen die Töne dem Grunzen des Schweines, im nächsten Augenblicke aber dem Brüllen des Jaguars, wenn er sich auf seine Beute stürzt, um bald wieder in das tiefe und schreckliche Knurren desselben Raubthiers überzugehen, wenn es, von allen Seiten umzingelt, die ihm drohende Gefahr erkennt. Diese schauerliche Gesellschaft hatte jedoch auch ihre lächerlichen Seiten, und selbst auf dem Gesichte des düstersten Menschenfeindes würden für Augenblicke sich Spuren eines Lächelns gezeigt haben, wenn er gesehen, wie diese Concertgeber sich mit langen Bärten starr und ernst einander an- blickten. Man hatte mir gesagt, daß jede Herde ihren eignen Vorsänger besäße, der sich nicht allein durch seine feine schrillende Stimme von allen tiefen Bassisten unterscheide, sondern auch durch eine viel schmächtigere und feinere Gestalt auszeichne. Jch fand die erstere Angabe bei dieser Herde voll- kommen bestätigt; nach der feineren und schmächtigen Gestalt sah ich mich freilich vergeblich um, be- merkte dafür aber auf dem nächsten Baume zwei schweigsame Affen, welche ich für ausgestellte Wachen hielt; -- waren sie es, so hatten sie ihre Dienste schlecht genug versehen; denn unbemerkt stand ich in ihrer Nähe."
Diese anmuthige Schilderung beweist uns schon hinlänglich, daß wir es bei den Brüllaffen mit höchst eigenthümlichen Geschöpfen zu thun haben. Man kann, ohne sich einer Uebertreibung schuldig zu machen, behaupten, daß ihr ganzes Leben und Treiben eine Vereinigung von allerhand Absonder- lichkeiten ist und deshalb der Beobachtung ein ergiebiges Feld bietet, während man andererseits aner- kennen muß, daß die Jndianer zu entschuldigen sind, wenn sie die Brüllaffen ihres trübseligen Aeußern und ihres langweiligen Betragens halber mißachten und hassen. Selbst die Verläumdungen, welche man sich zu Schulden kommen ließ, sind erklärlich, wenn man bedenkt, daß unsere Thiere weder im Freileben noch in der Gefangenschaft irgend welche Anmuth, ja selbst irgend welche Abwechslung in ihrer Lebensweise zeigen.
Grämlich und mürrisch sondern sich die Brüllaffen von allen übrigen Familienverwandten ab. Niemals sieht man sie untereinander spielen. Wenn sie nicht fressen oder brüllen, sehen sie bewegungs- los vor sich hin oder schlafen. Jhr ganzes Leben ist außerordentlich einförmig.
Brehm, Thierleben. 7
Vorkommen. Gebrüll. Eigenſchaften.
häufig: Humboldt ſchätzt, daß auf einer mit geeignetem Wald beſtandenen Quadratmeile wohl zwei- tauſend Stück Brüllaffen vorkommen mögen, und ſah Banden von ihrer vierzig. Rengger begegnete nur kleinern Geſellſchaften, meiſt Familien von drei bis zehn Mitgliedern.
Der Brüllaffe iſt eines derjenigen amerikaniſchen Thiere, welches ſchon ſeit der älteſten ge- ſchichtlichen Zeit den Reiſenden, immer aber nur unvollſtändig, bekannt wurde und deshalb zu vielen Fabeln Veranlaſſung gab. Solche haben heutigen Tages noch unter den nicht ſelbſt beobach- tenden Weißen und Jndianern Geltung. Wir laſſen ſie gänzlich bei Seite und halten uns dafür an unſere Gewährsmänner. Schomburgk mag uns die Thiere zuerſt vorſtellen; dann wollen wir den Mittheilungen der Uebrigen folgen.
„Nach meiner Ankunft,‟ ſagt jener ausgezeichnete Beobachter, „hatte ich bei Auf- und Untergang der Sonne aus dem Urwalde das ſchauerliche Geheul zahlreicher Brüllaffen herübertönen hören, ohne daß es mir bei meinen Streifereien gelungen wäre, die Thiere ſelbſt aufzufinden. Als ich eines Morgens nach dem Frühſtück, mit meinem Jagdzeug verſehen, dem Urwalde zuſchritt, ſchallte mir aus der Tiefe deſſelben abermals jenes wüſte Geheul entgegen und ſetzte meinen Jagdeifer in volle Flammen. Jch eilte alſo durch Dick und Dünn dem Gebrüll entgegen und erreichte auch nach vieler Anſtrengung und langem Suchen, ohne bemerkt zu werden, die Geſellſchaft. Vor mir auf einem hohen Baume ſaßen ſie und führten ein ſo ſchauerliches Concert auf, daß man wähnen konnte, alle wilden Thiere des Waldes ſeien in tödlichem Kampfe gegen einander entbrannt, obſchon ſich nicht leugnen ließ, daß doch eine Art von Uebereinſtimmung in ihm herrſchte. Denn bald ſchwieg nach einem Taktzeichen die über den ganzen Baum vertheilte Geſellſchaft, bald ließ ebenſo unerwartet einer der Sänger ſeine unharmoniſche Stimme wieder erſchallen, und das Geheul begann von neuem. Die Knochentrommel am Zungenbeine, welche durch ihre Reſonanz der Stimme eben jene mächtige Stärke verleiht, konnte man während des Geſchreies auf und nieder ſich bewegen ſehen. Augenblicke lang glichen die Töne dem Grunzen des Schweines, im nächſten Augenblicke aber dem Brüllen des Jaguars, wenn er ſich auf ſeine Beute ſtürzt, um bald wieder in das tiefe und ſchreckliche Knurren deſſelben Raubthiers überzugehen, wenn es, von allen Seiten umzingelt, die ihm drohende Gefahr erkennt. Dieſe ſchauerliche Geſellſchaft hatte jedoch auch ihre lächerlichen Seiten, und ſelbſt auf dem Geſichte des düſterſten Menſchenfeindes würden für Augenblicke ſich Spuren eines Lächelns gezeigt haben, wenn er geſehen, wie dieſe Concertgeber ſich mit langen Bärten ſtarr und ernſt einander an- blickten. Man hatte mir geſagt, daß jede Herde ihren eignen Vorſänger beſäße, der ſich nicht allein durch ſeine feine ſchrillende Stimme von allen tiefen Baſſiſten unterſcheide, ſondern auch durch eine viel ſchmächtigere und feinere Geſtalt auszeichne. Jch fand die erſtere Angabe bei dieſer Herde voll- kommen beſtätigt; nach der feineren und ſchmächtigen Geſtalt ſah ich mich freilich vergeblich um, be- merkte dafür aber auf dem nächſten Baume zwei ſchweigſame Affen, welche ich für ausgeſtellte Wachen hielt; — waren ſie es, ſo hatten ſie ihre Dienſte ſchlecht genug verſehen; denn unbemerkt ſtand ich in ihrer Nähe.‟
Dieſe anmuthige Schilderung beweiſt uns ſchon hinlänglich, daß wir es bei den Brüllaffen mit höchſt eigenthümlichen Geſchöpfen zu thun haben. Man kann, ohne ſich einer Uebertreibung ſchuldig zu machen, behaupten, daß ihr ganzes Leben und Treiben eine Vereinigung von allerhand Abſonder- lichkeiten iſt und deshalb der Beobachtung ein ergiebiges Feld bietet, während man andererſeits aner- kennen muß, daß die Jndianer zu entſchuldigen ſind, wenn ſie die Brüllaffen ihres trübſeligen Aeußern und ihres langweiligen Betragens halber mißachten und haſſen. Selbſt die Verläumdungen, welche man ſich zu Schulden kommen ließ, ſind erklärlich, wenn man bedenkt, daß unſere Thiere weder im Freileben noch in der Gefangenſchaft irgend welche Anmuth, ja ſelbſt irgend welche Abwechslung in ihrer Lebensweiſe zeigen.
Grämlich und mürriſch ſondern ſich die Brüllaffen von allen übrigen Familienverwandten ab. Niemals ſieht man ſie untereinander ſpielen. Wenn ſie nicht freſſen oder brüllen, ſehen ſie bewegungs- los vor ſich hin oder ſchlafen. Jhr ganzes Leben iſt außerordentlich einförmig.
Brehm, Thierleben. 7
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[97/0155]
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nur kleinern Geſellſchaften, meiſt Familien von drei bis zehn Mitgliedern.
Der Brüllaffe iſt eines derjenigen amerikaniſchen Thiere, welches ſchon ſeit der älteſten ge-
ſchichtlichen Zeit den Reiſenden, immer aber nur unvollſtändig, bekannt wurde und deshalb zu
vielen Fabeln Veranlaſſung gab. Solche haben heutigen Tages noch unter den nicht ſelbſt beobach-
tenden Weißen und Jndianern Geltung. Wir laſſen ſie gänzlich bei Seite und halten uns dafür an
unſere Gewährsmänner. Schomburgk mag uns die Thiere zuerſt vorſtellen; dann wollen wir den
Mittheilungen der Uebrigen folgen.
„Nach meiner Ankunft,‟ ſagt jener ausgezeichnete Beobachter, „hatte ich bei Auf- und Untergang
der Sonne aus dem Urwalde das ſchauerliche Geheul zahlreicher Brüllaffen herübertönen hören, ohne
daß es mir bei meinen Streifereien gelungen wäre, die Thiere ſelbſt aufzufinden. Als ich eines
Morgens nach dem Frühſtück, mit meinem Jagdzeug verſehen, dem Urwalde zuſchritt, ſchallte mir aus
der Tiefe deſſelben abermals jenes wüſte Geheul entgegen und ſetzte meinen Jagdeifer in volle
Flammen. Jch eilte alſo durch Dick und Dünn dem Gebrüll entgegen und erreichte auch nach vieler
Anſtrengung und langem Suchen, ohne bemerkt zu werden, die Geſellſchaft. Vor mir auf einem
hohen Baume ſaßen ſie und führten ein ſo ſchauerliches Concert auf, daß man wähnen konnte, alle
wilden Thiere des Waldes ſeien in tödlichem Kampfe gegen einander entbrannt, obſchon ſich nicht
leugnen ließ, daß doch eine Art von Uebereinſtimmung in ihm herrſchte. Denn bald ſchwieg nach einem
Taktzeichen die über den ganzen Baum vertheilte Geſellſchaft, bald ließ ebenſo unerwartet einer der
Sänger ſeine unharmoniſche Stimme wieder erſchallen, und das Geheul begann von neuem. Die
Knochentrommel am Zungenbeine, welche durch ihre Reſonanz der Stimme eben jene mächtige Stärke
verleiht, konnte man während des Geſchreies auf und nieder ſich bewegen ſehen. Augenblicke lang
glichen die Töne dem Grunzen des Schweines, im nächſten Augenblicke aber dem Brüllen des
Jaguars, wenn er ſich auf ſeine Beute ſtürzt, um bald wieder in das tiefe und ſchreckliche Knurren
deſſelben Raubthiers überzugehen, wenn es, von allen Seiten umzingelt, die ihm drohende Gefahr
erkennt. Dieſe ſchauerliche Geſellſchaft hatte jedoch auch ihre lächerlichen Seiten, und ſelbſt auf dem
Geſichte des düſterſten Menſchenfeindes würden für Augenblicke ſich Spuren eines Lächelns gezeigt
haben, wenn er geſehen, wie dieſe Concertgeber ſich mit langen Bärten ſtarr und ernſt einander an-
blickten. Man hatte mir geſagt, daß jede Herde ihren eignen Vorſänger beſäße, der ſich nicht allein
durch ſeine feine ſchrillende Stimme von allen tiefen Baſſiſten unterſcheide, ſondern auch durch eine
viel ſchmächtigere und feinere Geſtalt auszeichne. Jch fand die erſtere Angabe bei dieſer Herde voll-
kommen beſtätigt; nach der feineren und ſchmächtigen Geſtalt ſah ich mich freilich vergeblich um, be-
merkte dafür aber auf dem nächſten Baume zwei ſchweigſame Affen, welche ich für ausgeſtellte Wachen
hielt; — waren ſie es, ſo hatten ſie ihre Dienſte ſchlecht genug verſehen; denn unbemerkt ſtand ich
in ihrer Nähe.‟
Dieſe anmuthige Schilderung beweiſt uns ſchon hinlänglich, daß wir es bei den Brüllaffen mit
höchſt eigenthümlichen Geſchöpfen zu thun haben. Man kann, ohne ſich einer Uebertreibung ſchuldig
zu machen, behaupten, daß ihr ganzes Leben und Treiben eine Vereinigung von allerhand Abſonder-
lichkeiten iſt und deshalb der Beobachtung ein ergiebiges Feld bietet, während man andererſeits aner-
kennen muß, daß die Jndianer zu entſchuldigen ſind, wenn ſie die Brüllaffen ihres trübſeligen
Aeußern und ihres langweiligen Betragens halber mißachten und haſſen. Selbſt die Verläumdungen,
welche man ſich zu Schulden kommen ließ, ſind erklärlich, wenn man bedenkt, daß unſere Thiere weder
im Freileben noch in der Gefangenſchaft irgend welche Anmuth, ja ſelbſt irgend welche Abwechslung
in ihrer Lebensweiſe zeigen.
Grämlich und mürriſch ſondern ſich die Brüllaffen von allen übrigen Familienverwandten ab.
Niemals ſieht man ſie untereinander ſpielen. Wenn ſie nicht freſſen oder brüllen, ſehen ſie bewegungs-
los vor ſich hin oder ſchlafen. Jhr ganzes Leben iſt außerordentlich einförmig.
Brehm, Thierleben. 7
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/155>, abgerufen am 24.11.2024.
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