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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Lebensweise. Nahrung. Familienleben.

Wenn der Brüllaffe keine Nachstellung erfährt, hält er sich in einem bestimmten Gebiete auf,
welches höchstens eine Meile Umfang haben mag. Oft verweilt eine Familie während des ganzen
Tages auf ein und demselben Baume. Höchst selten sieht man ihn einzeln. Die Familie hält sich
sehr treu zusammen. Sie zu beobachten, hält nicht schwer, weil sie sich durch ihr Gebrüll verräth,
zumal Morgens und Abends und am öftersten in der warmen Jahreszeit. Bei kalter oder regnerischer
Witterung und zur Nachtzeit hört man sie nicht oft. Rengger behauptet sogar, daß sie Nachts
niemals einen Laut von sich geben. Gewöhnlich machen die Männchen den Anfang bei diesem Geheul
und führen es auch am eifrigsten durch; die Weibchen und Jungen stimmen blos zuweilen mit ein.
Beim Brüllen sitzt die ganze Gesellschaft regungslos in der einmal eingenommenen Stellung, die
Männchen gewöhnlich weithin sichtbar auf den höchsten Aesten und Bäumen, die Weibchen etwas
tiefer unten in der Krone. Manchmal brüllen die Thiere stundenlang mit kurzen Unterbrechungen
fort. Humboldt erprobte, daß man das Heulen noch auf 800 Klaftern Entfernung höre; der Prinz von
Wied glaubt, daß es noch weiter vernehmbar sei; doch stützt sich Humboldts Angabe auf genaue
Beobachtung und nicht auf Schätzung. "Mitten auf den weiten mit Gras bewachsenen Ebenen, sagt
er, unterscheidet man leicht eine vereinzelte Baumgruppe, welche von Brüllaffen bewohnt ist und von
welcher der Schall herkommt. Wenn man nun auf diese Baumgruppe zugeht oder sich davon entfernt,
kann man den Abstand, in dem das Geheul noch vernehmbar ist, ziemlich genau ermessen." Warum die
Thiere eigentlich ihre sonderbaren Gefänge aufführen, ist ein Räthsel, wenn man eben nicht annehmen
will, daß sie sich durch die ihnen eigene Tonkunst gegenseitig ergötzen wollen. Beim Erscheinen eines
Hundes endigt das Gebrüll der Affen augenblicklich; die Gesellschaft sucht sich so schnell als möglich
hinter dichte Aeste oder zwischen dem Laube zu verstecken; sie flieht auch wohl durch die höchsten Gipfel
der Bäume, immer aber so langsam, daß der Jäger, wenn der Wald von Unterholz ziemlich rein ist,
sie leicht verfolgen kann. Man hat beobachtet, daß die fliehenden Affen, wohl aus Angst, beständig
ihren breiigen Koth fallen lassen: die Sage, welche erzählt, daß die verfolgten Affen ihre Feinde
mit Koth bewerfen, ist somit erklärt.

Alles, was der Brüllaffe bedarf, bietet ihm sein luftiger Aufenthalt in Fülle. Die Manchfaltig-
keit und der Reichthum der verschiedenen Früchte lassen ihn niemals Mangel leiden. Neben den
Früchten frißt er noch alles Mögliche: Körner, Blätter, Knospen und Blumen der verschiedensten Art,
wahrscheinlich auch Kerbthiere, Eier und junge, unbehilflich: Vögel, wie seine übrigen Stamm-
genossen. Den Pflanzungen wird er niemals schädlich, wenn er sich auch Tage lang am Saume
derselben aufhält: er zieht Baumblätter dem Mais und den Melonen vor.

Die Familien der Brüllaffen bestehen immer aus einer größern Zahl von Weibchen als
Männchen. Jm Allgemeinen darf man drei Aeffinnen auf einen Affen rechnen. Ob diese Männchen
in Sachen der Liebe unter einander kämpfen, weiß man nicht; bei der Trägheit und Langweiligkeit der
Thiere ist es nicht eben wahrscheinlich. Gewöhnlich trifft man die ganze Familie, sie mag so groß
oder klein sein, wie sie will, auf demselben Baume an, und immer hält sie sich eng zusammen.

Jn Südamerika wirft das Weibchen im Juni oder Juli, manchmal auch schon zu Ende Mai oder
erst Anfangs August ein einziges Junges. Während der ersten Woche nach der Geburt hängt sich der
Säugling wie bei den altweltlichen Affen mit allen vier Armen an den Unterleib der Mutter an;
später trägt diese ihn auf dem Rücken. Sie legt ihre Gefühle nicht durch Liebkosungen an den
Tag, wie andere Affen es thun, verläßt aber doch das Pfand ihrer Liebe wenigstens in der ersten
Zeit niemals, während sie später das schon bewegungsfähiger gewordene Kind bei ängstlicher Flucht
manchmal von sich abschüttelt oder gewaltsam auf einen Ast setzt, um sich ihren eignen Weg zu
erleichtern. Jndianer, welche Letzteres sahen, haben behauptet, daß die Brüllaffenmutter überhaupt
lieblos und gleichgiltig gegen ihre Jungen wäre; Prinz von Wied sagt aber ausdrücklich: "Gefahr
erhöht die Sorge der Mutter, und selbst tödlich angeschossen, verläßt sie ihr Junges nicht." Dieses
Letztere ist ebenso langweilig als die Alte und, zumal wegen des großen Kehlkopfs, wo möglich
noch häßlicher.

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Lebensweiſe. Nahrung. Familienleben.

Wenn der Brüllaffe keine Nachſtellung erfährt, hält er ſich in einem beſtimmten Gebiete auf,
welches höchſtens eine Meile Umfang haben mag. Oft verweilt eine Familie während des ganzen
Tages auf ein und demſelben Baume. Höchſt ſelten ſieht man ihn einzeln. Die Familie hält ſich
ſehr treu zuſammen. Sie zu beobachten, hält nicht ſchwer, weil ſie ſich durch ihr Gebrüll verräth,
zumal Morgens und Abends und am öfterſten in der warmen Jahreszeit. Bei kalter oder regneriſcher
Witterung und zur Nachtzeit hört man ſie nicht oft. Rengger behauptet ſogar, daß ſie Nachts
niemals einen Laut von ſich geben. Gewöhnlich machen die Männchen den Anfang bei dieſem Geheul
und führen es auch am eifrigſten durch; die Weibchen und Jungen ſtimmen blos zuweilen mit ein.
Beim Brüllen ſitzt die ganze Geſellſchaft regungslos in der einmal eingenommenen Stellung, die
Männchen gewöhnlich weithin ſichtbar auf den höchſten Aeſten und Bäumen, die Weibchen etwas
tiefer unten in der Krone. Manchmal brüllen die Thiere ſtundenlang mit kurzen Unterbrechungen
fort. Humboldt erprobte, daß man das Heulen noch auf 800 Klaftern Entfernung höre; der Prinz von
Wied glaubt, daß es noch weiter vernehmbar ſei; doch ſtützt ſich Humboldts Angabe auf genaue
Beobachtung und nicht auf Schätzung. „Mitten auf den weiten mit Gras bewachſenen Ebenen, ſagt
er, unterſcheidet man leicht eine vereinzelte Baumgruppe, welche von Brüllaffen bewohnt iſt und von
welcher der Schall herkommt. Wenn man nun auf dieſe Baumgruppe zugeht oder ſich davon entfernt,
kann man den Abſtand, in dem das Geheul noch vernehmbar iſt, ziemlich genau ermeſſen.‟ Warum die
Thiere eigentlich ihre ſonderbaren Gefänge aufführen, iſt ein Räthſel, wenn man eben nicht annehmen
will, daß ſie ſich durch die ihnen eigene Tonkunſt gegenſeitig ergötzen wollen. Beim Erſcheinen eines
Hundes endigt das Gebrüll der Affen augenblicklich; die Geſellſchaft ſucht ſich ſo ſchnell als möglich
hinter dichte Aeſte oder zwiſchen dem Laube zu verſtecken; ſie flieht auch wohl durch die höchſten Gipfel
der Bäume, immer aber ſo langſam, daß der Jäger, wenn der Wald von Unterholz ziemlich rein iſt,
ſie leicht verfolgen kann. Man hat beobachtet, daß die fliehenden Affen, wohl aus Angſt, beſtändig
ihren breiigen Koth fallen laſſen: die Sage, welche erzählt, daß die verfolgten Affen ihre Feinde
mit Koth bewerfen, iſt ſomit erklärt.

Alles, was der Brüllaffe bedarf, bietet ihm ſein luftiger Aufenthalt in Fülle. Die Manchfaltig-
keit und der Reichthum der verſchiedenen Früchte laſſen ihn niemals Mangel leiden. Neben den
Früchten frißt er noch alles Mögliche: Körner, Blätter, Knospen und Blumen der verſchiedenſten Art,
wahrſcheinlich auch Kerbthiere, Eier und junge, unbehilflich: Vögel, wie ſeine übrigen Stamm-
genoſſen. Den Pflanzungen wird er niemals ſchädlich, wenn er ſich auch Tage lang am Saume
derſelben aufhält: er zieht Baumblätter dem Mais und den Melonen vor.

Die Familien der Brüllaffen beſtehen immer aus einer größern Zahl von Weibchen als
Männchen. Jm Allgemeinen darf man drei Aeffinnen auf einen Affen rechnen. Ob dieſe Männchen
in Sachen der Liebe unter einander kämpfen, weiß man nicht; bei der Trägheit und Langweiligkeit der
Thiere iſt es nicht eben wahrſcheinlich. Gewöhnlich trifft man die ganze Familie, ſie mag ſo groß
oder klein ſein, wie ſie will, auf demſelben Baume an, und immer hält ſie ſich eng zuſammen.

Jn Südamerika wirft das Weibchen im Juni oder Juli, manchmal auch ſchon zu Ende Mai oder
erſt Anfangs Auguſt ein einziges Junges. Während der erſten Woche nach der Geburt hängt ſich der
Säugling wie bei den altweltlichen Affen mit allen vier Armen an den Unterleib der Mutter an;
ſpäter trägt dieſe ihn auf dem Rücken. Sie legt ihre Gefühle nicht durch Liebkoſungen an den
Tag, wie andere Affen es thun, verläßt aber doch das Pfand ihrer Liebe wenigſtens in der erſten
Zeit niemals, während ſie ſpäter das ſchon bewegungsfähiger gewordene Kind bei ängſtlicher Flucht
manchmal von ſich abſchüttelt oder gewaltſam auf einen Aſt ſetzt, um ſich ihren eignen Weg zu
erleichtern. Jndianer, welche Letzteres ſahen, haben behauptet, daß die Brüllaffenmutter überhaupt
lieblos und gleichgiltig gegen ihre Jungen wäre; Prinz von Wied ſagt aber ausdrücklich: „Gefahr
erhöht die Sorge der Mutter, und ſelbſt tödlich angeſchoſſen, verläßt ſie ihr Junges nicht.‟ Dieſes
Letztere iſt ebenſo langweilig als die Alte und, zumal wegen des großen Kehlkopfs, wo möglich
noch häßlicher.

7 *
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[99/0157] Lebensweiſe. Nahrung. Familienleben. Wenn der Brüllaffe keine Nachſtellung erfährt, hält er ſich in einem beſtimmten Gebiete auf, welches höchſtens eine Meile Umfang haben mag. Oft verweilt eine Familie während des ganzen Tages auf ein und demſelben Baume. Höchſt ſelten ſieht man ihn einzeln. Die Familie hält ſich ſehr treu zuſammen. Sie zu beobachten, hält nicht ſchwer, weil ſie ſich durch ihr Gebrüll verräth, zumal Morgens und Abends und am öfterſten in der warmen Jahreszeit. Bei kalter oder regneriſcher Witterung und zur Nachtzeit hört man ſie nicht oft. Rengger behauptet ſogar, daß ſie Nachts niemals einen Laut von ſich geben. Gewöhnlich machen die Männchen den Anfang bei dieſem Geheul und führen es auch am eifrigſten durch; die Weibchen und Jungen ſtimmen blos zuweilen mit ein. Beim Brüllen ſitzt die ganze Geſellſchaft regungslos in der einmal eingenommenen Stellung, die Männchen gewöhnlich weithin ſichtbar auf den höchſten Aeſten und Bäumen, die Weibchen etwas tiefer unten in der Krone. Manchmal brüllen die Thiere ſtundenlang mit kurzen Unterbrechungen fort. Humboldt erprobte, daß man das Heulen noch auf 800 Klaftern Entfernung höre; der Prinz von Wied glaubt, daß es noch weiter vernehmbar ſei; doch ſtützt ſich Humboldts Angabe auf genaue Beobachtung und nicht auf Schätzung. „Mitten auf den weiten mit Gras bewachſenen Ebenen, ſagt er, unterſcheidet man leicht eine vereinzelte Baumgruppe, welche von Brüllaffen bewohnt iſt und von welcher der Schall herkommt. Wenn man nun auf dieſe Baumgruppe zugeht oder ſich davon entfernt, kann man den Abſtand, in dem das Geheul noch vernehmbar iſt, ziemlich genau ermeſſen.‟ Warum die Thiere eigentlich ihre ſonderbaren Gefänge aufführen, iſt ein Räthſel, wenn man eben nicht annehmen will, daß ſie ſich durch die ihnen eigene Tonkunſt gegenſeitig ergötzen wollen. Beim Erſcheinen eines Hundes endigt das Gebrüll der Affen augenblicklich; die Geſellſchaft ſucht ſich ſo ſchnell als möglich hinter dichte Aeſte oder zwiſchen dem Laube zu verſtecken; ſie flieht auch wohl durch die höchſten Gipfel der Bäume, immer aber ſo langſam, daß der Jäger, wenn der Wald von Unterholz ziemlich rein iſt, ſie leicht verfolgen kann. Man hat beobachtet, daß die fliehenden Affen, wohl aus Angſt, beſtändig ihren breiigen Koth fallen laſſen: die Sage, welche erzählt, daß die verfolgten Affen ihre Feinde mit Koth bewerfen, iſt ſomit erklärt. Alles, was der Brüllaffe bedarf, bietet ihm ſein luftiger Aufenthalt in Fülle. Die Manchfaltig- keit und der Reichthum der verſchiedenen Früchte laſſen ihn niemals Mangel leiden. Neben den Früchten frißt er noch alles Mögliche: Körner, Blätter, Knospen und Blumen der verſchiedenſten Art, wahrſcheinlich auch Kerbthiere, Eier und junge, unbehilflich: Vögel, wie ſeine übrigen Stamm- genoſſen. Den Pflanzungen wird er niemals ſchädlich, wenn er ſich auch Tage lang am Saume derſelben aufhält: er zieht Baumblätter dem Mais und den Melonen vor. Die Familien der Brüllaffen beſtehen immer aus einer größern Zahl von Weibchen als Männchen. Jm Allgemeinen darf man drei Aeffinnen auf einen Affen rechnen. Ob dieſe Männchen in Sachen der Liebe unter einander kämpfen, weiß man nicht; bei der Trägheit und Langweiligkeit der Thiere iſt es nicht eben wahrſcheinlich. Gewöhnlich trifft man die ganze Familie, ſie mag ſo groß oder klein ſein, wie ſie will, auf demſelben Baume an, und immer hält ſie ſich eng zuſammen. Jn Südamerika wirft das Weibchen im Juni oder Juli, manchmal auch ſchon zu Ende Mai oder erſt Anfangs Auguſt ein einziges Junges. Während der erſten Woche nach der Geburt hängt ſich der Säugling wie bei den altweltlichen Affen mit allen vier Armen an den Unterleib der Mutter an; ſpäter trägt dieſe ihn auf dem Rücken. Sie legt ihre Gefühle nicht durch Liebkoſungen an den Tag, wie andere Affen es thun, verläßt aber doch das Pfand ihrer Liebe wenigſtens in der erſten Zeit niemals, während ſie ſpäter das ſchon bewegungsfähiger gewordene Kind bei ängſtlicher Flucht manchmal von ſich abſchüttelt oder gewaltſam auf einen Aſt ſetzt, um ſich ihren eignen Weg zu erleichtern. Jndianer, welche Letzteres ſahen, haben behauptet, daß die Brüllaffenmutter überhaupt lieblos und gleichgiltig gegen ihre Jungen wäre; Prinz von Wied ſagt aber ausdrücklich: „Gefahr erhöht die Sorge der Mutter, und ſelbſt tödlich angeſchoſſen, verläßt ſie ihr Junges nicht.‟ Dieſes Letztere iſt ebenſo langweilig als die Alte und, zumal wegen des großen Kehlkopfs, wo möglich noch häßlicher. 7 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/157>, abgerufen am 24.11.2024.