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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Vaterland. Frei- und Gefangenleben.
aus Blättern und war mit einer Art von Baummoos ausgelegt, woraus hervorzugehen scheint,
daß diese Thiere an einem bestimmten Orte leben und sich allnächtlich in dasselbe Lager zurück-
ziehen. Man trifft immer ein Pärchen bei einander an, niemals aber größere Gesellschaften. Nach
Aussage der Jäger soll das Weibchen in unseren Sommermonaten ein Junges werfen und dieses erst
an der Brust, später aber auf dem Rücken mit sich herumtragen.

Dies ist Alles, was uns Rengger von dem Freileben des Mirikina mittheilen kann. Um so
mehr aber berichtet er uns von gefangenen Affen dieser Art.

Der junge Mirikina läßt sich leicht zähmen, der alte hingegen bleibt immer wild und bissig.
Mit Sorgfalt behandelt, verträgt er die Gefangenschaft gut; durch Unreinlichkeit aber geht er zu
Grunde. Man hält ihn in einem geräumigen Käfig oder im Zimmer und läßt ihn frei herumlaufen,
weil er sich leicht in den Strick verwickelt, wenn man ihn anbindet. Während des ganzen Tages zieht
er sich in die dunkelste Stelle seiner Behausung zurück und schläft. Dabei sitzt er mit eingezogenen
Beinen und stark nach vorn gebogenem Rücken und versteckt das Gesicht zwischen seinen gekreuzten
Armen. Weckt man ihn auf und erhält ihn nicht durch Streicheln oder andere Liebkosungen wach, so
schläft er sogleich wieder ein. Bei hellen Tagen unterscheidet er keinen Gegenstand; auch ist seine

[Abbildung] Der Mirikina (Nyctipithecus trivirgatus).
Pupille alsdann kaum noch bemerkbar.
Wenn man ihn aus der Dunkelheit plötz-
lich aus Licht bringt, zeigen seine Geberden
und kläglichen Laute, daß ihm dasselbe einen
schmerzlichen Eindruck verursacht. Sobald
aber der Abend anbricht, erwacht er; seine
Pupille dehnt sich mehr und mehr aus, je
mehr das Tageslicht schwindet, und wird
zuletzt so groß, daß man kaum noch die Re-
genbogenhaut bemerkt. Sein Auge leuchtet
wie das der Katzen und der Nachteulen,
und er fängt nun mit eintretender Däm-
merung an, in seinem Käfig herumzugehen
und nach Nahrung zu spähen. Dabei sind
seine Bewegungen leicht, wenn auch auf
ebenem Boden nicht besonders gewandt,
weil seine hinteren Glieder länger als die
vorderen sind. Jm Klettern aber zeigt er große Fertigkeit, und im Springen von einem Baume zum
andern ist er Meister. Rengger ließ seinen gefangenen Mirikina zuweilen bei hellen Stern- und
Mondnächten in einem mit Pomeranzenbäumen besetzten, aber ringsum eingeschlossenen Hofe frei.
Da ging es dann lustig von Baum zu Baum, und es war keine Rede davon, das Thier bei Nacht
wieder einzufangen. Erst am Morgen konnte man ihn ergreifen, wenn er vom Sonnenlicht geblendet
ruhig zwischen den dichtesten Zweigen der Bäume saß. Bei seinen nächtlichen Wanderungen erhaschte
er fast jedesmal einen auf den Bäumen schlafenden Vogel. Andere, welche Rengger beobachtete,
zeigten sich außerordentlich geschickt im Fangen von Kerbthieren.

Des Nachts hörte man oft einen starken dumpfen Laut von ihm, und er wiederholte dann den-
selben immer mehrmals nach einander. Reisende haben diesen Laut mit dem Brüllen des Jaguars
verglichen, doch hat er damit nur dann Aehnlichkeit, wenn man dem Mirikina sehr nahe ist, den
Jaguar aber in großer Entfernung hört. Seinen Zorn drückt er durch den wiederholten Laut:
"grr grr" aus.

Unter den Sinnen scheint sein Gehör obenanzustehen. Er richtet auf das geringste Geräusch
sogleich seine Aufmerksamkeit. Sein Gesicht ist blos während der Nacht brauchbar, das Tageslicht
blendet ihn so, daß er gar nicht sehen kann. Jn sternhellen Nächten sieht er am besten. Die geistigen

Vaterland. Frei- und Gefangenleben.
aus Blättern und war mit einer Art von Baummoos ausgelegt, woraus hervorzugehen ſcheint,
daß dieſe Thiere an einem beſtimmten Orte leben und ſich allnächtlich in daſſelbe Lager zurück-
ziehen. Man trifft immer ein Pärchen bei einander an, niemals aber größere Geſellſchaften. Nach
Ausſage der Jäger ſoll das Weibchen in unſeren Sommermonaten ein Junges werfen und dieſes erſt
an der Bruſt, ſpäter aber auf dem Rücken mit ſich herumtragen.

Dies iſt Alles, was uns Rengger von dem Freileben des Mirikina mittheilen kann. Um ſo
mehr aber berichtet er uns von gefangenen Affen dieſer Art.

Der junge Mirikina läßt ſich leicht zähmen, der alte hingegen bleibt immer wild und biſſig.
Mit Sorgfalt behandelt, verträgt er die Gefangenſchaft gut; durch Unreinlichkeit aber geht er zu
Grunde. Man hält ihn in einem geräumigen Käfig oder im Zimmer und läßt ihn frei herumlaufen,
weil er ſich leicht in den Strick verwickelt, wenn man ihn anbindet. Während des ganzen Tages zieht
er ſich in die dunkelſte Stelle ſeiner Behauſung zurück und ſchläft. Dabei ſitzt er mit eingezogenen
Beinen und ſtark nach vorn gebogenem Rücken und verſteckt das Geſicht zwiſchen ſeinen gekreuzten
Armen. Weckt man ihn auf und erhält ihn nicht durch Streicheln oder andere Liebkoſungen wach, ſo
ſchläft er ſogleich wieder ein. Bei hellen Tagen unterſcheidet er keinen Gegenſtand; auch iſt ſeine

[Abbildung] Der Mirikina (Nyctipithecus trivirgatus).
Pupille alsdann kaum noch bemerkbar.
Wenn man ihn aus der Dunkelheit plötz-
lich aus Licht bringt, zeigen ſeine Geberden
und kläglichen Laute, daß ihm daſſelbe einen
ſchmerzlichen Eindruck verurſacht. Sobald
aber der Abend anbricht, erwacht er; ſeine
Pupille dehnt ſich mehr und mehr aus, je
mehr das Tageslicht ſchwindet, und wird
zuletzt ſo groß, daß man kaum noch die Re-
genbogenhaut bemerkt. Sein Auge leuchtet
wie das der Katzen und der Nachteulen,
und er fängt nun mit eintretender Däm-
merung an, in ſeinem Käfig herumzugehen
und nach Nahrung zu ſpähen. Dabei ſind
ſeine Bewegungen leicht, wenn auch auf
ebenem Boden nicht beſonders gewandt,
weil ſeine hinteren Glieder länger als die
vorderen ſind. Jm Klettern aber zeigt er große Fertigkeit, und im Springen von einem Baume zum
andern iſt er Meiſter. Rengger ließ ſeinen gefangenen Mirikina zuweilen bei hellen Stern- und
Mondnächten in einem mit Pomeranzenbäumen beſetzten, aber ringsum eingeſchloſſenen Hofe frei.
Da ging es dann luſtig von Baum zu Baum, und es war keine Rede davon, das Thier bei Nacht
wieder einzufangen. Erſt am Morgen konnte man ihn ergreifen, wenn er vom Sonnenlicht geblendet
ruhig zwiſchen den dichteſten Zweigen der Bäume ſaß. Bei ſeinen nächtlichen Wanderungen erhaſchte
er faſt jedesmal einen auf den Bäumen ſchlafenden Vogel. Andere, welche Rengger beobachtete,
zeigten ſich außerordentlich geſchickt im Fangen von Kerbthieren.

Des Nachts hörte man oft einen ſtarken dumpfen Laut von ihm, und er wiederholte dann den-
ſelben immer mehrmals nach einander. Reiſende haben dieſen Laut mit dem Brüllen des Jaguars
verglichen, doch hat er damit nur dann Aehnlichkeit, wenn man dem Mirikina ſehr nahe iſt, den
Jaguar aber in großer Entfernung hört. Seinen Zorn drückt er durch den wiederholten Laut:
„grr grr‟ aus.

Unter den Sinnen ſcheint ſein Gehör obenanzuſtehen. Er richtet auf das geringſte Geräuſch
ſogleich ſeine Aufmerkſamkeit. Sein Geſicht iſt blos während der Nacht brauchbar, das Tageslicht
blendet ihn ſo, daß er gar nicht ſehen kann. Jn ſternhellen Nächten ſieht er am beſten. Die geiſtigen

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[123/0181] Vaterland. Frei- und Gefangenleben. aus Blättern und war mit einer Art von Baummoos ausgelegt, woraus hervorzugehen ſcheint, daß dieſe Thiere an einem beſtimmten Orte leben und ſich allnächtlich in daſſelbe Lager zurück- ziehen. Man trifft immer ein Pärchen bei einander an, niemals aber größere Geſellſchaften. Nach Ausſage der Jäger ſoll das Weibchen in unſeren Sommermonaten ein Junges werfen und dieſes erſt an der Bruſt, ſpäter aber auf dem Rücken mit ſich herumtragen. Dies iſt Alles, was uns Rengger von dem Freileben des Mirikina mittheilen kann. Um ſo mehr aber berichtet er uns von gefangenen Affen dieſer Art. Der junge Mirikina läßt ſich leicht zähmen, der alte hingegen bleibt immer wild und biſſig. Mit Sorgfalt behandelt, verträgt er die Gefangenſchaft gut; durch Unreinlichkeit aber geht er zu Grunde. Man hält ihn in einem geräumigen Käfig oder im Zimmer und läßt ihn frei herumlaufen, weil er ſich leicht in den Strick verwickelt, wenn man ihn anbindet. Während des ganzen Tages zieht er ſich in die dunkelſte Stelle ſeiner Behauſung zurück und ſchläft. Dabei ſitzt er mit eingezogenen Beinen und ſtark nach vorn gebogenem Rücken und verſteckt das Geſicht zwiſchen ſeinen gekreuzten Armen. Weckt man ihn auf und erhält ihn nicht durch Streicheln oder andere Liebkoſungen wach, ſo ſchläft er ſogleich wieder ein. Bei hellen Tagen unterſcheidet er keinen Gegenſtand; auch iſt ſeine [Abbildung Der Mirikina (Nyctipithecus trivirgatus).] Pupille alsdann kaum noch bemerkbar. Wenn man ihn aus der Dunkelheit plötz- lich aus Licht bringt, zeigen ſeine Geberden und kläglichen Laute, daß ihm daſſelbe einen ſchmerzlichen Eindruck verurſacht. Sobald aber der Abend anbricht, erwacht er; ſeine Pupille dehnt ſich mehr und mehr aus, je mehr das Tageslicht ſchwindet, und wird zuletzt ſo groß, daß man kaum noch die Re- genbogenhaut bemerkt. Sein Auge leuchtet wie das der Katzen und der Nachteulen, und er fängt nun mit eintretender Däm- merung an, in ſeinem Käfig herumzugehen und nach Nahrung zu ſpähen. Dabei ſind ſeine Bewegungen leicht, wenn auch auf ebenem Boden nicht beſonders gewandt, weil ſeine hinteren Glieder länger als die vorderen ſind. Jm Klettern aber zeigt er große Fertigkeit, und im Springen von einem Baume zum andern iſt er Meiſter. Rengger ließ ſeinen gefangenen Mirikina zuweilen bei hellen Stern- und Mondnächten in einem mit Pomeranzenbäumen beſetzten, aber ringsum eingeſchloſſenen Hofe frei. Da ging es dann luſtig von Baum zu Baum, und es war keine Rede davon, das Thier bei Nacht wieder einzufangen. Erſt am Morgen konnte man ihn ergreifen, wenn er vom Sonnenlicht geblendet ruhig zwiſchen den dichteſten Zweigen der Bäume ſaß. Bei ſeinen nächtlichen Wanderungen erhaſchte er faſt jedesmal einen auf den Bäumen ſchlafenden Vogel. Andere, welche Rengger beobachtete, zeigten ſich außerordentlich geſchickt im Fangen von Kerbthieren. Des Nachts hörte man oft einen ſtarken dumpfen Laut von ihm, und er wiederholte dann den- ſelben immer mehrmals nach einander. Reiſende haben dieſen Laut mit dem Brüllen des Jaguars verglichen, doch hat er damit nur dann Aehnlichkeit, wenn man dem Mirikina ſehr nahe iſt, den Jaguar aber in großer Entfernung hört. Seinen Zorn drückt er durch den wiederholten Laut: „grr grr‟ aus. Unter den Sinnen ſcheint ſein Gehör obenanzuſtehen. Er richtet auf das geringſte Geräuſch ſogleich ſeine Aufmerkſamkeit. Sein Geſicht iſt blos während der Nacht brauchbar, das Tageslicht blendet ihn ſo, daß er gar nicht ſehen kann. Jn ſternhellen Nächten ſieht er am beſten. Die geiſtigen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/181>, abgerufen am 21.11.2024.