Der Kalong ist auf den indischen Jnseln, namentlich auf Java, Sumatra, Banda und Timor häufig und lebt wie alle seine Familienmitglieder in größeren Wäldern, wo er sich in der angegebenen Weise an den Zweigen aufhängt; Abends fällt er in ungeheuren Scharen in die Obstgärten ein und richtet daselbst gräuliche Verwüstungen an, weil gewöhnlich Flüge von Hunderten auf einen einzigen Baum sich stürzen. Um sie von den Bäumen abzuhalten, zieht man starke Netze darüber, und Dies ist auch das einzige Mittel, um die gefräßigen Thiere abzuhalten, denn an Klappern und dergleichen gewöhnen sie sich sehr bald. Gewöhnlich fliegt die ganze Gesellschaft, welche aus dem Walde kommt, in gerader Linie fort. Einer zieht voran und die anderen folgen ihm nun in langen Reihen nach. Während des Flugs sind sie ungewöhnlich leicht zu schießen, denn ihre Flügel verlieren augen- blicklich das Gleichgewicht, wenn auch nur ein einziger Fingerknochen durch ein Schrotkorn zer- schmettert worden ist. Schießt man aber am Tage auf sie, wenn sie schlafend an den Aesten hängen, so gerathen sie, wenn sie flüchten wollen, in eine solche Unordnung, daß einer den andern beirrt und die Getroffenen, welche ihre Flügel dann nicht entfalten können, sich gewöhnlich so fest an die Zweige klammern, daß sie auch, nachdem sie verendet sind, nicht herabfallen. Man thut daher wohl, sie erst aufzuscheuchen und im Fluge auf sie zu schießen. Geängstigt stoßen sie ein scharfes, kreischendes Geschrei aus, welches dem einer Gans nicht unähnlich sein soll. Uebrigens sind sie höchst gemüth- liche, harmlose Thiere. Dies zeigt sich namentlich in der Gefangenschaft. Sie werden auffallend bald zahm und sind auch sehr leicht zu erhalten. So wählerisch sie in der Freiheit sind, wo sie sich nur die saftigsten Früchte auslesen, so anspruchslos sind sie in der Gefangenschaft. Hier fressen sie jede Frucht, die man ihnen bietet, besonders gern aber auch Fleisch. Daher kommen sie nicht selten lebend nach Europa.
Roch brachte ein Männchen des fliegenden Hundes lebend nach Frankreich. Er hatte ihn 109 Tage am Bord des Schiffes ernährt, anfangs mit Bananen, später mit eingemachten Früchten, dann mit Reis und schließlich mit frischem Fleisch. Einen todten Papagei fraß er mit großer Gier und als man ihm Rattennester aufsuchte und ihm die Jungen brachte, schien er sehr befriedigt zu sein. Schließlich begnügte er sich mit Reis, Wasser und Zuckerbrod. Bei der Ankunft in Gibraltar erhielt er wieder Früchte, und dann fraß er kein Fleisch mehr. Nachts war er munter und plagte sich sehr, aus dem Käfig zu kommen; am Tage verhielt er sich ruhig und hielt sich wie unsere Fledermäuse an einem Fuße, eingehüllt in seine Flügel, in denen er selbst den Kopf verbarg. Wenn er sich seines Unraths entleeren wollte, hing er sich ebenso wie die Fledermäuse auch mit den Vorderklauen auf und brachte seinen Körper so in eine wagrechte Lage. Er gewöhnte sich bald an die Leute, welche ihn pflegten; namentlich seinen Besitzer kannte er vor Allen, ließ sich von ihm berühren und das Fell krauen, ohne ihn zu beißen. Ebenso hatte er sich gegen eine Negerin betragen, welche auf der Jnsel Moritz seine Pflegerin gewesen war. Ein anderer, jung eingefangener Kalong wurde bald gewöhnt, Jedermann zu liebkosen. Er leckte die Hand wie ein Hund und war auch ebenso zutraulich. Sicherlich würde man noch viele Beispiele dieser Art kennen, wenn man die Thiere öfter aufziehen wollte.
Um so lächerlicher ist es, wenn Thierbudenbesitzer das harmlose Geschöpf heute noch in der ab- scheulichsten Weise verleumden. Die "Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen" in der großen "Hauptstadt der Bildung" brachte unter den übrigen wissenschaftlichen Nachrichten erst im Jahre 1858 ihrem gebildeten Leserkreise die überraschende Nachricht, daß der berüchtigte Vampir oder Blutsauger zum ersten Mal lebend in Berlin sei, und daß dieses entsetzliche Thier in der Nacht lebendiges Vieh morde und Blut sauge. Die Milch und Semmel, welche in dem Käfig des Ungeheuers aufgestellt war, um ihm als Nahrung zu dienen, wurde bei dieser Anzeige klüglich nicht erwähnt. Das treue Hundegesicht und die große Sauftmuth des Thieres strafte den haarsträubenden Bericht allerdings Lügen, er kennzeichnete sich selbst aber unzweifelhaft als einen, wie er aus der Feder solcher Thier- besitzer hervorzugehen pflegt, welche es für nöthig halten, ihre Sehenswürdigkeiten den Leuten in der pomphaftesten Weise anzupreisen. Daß selbst unwissende Menschen noch hartnäckig der Naturwissen- schaft entgegentreten, darf uns nicht wundern; eben um so trauriger aber ist es, daß wir heute noch
Vorkommen, Frei- und Gefangenleben. Verleumdung.
Der Kalong iſt auf den indiſchen Jnſeln, namentlich auf Java, Sumatra, Banda und Timor häufig und lebt wie alle ſeine Familienmitglieder in größeren Wäldern, wo er ſich in der angegebenen Weiſe an den Zweigen aufhängt; Abends fällt er in ungeheuren Scharen in die Obſtgärten ein und richtet daſelbſt gräuliche Verwüſtungen an, weil gewöhnlich Flüge von Hunderten auf einen einzigen Baum ſich ſtürzen. Um ſie von den Bäumen abzuhalten, zieht man ſtarke Netze darüber, und Dies iſt auch das einzige Mittel, um die gefräßigen Thiere abzuhalten, denn an Klappern und dergleichen gewöhnen ſie ſich ſehr bald. Gewöhnlich fliegt die ganze Geſellſchaft, welche aus dem Walde kommt, in gerader Linie fort. Einer zieht voran und die anderen folgen ihm nun in langen Reihen nach. Während des Flugs ſind ſie ungewöhnlich leicht zu ſchießen, denn ihre Flügel verlieren augen- blicklich das Gleichgewicht, wenn auch nur ein einziger Fingerknochen durch ein Schrotkorn zer- ſchmettert worden iſt. Schießt man aber am Tage auf ſie, wenn ſie ſchlafend an den Aeſten hängen, ſo gerathen ſie, wenn ſie flüchten wollen, in eine ſolche Unordnung, daß einer den andern beirrt und die Getroffenen, welche ihre Flügel dann nicht entfalten können, ſich gewöhnlich ſo feſt an die Zweige klammern, daß ſie auch, nachdem ſie verendet ſind, nicht herabfallen. Man thut daher wohl, ſie erſt aufzuſcheuchen und im Fluge auf ſie zu ſchießen. Geängſtigt ſtoßen ſie ein ſcharfes, kreiſchendes Geſchrei aus, welches dem einer Gans nicht unähnlich ſein ſoll. Uebrigens ſind ſie höchſt gemüth- liche, harmloſe Thiere. Dies zeigt ſich namentlich in der Gefangenſchaft. Sie werden auffallend bald zahm und ſind auch ſehr leicht zu erhalten. So wähleriſch ſie in der Freiheit ſind, wo ſie ſich nur die ſaftigſten Früchte ausleſen, ſo anſpruchslos ſind ſie in der Gefangenſchaft. Hier freſſen ſie jede Frucht, die man ihnen bietet, beſonders gern aber auch Fleiſch. Daher kommen ſie nicht ſelten lebend nach Europa.
Roch brachte ein Männchen des fliegenden Hundes lebend nach Frankreich. Er hatte ihn 109 Tage am Bord des Schiffes ernährt, anfangs mit Bananen, ſpäter mit eingemachten Früchten, dann mit Reis und ſchließlich mit friſchem Fleiſch. Einen todten Papagei fraß er mit großer Gier und als man ihm Rattenneſter aufſuchte und ihm die Jungen brachte, ſchien er ſehr befriedigt zu ſein. Schließlich begnügte er ſich mit Reis, Waſſer und Zuckerbrod. Bei der Ankunft in Gibraltar erhielt er wieder Früchte, und dann fraß er kein Fleiſch mehr. Nachts war er munter und plagte ſich ſehr, aus dem Käfig zu kommen; am Tage verhielt er ſich ruhig und hielt ſich wie unſere Fledermäuſe an einem Fuße, eingehüllt in ſeine Flügel, in denen er ſelbſt den Kopf verbarg. Wenn er ſich ſeines Unraths entleeren wollte, hing er ſich ebenſo wie die Fledermäuſe auch mit den Vorderklauen auf und brachte ſeinen Körper ſo in eine wagrechte Lage. Er gewöhnte ſich bald an die Leute, welche ihn pflegten; namentlich ſeinen Beſitzer kannte er vor Allen, ließ ſich von ihm berühren und das Fell krauen, ohne ihn zu beißen. Ebenſo hatte er ſich gegen eine Negerin betragen, welche auf der Jnſel Moritz ſeine Pflegerin geweſen war. Ein anderer, jung eingefangener Kalong wurde bald gewöhnt, Jedermann zu liebkoſen. Er leckte die Hand wie ein Hund und war auch ebenſo zutraulich. Sicherlich würde man noch viele Beiſpiele dieſer Art kennen, wenn man die Thiere öfter aufziehen wollte.
Um ſo lächerlicher iſt es, wenn Thierbudenbeſitzer das harmloſe Geſchöpf heute noch in der ab- ſcheulichſten Weiſe verleumden. Die „Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen‟ in der großen „Hauptſtadt der Bildung‟ brachte unter den übrigen wiſſenſchaftlichen Nachrichten erſt im Jahre 1858 ihrem gebildeten Leſerkreiſe die überraſchende Nachricht, daß der berüchtigte Vampir oder Blutſauger zum erſten Mal lebend in Berlin ſei, und daß dieſes entſetzliche Thier in der Nacht lebendiges Vieh morde und Blut ſauge. Die Milch und Semmel, welche in dem Käfig des Ungeheuers aufgeſtellt war, um ihm als Nahrung zu dienen, wurde bei dieſer Anzeige klüglich nicht erwähnt. Das treue Hundegeſicht und die große Sauftmuth des Thieres ſtrafte den haarſträubenden Bericht allerdings Lügen, er kennzeichnete ſich ſelbſt aber unzweifelhaft als einen, wie er aus der Feder ſolcher Thier- beſitzer hervorzugehen pflegt, welche es für nöthig halten, ihre Sehenswürdigkeiten den Leuten in der pomphafteſten Weiſe anzupreiſen. Daß ſelbſt unwiſſende Menſchen noch hartnäckig der Naturwiſſen- ſchaft entgegentreten, darf uns nicht wundern; eben um ſo trauriger aber iſt es, daß wir heute noch
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Vorkommen, Frei- und Gefangenleben. Verleumdung.
Der Kalong iſt auf den indiſchen Jnſeln, namentlich auf Java, Sumatra, Banda und Timor
häufig und lebt wie alle ſeine Familienmitglieder in größeren Wäldern, wo er ſich in der angegebenen
Weiſe an den Zweigen aufhängt; Abends fällt er in ungeheuren Scharen in die Obſtgärten ein und
richtet daſelbſt gräuliche Verwüſtungen an, weil gewöhnlich Flüge von Hunderten auf einen einzigen
Baum ſich ſtürzen. Um ſie von den Bäumen abzuhalten, zieht man ſtarke Netze darüber, und Dies
iſt auch das einzige Mittel, um die gefräßigen Thiere abzuhalten, denn an Klappern und dergleichen
gewöhnen ſie ſich ſehr bald. Gewöhnlich fliegt die ganze Geſellſchaft, welche aus dem Walde kommt,
in gerader Linie fort. Einer zieht voran und die anderen folgen ihm nun in langen Reihen nach.
Während des Flugs ſind ſie ungewöhnlich leicht zu ſchießen, denn ihre Flügel verlieren augen-
blicklich das Gleichgewicht, wenn auch nur ein einziger Fingerknochen durch ein Schrotkorn zer-
ſchmettert worden iſt. Schießt man aber am Tage auf ſie, wenn ſie ſchlafend an den Aeſten hängen,
ſo gerathen ſie, wenn ſie flüchten wollen, in eine ſolche Unordnung, daß einer den andern beirrt und
die Getroffenen, welche ihre Flügel dann nicht entfalten können, ſich gewöhnlich ſo feſt an die Zweige
klammern, daß ſie auch, nachdem ſie verendet ſind, nicht herabfallen. Man thut daher wohl, ſie erſt
aufzuſcheuchen und im Fluge auf ſie zu ſchießen. Geängſtigt ſtoßen ſie ein ſcharfes, kreiſchendes
Geſchrei aus, welches dem einer Gans nicht unähnlich ſein ſoll. Uebrigens ſind ſie höchſt gemüth-
liche, harmloſe Thiere. Dies zeigt ſich namentlich in der Gefangenſchaft. Sie werden auffallend
bald zahm und ſind auch ſehr leicht zu erhalten. So wähleriſch ſie in der Freiheit ſind, wo ſie ſich
nur die ſaftigſten Früchte ausleſen, ſo anſpruchslos ſind ſie in der Gefangenſchaft. Hier freſſen ſie
jede Frucht, die man ihnen bietet, beſonders gern aber auch Fleiſch. Daher kommen ſie nicht
ſelten lebend nach Europa.
Roch brachte ein Männchen des fliegenden Hundes lebend nach Frankreich. Er hatte ihn 109 Tage
am Bord des Schiffes ernährt, anfangs mit Bananen, ſpäter mit eingemachten Früchten, dann mit
Reis und ſchließlich mit friſchem Fleiſch. Einen todten Papagei fraß er mit großer Gier und als man
ihm Rattenneſter aufſuchte und ihm die Jungen brachte, ſchien er ſehr befriedigt zu ſein. Schließlich
begnügte er ſich mit Reis, Waſſer und Zuckerbrod. Bei der Ankunft in Gibraltar erhielt er wieder
Früchte, und dann fraß er kein Fleiſch mehr. Nachts war er munter und plagte ſich ſehr, aus
dem Käfig zu kommen; am Tage verhielt er ſich ruhig und hielt ſich wie unſere Fledermäuſe an einem
Fuße, eingehüllt in ſeine Flügel, in denen er ſelbſt den Kopf verbarg. Wenn er ſich ſeines Unraths
entleeren wollte, hing er ſich ebenſo wie die Fledermäuſe auch mit den Vorderklauen auf und brachte
ſeinen Körper ſo in eine wagrechte Lage. Er gewöhnte ſich bald an die Leute, welche ihn pflegten;
namentlich ſeinen Beſitzer kannte er vor Allen, ließ ſich von ihm berühren und das Fell krauen, ohne
ihn zu beißen. Ebenſo hatte er ſich gegen eine Negerin betragen, welche auf der Jnſel Moritz ſeine
Pflegerin geweſen war. Ein anderer, jung eingefangener Kalong wurde bald gewöhnt, Jedermann zu
liebkoſen. Er leckte die Hand wie ein Hund und war auch ebenſo zutraulich. Sicherlich würde man
noch viele Beiſpiele dieſer Art kennen, wenn man die Thiere öfter aufziehen wollte.
Um ſo lächerlicher iſt es, wenn Thierbudenbeſitzer das harmloſe Geſchöpf heute noch in der ab-
ſcheulichſten Weiſe verleumden. Die „Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen‟ in der großen
„Hauptſtadt der Bildung‟ brachte unter den übrigen wiſſenſchaftlichen Nachrichten erſt im Jahre 1858
ihrem gebildeten Leſerkreiſe die überraſchende Nachricht, daß der berüchtigte Vampir oder Blutſauger
zum erſten Mal lebend in Berlin ſei, und daß dieſes entſetzliche Thier in der Nacht lebendiges Vieh
morde und Blut ſauge. Die Milch und Semmel, welche in dem Käfig des Ungeheuers aufgeſtellt
war, um ihm als Nahrung zu dienen, wurde bei dieſer Anzeige klüglich nicht erwähnt. Das treue
Hundegeſicht und die große Sauftmuth des Thieres ſtrafte den haarſträubenden Bericht allerdings
Lügen, er kennzeichnete ſich ſelbſt aber unzweifelhaft als einen, wie er aus der Feder ſolcher Thier-
beſitzer hervorzugehen pflegt, welche es für nöthig halten, ihre Sehenswürdigkeiten den Leuten in der
pomphafteſten Weiſe anzupreiſen. Daß ſelbſt unwiſſende Menſchen noch hartnäckig der Naturwiſſen-
ſchaft entgegentreten, darf uns nicht wundern; eben um ſo trauriger aber iſt es, daß wir heute noch
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/223>, abgerufen am 25.11.2024.
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