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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere.
List und Verstellungskunst aneignen, welche ihr Räuber- und Diebeshandwerk erfordert. Dazu ver-
leiht ihnen das Gefühl ihrer Stärke großen Muth und ein Selbstbewußtsein, wie andere Thiere es
niemals erlangen können. Aber eben diese Eigenschaften haben auch wieder andere im Gefolge, welche
nicht sehr für die sonst so herrlichen Geschöpfe einnehmen. Die Raubthiere werden gewohnt, zu
siegen, und eignen sich deshalb bald mit der immer stärker werdenden Herrschsucht Grausamkeit und
häufig zuletzt unüberwindliche Mordlust, ja förmliche Blutgier an, -- in einem Grade, daß sie sogar
als Sinnbilder für gewisse Menschen angesehen werden können.

Die Anlagen und Eigenschaften des Leibes und Geistes bedingen nothwendig Aufenthalt und
Lebensweise. Die Raubthiere wohnen und herrschen überall: auf dem Boden, wie in den Kronen der
Bäume, im Wasser, wie unter der Erde, auf den Gebirgen, wie in der Ebene, im Wald, wie auf
dem Felde, im Norden, wie im Süden. Sie sind ebensowohl vollendete Nacht-, wie Tagethiere;
sie gehen ebensogut in der Dämmerung, wie im Lichte der Sonne oder im Dunkel der Nacht ihrer
Nahrung nach.

Die Klügsten leben gewöhnlich gesellig, die weniger Verständigen einsam; die Flinken greifen
offen an, die weniger Behenden stürzen aus einem Hinterhalte vor -- sie mögen so stark sein, wie
sie wollen. Diese gehen gerade, jene auf Schleichwegen auf ihr Ziel los: alle aber verbergen sich so
lange als möglich, einzig in der Absicht, durch ihr Erscheinen nicht vorzeitig zu schrecken, und nur
wenige suchen, im Bewußtsein ihrer Schwäche, eilig Schutz und Zuflucht, sobald sie irgend etwas
Verdächtiges, gefährlich Scheinendes bemerken. Je höher sie leiblich begabt sind, und je mehr sie den
Tag lieben, um so heiterer, lebendiger, fröhlicher und geselliger zeigen sie sich; je niedriger sie stehen,
je mehr sie Nachtthiere sind, um so stumpfer, mürrischer, mißtrauischer, scheuer und ungeselliger
werden sie. Der Erwerb der Nahrung trägt hierzu wesentlich mit bei; denn er vereinigt oder trennt,
bildet den Geist oder stumpft dessen Fähigkeiten.

Alle Raubsäuger nähren sich von anderen Thieren, und nur sehr ausnahmsweise verzehren
einige auch Früchte, Körner und anderweitige Pflanzenstoffe. Man hat nach der verschiedenen Nahrung
drei größere Gruppen benannt, die Kerf-, Alles- und Fleischfresser nämlich; diese Namen sind aber nicht
stichhaltig: denn die Allesfresser oder die Kerfjäger verschmähen ebensowenig ein gediegenes Stückchen
Fleisch, wie die größten und wildesten Raubthiere. Sämmtliche Mitglieder unserer Ordnung sind vom
Hause aus geborne Räuber und Mörder, gleichviel, ob sie oder ihre Schlachtopfer groß oder klein
sind; und selbst Die, welche Pflanzenkost lieben, zeigen bei Gelegenheit, daß sie von der übrigen Ge-
sellschaft keine Ausnahme machen wollen, soweit es sich um Raub und Mord handelt. Hinsichtlich der
Auswahl ihrer Nahrungsstoffe oder, bestimmter gesagt, ihrer Beute, unterscheiden sich die Raubsäuger
erklärlicherweise in demselben Grade, wie hinsichtlich ihres Leibesbaues, ihrer Heimat, ihres Aufenthalts-
ortes und ihrer Lebensweise. Kaum eine einzige aller Klassen des Thierreichs bleibt vor den Angriffen
und Brandschatzungen unserer Raubritter gesichert. Die größten und stärksten Glieder der Ordnung
halten sich zumeist an die ihnen zunächststehende erste Klasse, jedoch ohne deshalb tieferstehende Thiere
zu verschmähen. Nicht einmal der Löwe nährt sich ausschließlich von Säugethieren, und die übrigen
Katzen zeigen sich noch weit weniger wählerisch, als er. Die Hunde, eigentlich echte Fleischfresser,
dehnen ihre Jagd noch weiter aus; unter den Schleichkatzen und Mardern finden wir bereits einige,
welche sich ausschließlich von Fischen oder gern von Lurchen nähren; die Bären sind eben die "Alles-
fresser" und lassen sich auch in der That Pflanzenkost so gut wie Thierfleisch munden; und in den
Jgeln, Spitzmäusen und Maulwürfen endlich sehen wir wieder Räuber, die ohne Umstände
alles Lebende, was sie bewältigen können, angreifen und auffressen. Somit finden also die Wirbel-
thiere ebensogut ihre Liebhaber oder richtiger ihre Feinde, wie die niederen Thiere, deren Leib noch so
groß ist, daß er gesehen und gefaßt werden kann. Und mögen sich die einen wie die anderen auf dem
festen Boden oder im Wasser, unter der Erde oder im Gezweig der Bäume aufhalten, im Norden
wie im Süden, in der Höhe, wie in der Tiefe leben: den Tod verbreiten sie überall um sich her, das
Rauben und das Morden enden niemals.

Die Raubthiere.
Liſt und Verſtellungskunſt aneignen, welche ihr Räuber- und Diebeshandwerk erfordert. Dazu ver-
leiht ihnen das Gefühl ihrer Stärke großen Muth und ein Selbſtbewußtſein, wie andere Thiere es
niemals erlangen können. Aber eben dieſe Eigenſchaften haben auch wieder andere im Gefolge, welche
nicht ſehr für die ſonſt ſo herrlichen Geſchöpfe einnehmen. Die Raubthiere werden gewohnt, zu
ſiegen, und eignen ſich deshalb bald mit der immer ſtärker werdenden Herrſchſucht Grauſamkeit und
häufig zuletzt unüberwindliche Mordluſt, ja förmliche Blutgier an, — in einem Grade, daß ſie ſogar
als Sinnbilder für gewiſſe Menſchen angeſehen werden können.

Die Anlagen und Eigenſchaften des Leibes und Geiſtes bedingen nothwendig Aufenthalt und
Lebensweiſe. Die Raubthiere wohnen und herrſchen überall: auf dem Boden, wie in den Kronen der
Bäume, im Waſſer, wie unter der Erde, auf den Gebirgen, wie in der Ebene, im Wald, wie auf
dem Felde, im Norden, wie im Süden. Sie ſind ebenſowohl vollendete Nacht-, wie Tagethiere;
ſie gehen ebenſogut in der Dämmerung, wie im Lichte der Sonne oder im Dunkel der Nacht ihrer
Nahrung nach.

Die Klügſten leben gewöhnlich geſellig, die weniger Verſtändigen einſam; die Flinken greifen
offen an, die weniger Behenden ſtürzen aus einem Hinterhalte vor — ſie mögen ſo ſtark ſein, wie
ſie wollen. Dieſe gehen gerade, jene auf Schleichwegen auf ihr Ziel los: alle aber verbergen ſich ſo
lange als möglich, einzig in der Abſicht, durch ihr Erſcheinen nicht vorzeitig zu ſchrecken, und nur
wenige ſuchen, im Bewußtſein ihrer Schwäche, eilig Schutz und Zuflucht, ſobald ſie irgend etwas
Verdächtiges, gefährlich Scheinendes bemerken. Je höher ſie leiblich begabt ſind, und je mehr ſie den
Tag lieben, um ſo heiterer, lebendiger, fröhlicher und geſelliger zeigen ſie ſich; je niedriger ſie ſtehen,
je mehr ſie Nachtthiere ſind, um ſo ſtumpfer, mürriſcher, mißtrauiſcher, ſcheuer und ungeſelliger
werden ſie. Der Erwerb der Nahrung trägt hierzu weſentlich mit bei; denn er vereinigt oder trennt,
bildet den Geiſt oder ſtumpft deſſen Fähigkeiten.

Alle Raubſäuger nähren ſich von anderen Thieren, und nur ſehr ausnahmsweiſe verzehren
einige auch Früchte, Körner und anderweitige Pflanzenſtoffe. Man hat nach der verſchiedenen Nahrung
drei größere Gruppen benannt, die Kerf-, Alles- und Fleiſchfreſſer nämlich; dieſe Namen ſind aber nicht
ſtichhaltig: denn die Allesfreſſer oder die Kerfjäger verſchmähen ebenſowenig ein gediegenes Stückchen
Fleiſch, wie die größten und wildeſten Raubthiere. Sämmtliche Mitglieder unſerer Ordnung ſind vom
Hauſe aus geborne Räuber und Mörder, gleichviel, ob ſie oder ihre Schlachtopfer groß oder klein
ſind; und ſelbſt Die, welche Pflanzenkoſt lieben, zeigen bei Gelegenheit, daß ſie von der übrigen Ge-
ſellſchaft keine Ausnahme machen wollen, ſoweit es ſich um Raub und Mord handelt. Hinſichtlich der
Auswahl ihrer Nahrungsſtoffe oder, beſtimmter geſagt, ihrer Beute, unterſcheiden ſich die Raubſäuger
erklärlicherweiſe in demſelben Grade, wie hinſichtlich ihres Leibesbaues, ihrer Heimat, ihres Aufenthalts-
ortes und ihrer Lebensweiſe. Kaum eine einzige aller Klaſſen des Thierreichs bleibt vor den Angriffen
und Brandſchatzungen unſerer Raubritter geſichert. Die größten und ſtärkſten Glieder der Ordnung
halten ſich zumeiſt an die ihnen zunächſtſtehende erſte Klaſſe, jedoch ohne deshalb tieferſtehende Thiere
zu verſchmähen. Nicht einmal der Löwe nährt ſich ausſchließlich von Säugethieren, und die übrigen
Katzen zeigen ſich noch weit weniger wähleriſch, als er. Die Hunde, eigentlich echte Fleiſchfreſſer,
dehnen ihre Jagd noch weiter aus; unter den Schleichkatzen und Mardern finden wir bereits einige,
welche ſich ausſchließlich von Fiſchen oder gern von Lurchen nähren; die Bären ſind eben die „Alles-
freſſer‟ und laſſen ſich auch in der That Pflanzenkoſt ſo gut wie Thierfleiſch munden; und in den
Jgeln, Spitzmäuſen und Maulwürfen endlich ſehen wir wieder Räuber, die ohne Umſtände
alles Lebende, was ſie bewältigen können, angreifen und auffreſſen. Somit finden alſo die Wirbel-
thiere ebenſogut ihre Liebhaber oder richtiger ihre Feinde, wie die niederen Thiere, deren Leib noch ſo
groß iſt, daß er geſehen und gefaßt werden kann. Und mögen ſich die einen wie die anderen auf dem
feſten Boden oder im Waſſer, unter der Erde oder im Gezweig der Bäume aufhalten, im Norden
wie im Süden, in der Höhe, wie in der Tiefe leben: den Tod verbreiten ſie überall um ſich her, das
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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/240>, abgerufen am 23.11.2024.