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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Katzen.

Der Laie wird keinen Augenblick im Zweifel sein, welcher Familie er die Ehre geben soll, die
Reihe aller Raubthiere zu beginnen. Er gedenkt an den schon von den Alten zu der Thiere König
gekrönten Löwen und räumt ihm gern jede Bevorzugung ein, sogar auf Kosten des liebsten und ge-
treuesten Hausfreundes Hund, dessen geistiges Wesen einer andern, weit werthvollern Krone würdig
ist. Diesmal darf auch der Forscher mit dem Laien übereinstimmen, und somit vereinigen wir in der
ersten Familie die Katzen (Felinae).

Jn der zweiten Reihe der Säugethiere nehmen die Katzen beinah dieselbe Stellung ein, welche
dem Menschen in der ersten Reihe zukommt. Sie sind nicht blos die vollendetsten Raubthiergestalten,
sondern, mit alleiniger Ausnahme des Menschen, die vollendetsten Thiere überhaupt. Ein gleiches
Ebenmaß zwischen Gliedern und Leib, gleiche Regelmäßigkeit und Einhelligkeit des Baues, wie bei
ihnen, finden wir in der ganzen Klasse nicht wieder. Bei ihnen ist jeder einzelne Leibestheil an-
muthig und zierlich, und eben deshalb befriedigt das ganze Thier unser Schönheitsgefühl in so hohem
Grade. Wir dürfen, ohne fehlzugreifen, unsere Hauskatze als Bild der gesammten Gesellschaft
betrachten; denn in keiner zweiten Familie ist die Grundform bei allen Mitgliedern so streng wieder-
holt, in keiner andern Thiergruppe unterscheiden sich die einzelnen Sippen und Arten so wenig von
einander, wie bei den Katzen. Alle Sippenkennzeichen erscheinen hier als nebensächliche, äußerliche
Merkmale im Vergleich zu den Unterschieden, welche die verschiedenen Gruppen und Arten anderer
Familien aufweisen: der Löwe mit seiner Mähne oder der Luchs mit seinen Ohrpinseln und dem
Stumpfschwanze bleiben ebenso gut Katzen, wie der Hinz oder der Leopard. Selbst dem Jagd-
panther
oder Gepard, welcher das allgemeine Gepräge am wenigsten zeigt, muß man scharf auf
die Finger sehen, bevor man ihn ganz kennen lernt: als halbe Katze nur, als Zwitter von Katze
und Hund.
Eine so vollkommene Uebereinstimmung wird blos bei Thieren gefunden, welche eine
hohe Stellung einnehmen. Dies beweist am schlagendsten der Mensch selbst: kann man doch die
einzelnen Arten seines Geschlechtes kaum mehr trennen!

Der Bau des Katzenleibes darf als bekannt vorausgesetzt werden. Der kräftige und doch zierliche
Leib, der kugelige Kopf auf dem starken Halse, die mäßig hohen Beine mit den dicken Pranken, der
lange Schwanz und das weiche Fell mit seiner immer angenehmen, der Umgebung sich innig anschmie-
genden Färbung sind Keunzeichen, welche sich Jedermann eingeprägt haben dürften; sind doch selbst
die inneren oder wenigstens versteckteren Leibestheile ziemlich allgemein bekannt. Vollendet am Katzen-
leibe müssen die Waffen erscheinen. Das Gebiß ist furchtbar. Die Eck- oder Reißzähne bilden große,
starke, kaum gekrümmte Kegel, welche alle übrigen Zähne weit überwiegen und eine wahrhaft ver-
nichtende Wirkung äußern können. Jhnen gegenüber verschwinden die auffallend kleinen Schneide-
zähne; ihnen gegenüber erscheinen selbst die starken, durch scharfe, gegenseitig in einander eingreifende
Zacken und Spitzen ausgezeichneten Kauzähne, welche ganz aufgehört haben, Mahlzähne zu sein,
schwach und unbedeutend. Mit diesem Gebiß steht die rauhe, scharfe Zunge im Einklange. Sie ist
dick und fleischig und besonders merkwürdig wegen ihrer feinen, hornigen Stacheln, welche auf krausen
Warzen sitzen und nach hinten gerichtet sind. So ist das Maul gleichsam noch einmal bewaffnet, wie
das mancher Schlangen und der raubgierigsten Fische, bei denen außer den Kinnladen der Gaumen
mit Zähnen gespickt ist. Wenn nun auch die Stacheln der Katzenzunge keine Zähne sind, haben sie
doch noch immer Schärfe genug, um bei fortgesetztem Lecken eine zarte Haut blutig zu ritzen, und
übrigens dienen sie wirklich beim Fressen zur Unterstützung der Zähne, welche wegen ihrer Schärfe
und Zackung nur einen einseitigen Gebrauch zulassen, zum Zermahlen der Speise aber fast unfähig
geworden sind. Die Zähne sind jedoch nicht die eigentlichen Augriffswassen der Katzen: in ihren
Klauen besitzen sie noch furchtbarere Werkzeuge zu sicherem Ergreifen und tödlichem Verwunden ihrer
Beute oder zur Abwehr im Kampfe. Jhre breiten und abgerundeten Füße zeichnen sich besonders durch
die verhältnißmäßige Kürze aus, und diese hat ihren Grund darin, daß das letzte Zehenglied aufwärts
gebogen ist. So kann es beim Gange den Boden gar nicht berühren und bewirkt dadurch die möglichste
Schonung der auf ihm sitzenden sehr starken und äußerst spitzen Sichelkrallen. Jn der Ruhe und bei

Die Raubthiere. Katzen.

Der Laie wird keinen Augenblick im Zweifel ſein, welcher Familie er die Ehre geben ſoll, die
Reihe aller Raubthiere zu beginnen. Er gedenkt an den ſchon von den Alten zu der Thiere König
gekrönten Löwen und räumt ihm gern jede Bevorzugung ein, ſogar auf Koſten des liebſten und ge-
treueſten Hausfreundes Hund, deſſen geiſtiges Weſen einer andern, weit werthvollern Krone würdig
iſt. Diesmal darf auch der Forſcher mit dem Laien übereinſtimmen, und ſomit vereinigen wir in der
erſten Familie die Katzen (Felinae).

Jn der zweiten Reihe der Säugethiere nehmen die Katzen beinah dieſelbe Stellung ein, welche
dem Menſchen in der erſten Reihe zukommt. Sie ſind nicht blos die vollendetſten Raubthiergeſtalten,
ſondern, mit alleiniger Ausnahme des Menſchen, die vollendetſten Thiere überhaupt. Ein gleiches
Ebenmaß zwiſchen Gliedern und Leib, gleiche Regelmäßigkeit und Einhelligkeit des Baues, wie bei
ihnen, finden wir in der ganzen Klaſſe nicht wieder. Bei ihnen iſt jeder einzelne Leibestheil an-
muthig und zierlich, und eben deshalb befriedigt das ganze Thier unſer Schönheitsgefühl in ſo hohem
Grade. Wir dürfen, ohne fehlzugreifen, unſere Hauskatze als Bild der geſammten Geſellſchaft
betrachten; denn in keiner zweiten Familie iſt die Grundform bei allen Mitgliedern ſo ſtreng wieder-
holt, in keiner andern Thiergruppe unterſcheiden ſich die einzelnen Sippen und Arten ſo wenig von
einander, wie bei den Katzen. Alle Sippenkennzeichen erſcheinen hier als nebenſächliche, äußerliche
Merkmale im Vergleich zu den Unterſchieden, welche die verſchiedenen Gruppen und Arten anderer
Familien aufweiſen: der Löwe mit ſeiner Mähne oder der Luchs mit ſeinen Ohrpinſeln und dem
Stumpfſchwanze bleiben ebenſo gut Katzen, wie der Hinz oder der Leopard. Selbſt dem Jagd-
panther
oder Gepard, welcher das allgemeine Gepräge am wenigſten zeigt, muß man ſcharf auf
die Finger ſehen, bevor man ihn ganz kennen lernt: als halbe Katze nur, als Zwitter von Katze
und Hund.
Eine ſo vollkommene Uebereinſtimmung wird blos bei Thieren gefunden, welche eine
hohe Stellung einnehmen. Dies beweiſt am ſchlagendſten der Menſch ſelbſt: kann man doch die
einzelnen Arten ſeines Geſchlechtes kaum mehr trennen!

Der Bau des Katzenleibes darf als bekannt vorausgeſetzt werden. Der kräftige und doch zierliche
Leib, der kugelige Kopf auf dem ſtarken Halſe, die mäßig hohen Beine mit den dicken Pranken, der
lange Schwanz und das weiche Fell mit ſeiner immer angenehmen, der Umgebung ſich innig anſchmie-
genden Färbung ſind Keunzeichen, welche ſich Jedermann eingeprägt haben dürften; ſind doch ſelbſt
die inneren oder wenigſtens verſteckteren Leibestheile ziemlich allgemein bekannt. Vollendet am Katzen-
leibe müſſen die Waffen erſcheinen. Das Gebiß iſt furchtbar. Die Eck- oder Reißzähne bilden große,
ſtarke, kaum gekrümmte Kegel, welche alle übrigen Zähne weit überwiegen und eine wahrhaft ver-
nichtende Wirkung äußern können. Jhnen gegenüber verſchwinden die auffallend kleinen Schneide-
zähne; ihnen gegenüber erſcheinen ſelbſt die ſtarken, durch ſcharfe, gegenſeitig in einander eingreifende
Zacken und Spitzen ausgezeichneten Kauzähne, welche ganz aufgehört haben, Mahlzähne zu ſein,
ſchwach und unbedeutend. Mit dieſem Gebiß ſteht die rauhe, ſcharfe Zunge im Einklange. Sie iſt
dick und fleiſchig und beſonders merkwürdig wegen ihrer feinen, hornigen Stacheln, welche auf krauſen
Warzen ſitzen und nach hinten gerichtet ſind. So iſt das Maul gleichſam noch einmal bewaffnet, wie
das mancher Schlangen und der raubgierigſten Fiſche, bei denen außer den Kinnladen der Gaumen
mit Zähnen geſpickt iſt. Wenn nun auch die Stacheln der Katzenzunge keine Zähne ſind, haben ſie
doch noch immer Schärfe genug, um bei fortgeſetztem Lecken eine zarte Haut blutig zu ritzen, und
übrigens dienen ſie wirklich beim Freſſen zur Unterſtützung der Zähne, welche wegen ihrer Schärfe
und Zackung nur einen einſeitigen Gebrauch zulaſſen, zum Zermahlen der Speiſe aber faſt unfähig
geworden ſind. Die Zähne ſind jedoch nicht die eigentlichen Augriffswaſſen der Katzen: in ihren
Klauen beſitzen ſie noch furchtbarere Werkzeuge zu ſicherem Ergreifen und tödlichem Verwunden ihrer
Beute oder zur Abwehr im Kampfe. Jhre breiten und abgerundeten Füße zeichnen ſich beſonders durch
die verhältnißmäßige Kürze aus, und dieſe hat ihren Grund darin, daß das letzte Zehenglied aufwärts
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[184/0242] Die Raubthiere. Katzen. Der Laie wird keinen Augenblick im Zweifel ſein, welcher Familie er die Ehre geben ſoll, die Reihe aller Raubthiere zu beginnen. Er gedenkt an den ſchon von den Alten zu der Thiere König gekrönten Löwen und räumt ihm gern jede Bevorzugung ein, ſogar auf Koſten des liebſten und ge- treueſten Hausfreundes Hund, deſſen geiſtiges Weſen einer andern, weit werthvollern Krone würdig iſt. Diesmal darf auch der Forſcher mit dem Laien übereinſtimmen, und ſomit vereinigen wir in der erſten Familie die Katzen (Felinae). Jn der zweiten Reihe der Säugethiere nehmen die Katzen beinah dieſelbe Stellung ein, welche dem Menſchen in der erſten Reihe zukommt. Sie ſind nicht blos die vollendetſten Raubthiergeſtalten, ſondern, mit alleiniger Ausnahme des Menſchen, die vollendetſten Thiere überhaupt. Ein gleiches Ebenmaß zwiſchen Gliedern und Leib, gleiche Regelmäßigkeit und Einhelligkeit des Baues, wie bei ihnen, finden wir in der ganzen Klaſſe nicht wieder. Bei ihnen iſt jeder einzelne Leibestheil an- muthig und zierlich, und eben deshalb befriedigt das ganze Thier unſer Schönheitsgefühl in ſo hohem Grade. Wir dürfen, ohne fehlzugreifen, unſere Hauskatze als Bild der geſammten Geſellſchaft betrachten; denn in keiner zweiten Familie iſt die Grundform bei allen Mitgliedern ſo ſtreng wieder- holt, in keiner andern Thiergruppe unterſcheiden ſich die einzelnen Sippen und Arten ſo wenig von einander, wie bei den Katzen. Alle Sippenkennzeichen erſcheinen hier als nebenſächliche, äußerliche Merkmale im Vergleich zu den Unterſchieden, welche die verſchiedenen Gruppen und Arten anderer Familien aufweiſen: der Löwe mit ſeiner Mähne oder der Luchs mit ſeinen Ohrpinſeln und dem Stumpfſchwanze bleiben ebenſo gut Katzen, wie der Hinz oder der Leopard. Selbſt dem Jagd- panther oder Gepard, welcher das allgemeine Gepräge am wenigſten zeigt, muß man ſcharf auf die Finger ſehen, bevor man ihn ganz kennen lernt: als halbe Katze nur, als Zwitter von Katze und Hund. Eine ſo vollkommene Uebereinſtimmung wird blos bei Thieren gefunden, welche eine hohe Stellung einnehmen. Dies beweiſt am ſchlagendſten der Menſch ſelbſt: kann man doch die einzelnen Arten ſeines Geſchlechtes kaum mehr trennen! Der Bau des Katzenleibes darf als bekannt vorausgeſetzt werden. Der kräftige und doch zierliche Leib, der kugelige Kopf auf dem ſtarken Halſe, die mäßig hohen Beine mit den dicken Pranken, der lange Schwanz und das weiche Fell mit ſeiner immer angenehmen, der Umgebung ſich innig anſchmie- genden Färbung ſind Keunzeichen, welche ſich Jedermann eingeprägt haben dürften; ſind doch ſelbſt die inneren oder wenigſtens verſteckteren Leibestheile ziemlich allgemein bekannt. Vollendet am Katzen- leibe müſſen die Waffen erſcheinen. Das Gebiß iſt furchtbar. Die Eck- oder Reißzähne bilden große, ſtarke, kaum gekrümmte Kegel, welche alle übrigen Zähne weit überwiegen und eine wahrhaft ver- nichtende Wirkung äußern können. Jhnen gegenüber verſchwinden die auffallend kleinen Schneide- zähne; ihnen gegenüber erſcheinen ſelbſt die ſtarken, durch ſcharfe, gegenſeitig in einander eingreifende Zacken und Spitzen ausgezeichneten Kauzähne, welche ganz aufgehört haben, Mahlzähne zu ſein, ſchwach und unbedeutend. Mit dieſem Gebiß ſteht die rauhe, ſcharfe Zunge im Einklange. Sie iſt dick und fleiſchig und beſonders merkwürdig wegen ihrer feinen, hornigen Stacheln, welche auf krauſen Warzen ſitzen und nach hinten gerichtet ſind. So iſt das Maul gleichſam noch einmal bewaffnet, wie das mancher Schlangen und der raubgierigſten Fiſche, bei denen außer den Kinnladen der Gaumen mit Zähnen geſpickt iſt. Wenn nun auch die Stacheln der Katzenzunge keine Zähne ſind, haben ſie doch noch immer Schärfe genug, um bei fortgeſetztem Lecken eine zarte Haut blutig zu ritzen, und übrigens dienen ſie wirklich beim Freſſen zur Unterſtützung der Zähne, welche wegen ihrer Schärfe und Zackung nur einen einſeitigen Gebrauch zulaſſen, zum Zermahlen der Speiſe aber faſt unfähig geworden ſind. Die Zähne ſind jedoch nicht die eigentlichen Augriffswaſſen der Katzen: in ihren Klauen beſitzen ſie noch furchtbarere Werkzeuge zu ſicherem Ergreifen und tödlichem Verwunden ihrer Beute oder zur Abwehr im Kampfe. Jhre breiten und abgerundeten Füße zeichnen ſich beſonders durch die verhältnißmäßige Kürze aus, und dieſe hat ihren Grund darin, daß das letzte Zehenglied aufwärts gebogen iſt. So kann es beim Gange den Boden gar nicht berühren und bewirkt dadurch die möglichſte Schonung der auf ihm ſitzenden ſehr ſtarken und äußerſt ſpitzen Sichelkrallen. Jn der Ruhe und bei

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/242>, abgerufen am 23.11.2024.