kommt es häufig vor, daß sich zu größeren Jagdzügen mehrere Löwen vereinigen: -- die Paare gehen regelmäßig in Gemeinschaft auf die Jagd aus. Doch ist der Löwe nirgends häufig, und Dies ist auch sehr leicht zu erklären: denn er bedarf so viel Nahrung, daß sich eine große Anzahl von seines Gleichen in einer Gegend nicht lange würde ernähren können. Breite waldige Thäler an Flüssen sind seine Lieblingsorte; auf Gebirgen scheint es ihm weniger zu behagen.
An irgend einem geschützten Orte scharrt sich jeder Löwe eine flache Vertiefung zu seinem Lager und ruht hier einen oder mehrere Tage lang, je nachdem die Gegend arm oder reich, nuruhig oder ruhig ist. Jn den größeren Waldungen bewohnt er oft lange ein und denselben Platz und verläßt ihn blos dann, wenn er hier seinen Wildstand gar zu sehr gemindert hat und nicht mehr mit Leichtigkeit Beute machen kann. Dann zieht er weiter, und wo ihn bei seinen Streifzügen der Morgen über- rascht, bleibt er liegen, immer aber in den verborgensten Theilen des Dickichts.
Jm Ganzen ähneln seine Gewohnheiten denen anderer Katzen, doch weicht er in vielen Stücken sehr wesentlich von denselben ab. Er ist träger, als alle übrigen Mitglieder seiner Familie, und liebt größere Streifzüge durchaus nicht, sondern sucht es sich so bequem zu machen, als irgend möglich; deshalb folgt er z. B. im Ostsudahn regelmäßig den Romaden, sie mögen sich wenden, wohin sie wollen. Er zieht mit ihnen in die Steppe hinaus und kehrt mit ihnen nach dem Walde zurück; er betrachtet sie als seine steuerpflichtigen Unterthauen und erhebt von ihnen in der That die drückendsten aller Abgaben.
Seine Lebensweise ist eine rein nächtliche; denn nur gezwungen verläßt er am Tage sein Lager. Bei Tage begegnet man ihm äußerst selten, im Walde kaum zufällig, sondern erst dann, wenn man ihn ordnungsmäßig aufsucht und durch Hunde von seinem Lager auftreiben läßt. Die Araber behaupten, daß er um die Mittagszeit entsetzlich vom kalten Fieber gepeinigt werde und deshalb so faul sei. Wolle man ihn jagen, so müsse man ihn vorher durch Steinwürfe auftreiben; den er selbst rühre sich nicht. So arg ist es freilich nicht; eine große Trägheit ist ihm aber aller- dings eigen, wenigstens so lange, als die Sonne am Himmel steht. Wie mich meine letzte Reise nach Habesch belehrte, kommt es doch vor, daß man ihn auch bei Tage im Dickicht umherschleichen oder ruhig und still auf einem erhabenen Punkte sitzen sieht, von wo aus er das Treiben der Thiere seines Jagdgebietes beobachten will. So brachte mir ein Bote, welchen ich von Mensa aus dem Herzog nachsandte, die Nachricht, daß er in der Mittagsstunde einen Löwen in dem von Mensa nach dem Ain-Saba abfallenden Thale haben sitzen sehen. Der Löwe betrachtete ihn und sein Kamel mit großer Theilnahme, ließ aber Beide ungefährdet ihres Weges ziehen. Man hat dieses Umschauhalten, welches schon von Le Vaillant beobachtet und von späteren Reisenden wiederholt berichtet wurde, für unwahr gehalten: allein auch wir haben uns davon überzeugt. Denn ein anderer Löwe, welchen wir in der Samchara auf der Spitze eines nackten, kiesbedeckten Hügels liegen sahen, konnte offenbar nur die eine Absicht haben, sein Jagdgebiet zu überschauen, um den Ort zu ermitteln, welcher ihm bei dem abendlichen Ausgange am ehesten Beute liefern könne.
Erst mit der Nacht zeigt er sich und kündet zunächst durch donnerartiges Brüllen sein Wachsein und den Beginn seiner Streifzüge an.
Jn die Nähe der Dörfer kommt der Löwe nicht vor der dritten Nachtstunde. "Drei Mal, so sagen die Araber, "kündet er durch Brüllen seinen Aufbruch an und warnt hierdurch alle Thiere, ihm aus dem Wege zu gehen." Diese gute Meinung ruht aber leider auf schwachen Füßen; denn ebenso oft, als ich das Brüllen des Löwen vernahm, habe ich in Erfahrung gebracht, daß er lautlos zum Dorfe herangeschlichen war und irgend ein Stück Vieh weggenommen hatte. Der Löwe, welcher kurz vor unserer ersten Ankunft in Mensa vier Nächte hinter einander das Dorf betreten hatte, war einzig und allein daran erkannt worden, daß er beim versuchten Durchbruch einer Umzäunung einige seiner Mähnenhaare verloren hatte. Es wurde als sehr wahrscheinlich angenommen, daß er auch in den ersten Nächten unseres Aufenthaltsortes das Dorf umschlich, dennoch vernahmen wir sein Gebrüll
Die Raubthiere. Katzen. — Löwe.
kommt es häufig vor, daß ſich zu größeren Jagdzügen mehrere Löwen vereinigen: — die Paare gehen regelmäßig in Gemeinſchaft auf die Jagd aus. Doch iſt der Löwe nirgends häufig, und Dies iſt auch ſehr leicht zu erklären: denn er bedarf ſo viel Nahrung, daß ſich eine große Anzahl von ſeines Gleichen in einer Gegend nicht lange würde ernähren können. Breite waldige Thäler an Flüſſen ſind ſeine Lieblingsorte; auf Gebirgen ſcheint es ihm weniger zu behagen.
An irgend einem geſchützten Orte ſcharrt ſich jeder Löwe eine flache Vertiefung zu ſeinem Lager und ruht hier einen oder mehrere Tage lang, je nachdem die Gegend arm oder reich, nuruhig oder ruhig iſt. Jn den größeren Waldungen bewohnt er oft lange ein und denſelben Platz und verläßt ihn blos dann, wenn er hier ſeinen Wildſtand gar zu ſehr gemindert hat und nicht mehr mit Leichtigkeit Beute machen kann. Dann zieht er weiter, und wo ihn bei ſeinen Streifzügen der Morgen über- raſcht, bleibt er liegen, immer aber in den verborgenſten Theilen des Dickichts.
Jm Ganzen ähneln ſeine Gewohnheiten denen anderer Katzen, doch weicht er in vielen Stücken ſehr weſentlich von denſelben ab. Er iſt träger, als alle übrigen Mitglieder ſeiner Familie, und liebt größere Streifzüge durchaus nicht, ſondern ſucht es ſich ſo bequem zu machen, als irgend möglich; deshalb folgt er z. B. im Oſtſudahn regelmäßig den Romaden, ſie mögen ſich wenden, wohin ſie wollen. Er zieht mit ihnen in die Steppe hinaus und kehrt mit ihnen nach dem Walde zurück; er betrachtet ſie als ſeine ſteuerpflichtigen Unterthauen und erhebt von ihnen in der That die drückendſten aller Abgaben.
Seine Lebensweiſe iſt eine rein nächtliche; denn nur gezwungen verläßt er am Tage ſein Lager. Bei Tage begegnet man ihm äußerſt ſelten, im Walde kaum zufällig, ſondern erſt dann, wenn man ihn ordnungsmäßig aufſucht und durch Hunde von ſeinem Lager auftreiben läßt. Die Araber behaupten, daß er um die Mittagszeit entſetzlich vom kalten Fieber gepeinigt werde und deshalb ſo faul ſei. Wolle man ihn jagen, ſo müſſe man ihn vorher durch Steinwürfe auftreiben; den er ſelbſt rühre ſich nicht. So arg iſt es freilich nicht; eine große Trägheit iſt ihm aber aller- dings eigen, wenigſtens ſo lange, als die Sonne am Himmel ſteht. Wie mich meine letzte Reiſe nach Habeſch belehrte, kommt es doch vor, daß man ihn auch bei Tage im Dickicht umherſchleichen oder ruhig und ſtill auf einem erhabenen Punkte ſitzen ſieht, von wo aus er das Treiben der Thiere ſeines Jagdgebietes beobachten will. So brachte mir ein Bote, welchen ich von Menſa aus dem Herzog nachſandte, die Nachricht, daß er in der Mittagsſtunde einen Löwen in dem von Menſa nach dem Ain-Saba abfallenden Thale haben ſitzen ſehen. Der Löwe betrachtete ihn und ſein Kamel mit großer Theilnahme, ließ aber Beide ungefährdet ihres Weges ziehen. Man hat dieſes Umſchauhalten, welches ſchon von Le Vaillant beobachtet und von ſpäteren Reiſenden wiederholt berichtet wurde, für unwahr gehalten: allein auch wir haben uns davon überzeugt. Denn ein anderer Löwe, welchen wir in der Samchara auf der Spitze eines nackten, kiesbedeckten Hügels liegen ſahen, konnte offenbar nur die eine Abſicht haben, ſein Jagdgebiet zu überſchauen, um den Ort zu ermitteln, welcher ihm bei dem abendlichen Ausgange am eheſten Beute liefern könne.
Erſt mit der Nacht zeigt er ſich und kündet zunächſt durch donnerartiges Brüllen ſein Wachſein und den Beginn ſeiner Streifzüge an.
Jn die Nähe der Dörfer kommt der Löwe nicht vor der dritten Nachtſtunde. „Drei Mal, ſo ſagen die Araber, „kündet er durch Brüllen ſeinen Aufbruch an und warnt hierdurch alle Thiere, ihm aus dem Wege zu gehen.‟ Dieſe gute Meinung ruht aber leider auf ſchwachen Füßen; denn ebenſo oft, als ich das Brüllen des Löwen vernahm, habe ich in Erfahrung gebracht, daß er lautlos zum Dorfe herangeſchlichen war und irgend ein Stück Vieh weggenommen hatte. Der Löwe, welcher kurz vor unſerer erſten Ankunft in Menſa vier Nächte hinter einander das Dorf betreten hatte, war einzig und allein daran erkannt worden, daß er beim verſuchten Durchbruch einer Umzäunung einige ſeiner Mähnenhaare verloren hatte. Es wurde als ſehr wahrſcheinlich angenommen, daß er auch in den erſten Nächten unſeres Aufenthaltsortes das Dorf umſchlich, dennoch vernahmen wir ſein Gebrüll
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[192/0250]
Die Raubthiere. Katzen. — Löwe.
kommt es häufig vor, daß ſich zu größeren Jagdzügen mehrere Löwen vereinigen: — die Paare
gehen regelmäßig in Gemeinſchaft auf die Jagd aus. Doch iſt der Löwe nirgends häufig, und Dies
iſt auch ſehr leicht zu erklären: denn er bedarf ſo viel Nahrung, daß ſich eine große Anzahl von ſeines
Gleichen in einer Gegend nicht lange würde ernähren können. Breite waldige Thäler an Flüſſen
ſind ſeine Lieblingsorte; auf Gebirgen ſcheint es ihm weniger zu behagen.
An irgend einem geſchützten Orte ſcharrt ſich jeder Löwe eine flache Vertiefung zu ſeinem Lager
und ruht hier einen oder mehrere Tage lang, je nachdem die Gegend arm oder reich, nuruhig oder
ruhig iſt. Jn den größeren Waldungen bewohnt er oft lange ein und denſelben Platz und verläßt ihn
blos dann, wenn er hier ſeinen Wildſtand gar zu ſehr gemindert hat und nicht mehr mit Leichtigkeit
Beute machen kann. Dann zieht er weiter, und wo ihn bei ſeinen Streifzügen der Morgen über-
raſcht, bleibt er liegen, immer aber in den verborgenſten Theilen des Dickichts.
Jm Ganzen ähneln ſeine Gewohnheiten denen anderer Katzen, doch weicht er in vielen Stücken
ſehr weſentlich von denſelben ab. Er iſt träger, als alle übrigen Mitglieder ſeiner Familie, und liebt
größere Streifzüge durchaus nicht, ſondern ſucht es ſich ſo bequem zu machen, als irgend möglich;
deshalb folgt er z. B. im Oſtſudahn regelmäßig den Romaden, ſie mögen ſich wenden, wohin ſie
wollen. Er zieht mit ihnen in die Steppe hinaus und kehrt mit ihnen nach dem Walde zurück; er
betrachtet ſie als ſeine ſteuerpflichtigen Unterthauen und erhebt von ihnen in der That die drückendſten
aller Abgaben.
Seine Lebensweiſe iſt eine rein nächtliche; denn nur gezwungen verläßt er am Tage ſein
Lager. Bei Tage begegnet man ihm äußerſt ſelten, im Walde kaum zufällig, ſondern erſt dann,
wenn man ihn ordnungsmäßig aufſucht und durch Hunde von ſeinem Lager auftreiben läßt. Die
Araber behaupten, daß er um die Mittagszeit entſetzlich vom kalten Fieber gepeinigt werde und
deshalb ſo faul ſei. Wolle man ihn jagen, ſo müſſe man ihn vorher durch Steinwürfe auftreiben;
den er ſelbſt rühre ſich nicht. So arg iſt es freilich nicht; eine große Trägheit iſt ihm aber aller-
dings eigen, wenigſtens ſo lange, als die Sonne am Himmel ſteht. Wie mich meine letzte Reiſe nach
Habeſch belehrte, kommt es doch vor, daß man ihn auch bei Tage im Dickicht umherſchleichen oder
ruhig und ſtill auf einem erhabenen Punkte ſitzen ſieht, von wo aus er das Treiben der Thiere ſeines
Jagdgebietes beobachten will. So brachte mir ein Bote, welchen ich von Menſa aus dem Herzog
nachſandte, die Nachricht, daß er in der Mittagsſtunde einen Löwen in dem von Menſa nach dem
Ain-Saba abfallenden Thale haben ſitzen ſehen. Der Löwe betrachtete ihn und ſein Kamel mit großer
Theilnahme, ließ aber Beide ungefährdet ihres Weges ziehen. Man hat dieſes Umſchauhalten,
welches ſchon von Le Vaillant beobachtet und von ſpäteren Reiſenden wiederholt berichtet wurde,
für unwahr gehalten: allein auch wir haben uns davon überzeugt. Denn ein anderer Löwe, welchen
wir in der Samchara auf der Spitze eines nackten, kiesbedeckten Hügels liegen ſahen, konnte offenbar
nur die eine Abſicht haben, ſein Jagdgebiet zu überſchauen, um den Ort zu ermitteln, welcher ihm
bei dem abendlichen Ausgange am eheſten Beute liefern könne.
Erſt mit der Nacht zeigt er ſich und kündet zunächſt durch donnerartiges Brüllen ſein Wachſein
und den Beginn ſeiner Streifzüge an.
Jn die Nähe der Dörfer kommt der Löwe nicht vor der dritten Nachtſtunde. „Drei Mal, ſo
ſagen die Araber, „kündet er durch Brüllen ſeinen Aufbruch an und warnt hierdurch alle Thiere, ihm
aus dem Wege zu gehen.‟ Dieſe gute Meinung ruht aber leider auf ſchwachen Füßen; denn ebenſo
oft, als ich das Brüllen des Löwen vernahm, habe ich in Erfahrung gebracht, daß er lautlos zum
Dorfe herangeſchlichen war und irgend ein Stück Vieh weggenommen hatte. Der Löwe, welcher kurz
vor unſerer erſten Ankunft in Menſa vier Nächte hinter einander das Dorf betreten hatte, war einzig
und allein daran erkannt worden, daß er beim verſuchten Durchbruch einer Umzäunung einige ſeiner
Mähnenhaare verloren hatte. Es wurde als ſehr wahrſcheinlich angenommen, daß er auch in den
erſten Nächten unſeres Aufenthaltsortes das Dorf umſchlich, dennoch vernahmen wir ſein Gebrüll
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/250>, abgerufen am 22.11.2024.
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