nur zwei Mal und zwar in weiter Ferne, während ich dasselbe früher in Kordofahn nicht nur vor dem Dorfe, sondern mitten in demselben ertönen gehört hatte.
Es ist eigenthümlich, daß manche Junerafrikaner, z. B. die Mensa, wenig über die Verluste klagen, welche sie durch den Löwen erleiden. Man spricht wohl von seinen Raubthaten, aber keines- wegs mit Entrüstung über die Einbuße an Vieh, welche man erlitten hat, und es möchte fast scheinen, als griffe er größere Herdenthiere gar nicht an. Dies ist jedoch unzweifelhaft der Fall; ich selbst bin in Jnnerafrika hiervon mehr als einmal überzeugt worden. Während meiner Reisen habe ich den Löwen zwar nur zweimal im Freien gesehen, aber doch sehr oft wahrgenommen, und bin so mit ihm ziemlich vertraut worden. Mehrere Male hat er seine Einfälle in den Dörfern gemacht, in welchen ich mich gerade aufhielt, und allnächtlich hörte ich, während ich am obern blauen Flusse reiste, den Donner aus seiner Brust. Ehe ich nun sein Leben und Treiben schildere, möchte ich wohl meinen Leser bitten, sich mit mir im Geiste in eines der Steppendörfer Ostsudahns oder in die Umzäunung eines Lagers der Nomaden zu versetzen, um eine jener durch ihn gestörten Nächte kennen zu lernen.
Mit Sonnenuntergang hat der Romade seine Herde in der sichern Seriba eingehürdet, in jenem acht bis zehn Fuß hohen und drei bis vier Fuß dicken, äußerst dichten, aus den stachlichsten Aesten der Mimosen geflochtenen Zaune, dem sichersten Schutzwalle, welchen er bilden kann. Dunkel senkt sich die Nacht auf das geräuschvolle Lager herab. Die Schafe blöken nach ihren Jungen, die Rinder, welche bereits gemolken wurden, haben sich niedergethan. Eine Meute wachsamer Hunde hält die Wacht. Mit einem Male läutet sie hell auf, im Nu ist sie versammelt und stürmt nach einer Richtung in die Nacht hinaus. Man hört den Lärm eines kurzen Kampfes, wüthend bellende Laute und grimmig heißeres Gebrüll, sodann Siegesgeläut -- eine Hiäne umschlich das Lager, mußte aber vor den muthigen Wächtern der Herden nach kurzer Gegenwehr die Flucht ergreifen. Einem Leo- parden würde es kaum besser ergangen sein. -- Es wird stiller und ruhiger, der Lärm verstummt, der Frieden der Nacht senkt sich auf das Lager herab. Weib und Kind des Herdenbesitzers haben in dem einen Zelte die Ruhe gesucht und gefunden. Die Männer haben ihre letzten Geschäfte abgethan und wenden sich ebenfalls ihrem Lager zu. Von den nächsten Bäumen herab spinnen die stufen- schwänzigen Ziegenmelker ihren Nachtgesang, oder tragen fliegend ihre Flederschleppe durch die Lüfte, nähern sich oft und gern der Seriba und huschen wie Geister über die schlafende Herde hinweg. Sonst ist Alles still und ruhig. Selbst die kläffenden Hunde sind verstummt, nicht aber auch lässig oder schlaff geworden in ihrem treuen Dienste.
Urplötzlich scheint die Erde zu dröhnen: -- in nächster Nähe brüllt ein Löwe! Jetzt bewährt er seinen Namen "Essed", d. i. der Aufruhrerregende: denn ein wirklicher Aufruhr und die größte Bestürzung zeigt sich in der Seriba. Die Schafe rennen wie unsinnig gegen die Dornhecken an, die Ziegen schreien laut, die Rinder rotten sich mit lautem Angstgestöhn zu wirren Hausen zusammen, das Kamel sucht, weil es gern entfliehen möchte, alle Fesseln zu zersprengen, und die muthigen Hunde, welche Leoparden und Hiänen bekämpften, heulen laut und kläglich und flüchten sich jammernd in den Schutz ihres Herrn, welcher selbst rath- und thatlos, an seiner eignen Stärke verzweifelnd, sie der ihm übermächtigen Gewalt unterordnend, in seinem Zelte zittert, es nicht wagt, nur mit seiner Lanze bewaffnet einem so furchtbaren Feinde gegenüberzutreten, und es geschehen lassen muß, daß der Löwe näher und näher herankommt, daß die leuchtenden Augen zu dem Schrecken der Stimme noch einen neuen fügen -- der es geschehen lassen muß, daß der Löwe auch noch einen zweiten seiner arabischen Namen "Sabaa", d. i. "Würger der Herden", bethätigt.
Mit gewaltigem Satze überspringt der Mächtige die acht, ja selbst zehn Fuß Dornenmauer, um sich ein Opfer auszuwählen. Ein einziger Schlag seiner furchtbaren Pranken fällt ein zwei- jähriges Rind, das kräftige Gebiß zerbricht dem widerstandslosen Thiere die Wirbelknochen des Halses. Dumpfgrollend liegt der Räuber auf seiner Beute, die großen Augen funkeln hell vor Siegeslust und Raubbegier, mit dem Schwanze peitscht er die Luft, läßt das verendende Thier auf Augenblicke los und faßt es mit seinem zermalmenden Gebiß von neuem, bis es sich endlich
Brehm, Thierleben. 13
Lebensweiſe. Eine Nacht im Sudahn.
nur zwei Mal und zwar in weiter Ferne, während ich daſſelbe früher in Kordofahn nicht nur vor dem Dorfe, ſondern mitten in demſelben ertönen gehört hatte.
Es iſt eigenthümlich, daß manche Junerafrikaner, z. B. die Menſa, wenig über die Verluſte klagen, welche ſie durch den Löwen erleiden. Man ſpricht wohl von ſeinen Raubthaten, aber keines- wegs mit Entrüſtung über die Einbuße an Vieh, welche man erlitten hat, und es möchte faſt ſcheinen, als griffe er größere Herdenthiere gar nicht an. Dies iſt jedoch unzweifelhaft der Fall; ich ſelbſt bin in Jnnerafrika hiervon mehr als einmal überzeugt worden. Während meiner Reiſen habe ich den Löwen zwar nur zweimal im Freien geſehen, aber doch ſehr oft wahrgenommen, und bin ſo mit ihm ziemlich vertraut worden. Mehrere Male hat er ſeine Einfälle in den Dörfern gemacht, in welchen ich mich gerade aufhielt, und allnächtlich hörte ich, während ich am obern blauen Fluſſe reiſte, den Donner aus ſeiner Bruſt. Ehe ich nun ſein Leben und Treiben ſchildere, möchte ich wohl meinen Leſer bitten, ſich mit mir im Geiſte in eines der Steppendörfer Oſtſudahns oder in die Umzäunung eines Lagers der Nomaden zu verſetzen, um eine jener durch ihn geſtörten Nächte kennen zu lernen.
Mit Sonnenuntergang hat der Romade ſeine Herde in der ſichern Seriba eingehürdet, in jenem acht bis zehn Fuß hohen und drei bis vier Fuß dicken, äußerſt dichten, aus den ſtachlichſten Aeſten der Mimoſen geflochtenen Zaune, dem ſicherſten Schutzwalle, welchen er bilden kann. Dunkel ſenkt ſich die Nacht auf das geräuſchvolle Lager herab. Die Schafe blöken nach ihren Jungen, die Rinder, welche bereits gemolken wurden, haben ſich niedergethan. Eine Meute wachſamer Hunde hält die Wacht. Mit einem Male läutet ſie hell auf, im Nu iſt ſie verſammelt und ſtürmt nach einer Richtung in die Nacht hinaus. Man hört den Lärm eines kurzen Kampfes, wüthend bellende Laute und grimmig heißeres Gebrüll, ſodann Siegesgeläut — eine Hiäne umſchlich das Lager, mußte aber vor den muthigen Wächtern der Herden nach kurzer Gegenwehr die Flucht ergreifen. Einem Leo- parden würde es kaum beſſer ergangen ſein. — Es wird ſtiller und ruhiger, der Lärm verſtummt, der Frieden der Nacht ſenkt ſich auf das Lager herab. Weib und Kind des Herdenbeſitzers haben in dem einen Zelte die Ruhe geſucht und gefunden. Die Männer haben ihre letzten Geſchäfte abgethan und wenden ſich ebenfalls ihrem Lager zu. Von den nächſten Bäumen herab ſpinnen die ſtufen- ſchwänzigen Ziegenmelker ihren Nachtgeſang, oder tragen fliegend ihre Flederſchleppe durch die Lüfte, nähern ſich oft und gern der Seriba und huſchen wie Geiſter über die ſchlafende Herde hinweg. Sonſt iſt Alles ſtill und ruhig. Selbſt die kläffenden Hunde ſind verſtummt, nicht aber auch läſſig oder ſchlaff geworden in ihrem treuen Dienſte.
Urplötzlich ſcheint die Erde zu dröhnen: — in nächſter Nähe brüllt ein Löwe! Jetzt bewährt er ſeinen Namen „Eſſed‟, d. i. der Aufruhrerregende: denn ein wirklicher Aufruhr und die größte Beſtürzung zeigt ſich in der Seriba. Die Schafe rennen wie unſinnig gegen die Dornhecken an, die Ziegen ſchreien laut, die Rinder rotten ſich mit lautem Angſtgeſtöhn zu wirren Hauſen zuſammen, das Kamel ſucht, weil es gern entfliehen möchte, alle Feſſeln zu zerſprengen, und die muthigen Hunde, welche Leoparden und Hiänen bekämpften, heulen laut und kläglich und flüchten ſich jammernd in den Schutz ihres Herrn, welcher ſelbſt rath- und thatlos, an ſeiner eignen Stärke verzweifelnd, ſie der ihm übermächtigen Gewalt unterordnend, in ſeinem Zelte zittert, es nicht wagt, nur mit ſeiner Lanze bewaffnet einem ſo furchtbaren Feinde gegenüberzutreten, und es geſchehen laſſen muß, daß der Löwe näher und näher herankommt, daß die leuchtenden Augen zu dem Schrecken der Stimme noch einen neuen fügen — der es geſchehen laſſen muß, daß der Löwe auch noch einen zweiten ſeiner arabiſchen Namen „Sabaa‟, d. i. „Würger der Herden‟, bethätigt.
Mit gewaltigem Satze überſpringt der Mächtige die acht, ja ſelbſt zehn Fuß Dornenmauer, um ſich ein Opfer auszuwählen. Ein einziger Schlag ſeiner furchtbaren Pranken fällt ein zwei- jähriges Rind, das kräftige Gebiß zerbricht dem widerſtandsloſen Thiere die Wirbelknochen des Halſes. Dumpfgrollend liegt der Räuber auf ſeiner Beute, die großen Augen funkeln hell vor Siegesluſt und Raubbegier, mit dem Schwanze peitſcht er die Luft, läßt das verendende Thier auf Augenblicke los und faßt es mit ſeinem zermalmenden Gebiß von neuem, bis es ſich endlich
Brehm, Thierleben. 13
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[193/0253]
Lebensweiſe. Eine Nacht im Sudahn.
nur zwei Mal und zwar in weiter Ferne, während ich daſſelbe früher in Kordofahn nicht nur vor
dem Dorfe, ſondern mitten in demſelben ertönen gehört hatte.
Es iſt eigenthümlich, daß manche Junerafrikaner, z. B. die Menſa, wenig über die Verluſte
klagen, welche ſie durch den Löwen erleiden. Man ſpricht wohl von ſeinen Raubthaten, aber keines-
wegs mit Entrüſtung über die Einbuße an Vieh, welche man erlitten hat, und es möchte faſt ſcheinen,
als griffe er größere Herdenthiere gar nicht an. Dies iſt jedoch unzweifelhaft der Fall; ich ſelbſt bin
in Jnnerafrika hiervon mehr als einmal überzeugt worden. Während meiner Reiſen habe ich den
Löwen zwar nur zweimal im Freien geſehen, aber doch ſehr oft wahrgenommen, und bin ſo mit ihm
ziemlich vertraut worden. Mehrere Male hat er ſeine Einfälle in den Dörfern gemacht, in welchen
ich mich gerade aufhielt, und allnächtlich hörte ich, während ich am obern blauen Fluſſe reiſte, den
Donner aus ſeiner Bruſt. Ehe ich nun ſein Leben und Treiben ſchildere, möchte ich wohl meinen
Leſer bitten, ſich mit mir im Geiſte in eines der Steppendörfer Oſtſudahns oder in die Umzäunung
eines Lagers der Nomaden zu verſetzen, um eine jener durch ihn geſtörten Nächte kennen zu lernen.
Mit Sonnenuntergang hat der Romade ſeine Herde in der ſichern Seriba eingehürdet, in jenem
acht bis zehn Fuß hohen und drei bis vier Fuß dicken, äußerſt dichten, aus den ſtachlichſten Aeſten der
Mimoſen geflochtenen Zaune, dem ſicherſten Schutzwalle, welchen er bilden kann. Dunkel ſenkt ſich
die Nacht auf das geräuſchvolle Lager herab. Die Schafe blöken nach ihren Jungen, die Rinder,
welche bereits gemolken wurden, haben ſich niedergethan. Eine Meute wachſamer Hunde hält die
Wacht. Mit einem Male läutet ſie hell auf, im Nu iſt ſie verſammelt und ſtürmt nach einer Richtung
in die Nacht hinaus. Man hört den Lärm eines kurzen Kampfes, wüthend bellende Laute und
grimmig heißeres Gebrüll, ſodann Siegesgeläut — eine Hiäne umſchlich das Lager, mußte aber
vor den muthigen Wächtern der Herden nach kurzer Gegenwehr die Flucht ergreifen. Einem Leo-
parden würde es kaum beſſer ergangen ſein. — Es wird ſtiller und ruhiger, der Lärm verſtummt,
der Frieden der Nacht ſenkt ſich auf das Lager herab. Weib und Kind des Herdenbeſitzers haben in
dem einen Zelte die Ruhe geſucht und gefunden. Die Männer haben ihre letzten Geſchäfte abgethan
und wenden ſich ebenfalls ihrem Lager zu. Von den nächſten Bäumen herab ſpinnen die ſtufen-
ſchwänzigen Ziegenmelker ihren Nachtgeſang, oder tragen fliegend ihre Flederſchleppe durch die
Lüfte, nähern ſich oft und gern der Seriba und huſchen wie Geiſter über die ſchlafende Herde hinweg.
Sonſt iſt Alles ſtill und ruhig. Selbſt die kläffenden Hunde ſind verſtummt, nicht aber auch läſſig
oder ſchlaff geworden in ihrem treuen Dienſte.
Urplötzlich ſcheint die Erde zu dröhnen: — in nächſter Nähe brüllt ein Löwe! Jetzt bewährt
er ſeinen Namen „Eſſed‟, d. i. der Aufruhrerregende: denn ein wirklicher Aufruhr und die größte
Beſtürzung zeigt ſich in der Seriba. Die Schafe rennen wie unſinnig gegen die Dornhecken an, die
Ziegen ſchreien laut, die Rinder rotten ſich mit lautem Angſtgeſtöhn zu wirren Hauſen zuſammen, das
Kamel ſucht, weil es gern entfliehen möchte, alle Feſſeln zu zerſprengen, und die muthigen Hunde,
welche Leoparden und Hiänen bekämpften, heulen laut und kläglich und flüchten ſich jammernd in den
Schutz ihres Herrn, welcher ſelbſt rath- und thatlos, an ſeiner eignen Stärke verzweifelnd, ſie der
ihm übermächtigen Gewalt unterordnend, in ſeinem Zelte zittert, es nicht wagt, nur mit ſeiner Lanze
bewaffnet einem ſo furchtbaren Feinde gegenüberzutreten, und es geſchehen laſſen muß, daß der Löwe
näher und näher herankommt, daß die leuchtenden Augen zu dem Schrecken der Stimme noch einen
neuen fügen — der es geſchehen laſſen muß, daß der Löwe auch noch einen zweiten ſeiner arabiſchen
Namen „Sabaa‟, d. i. „Würger der Herden‟, bethätigt.
Mit gewaltigem Satze überſpringt der Mächtige die acht, ja ſelbſt zehn Fuß Dornenmauer,
um ſich ein Opfer auszuwählen. Ein einziger Schlag ſeiner furchtbaren Pranken fällt ein zwei-
jähriges Rind, das kräftige Gebiß zerbricht dem widerſtandsloſen Thiere die Wirbelknochen des
Halſes. Dumpfgrollend liegt der Räuber auf ſeiner Beute, die großen Augen funkeln hell vor
Siegesluſt und Raubbegier, mit dem Schwanze peitſcht er die Luft, läßt das verendende Thier
auf Augenblicke los und faßt es mit ſeinem zermalmenden Gebiß von neuem, bis es ſich endlich
Brehm, Thierleben. 13
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/253>, abgerufen am 22.11.2024.
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