Die jungen Löwen sind in der ersten Zeit ziemlich unbeholfen. Sie lernen erst im zweiten Monat ihres Lebens gehen und beginnen noch später ihre kindlichen Spiele. Anfangs miauen sie ganz wie die Katzen, später wird ihre Stimme stärker und voller. Bei ihren Spielen zeigen sie sich ziemlich tölpisch und plump, aber die Gewandtheit kommt mit der Zeit. Nach etwa sechs Monaten werden sie entwöhnt; schon vorher aber folgen sie ihren Eltern, wenn auch nur auf geringe Strecken hin, bei ihren Ausflügen. Gegen Ende des ersten Jahres haben sie die Größe eines starken Hundes erreicht.
Anfänglich gleichen sich beide Geschlechter vollkommen, bald aber zeigt sich der Unterschied zwischen Männchen und Weibchen in den stärkeren und kräftigeren Formen, welche sich bei ersterm ausprägen. Gegen das dritte Jahr hin machen sich die Anfänge der Mähne bei dem Männchen bemerklich; doch erst im sechsten oder achten Jahre sind beide vollkommen erwachsen und ausgefärbt. Das Alter, welches sie erreichen, steht im Verhältniß zu diesem langsamen Wachsthum. Man kennt schon Fälle, daß Löwen sogar in der Gefangenschaft siebzig Jahre gelebt haben, obwohl sie dort auch bei der besten Pflege ziemlich bald greisenhaft werden und viel an ihrer Schönheit verlieren.
Es wird wohl Niemand Wunder nehmen, daß der Eingeborne Afrikas den Löwen in hohem Grade fürchtet und ihn mit allen Mitteln zu vertilgen sucht, welche er in seiner Macht hat. So schlimm, als man es sich bei uns vorstellt, ist jedoch die Furcht vor dem Löwen nicht. Man begegnet dem Gewaltigen da, wo er ständig vorkommt, auch keineswegs alltäglich. Er bricht nicht einmal tagtäglich in die Hürden ein, sondern sucht sich auch im freien, großen Walde seine Nahrung. Jmmerhin aber wird er außrordentlich schädlich und Dies um so mehr, je näher er europäischen Ansiedlern wohnt, welche andere Begriffe von dem Werthe des Eigenthums hegen, als die harmlosen Afrikaner. Nach der Berechnung Jules Gerard's verursachten im Jahre 1855 etwa dreißig Löwen, welche sich in der Provinz Constantine aufhielten, allein an Hausthieren einen Schaden von 45,000 Thalern unseres Geldes; ein einziger Löwe verbraucht demnach für 1500 Thaler Vieh zu seiner Nahrung. Jm Jahre 1856 zu 1857 sollen sich nach demselben Berichterstatter in Bona allein sechzig Löwen aufgehalten und 10,000 Stück großes und kleines Vieh gefressen haben. Jm Jnnern Afrikas ist der Schaden verhältnißmäßig ein weit geringerer, weil die Viehzucht, welche den einzigen Erwerb der Bewohner bildet, in ganz anderer Ausdehnung betrieben wird, als in den Ländern, wo der Ackerbau die Grund- lage des volklichen Bestehens bildet. Gleichwohl ist er noch immer empfindlich genug, und der arme Mittelafrikaner möchte manchmal verzweifeln über die Verwüstungen, welche der Löwe anrichtet. Jn seiner kindlichen Anschauung rechnet er gewöhnlich auf Hilfe von oben und wendet sich deshalb an die Vermittler zwischen ihm und seinem Gotte: an die Geistlichen. Von diesen erkauft er für schweres Geld einen Hedjahb oder ein Schriftstück, in welchem der Verfasser desselben die kräftig kernigen Worte des Korahn irgendwie gemißbraucht und mit seinen Zuthaten verwässert hat, wie es ja eben der Pfaffen Weise ist. Dieser Schutzbrief wird vorn an der Seriba angebunden, und man lebt, im Sudahn wenigstens, allgemein in dem guten Glauben, daß der Löwe, welcher als ein gerechtes Thier vor den Augen des Herrn angesehen wird, so viel Ehrfurcht vor den Worten des Gottgesandten Mahammed an den Tag legen werde, um von ferneren Besuchen einer derartig geschützten Hürde abzustehen. Wie wenig Dies der Fall ist, steht man alle Jahre unzählige Male. Allein die dortigen Fakie wissen ihren Unsinn ebensogut zu bemänteln, wie viele unserer Pfaffen den ihrigen. Und die Demuth und Ungebildetheit der Sudahuesen macht es ihnen leicht, dann doch noch immer wieder Glauben zu finden, wenn sie auch wissen, daß sie den schändlichsten Betrug ausüben. -- Auf das Erkaufen solcher Schutzbriefe beschränkt sich fast im ganzen Ost-Sudahn die Abwehr, welche der mahammedanische Afrikaner für nöthig erachtet. Die heidnischen Reger und die Kaffern sind freilich gescheiter und sehen ein, daß einem Löwen gegenüber ein muthiger Manneskampf mehr ausrichtet, als jeder Mißbrauch mit des Profeten Wort. Sie bedienen sich vor Allem ihrer vergifteten Pfeile und, wenn es Noth thut, auch ihrer Lanzen, um den Löwen zu erlegen.
Während meiner Anwesenheit in Südnubien fand ein höchst merkwürdiger Jagdkampf mit einem Löwen bei Berber oder Mucheref statt. Das königliche Thier hatte in der Nähe der Stadt die
Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe.
Die jungen Löwen ſind in der erſten Zeit ziemlich unbeholfen. Sie lernen erſt im zweiten Monat ihres Lebens gehen und beginnen noch ſpäter ihre kindlichen Spiele. Anfangs miauen ſie ganz wie die Katzen, ſpäter wird ihre Stimme ſtärker und voller. Bei ihren Spielen zeigen ſie ſich ziemlich tölpiſch und plump, aber die Gewandtheit kommt mit der Zeit. Nach etwa ſechs Monaten werden ſie entwöhnt; ſchon vorher aber folgen ſie ihren Eltern, wenn auch nur auf geringe Strecken hin, bei ihren Ausflügen. Gegen Ende des erſten Jahres haben ſie die Größe eines ſtarken Hundes erreicht.
Anfänglich gleichen ſich beide Geſchlechter vollkommen, bald aber zeigt ſich der Unterſchied zwiſchen Männchen und Weibchen in den ſtärkeren und kräftigeren Formen, welche ſich bei erſterm ausprägen. Gegen das dritte Jahr hin machen ſich die Anfänge der Mähne bei dem Männchen bemerklich; doch erſt im ſechſten oder achten Jahre ſind beide vollkommen erwachſen und ausgefärbt. Das Alter, welches ſie erreichen, ſteht im Verhältniß zu dieſem langſamen Wachsthum. Man kennt ſchon Fälle, daß Löwen ſogar in der Gefangenſchaft ſiebzig Jahre gelebt haben, obwohl ſie dort auch bei der beſten Pflege ziemlich bald greiſenhaft werden und viel an ihrer Schönheit verlieren.
Es wird wohl Niemand Wunder nehmen, daß der Eingeborne Afrikas den Löwen in hohem Grade fürchtet und ihn mit allen Mitteln zu vertilgen ſucht, welche er in ſeiner Macht hat. So ſchlimm, als man es ſich bei uns vorſtellt, iſt jedoch die Furcht vor dem Löwen nicht. Man begegnet dem Gewaltigen da, wo er ſtändig vorkommt, auch keineswegs alltäglich. Er bricht nicht einmal tagtäglich in die Hürden ein, ſondern ſucht ſich auch im freien, großen Walde ſeine Nahrung. Jmmerhin aber wird er außrordentlich ſchädlich und Dies um ſo mehr, je näher er europäiſchen Anſiedlern wohnt, welche andere Begriffe von dem Werthe des Eigenthums hegen, als die harmloſen Afrikaner. Nach der Berechnung Jules Gerard’s verurſachten im Jahre 1855 etwa dreißig Löwen, welche ſich in der Provinz Conſtantine aufhielten, allein an Hausthieren einen Schaden von 45,000 Thalern unſeres Geldes; ein einziger Löwe verbraucht demnach für 1500 Thaler Vieh zu ſeiner Nahrung. Jm Jahre 1856 zu 1857 ſollen ſich nach demſelben Berichterſtatter in Bona allein ſechzig Löwen aufgehalten und 10,000 Stück großes und kleines Vieh gefreſſen haben. Jm Jnnern Afrikas iſt der Schaden verhältnißmäßig ein weit geringerer, weil die Viehzucht, welche den einzigen Erwerb der Bewohner bildet, in ganz anderer Ausdehnung betrieben wird, als in den Ländern, wo der Ackerbau die Grund- lage des volklichen Beſtehens bildet. Gleichwohl iſt er noch immer empfindlich genug, und der arme Mittelafrikaner möchte manchmal verzweifeln über die Verwüſtungen, welche der Löwe anrichtet. Jn ſeiner kindlichen Anſchauung rechnet er gewöhnlich auf Hilfe von oben und wendet ſich deshalb an die Vermittler zwiſchen ihm und ſeinem Gotte: an die Geiſtlichen. Von dieſen erkauft er für ſchweres Geld einen Hedjahb oder ein Schriftſtück, in welchem der Verfaſſer deſſelben die kräftig kernigen Worte des Korahn irgendwie gemißbraucht und mit ſeinen Zuthaten verwäſſert hat, wie es ja eben der Pfaffen Weiſe iſt. Dieſer Schutzbrief wird vorn an der Seriba angebunden, und man lebt, im Sudahn wenigſtens, allgemein in dem guten Glauben, daß der Löwe, welcher als ein gerechtes Thier vor den Augen des Herrn angeſehen wird, ſo viel Ehrfurcht vor den Worten des Gottgeſandten Mahammed an den Tag legen werde, um von ferneren Beſuchen einer derartig geſchützten Hürde abzuſtehen. Wie wenig Dies der Fall iſt, ſteht man alle Jahre unzählige Male. Allein die dortigen Fakïe wiſſen ihren Unſinn ebenſogut zu bemänteln, wie viele unſerer Pfaffen den ihrigen. Und die Demuth und Ungebildetheit der Sudahueſen macht es ihnen leicht, dann doch noch immer wieder Glauben zu finden, wenn ſie auch wiſſen, daß ſie den ſchändlichſten Betrug ausüben. — Auf das Erkaufen ſolcher Schutzbriefe beſchränkt ſich faſt im ganzen Oſt-Sudahn die Abwehr, welche der mahammedaniſche Afrikaner für nöthig erachtet. Die heidniſchen Reger und die Kaffern ſind freilich geſcheiter und ſehen ein, daß einem Löwen gegenüber ein muthiger Manneskampf mehr ausrichtet, als jeder Mißbrauch mit des Profeten Wort. Sie bedienen ſich vor Allem ihrer vergifteten Pfeile und, wenn es Noth thut, auch ihrer Lanzen, um den Löwen zu erlegen.
Während meiner Anweſenheit in Südnubien fand ein höchſt merkwürdiger Jagdkampf mit einem Löwen bei Berber oder Mucheref ſtatt. Das königliche Thier hatte in der Nähe der Stadt die
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Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe.
Die jungen Löwen ſind in der erſten Zeit ziemlich unbeholfen. Sie lernen erſt im zweiten Monat
ihres Lebens gehen und beginnen noch ſpäter ihre kindlichen Spiele. Anfangs miauen ſie ganz wie
die Katzen, ſpäter wird ihre Stimme ſtärker und voller. Bei ihren Spielen zeigen ſie ſich ziemlich
tölpiſch und plump, aber die Gewandtheit kommt mit der Zeit. Nach etwa ſechs Monaten werden ſie
entwöhnt; ſchon vorher aber folgen ſie ihren Eltern, wenn auch nur auf geringe Strecken hin, bei
ihren Ausflügen. Gegen Ende des erſten Jahres haben ſie die Größe eines ſtarken Hundes erreicht.
Anfänglich gleichen ſich beide Geſchlechter vollkommen, bald aber zeigt ſich der Unterſchied
zwiſchen Männchen und Weibchen in den ſtärkeren und kräftigeren Formen, welche ſich bei erſterm
ausprägen. Gegen das dritte Jahr hin machen ſich die Anfänge der Mähne bei dem Männchen
bemerklich; doch erſt im ſechſten oder achten Jahre ſind beide vollkommen erwachſen und ausgefärbt.
Das Alter, welches ſie erreichen, ſteht im Verhältniß zu dieſem langſamen Wachsthum. Man kennt
ſchon Fälle, daß Löwen ſogar in der Gefangenſchaft ſiebzig Jahre gelebt haben, obwohl ſie dort auch
bei der beſten Pflege ziemlich bald greiſenhaft werden und viel an ihrer Schönheit verlieren.
Es wird wohl Niemand Wunder nehmen, daß der Eingeborne Afrikas den Löwen in hohem Grade
fürchtet und ihn mit allen Mitteln zu vertilgen ſucht, welche er in ſeiner Macht hat. So ſchlimm,
als man es ſich bei uns vorſtellt, iſt jedoch die Furcht vor dem Löwen nicht. Man begegnet dem
Gewaltigen da, wo er ſtändig vorkommt, auch keineswegs alltäglich. Er bricht nicht einmal tagtäglich
in die Hürden ein, ſondern ſucht ſich auch im freien, großen Walde ſeine Nahrung. Jmmerhin aber
wird er außrordentlich ſchädlich und Dies um ſo mehr, je näher er europäiſchen Anſiedlern wohnt,
welche andere Begriffe von dem Werthe des Eigenthums hegen, als die harmloſen Afrikaner. Nach der
Berechnung Jules Gerard’s verurſachten im Jahre 1855 etwa dreißig Löwen, welche ſich in der
Provinz Conſtantine aufhielten, allein an Hausthieren einen Schaden von 45,000 Thalern unſeres
Geldes; ein einziger Löwe verbraucht demnach für 1500 Thaler Vieh zu ſeiner Nahrung. Jm Jahre
1856 zu 1857 ſollen ſich nach demſelben Berichterſtatter in Bona allein ſechzig Löwen aufgehalten
und 10,000 Stück großes und kleines Vieh gefreſſen haben. Jm Jnnern Afrikas iſt der Schaden
verhältnißmäßig ein weit geringerer, weil die Viehzucht, welche den einzigen Erwerb der Bewohner
bildet, in ganz anderer Ausdehnung betrieben wird, als in den Ländern, wo der Ackerbau die Grund-
lage des volklichen Beſtehens bildet. Gleichwohl iſt er noch immer empfindlich genug, und der arme
Mittelafrikaner möchte manchmal verzweifeln über die Verwüſtungen, welche der Löwe anrichtet. Jn
ſeiner kindlichen Anſchauung rechnet er gewöhnlich auf Hilfe von oben und wendet ſich deshalb an die
Vermittler zwiſchen ihm und ſeinem Gotte: an die Geiſtlichen. Von dieſen erkauft er für ſchweres
Geld einen Hedjahb oder ein Schriftſtück, in welchem der Verfaſſer deſſelben die kräftig kernigen
Worte des Korahn irgendwie gemißbraucht und mit ſeinen Zuthaten verwäſſert hat, wie es ja eben
der Pfaffen Weiſe iſt. Dieſer Schutzbrief wird vorn an der Seriba angebunden, und man lebt, im
Sudahn wenigſtens, allgemein in dem guten Glauben, daß der Löwe, welcher als ein gerechtes Thier
vor den Augen des Herrn angeſehen wird, ſo viel Ehrfurcht vor den Worten des Gottgeſandten
Mahammed an den Tag legen werde, um von ferneren Beſuchen einer derartig geſchützten Hürde
abzuſtehen. Wie wenig Dies der Fall iſt, ſteht man alle Jahre unzählige Male. Allein die dortigen
Fakïe wiſſen ihren Unſinn ebenſogut zu bemänteln, wie viele unſerer Pfaffen den ihrigen. Und die
Demuth und Ungebildetheit der Sudahueſen macht es ihnen leicht, dann doch noch immer wieder
Glauben zu finden, wenn ſie auch wiſſen, daß ſie den ſchändlichſten Betrug ausüben. — Auf das
Erkaufen ſolcher Schutzbriefe beſchränkt ſich faſt im ganzen Oſt-Sudahn die Abwehr, welche der
mahammedaniſche Afrikaner für nöthig erachtet. Die heidniſchen Reger und die Kaffern ſind freilich
geſcheiter und ſehen ein, daß einem Löwen gegenüber ein muthiger Manneskampf mehr ausrichtet, als
jeder Mißbrauch mit des Profeten Wort. Sie bedienen ſich vor Allem ihrer vergifteten Pfeile und,
wenn es Noth thut, auch ihrer Lanzen, um den Löwen zu erlegen.
Während meiner Anweſenheit in Südnubien fand ein höchſt merkwürdiger Jagdkampf mit einem
Löwen bei Berber oder Mucheref ſtatt. Das königliche Thier hatte in der Nähe der Stadt die
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/264>, abgerufen am 22.11.2024.
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