Übrigens habe ich in den Urwäldern Afrikas die Ziegen mit großer Geschicklichkeit auch an schiefen Stämmen hinan und auf dem Gezweig der Bäume herumklettern sehen.
Man sollte nicht meinen, daß die Vögel auch in dieser Bewegung die Säugethiere wenigstens in einer Hinsicht überträfen. Ein Eichhörnchen "reitet" allerdings schneller an einem Stamme hinan, als ein Specht, keineswegs aber auch so behend und zierlich kopfunterst an dem Stamme hinab, wie die Spechtmeise (Sitta), mit welcher hierin nur die Eidechsen, namentlich die Geckos, wetteifern können. Die Affen, Katzen und Eichhörnchen und einige marder artige Thiere gehen zwar auch in der genannten Richtung nach unten: sie klettern aber nicht, sondern rutschen und können sich, wenn sie einmal in Bewegung gekommen sind, keineswegs so ohne alle Umstände auf derselben Stelle erhalten, wie der erwähnte Vogel. Dagegen steht die Wiedergabe derselben Grundform in einer andern Klasse, ich meine den Vogelaffen Papagei, weit hinter seinem Vorbilde zurück. Er stümpert nur, wo jener voll- kommen Künstler ist.
Das Flattern der Säugethiere, welches oft schon mit Unrecht "Fliegen" genannt ward, lehrt uns eine andere Bewegungsart unserer Klasse kennen. Es läßt sich in ihr allerdings eine Steigerung wahr- nehmen, doch bleibt diese Bewegung immer nur bei dem Anfang, bei dem Versuch stehen und gelangt nie zur Vollendung. An den Flugeichhöruchen und Flugbeutlern sehen wir die Anfänger in dieser Fertigkeit. Sie benutzen die zwischen ihren Beinen ausgespannte Haut eben nur als Fallschirm, wenn sie aus der Höhe in die Tiefe hinabspringen wollen, und sind nicht im Stande, sich durch Bewegen dieser Haut in freier Luft zu erheben. Auch die Flattermakis, welche Uebergangsglieder von den Äffern zu den Fledermäusen sind, vermögen nicht, etwas Anderes zu leisten. Einzig und allein die wahren Fledermäuse sind befähigt, mit Hilfe der Flughaut, welche zwischen ihren Gliedmaßen und zumal zwi- schen ihren unmäßig verlängerten Fingern sich ausspannt, in der Luft sich zu bewegen. Das geschieht, indem sie mit der ausgespannten Flughaut schief auf die Luft schlagen und sich dadurch heben und zugleich fördern. Es scheint, als ob ihr sogenanntes Fliegen sehr leicht von Statten ginge. Sie machen so schnelle und jähe Wendungen, daß sie blos von einem recht tüchtigen Schützen im Fluge erlegt werden können; sie streichen flatternd rasch eine Strecke weit fort und heben und senken sich gewandt und schnell. Und dennoch ist diese Bewegung kein Flug, sondern nur ein schwerfälliges Sich-Dahinwälzen, ein Kriechen durch die Luft. Jeder Windhauch stört das Flattern der Fledermans, ein Sturm macht es unmöglich! Der Grund hiervon ist leicht zu erkennen. Die Flughaut ist eine Fläche, welche nicht wie der Vogelflügel bald den Durchzug der Luft verwehrt, bald aber erlaubt, sondern bei jeder Bewegung Widerstand verursacht. Wenn nun auch das Flugwerkzeug des Säugethieres beim Heben etwas verklei- nert wird, bleibt der größere Widerstand doch fühlbar und drückt das Thier wieder etwas nach unten; der Niederschlag hebt es, der Aufzug senkt es: es muß flattern! Wie ganz anders ist der Flug des Vogels! "Er ist die köstlichste, erhabenste aller Bewegungen. Bald ist er ein geruhiges Schweben, bald ein pfeilschnelles Stürmen, bald ein Wiegen, Schaukeln, Spielen, bald ein Gleiten, Dahinschießen, ernstes Eilen, bald ein Reisen mit Gedankenschnelle, bald ein Lustwandeln, langsam, gemächlich; bald rauschen die Wellen des Aethermeeres unter ihm, bald hört man keinen Laut, auch nicht den geringsten, leisesten; bald erfordert er schwere Flügelschläge, bald keine einzige Flügelbewegung; bald erhebt er den Vogel zu Höhen, von denen uns Menschen nur träumt, bald nähert er ihn der Tiefe, dem Meere, daß dessen Wogen die Fittige netzen mit ihrem Schaume." Er kann so manchfaltig, so verschieden sein, als er nur will: immer bleibt und immer heißt er Flug. Blos das Flugwerkzeug des Vogels nennen wir Flügel; nur mit ihm begabt der Künstlergedanke die entfesselte Seele -- mit der Flughaut der Fledermaus verhäß- licht er den Teufel, die tollste Mißgeburt des krankhaften Wahns. Mag auch die nächtliche Lebensweise der Fledermäuse den ersten Gedanken zu solchen Einbildungen gegeben haben: die Form, die Gestalt der Flughaut ist maßgebend gewesen. Und weil solche Flatterhaut nun gerade dem aus der Höhe zur Tiefe gestürzten Engel verliehen wurde, während der nach oben schwebende Bote des Himmels die Schwinge erhielt: deutet Dies sinnbildlich darauf hin, daß die unbewußte Dichterseele des Künstlers wenigstens die eine Wahrheit ahnte: Nur der Vogel ist erdfrei geworden, -- das Säugethier hängt auch mit Flügelgedanken noch an der Scholle!
Hierbei ist aber noch Eins zu bedeuken. Der allervollendetste Flieger, der Segler allein, nur er, welcher so recht eigentlich der Höhe angehört, ist mit der erlangten Erdfreiheit auch fremd auf der Erde geworden: der Flatterer ist es stets. Jedes Flattersäugethier ist ein trauriges Mittelding
Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
Übrigens habe ich in den Urwäldern Afrikas die Ziegen mit großer Geſchicklichkeit auch an ſchiefen Stämmen hinan und auf dem Gezweig der Bäume herumklettern ſehen.
Man ſollte nicht meinen, daß die Vögel auch in dieſer Bewegung die Säugethiere wenigſtens in einer Hinſicht überträfen. Ein Eichhörnchen „reitet‟ allerdings ſchneller an einem Stamme hinan, als ein Specht, keineswegs aber auch ſo behend und zierlich kopfunterſt an dem Stamme hinab, wie die Spechtmeiſe (Sitta), mit welcher hierin nur die Eidechſen, namentlich die Geckos, wetteifern können. Die Affen, Katzen und Eichhörnchen und einige marder artige Thiere gehen zwar auch in der genannten Richtung nach unten: ſie klettern aber nicht, ſondern rutſchen und können ſich, wenn ſie einmal in Bewegung gekommen ſind, keineswegs ſo ohne alle Umſtände auf derſelben Stelle erhalten, wie der erwähnte Vogel. Dagegen ſteht die Wiedergabe derſelben Grundform in einer andern Klaſſe, ich meine den Vogelaffen Papagei, weit hinter ſeinem Vorbilde zurück. Er ſtümpert nur, wo jener voll- kommen Künſtler iſt.
Das Flattern der Säugethiere, welches oft ſchon mit Unrecht „Fliegen‟ genannt ward, lehrt uns eine andere Bewegungsart unſerer Klaſſe kennen. Es läßt ſich in ihr allerdings eine Steigerung wahr- nehmen, doch bleibt dieſe Bewegung immer nur bei dem Anfang, bei dem Verſuch ſtehen und gelangt nie zur Vollendung. An den Flugeichhöruchen und Flugbeutlern ſehen wir die Anfänger in dieſer Fertigkeit. Sie benutzen die zwiſchen ihren Beinen ausgeſpannte Haut eben nur als Fallſchirm, wenn ſie aus der Höhe in die Tiefe hinabſpringen wollen, und ſind nicht im Stande, ſich durch Bewegen dieſer Haut in freier Luft zu erheben. Auch die Flattermakis, welche Uebergangsglieder von den Äffern zu den Fledermäuſen ſind, vermögen nicht, etwas Anderes zu leiſten. Einzig und allein die wahren Fledermäuſe ſind befähigt, mit Hilfe der Flughaut, welche zwiſchen ihren Gliedmaßen und zumal zwi- ſchen ihren unmäßig verlängerten Fingern ſich ausſpannt, in der Luft ſich zu bewegen. Das geſchieht, indem ſie mit der ausgeſpannten Flughaut ſchief auf die Luft ſchlagen und ſich dadurch heben und zugleich fördern. Es ſcheint, als ob ihr ſogenanntes Fliegen ſehr leicht von Statten ginge. Sie machen ſo ſchnelle und jähe Wendungen, daß ſie blos von einem recht tüchtigen Schützen im Fluge erlegt werden können; ſie ſtreichen flatternd raſch eine Strecke weit fort und heben und ſenken ſich gewandt und ſchnell. Und dennoch iſt dieſe Bewegung kein Flug, ſondern nur ein ſchwerfälliges Sich-Dahinwälzen, ein Kriechen durch die Luft. Jeder Windhauch ſtört das Flattern der Fledermans, ein Sturm macht es unmöglich! Der Grund hiervon iſt leicht zu erkennen. Die Flughaut iſt eine Fläche, welche nicht wie der Vogelflügel bald den Durchzug der Luft verwehrt, bald aber erlaubt, ſondern bei jeder Bewegung Widerſtand verurſacht. Wenn nun auch das Flugwerkzeug des Säugethieres beim Heben etwas verklei- nert wird, bleibt der größere Widerſtand doch fühlbar und drückt das Thier wieder etwas nach unten; der Niederſchlag hebt es, der Aufzug ſenkt es: es muß flattern! Wie ganz anders iſt der Flug des Vogels! „Er iſt die köſtlichſte, erhabenſte aller Bewegungen. Bald iſt er ein geruhiges Schweben, bald ein pfeilſchnelles Stürmen, bald ein Wiegen, Schaukeln, Spielen, bald ein Gleiten, Dahinſchießen, ernſtes Eilen, bald ein Reiſen mit Gedankenſchnelle, bald ein Luſtwandeln, langſam, gemächlich; bald rauſchen die Wellen des Aethermeeres unter ihm, bald hört man keinen Laut, auch nicht den geringſten, leiſeſten; bald erfordert er ſchwere Flügelſchläge, bald keine einzige Flügelbewegung; bald erhebt er den Vogel zu Höhen, von denen uns Menſchen nur träumt, bald nähert er ihn der Tiefe, dem Meere, daß deſſen Wogen die Fittige netzen mit ihrem Schaume.‟ Er kann ſo manchfaltig, ſo verſchieden ſein, als er nur will: immer bleibt und immer heißt er Flug. Blos das Flugwerkzeug des Vogels nennen wir Flügel; nur mit ihm begabt der Künſtlergedanke die entfeſſelte Seele — mit der Flughaut der Fledermaus verhäß- licht er den Teufel, die tollſte Mißgeburt des krankhaften Wahns. Mag auch die nächtliche Lebensweiſe der Fledermäuſe den erſten Gedanken zu ſolchen Einbildungen gegeben haben: die Form, die Geſtalt der Flughaut iſt maßgebend geweſen. Und weil ſolche Flatterhaut nun gerade dem aus der Höhe zur Tiefe geſtürzten Engel verliehen wurde, während der nach oben ſchwebende Bote des Himmels die Schwinge erhielt: deutet Dies ſinnbildlich darauf hin, daß die unbewußte Dichterſeele des Künſtlers wenigſtens die eine Wahrheit ahnte: Nur der Vogel iſt erdfrei geworden, — das Säugethier hängt auch mit Flügelgedanken noch an der Scholle!
Hierbei iſt aber noch Eins zu bedeuken. Der allervollendetſte Flieger, der Segler allein, nur er, welcher ſo recht eigentlich der Höhe angehört, iſt mit der erlangten Erdfreiheit auch fremd auf der Erde geworden: der Flatterer iſt es ſtets. Jedes Flatterſäugethier iſt ein trauriges Mittelding
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[XVIII[XVIII]/0028]
Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
Übrigens habe ich in den Urwäldern Afrikas die Ziegen mit großer Geſchicklichkeit auch an ſchiefen
Stämmen hinan und auf dem Gezweig der Bäume herumklettern ſehen.
Man ſollte nicht meinen, daß die Vögel auch in dieſer Bewegung die Säugethiere wenigſtens
in einer Hinſicht überträfen. Ein Eichhörnchen „reitet‟ allerdings ſchneller an einem Stamme hinan,
als ein Specht, keineswegs aber auch ſo behend und zierlich kopfunterſt an dem Stamme hinab, wie die
Spechtmeiſe (Sitta), mit welcher hierin nur die Eidechſen, namentlich die Geckos, wetteifern
können. Die Affen, Katzen und Eichhörnchen und einige marder artige Thiere gehen zwar auch
in der genannten Richtung nach unten: ſie klettern aber nicht, ſondern rutſchen und können ſich, wenn
ſie einmal in Bewegung gekommen ſind, keineswegs ſo ohne alle Umſtände auf derſelben Stelle erhalten,
wie der erwähnte Vogel. Dagegen ſteht die Wiedergabe derſelben Grundform in einer andern Klaſſe, ich
meine den Vogelaffen Papagei, weit hinter ſeinem Vorbilde zurück. Er ſtümpert nur, wo jener voll-
kommen Künſtler iſt.
Das Flattern der Säugethiere, welches oft ſchon mit Unrecht „Fliegen‟ genannt ward, lehrt
uns eine andere Bewegungsart unſerer Klaſſe kennen. Es läßt ſich in ihr allerdings eine Steigerung wahr-
nehmen, doch bleibt dieſe Bewegung immer nur bei dem Anfang, bei dem Verſuch ſtehen und gelangt nie
zur Vollendung. An den Flugeichhöruchen und Flugbeutlern ſehen wir die Anfänger in dieſer
Fertigkeit. Sie benutzen die zwiſchen ihren Beinen ausgeſpannte Haut eben nur als Fallſchirm, wenn
ſie aus der Höhe in die Tiefe hinabſpringen wollen, und ſind nicht im Stande, ſich durch Bewegen dieſer
Haut in freier Luft zu erheben. Auch die Flattermakis, welche Uebergangsglieder von den Äffern
zu den Fledermäuſen ſind, vermögen nicht, etwas Anderes zu leiſten. Einzig und allein die wahren
Fledermäuſe ſind befähigt, mit Hilfe der Flughaut, welche zwiſchen ihren Gliedmaßen und zumal zwi-
ſchen ihren unmäßig verlängerten Fingern ſich ausſpannt, in der Luft ſich zu bewegen. Das geſchieht,
indem ſie mit der ausgeſpannten Flughaut ſchief auf die Luft ſchlagen und ſich dadurch heben und zugleich
fördern. Es ſcheint, als ob ihr ſogenanntes Fliegen ſehr leicht von Statten ginge. Sie machen ſo
ſchnelle und jähe Wendungen, daß ſie blos von einem recht tüchtigen Schützen im Fluge erlegt werden
können; ſie ſtreichen flatternd raſch eine Strecke weit fort und heben und ſenken ſich gewandt und ſchnell.
Und dennoch iſt dieſe Bewegung kein Flug, ſondern nur ein ſchwerfälliges Sich-Dahinwälzen, ein
Kriechen durch die Luft. Jeder Windhauch ſtört das Flattern der Fledermans, ein Sturm macht es
unmöglich! Der Grund hiervon iſt leicht zu erkennen. Die Flughaut iſt eine Fläche, welche nicht wie
der Vogelflügel bald den Durchzug der Luft verwehrt, bald aber erlaubt, ſondern bei jeder Bewegung
Widerſtand verurſacht. Wenn nun auch das Flugwerkzeug des Säugethieres beim Heben etwas verklei-
nert wird, bleibt der größere Widerſtand doch fühlbar und drückt das Thier wieder etwas nach unten;
der Niederſchlag hebt es, der Aufzug ſenkt es: es muß flattern! Wie ganz anders iſt der Flug des
Vogels! „Er iſt die köſtlichſte, erhabenſte aller Bewegungen. Bald iſt er ein geruhiges Schweben, bald
ein pfeilſchnelles Stürmen, bald ein Wiegen, Schaukeln, Spielen, bald ein Gleiten, Dahinſchießen, ernſtes
Eilen, bald ein Reiſen mit Gedankenſchnelle, bald ein Luſtwandeln, langſam, gemächlich; bald rauſchen
die Wellen des Aethermeeres unter ihm, bald hört man keinen Laut, auch nicht den geringſten, leiſeſten;
bald erfordert er ſchwere Flügelſchläge, bald keine einzige Flügelbewegung; bald erhebt er den Vogel zu
Höhen, von denen uns Menſchen nur träumt, bald nähert er ihn der Tiefe, dem Meere, daß deſſen Wogen
die Fittige netzen mit ihrem Schaume.‟ Er kann ſo manchfaltig, ſo verſchieden ſein, als er nur will:
immer bleibt und immer heißt er Flug. Blos das Flugwerkzeug des Vogels nennen wir Flügel; nur
mit ihm begabt der Künſtlergedanke die entfeſſelte Seele — mit der Flughaut der Fledermaus verhäß-
licht er den Teufel, die tollſte Mißgeburt des krankhaften Wahns. Mag auch die nächtliche Lebensweiſe
der Fledermäuſe den erſten Gedanken zu ſolchen Einbildungen gegeben haben: die Form, die Geſtalt der
Flughaut iſt maßgebend geweſen. Und weil ſolche Flatterhaut nun gerade dem aus der Höhe zur Tiefe
geſtürzten Engel verliehen wurde, während der nach oben ſchwebende Bote des Himmels die Schwinge
erhielt: deutet Dies ſinnbildlich darauf hin, daß die unbewußte Dichterſeele des Künſtlers wenigſtens
die eine Wahrheit ahnte: Nur der Vogel iſt erdfrei geworden, — das Säugethier hängt auch
mit Flügelgedanken noch an der Scholle!
Hierbei iſt aber noch Eins zu bedeuken. Der allervollendetſte Flieger, der Segler allein,
nur er, welcher ſo recht eigentlich der Höhe angehört, iſt mit der erlangten Erdfreiheit auch fremd auf
der Erde geworden: der Flatterer iſt es ſtets. Jedes Flatterſäugethier iſt ein trauriges Mittelding
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XVIII[XVIII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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