Als echte Katze verfolgt der Tiger eine einmal verfehlte Beute nicht weiter, sondern kehrt grollend und brummend nach dem vergeblichen Sprunge in die Dschungeln zurück und sucht sich einen neuen Platz zur Lauer aus. Man sagt, daß blos die schnellfüßigen Hirsche und die achtsamen Pferde oder Wildesel zuweilen Gelegenheit finden, diese Thatsache zu erproben. Doch sind wirklich ein paar Fälle bekannt, daß sich auch Menschen vor einem auf sie anspringenden Tiger unversehrt gerettet haben.
Ebenso selten als die Rettung aus den Klauen des Tigers, sind die Fälle, in welchen sich derselbe vor dem Menschen zurückzieht, ohne überhaupt einen Angriff zu machen. Uebersättigung und damit zusammenhängende Faulheit sind die gewöhnlichen Ursachen eines solchen Rückzugs; zuweilen läßt auch der Schreck den Tiger seine Stärke vergessen. Am allerschlimmsten sind jedenfalls die Leute daran, welche nur von dem Ertrag der Wälder leben müssen, z. B. die Hirten oder die Sammler des Sandelholzes. Erstere müssen nicht nur in beständiger Sorge um ihre Herden, sondern auch um sich selbst sein, und von diesen verliert bei weitem der größte Theil durch den Tiger das Leben. Un- glückliche Mütter setzen, wenn sie sich von Tigern bedroht sehen, ohne auf die Hilfe ihrer Männer rechnen zu können, ihre unmündigen Kinder als Opfer in den Wald und hoffen, dadurch ihre eigne Rettung zu erlangen, ein Mittel der Abwehr, zu welchem gewiß blos die Verzweiflung greifen kann. Auch die Briefträger leben in beständiger Gefahr. Forbes berichtet, daß die Briefboten, welche nachts das Felleisen durch die Wälder tragen, ohne ihr Geleit von Lanzen- und Fackelträgern, sowie durch den Lärm von den Trommeln, welche beständig gerührt werden, nie sicher seien, und ungeachtet dieser Begleitung noch immer oft genug weggeschleppt würden. An den beschwerlichen Uebergängen des Gumeahstromes in Guzerate wurden einmal vierzehn Tage lang diese Briefträger regelmäßig weggeschleppt; einmal sogar, anstatt eines Menschen, das Felleisen. Jn dem Engpasse Kutkum- Sandi lag eine Tigerin auf der Lauer und erwürgte mehrere Monate hindurch jeden Tag Menschen, unter welchen wohl ein Dutzend Briefträger waren. Dieses eine Thier hatte allmählich fast alle Ver- bindungen der Präsidentschaft mit den oberen Provinzen unterbrochen, so daß sich die Regierung ver- anlaßt sah, einen bedeutenden Preis auf seine Erlegung zu setzen. Sie that es aber vergebens; denn Niemand wollte sich an das Unthier wagen.
Bei großem Hunger scheut der Tiger selbst das Feuer nicht, sondern springt mitten unter die Lagerfeuer und holt sich dort einen Menschen weg. -- Ein Tiger in Java brach sogar nachts durch das Dach einer Hütte ein und packte einen von den acht Javanesen, welche dort um ein Feuer saßen, erwürgte ihn und schleppte ihn ungeachtet des Geschreis der Uebrigen auf demselben Wege, den er ge- kommen war, mit sich fort.
Auf der Jnsel Singapore ist nach Berthold Schumann die Zahl der Tiger sehr groß, und es vergeht kaum eine Woche, wo nicht mehrere Leute getödtet werden. Jn den verrufensten Tiger- gegenden hat deshalb gegenwärtig die Regierung die Wälder zu beiden Seiten der Straßen aushauen und an gewissen Ruheplätzen ringsum den Wald ausbrennen lassen, um die Schlupfwinkel der Tiger zu zerstören. Und sobald diese Vorsichtsmaßregel zu erneuern vergessen wird und das hohe Gras wieder jene Stellen bedeckt, siedeln sich die Tiger auch wieder an und rauben nach wie vor.
Ebensowenig als das Feuer den Tiger schreckt, hält ihn das Wasser ab, sich seiner ausersehenen Beute zu bemächtigen; denn mehr als ein Reisender berichtet, daß er Augenzeuge war, wie die Tiger sich in die Ströme stürzten und auf Kähne zuschwammen, um einen der Ruderer von dort herauszureißen.
Möckern schiffte mit seinem Freunde Tirer von Caleutta nach der Jnsel Sangar. Ehe noch das Ziel erreicht worden war, stieg Letzterer an das Land, ging vorwärts und bemerkte einen Tiger. Augenblicklich floh er zum Flusse zurück und sprang, da ihm der Tiger nachsetzte, in die Wellen und suchte sein Heil in der Flucht, denn er war ein vorzüglicher Schwimmer. Der Tiger sprang ebenfalls ins Wasser, schwamm hinter ihm her und kam ihm näher und näher. Tirer, welcher das Tauchen ebenfalls vorzüglich verstand, suchte jetzt seine Rettung unter der Oberfläche des Wassers und schwamm, soweit er konnte, tief im Strome dahin. Als er wieder auftauchte, sah er denn auch mit Freuden, daß
Die Raubthiere. Katzen. — Tiger.
Als echte Katze verfolgt der Tiger eine einmal verfehlte Beute nicht weiter, ſondern kehrt grollend und brummend nach dem vergeblichen Sprunge in die Dſchungeln zurück und ſucht ſich einen neuen Platz zur Lauer aus. Man ſagt, daß blos die ſchnellfüßigen Hirſche und die achtſamen Pferde oder Wildeſel zuweilen Gelegenheit finden, dieſe Thatſache zu erproben. Doch ſind wirklich ein paar Fälle bekannt, daß ſich auch Menſchen vor einem auf ſie anſpringenden Tiger unverſehrt gerettet haben.
Ebenſo ſelten als die Rettung aus den Klauen des Tigers, ſind die Fälle, in welchen ſich derſelbe vor dem Menſchen zurückzieht, ohne überhaupt einen Angriff zu machen. Ueberſättigung und damit zuſammenhängende Faulheit ſind die gewöhnlichen Urſachen eines ſolchen Rückzugs; zuweilen läßt auch der Schreck den Tiger ſeine Stärke vergeſſen. Am allerſchlimmſten ſind jedenfalls die Leute daran, welche nur von dem Ertrag der Wälder leben müſſen, z. B. die Hirten oder die Sammler des Sandelholzes. Erſtere müſſen nicht nur in beſtändiger Sorge um ihre Herden, ſondern auch um ſich ſelbſt ſein, und von dieſen verliert bei weitem der größte Theil durch den Tiger das Leben. Un- glückliche Mütter ſetzen, wenn ſie ſich von Tigern bedroht ſehen, ohne auf die Hilfe ihrer Männer rechnen zu können, ihre unmündigen Kinder als Opfer in den Wald und hoffen, dadurch ihre eigne Rettung zu erlangen, ein Mittel der Abwehr, zu welchem gewiß blos die Verzweiflung greifen kann. Auch die Briefträger leben in beſtändiger Gefahr. Forbes berichtet, daß die Briefboten, welche nachts das Felleiſen durch die Wälder tragen, ohne ihr Geleit von Lanzen- und Fackelträgern, ſowie durch den Lärm von den Trommeln, welche beſtändig gerührt werden, nie ſicher ſeien, und ungeachtet dieſer Begleitung noch immer oft genug weggeſchleppt würden. An den beſchwerlichen Uebergängen des Gumeahſtromes in Guzerate wurden einmal vierzehn Tage lang dieſe Briefträger regelmäßig weggeſchleppt; einmal ſogar, anſtatt eines Menſchen, das Felleiſen. Jn dem Engpaſſe Kutkum- Sandi lag eine Tigerin auf der Lauer und erwürgte mehrere Monate hindurch jeden Tag Menſchen, unter welchen wohl ein Dutzend Briefträger waren. Dieſes eine Thier hatte allmählich faſt alle Ver- bindungen der Präſidentſchaft mit den oberen Provinzen unterbrochen, ſo daß ſich die Regierung ver- anlaßt ſah, einen bedeutenden Preis auf ſeine Erlegung zu ſetzen. Sie that es aber vergebens; denn Niemand wollte ſich an das Unthier wagen.
Bei großem Hunger ſcheut der Tiger ſelbſt das Feuer nicht, ſondern ſpringt mitten unter die Lagerfeuer und holt ſich dort einen Menſchen weg. — Ein Tiger in Java brach ſogar nachts durch das Dach einer Hütte ein und packte einen von den acht Javaneſen, welche dort um ein Feuer ſaßen, erwürgte ihn und ſchleppte ihn ungeachtet des Geſchreis der Uebrigen auf demſelben Wege, den er ge- kommen war, mit ſich fort.
Auf der Jnſel Singapore iſt nach Berthold Schumann die Zahl der Tiger ſehr groß, und es vergeht kaum eine Woche, wo nicht mehrere Leute getödtet werden. Jn den verrufenſten Tiger- gegenden hat deshalb gegenwärtig die Regierung die Wälder zu beiden Seiten der Straßen aushauen und an gewiſſen Ruheplätzen ringsum den Wald ausbrennen laſſen, um die Schlupfwinkel der Tiger zu zerſtören. Und ſobald dieſe Vorſichtsmaßregel zu erneuern vergeſſen wird und das hohe Gras wieder jene Stellen bedeckt, ſiedeln ſich die Tiger auch wieder an und rauben nach wie vor.
Ebenſowenig als das Feuer den Tiger ſchreckt, hält ihn das Waſſer ab, ſich ſeiner auserſehenen Beute zu bemächtigen; denn mehr als ein Reiſender berichtet, daß er Augenzeuge war, wie die Tiger ſich in die Ströme ſtürzten und auf Kähne zuſchwammen, um einen der Ruderer von dort herauszureißen.
Möckern ſchiffte mit ſeinem Freunde Tirer von Caleutta nach der Jnſel Sangar. Ehe noch das Ziel erreicht worden war, ſtieg Letzterer an das Land, ging vorwärts und bemerkte einen Tiger. Augenblicklich floh er zum Fluſſe zurück und ſprang, da ihm der Tiger nachſetzte, in die Wellen und ſuchte ſein Heil in der Flucht, denn er war ein vorzüglicher Schwimmer. Der Tiger ſprang ebenfalls ins Waſſer, ſchwamm hinter ihm her und kam ihm näher und näher. Tirer, welcher das Tauchen ebenfalls vorzüglich verſtand, ſuchte jetzt ſeine Rettung unter der Oberfläche des Waſſers und ſchwamm, ſoweit er konnte, tief im Strome dahin. Als er wieder auftauchte, ſah er denn auch mit Freuden, daß
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[226/0290]
Die Raubthiere. Katzen. — Tiger.
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Platz zur Lauer aus. Man ſagt, daß blos die ſchnellfüßigen Hirſche und die achtſamen Pferde oder
Wildeſel zuweilen Gelegenheit finden, dieſe Thatſache zu erproben. Doch ſind wirklich ein paar Fälle
bekannt, daß ſich auch Menſchen vor einem auf ſie anſpringenden Tiger unverſehrt gerettet haben.
Ebenſo ſelten als die Rettung aus den Klauen des Tigers, ſind die Fälle, in welchen ſich derſelbe
vor dem Menſchen zurückzieht, ohne überhaupt einen Angriff zu machen. Ueberſättigung und damit
zuſammenhängende Faulheit ſind die gewöhnlichen Urſachen eines ſolchen Rückzugs; zuweilen läßt
auch der Schreck den Tiger ſeine Stärke vergeſſen. Am allerſchlimmſten ſind jedenfalls die Leute
daran, welche nur von dem Ertrag der Wälder leben müſſen, z. B. die Hirten oder die Sammler des
Sandelholzes. Erſtere müſſen nicht nur in beſtändiger Sorge um ihre Herden, ſondern auch um ſich
ſelbſt ſein, und von dieſen verliert bei weitem der größte Theil durch den Tiger das Leben. Un-
glückliche Mütter ſetzen, wenn ſie ſich von Tigern bedroht ſehen, ohne auf die Hilfe ihrer Männer
rechnen zu können, ihre unmündigen Kinder als Opfer in den Wald und hoffen, dadurch ihre eigne
Rettung zu erlangen, ein Mittel der Abwehr, zu welchem gewiß blos die Verzweiflung greifen kann.
Auch die Briefträger leben in beſtändiger Gefahr. Forbes berichtet, daß die Briefboten, welche
nachts das Felleiſen durch die Wälder tragen, ohne ihr Geleit von Lanzen- und Fackelträgern, ſowie
durch den Lärm von den Trommeln, welche beſtändig gerührt werden, nie ſicher ſeien, und ungeachtet
dieſer Begleitung noch immer oft genug weggeſchleppt würden. An den beſchwerlichen Uebergängen
des Gumeahſtromes in Guzerate wurden einmal vierzehn Tage lang dieſe Briefträger regelmäßig
weggeſchleppt; einmal ſogar, anſtatt eines Menſchen, das Felleiſen. Jn dem Engpaſſe Kutkum-
Sandi lag eine Tigerin auf der Lauer und erwürgte mehrere Monate hindurch jeden Tag Menſchen,
unter welchen wohl ein Dutzend Briefträger waren. Dieſes eine Thier hatte allmählich faſt alle Ver-
bindungen der Präſidentſchaft mit den oberen Provinzen unterbrochen, ſo daß ſich die Regierung ver-
anlaßt ſah, einen bedeutenden Preis auf ſeine Erlegung zu ſetzen. Sie that es aber vergebens; denn
Niemand wollte ſich an das Unthier wagen.
Bei großem Hunger ſcheut der Tiger ſelbſt das Feuer nicht, ſondern ſpringt mitten unter die
Lagerfeuer und holt ſich dort einen Menſchen weg. — Ein Tiger in Java brach ſogar nachts durch
das Dach einer Hütte ein und packte einen von den acht Javaneſen, welche dort um ein Feuer ſaßen,
erwürgte ihn und ſchleppte ihn ungeachtet des Geſchreis der Uebrigen auf demſelben Wege, den er ge-
kommen war, mit ſich fort.
Auf der Jnſel Singapore iſt nach Berthold Schumann die Zahl der Tiger ſehr groß, und
es vergeht kaum eine Woche, wo nicht mehrere Leute getödtet werden. Jn den verrufenſten Tiger-
gegenden hat deshalb gegenwärtig die Regierung die Wälder zu beiden Seiten der Straßen aushauen
und an gewiſſen Ruheplätzen ringsum den Wald ausbrennen laſſen, um die Schlupfwinkel der Tiger
zu zerſtören. Und ſobald dieſe Vorſichtsmaßregel zu erneuern vergeſſen wird und das hohe Gras
wieder jene Stellen bedeckt, ſiedeln ſich die Tiger auch wieder an und rauben nach wie vor.
Ebenſowenig als das Feuer den Tiger ſchreckt, hält ihn das Waſſer ab, ſich ſeiner auserſehenen
Beute zu bemächtigen; denn mehr als ein Reiſender berichtet, daß er Augenzeuge war, wie die
Tiger ſich in die Ströme ſtürzten und auf Kähne zuſchwammen, um einen der Ruderer von dort
herauszureißen.
Möckern ſchiffte mit ſeinem Freunde Tirer von Caleutta nach der Jnſel Sangar. Ehe noch
das Ziel erreicht worden war, ſtieg Letzterer an das Land, ging vorwärts und bemerkte einen Tiger.
Augenblicklich floh er zum Fluſſe zurück und ſprang, da ihm der Tiger nachſetzte, in die Wellen und
ſuchte ſein Heil in der Flucht, denn er war ein vorzüglicher Schwimmer. Der Tiger ſprang ebenfalls
ins Waſſer, ſchwamm hinter ihm her und kam ihm näher und näher. Tirer, welcher das Tauchen
ebenfalls vorzüglich verſtand, ſuchte jetzt ſeine Rettung unter der Oberfläche des Waſſers und ſchwamm,
ſoweit er konnte, tief im Strome dahin. Als er wieder auftauchte, ſah er denn auch mit Freuden, daß
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/290>, abgerufen am 22.11.2024.
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