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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Angriffe auf Menschen. Streifzüge.

Uebrigens scheinen die Unzen manchmal auch ihre besonders gute Laune zu haben. "Jn Altures,"
erzählt Humboldt, "hörten wir einen eigenen Zug von einem Jaguar: Zwei Kinder, ein Knabe und
ein Mädchen, von acht und neun Jahren hatten nahe beim Dorfe gespielt. Ein Jaguar war aus dem
Walde zu ihnen gekommen und war um sie herumgehüpft. Nach längerem Hin- und Herhüpfen schlug
er mit der einen Klaue den Knaben auf den Kopf, erst sanft, dann derber, so daß das Blut in Masse
ausströmte. Da das Mädchen Dies sah, ergriff sie einen Baumast, schlug damit auf das Thier ein
und brachte es so zur Flucht. Der Knabe hatte noch die Narben von den Wunden." Es scheint, als
habe hier der Jaguar mit den Kindern, wie die Katze mit den Mäusen gespielt. Die Schwäche der
Kinder hatte ihm wohl die Bertraulichkeit eingeflößt.

Aehnliche Fälle dürften jedoch außerordentlich selten sein. Jn der Ebene von Maynas ver-
streicht nach Pöppig kein Jahr ohne Verlust eines Menschenlebens. Die Unzen kommen bei hellem
Tage in die Ortschaften, um Hunde zu holen, welche ihre Lieblingsspeise bilden. Besonders berüchtigt
ist der Weg durch die dicken Wälder von Sapuosa bis Moyobamba, indem auf ihm innerhalb
eines Menschenalters gegen zwanzig Jndianer zerrissen worden sind, welche man als Fußboten ver-
sandt hatte. Jn einem dort gelegenen Meierhofe durften sich die Bewohner nach Sonnenuntergang
gar nicht mehr aus den Hütten wagen, und kurz vor Pöppigs Ankunft war ein Knabe lebensgefährlich
verwundet worden, welcher sich zu nahe an den starken Pfahlzaun des Hauses gelegt und deshalb eine
Unze veranlaßt hatte, ihre Tatze durch die Zwischenräume zu stecken und ihm ein großes Stück Fleisch
aus dem Schenkel zu reißen. Einer von Schomburgks Jndianern trug auf seiner Brust noch die
Narben, welche ihm die Zähne eines Jaguars verursacht hatten, der ihn, als er noch Knabe war, an
der Brust gepackt und fortgeschleppt, aber doch wieder losgelassen hatte, als seine Mutter mit dem
Wildmesser auf ihn losgestürzt war. Jn den Urwäldern am Ufer der peruanischen Anden wohnt nach
Tschudi die Unze am liebsten in der Nähe der Dörfer und umkreist sie allnächtlich, entführt auch
Hunde, Schweine und nicht selten Menschen. Weit entfernt, sich vor den letztern zu fürchten, stürzt sie
sich auf Einzelne und dringt, wenn der Hunger sie treibt, selbst bei Tage in die Walddörfer.

Die Furcht der Jndianer vor dem gefährlichen Räuber ist im allgemeinen sehr groß; doch ist es
vorgekommen, daß ein Jndianer, welcher in der Nacht sein einziges Schwein kläglich schreien hörte,
hinausging, und wie er da eine Unze sah, die sein Eigenthum bei dem Kopfe gepackt hatte, seinerseits
die Hinterfüße des Schweins ergriff und solange an diesen zog, bis die Weiber mit Feuerbränden
herbeieilten und den Jaguar vertrieben, der sich nun langsam und unter fürchterlichem Gebrüll zurück-
zog. -- Von dieser Unverschämtheit im Jagen könnte man noch weit mehr erzählen; doch scheinen mir
die mitgetheilten Beispiele vollkommen zu genügen.

Der Jaguar bleibt an ein und demselben Aufenthaltsorte, solange er dort Etwas erbeuten kann
und nicht gar zu sehr beunruhigt wird. Wird ihm die Nahrung knapp oder die Verfolgung Seitens
der Menschen zu arg, so verläßt er die Gegend und zieht in eine andere. Seine Wanderungen führt er
während der Nachtzeit aus. Er scheut sich dabei nicht, durch die bevölkertsten Gegenden zu streifen,
und raubt bei einzelnstehenden Hütten Hunde und Pferde weg, ohne sich viel um den Menschen zu
kümmern. Besonders die alten Jaguare nähern sich gern den Wohnungen, weil sie erfahrungsmäßig
wissen, daß sie dort leichter Nahrung finden, als in der Wildniß. Auf seinen Wanderungen oder auch
auf der Flucht hält den Jaguar selbst der breiteste Strom nicht auf. Er ist, wie Rengger versichert,
ein trefflicher Schwimmer und hebt dabei den Kopf und das ganze Rückgrat über die Oberfläche des
Wassers empor, so daß man ihn schon aus der Ferne von jedem andern schwimmenden Thiere unter-
scheiden kann. Fast schnurgerade setzt er über den bei anderthalb Stunden breiten Parana. Wenn
er aus dem Wasser steigt, sieht er sich zuerst um, schüttelt dann den ganzen Leib und nachher jede
Pfote für sich und setzt erst hierauf seinen Weg weiter fort.

Man sollte glauben, ein schwimmender Jaguar wäre leicht zu tödten, aber auch im Wasser ist er
noch furchtbar. Nur gewandte Kahnführer getrauen sich, ihn anzugreifen; denn sowie er sich verfolgt
sieht oder gar verwundet fühlt, wendet er sich sogleich gegen den Nachen. Gelingt es ihm, eine Kralle

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Angriffe auf Menſchen. Streifzüge.

Uebrigens ſcheinen die Unzen manchmal auch ihre beſonders gute Laune zu haben. „Jn Altures,
erzählt Humboldt, „hörten wir einen eigenen Zug von einem Jaguar: Zwei Kinder, ein Knabe und
ein Mädchen, von acht und neun Jahren hatten nahe beim Dorfe geſpielt. Ein Jaguar war aus dem
Walde zu ihnen gekommen und war um ſie herumgehüpft. Nach längerem Hin- und Herhüpfen ſchlug
er mit der einen Klaue den Knaben auf den Kopf, erſt ſanft, dann derber, ſo daß das Blut in Maſſe
ausſtrömte. Da das Mädchen Dies ſah, ergriff ſie einen Baumaſt, ſchlug damit auf das Thier ein
und brachte es ſo zur Flucht. Der Knabe hatte noch die Narben von den Wunden.‟ Es ſcheint, als
habe hier der Jaguar mit den Kindern, wie die Katze mit den Mäuſen geſpielt. Die Schwäche der
Kinder hatte ihm wohl die Bertraulichkeit eingeflößt.

Aehnliche Fälle dürften jedoch außerordentlich ſelten ſein. Jn der Ebene von Maynas ver-
ſtreicht nach Pöppig kein Jahr ohne Verluſt eines Menſchenlebens. Die Unzen kommen bei hellem
Tage in die Ortſchaften, um Hunde zu holen, welche ihre Lieblingsſpeiſe bilden. Beſonders berüchtigt
iſt der Weg durch die dicken Wälder von Sapuoſa bis Moyobamba, indem auf ihm innerhalb
eines Menſchenalters gegen zwanzig Jndianer zerriſſen worden ſind, welche man als Fußboten ver-
ſandt hatte. Jn einem dort gelegenen Meierhofe durften ſich die Bewohner nach Sonnenuntergang
gar nicht mehr aus den Hütten wagen, und kurz vor Pöppigs Ankunft war ein Knabe lebensgefährlich
verwundet worden, welcher ſich zu nahe an den ſtarken Pfahlzaun des Hauſes gelegt und deshalb eine
Unze veranlaßt hatte, ihre Tatze durch die Zwiſchenräume zu ſtecken und ihm ein großes Stück Fleiſch
aus dem Schenkel zu reißen. Einer von Schomburgks Jndianern trug auf ſeiner Bruſt noch die
Narben, welche ihm die Zähne eines Jaguars verurſacht hatten, der ihn, als er noch Knabe war, an
der Bruſt gepackt und fortgeſchleppt, aber doch wieder losgelaſſen hatte, als ſeine Mutter mit dem
Wildmeſſer auf ihn losgeſtürzt war. Jn den Urwäldern am Ufer der peruaniſchen Anden wohnt nach
Tſchudi die Unze am liebſten in der Nähe der Dörfer und umkreiſt ſie allnächtlich, entführt auch
Hunde, Schweine und nicht ſelten Menſchen. Weit entfernt, ſich vor den letztern zu fürchten, ſtürzt ſie
ſich auf Einzelne und dringt, wenn der Hunger ſie treibt, ſelbſt bei Tage in die Walddörfer.

Die Furcht der Jndianer vor dem gefährlichen Räuber iſt im allgemeinen ſehr groß; doch iſt es
vorgekommen, daß ein Jndianer, welcher in der Nacht ſein einziges Schwein kläglich ſchreien hörte,
hinausging, und wie er da eine Unze ſah, die ſein Eigenthum bei dem Kopfe gepackt hatte, ſeinerſeits
die Hinterfüße des Schweins ergriff und ſolange an dieſen zog, bis die Weiber mit Feuerbränden
herbeieilten und den Jaguar vertrieben, der ſich nun langſam und unter fürchterlichem Gebrüll zurück-
zog. — Von dieſer Unverſchämtheit im Jagen könnte man noch weit mehr erzählen; doch ſcheinen mir
die mitgetheilten Beiſpiele vollkommen zu genügen.

Der Jaguar bleibt an ein und demſelben Aufenthaltsorte, ſolange er dort Etwas erbeuten kann
und nicht gar zu ſehr beunruhigt wird. Wird ihm die Nahrung knapp oder die Verfolgung Seitens
der Menſchen zu arg, ſo verläßt er die Gegend und zieht in eine andere. Seine Wanderungen führt er
während der Nachtzeit aus. Er ſcheut ſich dabei nicht, durch die bevölkertſten Gegenden zu ſtreifen,
und raubt bei einzelnſtehenden Hütten Hunde und Pferde weg, ohne ſich viel um den Menſchen zu
kümmern. Beſonders die alten Jaguare nähern ſich gern den Wohnungen, weil ſie erfahrungsmäßig
wiſſen, daß ſie dort leichter Nahrung finden, als in der Wildniß. Auf ſeinen Wanderungen oder auch
auf der Flucht hält den Jaguar ſelbſt der breiteſte Strom nicht auf. Er iſt, wie Rengger verſichert,
ein trefflicher Schwimmer und hebt dabei den Kopf und das ganze Rückgrat über die Oberfläche des
Waſſers empor, ſo daß man ihn ſchon aus der Ferne von jedem andern ſchwimmenden Thiere unter-
ſcheiden kann. Faſt ſchnurgerade ſetzt er über den bei anderthalb Stunden breiten Parana. Wenn
er aus dem Waſſer ſteigt, ſieht er ſich zuerſt um, ſchüttelt dann den ganzen Leib und nachher jede
Pfote für ſich und ſetzt erſt hierauf ſeinen Weg weiter fort.

Man ſollte glauben, ein ſchwimmender Jaguar wäre leicht zu tödten, aber auch im Waſſer iſt er
noch furchtbar. Nur gewandte Kahnführer getrauen ſich, ihn anzugreifen; denn ſowie er ſich verfolgt
ſieht oder gar verwundet fühlt, wendet er ſich ſogleich gegen den Nachen. Gelingt es ihm, eine Kralle

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[243/0307] Angriffe auf Menſchen. Streifzüge. Uebrigens ſcheinen die Unzen manchmal auch ihre beſonders gute Laune zu haben. „Jn Altures,‟ erzählt Humboldt, „hörten wir einen eigenen Zug von einem Jaguar: Zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, von acht und neun Jahren hatten nahe beim Dorfe geſpielt. Ein Jaguar war aus dem Walde zu ihnen gekommen und war um ſie herumgehüpft. Nach längerem Hin- und Herhüpfen ſchlug er mit der einen Klaue den Knaben auf den Kopf, erſt ſanft, dann derber, ſo daß das Blut in Maſſe ausſtrömte. Da das Mädchen Dies ſah, ergriff ſie einen Baumaſt, ſchlug damit auf das Thier ein und brachte es ſo zur Flucht. Der Knabe hatte noch die Narben von den Wunden.‟ Es ſcheint, als habe hier der Jaguar mit den Kindern, wie die Katze mit den Mäuſen geſpielt. Die Schwäche der Kinder hatte ihm wohl die Bertraulichkeit eingeflößt. Aehnliche Fälle dürften jedoch außerordentlich ſelten ſein. Jn der Ebene von Maynas ver- ſtreicht nach Pöppig kein Jahr ohne Verluſt eines Menſchenlebens. Die Unzen kommen bei hellem Tage in die Ortſchaften, um Hunde zu holen, welche ihre Lieblingsſpeiſe bilden. Beſonders berüchtigt iſt der Weg durch die dicken Wälder von Sapuoſa bis Moyobamba, indem auf ihm innerhalb eines Menſchenalters gegen zwanzig Jndianer zerriſſen worden ſind, welche man als Fußboten ver- ſandt hatte. Jn einem dort gelegenen Meierhofe durften ſich die Bewohner nach Sonnenuntergang gar nicht mehr aus den Hütten wagen, und kurz vor Pöppigs Ankunft war ein Knabe lebensgefährlich verwundet worden, welcher ſich zu nahe an den ſtarken Pfahlzaun des Hauſes gelegt und deshalb eine Unze veranlaßt hatte, ihre Tatze durch die Zwiſchenräume zu ſtecken und ihm ein großes Stück Fleiſch aus dem Schenkel zu reißen. Einer von Schomburgks Jndianern trug auf ſeiner Bruſt noch die Narben, welche ihm die Zähne eines Jaguars verurſacht hatten, der ihn, als er noch Knabe war, an der Bruſt gepackt und fortgeſchleppt, aber doch wieder losgelaſſen hatte, als ſeine Mutter mit dem Wildmeſſer auf ihn losgeſtürzt war. Jn den Urwäldern am Ufer der peruaniſchen Anden wohnt nach Tſchudi die Unze am liebſten in der Nähe der Dörfer und umkreiſt ſie allnächtlich, entführt auch Hunde, Schweine und nicht ſelten Menſchen. Weit entfernt, ſich vor den letztern zu fürchten, ſtürzt ſie ſich auf Einzelne und dringt, wenn der Hunger ſie treibt, ſelbſt bei Tage in die Walddörfer. Die Furcht der Jndianer vor dem gefährlichen Räuber iſt im allgemeinen ſehr groß; doch iſt es vorgekommen, daß ein Jndianer, welcher in der Nacht ſein einziges Schwein kläglich ſchreien hörte, hinausging, und wie er da eine Unze ſah, die ſein Eigenthum bei dem Kopfe gepackt hatte, ſeinerſeits die Hinterfüße des Schweins ergriff und ſolange an dieſen zog, bis die Weiber mit Feuerbränden herbeieilten und den Jaguar vertrieben, der ſich nun langſam und unter fürchterlichem Gebrüll zurück- zog. — Von dieſer Unverſchämtheit im Jagen könnte man noch weit mehr erzählen; doch ſcheinen mir die mitgetheilten Beiſpiele vollkommen zu genügen. Der Jaguar bleibt an ein und demſelben Aufenthaltsorte, ſolange er dort Etwas erbeuten kann und nicht gar zu ſehr beunruhigt wird. Wird ihm die Nahrung knapp oder die Verfolgung Seitens der Menſchen zu arg, ſo verläßt er die Gegend und zieht in eine andere. Seine Wanderungen führt er während der Nachtzeit aus. Er ſcheut ſich dabei nicht, durch die bevölkertſten Gegenden zu ſtreifen, und raubt bei einzelnſtehenden Hütten Hunde und Pferde weg, ohne ſich viel um den Menſchen zu kümmern. Beſonders die alten Jaguare nähern ſich gern den Wohnungen, weil ſie erfahrungsmäßig wiſſen, daß ſie dort leichter Nahrung finden, als in der Wildniß. Auf ſeinen Wanderungen oder auch auf der Flucht hält den Jaguar ſelbſt der breiteſte Strom nicht auf. Er iſt, wie Rengger verſichert, ein trefflicher Schwimmer und hebt dabei den Kopf und das ganze Rückgrat über die Oberfläche des Waſſers empor, ſo daß man ihn ſchon aus der Ferne von jedem andern ſchwimmenden Thiere unter- ſcheiden kann. Faſt ſchnurgerade ſetzt er über den bei anderthalb Stunden breiten Parana. Wenn er aus dem Waſſer ſteigt, ſieht er ſich zuerſt um, ſchüttelt dann den ganzen Leib und nachher jede Pfote für ſich und ſetzt erſt hierauf ſeinen Weg weiter fort. Man ſollte glauben, ein ſchwimmender Jaguar wäre leicht zu tödten, aber auch im Waſſer iſt er noch furchtbar. Nur gewandte Kahnführer getrauen ſich, ihn anzugreifen; denn ſowie er ſich verfolgt ſieht oder gar verwundet fühlt, wendet er ſich ſogleich gegen den Nachen. Gelingt es ihm, eine Kralle 16*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/307>, abgerufen am 22.11.2024.