Narr. Wir dürfen die Ungutmüthigen doch nicht geradezu falsch nennen. Eigentlich falsche Katzen sind seltene Ausnahmen, deren es auch unter den Hunden giebt, wenn schon allerdings noch viel seltener. "Falscher Hund" ist doch für den Mann, wie "falsche Katze" fürs Weib eine Art Sprichwort. Was den Mensch falsch macht, das macht auch die vollkommeneren Thiere falsch."
"Jhre Liebeszeit ist interessant. Der Kater ist alsdann wild, die Weiber, die ihn aufsuchen, sitzen um ihn herum; er in der Mitte brummt seinen tiefen Baß hinzu, die Weiber singen Tenor, Alt, Diskant und alle möglichen Stimmen. Das Kouzert wird immer wilder. Zwischeninnen schlagen sie einander die Fäuste ins Gesicht, und eben die Weiber, die ihn doch aufgesucht haben, wollen keineswegs, daß er sich ihnen nahe. Er muß Alles erkämpfen. Jn mondhellen Nächten lärmen sie ärger, als die wildesten Nachtbuben."
Die Paarung der Hauskatze erfolgt gewöhnlich zweimal im Jahre; zuerst Ende Februar oder Anfang März, das zweite Mal zu Anfang des Juni. Fünfundfunfzig Tage nach der Paarung wirft sie fünf bis sechs Junge, welche blind geboren werden und erst am neunten Tage sehen lernen. Gewöhnlich erfolgt der erste Wurf Ende Aprils oder anfangs Mai, der zweite anfangs August. Die Mutter sucht vorher immer einen verborgenen Ort auf, meist den Heuboden oder nicht gebrauchte Betten, und hält ihre Jungen so lange als möglich verborgen, namentlich aber vor dem Kater, welcher dieselben auffrißt, sobald er sie entdeckt. Merkt sie Gefahr, so trägt sie die Thierchen im Maule nach einem andern Orte. -- Die jungen Kätzchen sind außerordentlich hübsche, schmucke Thierchen. "Jhre erste Stimme," sagt Scheitlin, "ist auffallend zart; sie deutet auf sehr viel Kindisches. Sehr unruhig, wie sie sind, kriechen sie zuweilen noch blind aus dem Neste. Die Mutter holt sie wieder herein. Wenn nur ein Aeuglein geöffnet ist, ist ihres Bleibens nicht mehr, und sie kriechen überall in der Nähe herum, immer miauend. Sogleich fangen sie mit allem Rollenden, Laufenden, Schleichenden, Flatternden zu tändeln an; es ist der erste Anfang des Triebes, Mäuse und Vögel zu fangen. Sie spielen mit dem stets wedelnden Schwanze der Mutter und mit ihrem eigenen, wenn er so lang gewachsen, daß die Vorderpfote sein Ende erreichen kann; sie beißen auch hinein und merken zuerst nicht, daß er auch noch zu ihrem Körper, auch noch zu ihnen gehöre, sowie das Menschenkind in die zum Munde heraufgebogenen Zehen beißt, weil es sie für etwas ihnen Fremdes hält. Sie machen die sonderbarsten Sprünge und die artigsten Wendungen. Jhr Thun und Spielen, in welchem sie sich wie Kinder und als Kinder selbst unaussprechlich wohlgefallen, kann sie und die ihnen wohlwollenden Menschen stundenlang beschäftigen. Sobald ihre Augen aufgethan sind, können sie auch Gutes und Böses, d. h. Freund und Feind, unter- scheiden. Geht ein Hund sie bellend an, so machen sie schon einen Buckel und speien ihn an. Sie werden als kleine Löwen geboren."
Der Mutter Liebe zu den Jungen ist großartig. Sie bereitet den noch Ungebornen ein Nest und trägt sie augenblicklich von einem Orte zum andern, sowie sie Gefahr für sie fürchtet; dabei faßt sie zart nur mit den Lippen ihre Haut im Genick an und trägt sie so sanft dahin, daß die Miezchen davon kaum Etwas merken. Während sie säugt, verläßt sie die Kinder blos, um für sich und sie Nahrung zu holen. Manche Katzen wissen mit ihren ersten Jungen nicht umzugehen, und es muß ihnen von den Menschen oder von alten Katzen erst förmlich gezeigt werden, wie sie sich zu benehmen haben. Mir hat ein sehr glaubwürdiger Mann versichert, daß er selbst gesehen habe, wie eine alte Katze einer jüngern während ihrer ersten Geburt behilflich war, indem sie die Nabelschnuren der Jungen abbiß und anstatt der unkundigen Mutter sie auch gleich beleckte und erwärmte. Eine andere Katze hatte sich gewöhnt, die Mäuschen, welche sie gefangen hatte, immer am Schwanze zu tragen, und wandte diese Art der Fortschaffung später auch bei den ersten ihrer eigenen Jungen an. Dabei ging es aber nicht so gut, wie bei den Mäuschen; denn die jungen Kätzchen klammerten sich am Boden fest und verhinderten so die Alte, sie fortzuschaffen. Die Herrin der Wöchnerin zeigte ihr, wie sie ihre Kinder zu behandeln habe. Sie begriff das natürlich augenblicklich und trug später ihre Kätzchen immer, wie andere Katzen sie tragen. -- Daß alle Katzen mit der Zeit viel besser lernen, wie sie ihre Kinder zu behandeln haben, ist eine ausgemachte Thatsache.
Narr. Wir dürfen die Ungutmüthigen doch nicht geradezu falſch nennen. Eigentlich falſche Katzen ſind ſeltene Ausnahmen, deren es auch unter den Hunden giebt, wenn ſchon allerdings noch viel ſeltener. „Falſcher Hund‟ iſt doch für den Mann, wie „falſche Katze‟ fürs Weib eine Art Sprichwort. Was den Menſch falſch macht, das macht auch die vollkommeneren Thiere falſch.‟
„Jhre Liebeszeit iſt intereſſant. Der Kater iſt alsdann wild, die Weiber, die ihn aufſuchen, ſitzen um ihn herum; er in der Mitte brummt ſeinen tiefen Baß hinzu, die Weiber ſingen Tenor, Alt, Diskant und alle möglichen Stimmen. Das Kouzert wird immer wilder. Zwiſcheninnen ſchlagen ſie einander die Fäuſte ins Geſicht, und eben die Weiber, die ihn doch aufgeſucht haben, wollen keineswegs, daß er ſich ihnen nahe. Er muß Alles erkämpfen. Jn mondhellen Nächten lärmen ſie ärger, als die wildeſten Nachtbuben.‟
Die Paarung der Hauskatze erfolgt gewöhnlich zweimal im Jahre; zuerſt Ende Februar oder Anfang März, das zweite Mal zu Anfang des Juni. Fünfundfunfzig Tage nach der Paarung wirft ſie fünf bis ſechs Junge, welche blind geboren werden und erſt am neunten Tage ſehen lernen. Gewöhnlich erfolgt der erſte Wurf Ende Aprils oder anfangs Mai, der zweite anfangs Auguſt. Die Mutter ſucht vorher immer einen verborgenen Ort auf, meiſt den Heuboden oder nicht gebrauchte Betten, und hält ihre Jungen ſo lange als möglich verborgen, namentlich aber vor dem Kater, welcher dieſelben auffrißt, ſobald er ſie entdeckt. Merkt ſie Gefahr, ſo trägt ſie die Thierchen im Maule nach einem andern Orte. — Die jungen Kätzchen ſind außerordentlich hübſche, ſchmucke Thierchen. „Jhre erſte Stimme,‟ ſagt Scheitlin, „iſt auffallend zart; ſie deutet auf ſehr viel Kindiſches. Sehr unruhig, wie ſie ſind, kriechen ſie zuweilen noch blind aus dem Neſte. Die Mutter holt ſie wieder herein. Wenn nur ein Aeuglein geöffnet iſt, iſt ihres Bleibens nicht mehr, und ſie kriechen überall in der Nähe herum, immer miauend. Sogleich fangen ſie mit allem Rollenden, Laufenden, Schleichenden, Flatternden zu tändeln an; es iſt der erſte Anfang des Triebes, Mäuſe und Vögel zu fangen. Sie ſpielen mit dem ſtets wedelnden Schwanze der Mutter und mit ihrem eigenen, wenn er ſo lang gewachſen, daß die Vorderpfote ſein Ende erreichen kann; ſie beißen auch hinein und merken zuerſt nicht, daß er auch noch zu ihrem Körper, auch noch zu ihnen gehöre, ſowie das Menſchenkind in die zum Munde heraufgebogenen Zehen beißt, weil es ſie für etwas ihnen Fremdes hält. Sie machen die ſonderbarſten Sprünge und die artigſten Wendungen. Jhr Thun und Spielen, in welchem ſie ſich wie Kinder und als Kinder ſelbſt unausſprechlich wohlgefallen, kann ſie und die ihnen wohlwollenden Menſchen ſtundenlang beſchäftigen. Sobald ihre Augen aufgethan ſind, können ſie auch Gutes und Böſes, d. h. Freund und Feind, unter- ſcheiden. Geht ein Hund ſie bellend an, ſo machen ſie ſchon einen Buckel und ſpeien ihn an. Sie werden als kleine Löwen geboren.‟
Der Mutter Liebe zu den Jungen iſt großartig. Sie bereitet den noch Ungebornen ein Neſt und trägt ſie augenblicklich von einem Orte zum andern, ſowie ſie Gefahr für ſie fürchtet; dabei faßt ſie zart nur mit den Lippen ihre Haut im Genick an und trägt ſie ſo ſanft dahin, daß die Miezchen davon kaum Etwas merken. Während ſie ſäugt, verläßt ſie die Kinder blos, um für ſich und ſie Nahrung zu holen. Manche Katzen wiſſen mit ihren erſten Jungen nicht umzugehen, und es muß ihnen von den Menſchen oder von alten Katzen erſt förmlich gezeigt werden, wie ſie ſich zu benehmen haben. Mir hat ein ſehr glaubwürdiger Mann verſichert, daß er ſelbſt geſehen habe, wie eine alte Katze einer jüngern während ihrer erſten Geburt behilflich war, indem ſie die Nabelſchnuren der Jungen abbiß und anſtatt der unkundigen Mutter ſie auch gleich beleckte und erwärmte. Eine andere Katze hatte ſich gewöhnt, die Mäuschen, welche ſie gefangen hatte, immer am Schwanze zu tragen, und wandte dieſe Art der Fortſchaffung ſpäter auch bei den erſten ihrer eigenen Jungen an. Dabei ging es aber nicht ſo gut, wie bei den Mäuschen; denn die jungen Kätzchen klammerten ſich am Boden feſt und verhinderten ſo die Alte, ſie fortzuſchaffen. Die Herrin der Wöchnerin zeigte ihr, wie ſie ihre Kinder zu behandeln habe. Sie begriff das natürlich augenblicklich und trug ſpäter ihre Kätzchen immer, wie andere Katzen ſie tragen. — Daß alle Katzen mit der Zeit viel beſſer lernen, wie ſie ihre Kinder zu behandeln haben, iſt eine ausgemachte Thatſache.
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[287/0351]
Charakter. Angebliche Falſchheit. Fortpflanzung, Mutterliebe, Erziehung.
Narr. Wir dürfen die Ungutmüthigen doch nicht geradezu falſch nennen. Eigentlich falſche Katzen ſind
ſeltene Ausnahmen, deren es auch unter den Hunden giebt, wenn ſchon allerdings noch viel ſeltener.
„Falſcher Hund‟ iſt doch für den Mann, wie „falſche Katze‟ fürs Weib eine Art Sprichwort. Was
den Menſch falſch macht, das macht auch die vollkommeneren Thiere falſch.‟
„Jhre Liebeszeit iſt intereſſant. Der Kater iſt alsdann wild, die Weiber, die ihn aufſuchen, ſitzen
um ihn herum; er in der Mitte brummt ſeinen tiefen Baß hinzu, die Weiber ſingen Tenor, Alt,
Diskant und alle möglichen Stimmen. Das Kouzert wird immer wilder. Zwiſcheninnen ſchlagen ſie
einander die Fäuſte ins Geſicht, und eben die Weiber, die ihn doch aufgeſucht haben, wollen keineswegs,
daß er ſich ihnen nahe. Er muß Alles erkämpfen. Jn mondhellen Nächten lärmen ſie ärger, als die
wildeſten Nachtbuben.‟
Die Paarung der Hauskatze erfolgt gewöhnlich zweimal im Jahre; zuerſt Ende Februar oder
Anfang März, das zweite Mal zu Anfang des Juni. Fünfundfunfzig Tage nach der Paarung wirft
ſie fünf bis ſechs Junge, welche blind geboren werden und erſt am neunten Tage ſehen lernen.
Gewöhnlich erfolgt der erſte Wurf Ende Aprils oder anfangs Mai, der zweite anfangs Auguſt. Die
Mutter ſucht vorher immer einen verborgenen Ort auf, meiſt den Heuboden oder nicht gebrauchte
Betten, und hält ihre Jungen ſo lange als möglich verborgen, namentlich aber vor dem Kater, welcher
dieſelben auffrißt, ſobald er ſie entdeckt. Merkt ſie Gefahr, ſo trägt ſie die Thierchen im Maule nach
einem andern Orte. — Die jungen Kätzchen ſind außerordentlich hübſche, ſchmucke Thierchen. „Jhre
erſte Stimme,‟ ſagt Scheitlin, „iſt auffallend zart; ſie deutet auf ſehr viel Kindiſches. Sehr unruhig,
wie ſie ſind, kriechen ſie zuweilen noch blind aus dem Neſte. Die Mutter holt ſie wieder herein. Wenn
nur ein Aeuglein geöffnet iſt, iſt ihres Bleibens nicht mehr, und ſie kriechen überall in der Nähe herum,
immer miauend. Sogleich fangen ſie mit allem Rollenden, Laufenden, Schleichenden, Flatternden zu
tändeln an; es iſt der erſte Anfang des Triebes, Mäuſe und Vögel zu fangen. Sie ſpielen mit dem
ſtets wedelnden Schwanze der Mutter und mit ihrem eigenen, wenn er ſo lang gewachſen, daß die
Vorderpfote ſein Ende erreichen kann; ſie beißen auch hinein und merken zuerſt nicht, daß er auch noch
zu ihrem Körper, auch noch zu ihnen gehöre, ſowie das Menſchenkind in die zum Munde heraufgebogenen
Zehen beißt, weil es ſie für etwas ihnen Fremdes hält. Sie machen die ſonderbarſten Sprünge und
die artigſten Wendungen. Jhr Thun und Spielen, in welchem ſie ſich wie Kinder und als Kinder ſelbſt
unausſprechlich wohlgefallen, kann ſie und die ihnen wohlwollenden Menſchen ſtundenlang beſchäftigen.
Sobald ihre Augen aufgethan ſind, können ſie auch Gutes und Böſes, d. h. Freund und Feind, unter-
ſcheiden. Geht ein Hund ſie bellend an, ſo machen ſie ſchon einen Buckel und ſpeien ihn an. Sie
werden als kleine Löwen geboren.‟
Der Mutter Liebe zu den Jungen iſt großartig. Sie bereitet den noch Ungebornen ein Neſt und
trägt ſie augenblicklich von einem Orte zum andern, ſowie ſie Gefahr für ſie fürchtet; dabei faßt ſie
zart nur mit den Lippen ihre Haut im Genick an und trägt ſie ſo ſanft dahin, daß die Miezchen davon
kaum Etwas merken. Während ſie ſäugt, verläßt ſie die Kinder blos, um für ſich und ſie Nahrung
zu holen. Manche Katzen wiſſen mit ihren erſten Jungen nicht umzugehen, und es muß ihnen von den
Menſchen oder von alten Katzen erſt förmlich gezeigt werden, wie ſie ſich zu benehmen haben. Mir hat
ein ſehr glaubwürdiger Mann verſichert, daß er ſelbſt geſehen habe, wie eine alte Katze einer jüngern
während ihrer erſten Geburt behilflich war, indem ſie die Nabelſchnuren der Jungen abbiß und anſtatt
der unkundigen Mutter ſie auch gleich beleckte und erwärmte. Eine andere Katze hatte ſich gewöhnt,
die Mäuschen, welche ſie gefangen hatte, immer am Schwanze zu tragen, und wandte dieſe Art der
Fortſchaffung ſpäter auch bei den erſten ihrer eigenen Jungen an. Dabei ging es aber nicht ſo gut,
wie bei den Mäuschen; denn die jungen Kätzchen klammerten ſich am Boden feſt und verhinderten ſo
die Alte, ſie fortzuſchaffen. Die Herrin der Wöchnerin zeigte ihr, wie ſie ihre Kinder zu behandeln
habe. Sie begriff das natürlich augenblicklich und trug ſpäter ihre Kätzchen immer, wie andere Katzen
ſie tragen. — Daß alle Katzen mit der Zeit viel beſſer lernen, wie ſie ihre Kinder zu behandeln haben,
iſt eine ausgemachte Thatſache.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/351>, abgerufen am 22.11.2024.
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