Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.Sinnesthätigkeit. Gesicht. Das Auge als Seelenspiegel. Geistesfähigkeiten. Charakter. verwechselt worden ist, besitzt schon ein ziemlich sehfähiges: und deshalb enthalten auch die schönenWorte unseres Rückert die volle Wahrheit: "Der Maulwurf ist nicht blind, gegeben hat ihm nur Ein kleines Auge, wie ers brauchet, die Natur; Mit welchem er wird sehn, so weit er es bedarf Jm unterirdischen Palast, den er entwarf; Und Staub ins Auge wird ihm desto minder fallen, Wenn wühlend er emporwirft die gewölbten Hallen. Den Regenwurm, den er mit andern Sinnen sucht, Braucht er nicht zu erspähn, nicht schnell ist bessen Flucht. Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden steigen, Auch seinem Augenstern wird sich der Himmel zeigen, Und ohne daß ers weiß, nimmt er mit sich hernieder Auch einen Strahl und wühlt im Dunkeln wieder." Das Auge der Säugethiere müssen wir übrigens auch noch von einem anderen Standpunkte Es zeugt von ebensoviel Hochmuth als Unverstand, wenn der Mensch mit hohlem Stolze alle Das Säugethier besitzt Gedächtniß, Verstand und Gemüth und hat daher oft einen sehr II *
Sinnesthätigkeit. Geſicht. Das Auge als Seelenſpiegel. Geiſtesfähigkeiten. Charakter. verwechſelt worden iſt, beſitzt ſchon ein ziemlich ſehfähiges: und deshalb enthalten auch die ſchönenWorte unſeres Rückert die volle Wahrheit: „Der Maulwurf iſt nicht blind, gegeben hat ihm nur Ein kleines Auge, wie ers brauchet, die Natur; Mit welchem er wird ſehn, ſo weit er es bedarf Jm unterirdiſchen Palaſt, den er entwarf; Und Staub ins Auge wird ihm deſto minder fallen, Wenn wühlend er emporwirft die gewölbten Hallen. Den Regenwurm, den er mit andern Sinnen ſucht, Braucht er nicht zu erſpähn, nicht ſchnell iſt beſſen Flucht. Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden ſteigen, Auch ſeinem Augenſtern wird ſich der Himmel zeigen, Und ohne daß ers weiß, nimmt er mit ſich hernieder Auch einen Strahl und wühlt im Dunkeln wieder.‟ Das Auge der Säugethiere müſſen wir übrigens auch noch von einem anderen Standpunkte Es zeugt von ebenſoviel Hochmuth als Unverſtand, wenn der Menſch mit hohlem Stolze alle Das Säugethier beſitzt Gedächtniß, Verſtand und Gemüth und hat daher oft einen ſehr II *
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Sinnesthätigkeit. Geſicht. Das Auge als Seelenſpiegel. Geiſtesfähigkeiten. Charakter.
verwechſelt worden iſt, beſitzt ſchon ein ziemlich ſehfähiges: und deshalb enthalten auch die ſchönen
Worte unſeres Rückert die volle Wahrheit:
„Der Maulwurf iſt nicht blind, gegeben hat ihm nur
Ein kleines Auge, wie ers brauchet, die Natur;
Mit welchem er wird ſehn, ſo weit er es bedarf
Jm unterirdiſchen Palaſt, den er entwarf;
Und Staub ins Auge wird ihm deſto minder fallen,
Wenn wühlend er emporwirft die gewölbten Hallen.
Den Regenwurm, den er mit andern Sinnen ſucht,
Braucht er nicht zu erſpähn, nicht ſchnell iſt beſſen Flucht.
Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden ſteigen,
Auch ſeinem Augenſtern wird ſich der Himmel zeigen,
Und ohne daß ers weiß, nimmt er mit ſich hernieder
Auch einen Strahl und wühlt im Dunkeln wieder.‟
Das Auge der Säugethiere müſſen wir übrigens auch noch von einem anderen Standpunkte
betrachten: als äußeres, ſichtliches Bild des Geiſtes. Bei den unteren Klaſſen hat das Auge
noch nicht die Beredtſamkeit erlangt, daß es als Spiegel der Seele erſcheinen könnte. Wir finden es
zwar bei der Schlange tückiſch, beim Krokodil hämiſch und bei einigen Vögeln mild, bei anderen
aber ſtreng oder ernſt, muthig ꝛc.: allein mit wenigen Ausnahmen legen wir ſelbſt Das hinein, was
wir zu ſehen glauben. Erſt aus dem lebendigen Falken- oder Adler auge ſpricht uns das Jnnere
an: bei dem Auge der Säugethiere iſt Dies aber faſt immer der Fall. Hier können wir wirklich von
einem Geſichtsausdruck reden: und an einem ſolchen nimmt ja eben das Auge den größten Antheil.
Deshalb hat ſich das Volk mit richtiger Erkenntniß längſt ſeine Bilder gewählt und ſpricht mit Recht
von dem blöden Ange des Rindes, dem ſchönen Auge der Girafe, dem milden der Gazelle, dem
treuherzigen des Hundes, dem frommen oder dummen des Schafes, dem falſchen des Wolfes, dem
glühenden des Luchſes, dem tückiſchen des Affen, dem ſtolzen des Löwen ꝛc.: denn bei allen dieſen
Thieren iſt das Auge wirklich der trugloſe Spiegel des Geiſtes. Die Bewegung der Thierſeele ſpricht
aus dem Auge; dieſes erſetzt die fehlende Sprache. Schmerz und Freude, Betrübniß und Heiterkeit,
Angſt und Leichtſinn, Kummer und Fröhlichkeit, Haß und Liebe, Abſcheu und Wohlwollen finden
in dem Auge ihren ſtummberedten Verkündiger: der Geiſt offenbart ſich hier äußerlich. Und ſo mag
uns das Auge als Bild und Dolmetſch zur allgemeinen Betrachtung des Thiergeiſtes führen.
Es zeugt von ebenſoviel Hochmuth als Unverſtand, wenn der Menſch mit hohlem Stolze alle
höheren Geiſtesfähigkeiten für ſich beanſprucht und dem Thiere vornehm nur unbewußten Trieb, gleich-
ſam nur Ahnung anſtatt der Erkenntniß läßt. Noch heutzutag leugnen viele Leute nicht nur den
Verſtand, ſondern alle edleren Geiſtesgaben der Thiere überhaupt, aus demſelben Grunde, mit welchem
ſie behaupten, daß alle Thiere blos des Menſchen wegen erſchaffen worden ſeien. Dieſe Leute thun
Dies freilich nicht aus vernünftiger, d. h. auf der Beobachtung und Erkenntniß fußender Ueberzeugung,
ſondern aus Furcht, daß ihr ſchwankendes Wahngebäude zuſammenſtürze, wenn ſie dem Menſchen
einen Theil ſeiner Halbgöttlichkeit nehmen, indem ſie dem Thiere etwas Menſchliches zugeſtehen. Der
Naturforſcher urtheilt anders, weil er nicht in ſeiner Meinung, ſondern in ſeinem Wiſſen die Grund-
bedingung eines gerechten Urtheils findet. Jhm wird es niemals einfallen wollen, die weite Kluft
wegzuleugnen, welche zwiſchen dem Geiſte des Menſchen und dem des Thieres beſteht: ebenſowenig
aber kann er hohe Entwickelung der Geiſteskräfte, welche ſich im Thiere bemerklich macht, in Ab-
rede ſtellen.
Das Säugethier beſitzt Gedächtniß, Verſtand und Gemüth und hat daher oft einen ſehr
entſchiedenen, beſtimmten Charakter. Es zeigt Unterſcheidungsvermögen, Zeit-, Ort-, Farben- und
Tonſinn, Erkenntniß, Wahrnehmungsgabe, Urtheil, Schlußfähigkeit; es bewahrt ſich gemachte Er-
II *
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