Naturwissenschaftliche Streitfragen über den Ursprung des Hundes.
die Gelehrigkeit dieses im schroffen Gegensatz zu der Dummheit des gemeinen Hofhundes, in ebenso grellem der Gesichtsausdruck der verschiedenen Rassen. Und endlich das Vaterland, die geographische Verbreitung: auch ist sie keine allgemeine, das Vaterland kein einziges für alle Rassen. Wie der Neu- holländer seinen Dingo hat, so hat Süd- und Nordamerika ursprünglich seine ganz eigenthümlichen Haushunde gehabt. Jn den bebauten Ländern sind die Hunderassen seit Beginn der Bildung verwischt und ausgebreitet mit dem Menschen, sodaß es nunmehr nicht leicht möglich ist, jedem Gebiet seine ursprünglichen Hunde, jeder Rasse ihre ursprüngliche Heimat nachzuweisen. Für unsern Zweck liegt an diesem Nachweis ebensowenig, wie an der Anzahl ursprünglich verschiedener Rassen."
"Wie also auch immerhin der Forscher seine Artenunterschiede macht, nach Farbe und Pelz, nach Größe, Lebensweise und Vaterland, nach Zähnen und Schädel oder nach durchgreifenden Eigenthüm- lichkeiten in dem gesammten Bau: jedenfalls muß er die sogenannten Hunderassen als ebenso viel von der Natur wirklich unterschiedene Arten anerkennen, und er wird es müssen, selbst wenn er der eifrigste und blinde Anhänger der zweifelhaften Lehre von der fruchtbaren Begattung ist. Er muß es, da es ja unmöglich ist, den größten Hund mit dem kleinsten zur Begattung zur bringen, da auch sonst die Abneigung der Haushunde unter einander, die Natur der freiwilligen Vermischung ein ebenso gewaltiges Hinderniß entgegengesetzt hat, wie sonst unter verschiedenen Arten. Die hingeworfene Behauptung: alle Hunderassen gehören zu einer Art, weil sie sich fruchtbar begatten und ihre Jungen wiederum unter einander, ist leichtfertig, unwahr; die tägliche Erfahrung widerspricht ihr geradezu. So geräth der hochgepriesene, angeblich mit logischer Schärfe und wissenschaftlicher Augenscheinlichkeit gewonnene Artbegriff gerade in den allergemeinsten Arten mit sich selbst in offenen Widerspruch und verläßt uns schon in seinem ersten Ausgangspunkte völlig. Alle thatsächlichen und auch lehrsätzlichen Beweise der systematischen Thierkunde also stellen uns in dem Mops und Windspiel, in Dachs- und Jagd- hund, Pintscher und Pudel, Spitz und Neufundländer, Wachtelhund und Jsländer eben- soviel wirklich verschiedene Arten vor, und sie alle begatten sich erfahrungsmäßig fruchtbar mit einander, sobald die natürliche Körpergröße kein leibliches Hinderniß bietet und die Erziehung und der gesteigerte Geschlechtstrieb die Abneigung überwunden hat. Die Jungen aus diesen Vermischungen pflanzen sich unter einander ebenso gut wie mit den Stammarten fort. Die Haushunde beweisen somit auf das Allerentschiedenste, daß Bastarde aller verschiedenen Arten sich fruchtbar und Geschlechter hindurch mit- einander begatten. Diese von der Natur selbst täglich gebotenen Thatsachen sind schlagender, als alle jene vereinzelten Versuche und zufälligen Beobachtungen an Maulthieren und Böcken, an Wolf und Fuchs, an Zeisigen und Enten. Wer sich von ihrer einfachen Wahrheit nicht überzeugen will oder nicht überzeugen kann, der thut jedenfalls besser, statt in der Natur, in der Bibel zu lesen und aus dieser die Größe und Weisheit feines Gottes zu erforschen, er mag aber auch seine Auffassung der göttlichen Offenbarung für sich behalten."
"Was nun den Einfluß der Züchtung betrifft, so beschränkt sich dieser bei den Säugethieren auf dieselben, schlechtweg unwesentlich körperlichen Eigenthümlichkeiten, nämlich auf die Größe, innerhalb enger, das Doppelte überall niemals übersteigender Grenzen, auf die Fett- und Milcherzeugung, die Haarbildung und Färbung, die bezügliche Größe der Ohren und Klauen, die Weite des Magens, die Drüsenthätigkeit und dergleichen. Dem geschicktesten Thierzüchter, den gewaltsamsten äußeren, von Klima, Nahrung, Aufenthalt, Beschäftigung gebotenen Einflüssen ist es noch in keinem Fall gelungen, einen neuen Körpertheil zu erzeugen oder die eigenthümliche Form irgend eines Organes zu ändern. Die Natur läßt ihren Kindern gewaltsam keinen Zahn und keine Zehe mehr aufdrängen oder rauben, nicht deren eigenthümliche Formen vermögen wir zu ändern, kein Muskel, kein Knochen ändert Lage und Gestalt, keiner tritt neu hinzu, keiner verschwindet spurlos. Der Magen und Darm- schlauch bleibt wesentlich derselbe, welche Nahrung wir auch dem Thiere geben mögen, die Luftröhre und der Kehlkopf, Gehirn und Sinneswerkzeuge, Herz, Lungen, kurz, jedes Organ bewahrt unter allen Umständen, welche überhaupt seine Thätigkeit gestatten, die ihm ursprünglich eigenthümlich ge- wordene Gestalt und Bedeutung. Um dem einzelnen Wesen eine Eigenthümlichkeit zu verleihen, um
Naturwiſſenſchaftliche Streitfragen über den Urſprung des Hundes.
die Gelehrigkeit dieſes im ſchroffen Gegenſatz zu der Dummheit des gemeinen Hofhundes, in ebenſo grellem der Geſichtsausdruck der verſchiedenen Raſſen. Und endlich das Vaterland, die geographiſche Verbreitung: auch iſt ſie keine allgemeine, das Vaterland kein einziges für alle Raſſen. Wie der Neu- holländer ſeinen Dingo hat, ſo hat Süd- und Nordamerika urſprünglich ſeine ganz eigenthümlichen Haushunde gehabt. Jn den bebauten Ländern ſind die Hunderaſſen ſeit Beginn der Bildung verwiſcht und ausgebreitet mit dem Menſchen, ſodaß es nunmehr nicht leicht möglich iſt, jedem Gebiet ſeine urſprünglichen Hunde, jeder Raſſe ihre urſprüngliche Heimat nachzuweiſen. Für unſern Zweck liegt an dieſem Nachweis ebenſowenig, wie an der Anzahl urſprünglich verſchiedener Raſſen.‟
„Wie alſo auch immerhin der Forſcher ſeine Artenunterſchiede macht, nach Farbe und Pelz, nach Größe, Lebensweiſe und Vaterland, nach Zähnen und Schädel oder nach durchgreifenden Eigenthüm- lichkeiten in dem geſammten Bau: jedenfalls muß er die ſogenannten Hunderaſſen als ebenſo viel von der Natur wirklich unterſchiedene Arten anerkennen, und er wird es müſſen, ſelbſt wenn er der eifrigſte und blinde Anhänger der zweifelhaften Lehre von der fruchtbaren Begattung iſt. Er muß es, da es ja unmöglich iſt, den größten Hund mit dem kleinſten zur Begattung zur bringen, da auch ſonſt die Abneigung der Haushunde unter einander, die Natur der freiwilligen Vermiſchung ein ebenſo gewaltiges Hinderniß entgegengeſetzt hat, wie ſonſt unter verſchiedenen Arten. Die hingeworfene Behauptung: alle Hunderaſſen gehören zu einer Art, weil ſie ſich fruchtbar begatten und ihre Jungen wiederum unter einander, iſt leichtfertig, unwahr; die tägliche Erfahrung widerſpricht ihr geradezu. So geräth der hochgeprieſene, angeblich mit logiſcher Schärfe und wiſſenſchaftlicher Augenſcheinlichkeit gewonnene Artbegriff gerade in den allergemeinſten Arten mit ſich ſelbſt in offenen Widerſpruch und verläßt uns ſchon in ſeinem erſten Ausgangspunkte völlig. Alle thatſächlichen und auch lehrſätzlichen Beweiſe der ſyſtematiſchen Thierkunde alſo ſtellen uns in dem Mops und Windſpiel, in Dachs- und Jagd- hund, Pintſcher und Pudel, Spitz und Neufundländer, Wachtelhund und Jsländer eben- ſoviel wirklich verſchiedene Arten vor, und ſie alle begatten ſich erfahrungsmäßig fruchtbar mit einander, ſobald die natürliche Körpergröße kein leibliches Hinderniß bietet und die Erziehung und der geſteigerte Geſchlechtstrieb die Abneigung überwunden hat. Die Jungen aus dieſen Vermiſchungen pflanzen ſich unter einander ebenſo gut wie mit den Stammarten fort. Die Haushunde beweiſen ſomit auf das Allerentſchiedenſte, daß Baſtarde aller verſchiedenen Arten ſich fruchtbar und Geſchlechter hindurch mit- einander begatten. Dieſe von der Natur ſelbſt täglich gebotenen Thatſachen ſind ſchlagender, als alle jene vereinzelten Verſuche und zufälligen Beobachtungen an Maulthieren und Böcken, an Wolf und Fuchs, an Zeiſigen und Enten. Wer ſich von ihrer einfachen Wahrheit nicht überzeugen will oder nicht überzeugen kann, der thut jedenfalls beſſer, ſtatt in der Natur, in der Bibel zu leſen und aus dieſer die Größe und Weisheit feines Gottes zu erforſchen, er mag aber auch ſeine Auffaſſung der göttlichen Offenbarung für ſich behalten.‟
„Was nun den Einfluß der Züchtung betrifft, ſo beſchränkt ſich dieſer bei den Säugethieren auf dieſelben, ſchlechtweg unweſentlich körperlichen Eigenthümlichkeiten, nämlich auf die Größe, innerhalb enger, das Doppelte überall niemals überſteigender Grenzen, auf die Fett- und Milcherzeugung, die Haarbildung und Färbung, die bezügliche Größe der Ohren und Klauen, die Weite des Magens, die Drüſenthätigkeit und dergleichen. Dem geſchickteſten Thierzüchter, den gewaltſamſten äußeren, von Klima, Nahrung, Aufenthalt, Beſchäftigung gebotenen Einflüſſen iſt es noch in keinem Fall gelungen, einen neuen Körpertheil zu erzeugen oder die eigenthümliche Form irgend eines Organes zu ändern. Die Natur läßt ihren Kindern gewaltſam keinen Zahn und keine Zehe mehr aufdrängen oder rauben, nicht deren eigenthümliche Formen vermögen wir zu ändern, kein Muskel, kein Knochen ändert Lage und Geſtalt, keiner tritt neu hinzu, keiner verſchwindet ſpurlos. Der Magen und Darm- ſchlauch bleibt weſentlich derſelbe, welche Nahrung wir auch dem Thiere geben mögen, die Luftröhre und der Kehlkopf, Gehirn und Sinneswerkzeuge, Herz, Lungen, kurz, jedes Organ bewahrt unter allen Umſtänden, welche überhaupt ſeine Thätigkeit geſtatten, die ihm urſprünglich eigenthümlich ge- wordene Geſtalt und Bedeutung. Um dem einzelnen Weſen eine Eigenthümlichkeit zu verleihen, um
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Naturwiſſenſchaftliche Streitfragen über den Urſprung des Hundes.
die Gelehrigkeit dieſes im ſchroffen Gegenſatz zu der Dummheit des gemeinen Hofhundes, in ebenſo
grellem der Geſichtsausdruck der verſchiedenen Raſſen. Und endlich das Vaterland, die geographiſche
Verbreitung: auch iſt ſie keine allgemeine, das Vaterland kein einziges für alle Raſſen. Wie der Neu-
holländer ſeinen Dingo hat, ſo hat Süd- und Nordamerika urſprünglich ſeine ganz eigenthümlichen
Haushunde gehabt. Jn den bebauten Ländern ſind die Hunderaſſen ſeit Beginn der Bildung verwiſcht
und ausgebreitet mit dem Menſchen, ſodaß es nunmehr nicht leicht möglich iſt, jedem Gebiet ſeine
urſprünglichen Hunde, jeder Raſſe ihre urſprüngliche Heimat nachzuweiſen. Für unſern Zweck liegt
an dieſem Nachweis ebenſowenig, wie an der Anzahl urſprünglich verſchiedener Raſſen.‟
„Wie alſo auch immerhin der Forſcher ſeine Artenunterſchiede macht, nach Farbe und Pelz, nach
Größe, Lebensweiſe und Vaterland, nach Zähnen und Schädel oder nach durchgreifenden Eigenthüm-
lichkeiten in dem geſammten Bau: jedenfalls muß er die ſogenannten Hunderaſſen als ebenſo viel von
der Natur wirklich unterſchiedene Arten anerkennen, und er wird es müſſen, ſelbſt wenn er der eifrigſte
und blinde Anhänger der zweifelhaften Lehre von der fruchtbaren Begattung iſt. Er muß es, da es
ja unmöglich iſt, den größten Hund mit dem kleinſten zur Begattung zur bringen, da auch ſonſt die
Abneigung der Haushunde unter einander, die Natur der freiwilligen Vermiſchung ein ebenſo gewaltiges
Hinderniß entgegengeſetzt hat, wie ſonſt unter verſchiedenen Arten. Die hingeworfene Behauptung:
alle Hunderaſſen gehören zu einer Art, weil ſie ſich fruchtbar begatten und ihre Jungen wiederum unter
einander, iſt leichtfertig, unwahr; die tägliche Erfahrung widerſpricht ihr geradezu. So geräth der
hochgeprieſene, angeblich mit logiſcher Schärfe und wiſſenſchaftlicher Augenſcheinlichkeit gewonnene
Artbegriff gerade in den allergemeinſten Arten mit ſich ſelbſt in offenen Widerſpruch und verläßt uns
ſchon in ſeinem erſten Ausgangspunkte völlig. Alle thatſächlichen und auch lehrſätzlichen Beweiſe der
ſyſtematiſchen Thierkunde alſo ſtellen uns in dem Mops und Windſpiel, in Dachs- und Jagd-
hund, Pintſcher und Pudel, Spitz und Neufundländer, Wachtelhund und Jsländer eben-
ſoviel wirklich verſchiedene Arten vor, und ſie alle begatten ſich erfahrungsmäßig fruchtbar mit einander,
ſobald die natürliche Körpergröße kein leibliches Hinderniß bietet und die Erziehung und der geſteigerte
Geſchlechtstrieb die Abneigung überwunden hat. Die Jungen aus dieſen Vermiſchungen pflanzen ſich
unter einander ebenſo gut wie mit den Stammarten fort. Die Haushunde beweiſen ſomit auf das
Allerentſchiedenſte, daß Baſtarde aller verſchiedenen Arten ſich fruchtbar und Geſchlechter hindurch mit-
einander begatten. Dieſe von der Natur ſelbſt täglich gebotenen Thatſachen ſind ſchlagender, als alle
jene vereinzelten Verſuche und zufälligen Beobachtungen an Maulthieren und Böcken, an Wolf
und Fuchs, an Zeiſigen und Enten. Wer ſich von ihrer einfachen Wahrheit nicht überzeugen will
oder nicht überzeugen kann, der thut jedenfalls beſſer, ſtatt in der Natur, in der Bibel zu leſen und aus
dieſer die Größe und Weisheit feines Gottes zu erforſchen, er mag aber auch ſeine Auffaſſung der
göttlichen Offenbarung für ſich behalten.‟
„Was nun den Einfluß der Züchtung betrifft, ſo beſchränkt ſich dieſer bei den Säugethieren auf
dieſelben, ſchlechtweg unweſentlich körperlichen Eigenthümlichkeiten, nämlich auf die Größe, innerhalb
enger, das Doppelte überall niemals überſteigender Grenzen, auf die Fett- und Milcherzeugung, die
Haarbildung und Färbung, die bezügliche Größe der Ohren und Klauen, die Weite des Magens, die
Drüſenthätigkeit und dergleichen. Dem geſchickteſten Thierzüchter, den gewaltſamſten äußeren, von
Klima, Nahrung, Aufenthalt, Beſchäftigung gebotenen Einflüſſen iſt es noch in keinem Fall gelungen,
einen neuen Körpertheil zu erzeugen oder die eigenthümliche Form irgend eines Organes zu ändern.
Die Natur läßt ihren Kindern gewaltſam keinen Zahn und keine Zehe mehr aufdrängen oder
rauben, nicht deren eigenthümliche Formen vermögen wir zu ändern, kein Muskel, kein Knochen
ändert Lage und Geſtalt, keiner tritt neu hinzu, keiner verſchwindet ſpurlos. Der Magen und Darm-
ſchlauch bleibt weſentlich derſelbe, welche Nahrung wir auch dem Thiere geben mögen, die Luftröhre
und der Kehlkopf, Gehirn und Sinneswerkzeuge, Herz, Lungen, kurz, jedes Organ bewahrt unter
allen Umſtänden, welche überhaupt ſeine Thätigkeit geſtatten, die ihm urſprünglich eigenthümlich ge-
wordene Geſtalt und Bedeutung. Um dem einzelnen Weſen eine Eigenthümlichkeit zu verleihen, um
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/385>, abgerufen am 24.11.2024.
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