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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Hunde. -- Haushund.

"Diese Thiere sind von einer ganz eignen Rasse; sie kommen in der äußern Gestalt wohl am
meisten unseren Schäferhunden nahe, doch haben sie keine gekrümmte Ruthe und kurze Haare von
schmuziggelber Farbe. Wenn sie faul und träge umherschleichen oder in der Sonne liegen, muß man
gestehen, daß kein Thier frecher, ich möchte sagen pöbelhafter aussieht. Alle Gassen, alle Plätze sind
mit ihnen bedeckt; sie stehen entweder an den Häusern gereiht und warten auf einen Bissen, der ihnen
zufällig zugeworfen wird, oder sie liegen mitten in der Straße, und der Türke, der sich äußerst in Acht
nimmt, einem lebenden Geschöpfe Etwas zu Leide zu thun, geht ihnen aus dem Wege. Auch habe ich
nie gesehen, daß ein Muselmann eins dieser Thiere getreten oder geschlagen hätte. Vielmehr wirft der
Handwerker ihnen aus seinem Laden die Ueberreste seiner Mahlzeit zu. Nur die türkischen Kaikschi
und die Matrosen der Marine haben nicht diese Zartheit, weshalb mancher Hund im goldnen Horn
sein Leben endet."

"Jede Gasse hat ihre eignen Hunde, die sie nicht verlassen, wie in unseren großen Städten die
Bettler ihre gewissen Standorte haben, und Wehe dem Hunde, der es wagt, ein fremdes Gebiet zu be-
suchen. Oft habe ich gesehen, wie über einen solchen Unglücklichen alle anderen herfielen und ihn, wußte
er sich nicht durch schleunige Flucht zu retten, förmlich zerrissen. Jch möchte sie mit den Straßenjungen
in gesitteten Ländern vergleichen; wie diese, wissen sie ganz gut den Fremden vom Einheimischen zu
unterscheiden. Wir brauchten nur in einer Ecke des Bazars etwas Eßbares zu kaufen, so folgten uns
alle Hunde, an denen wir vorbeikamen, und verließen uns erst wieder, wenn wir in eine andere Gasse
traten, wo uns eine neue ähnliche Begleitung zu Theil wurde."

"So ruhig bei Tage diese Ablösung vor sich geht, so gefährlich werden die Hunde zuweilen dem
einzelnen Franken, der sich bei der Nacht in den Gassen Stambuls verirrt, besonders wenn er keine
Laterne trägt. Wir haben oftmals gehört, daß ein solcher, den die Bestien förmlich anfielen, nur durch
Muselmänner gerettet wurde, die sein Hilferuf herbeizog; und obgleich wir stets in ziemlicher Gesell-
schaft und abends nie ohne Laterne ausgingen, hatten wir es doch oft nur unseren guten Stöcken zu
danken, mit denen wir kräftig dreinschlugen, daß wir nicht mit zerrissenen Kleidern heimkamen."

"Sultan Mahmud ließ vor mehreren Jahren einige Tausend dieser Hunde auf einen bei den
Prinzeninseln liegenden kahlen Fels bringen, wo sie einander auffraßen. Diese Verminderung hat
aber Nichts genützt, denn die Fruchtbarkeit dieser Geschöpfe ist großartig; fast bei jedem Schritt findet
man auf der Straße runde Löcher in den Koth gemacht, worin eine kleine Hundefamilie liegt, die
hungernd den Zeitpunkt erwartet, wo sie selbstständig wird, um gleich ihren Vorfahren die Gassen
Konstantinopels unangenehm und unsicher zu machen."

Auch bei den nogayischen Tartaren am asowschen Meer ist es nach Schlatters Bericht nicht
viel anders. "Der Hund genießt dort nicht soviel Werthschätzung, wie die Katze, welche das Recht
hat, im Haufe zu wohnen, an Allem herumzunaschen, aus einer Schüssel mit den Kindern und Er-
wachsenen zu essen und wohl auch auf einer Matratze mit dem Menschen zu schlafen. Sie wird zu den
reinen Thieren gezählt, und der Tartar läßt es ihr, als dem Liebling des großen Profeten Mahammed,
an Nichts fehlen. Der Hund hingegen darf sich nicht im Hause blicken lassen."

"Der nogayische Hund ist von mittler Größe, gewöhnlich sehr mager, mit struppigen, langen
Haaren von dunkler Farbe. Jn den Dörfern findet man von ihnen eine übergroße und lästige An-
zahl, da kein junger Hund umgebracht wird. Sie erhalten zwar zu Zeiten, wenn ein Stück Vieh ge-
schlachtet wird, oder wenn es Aas giebt, satt zu fressen, müssen dann aber oft wieder lange hungern.
Sehr häufig sieht man sie Menschenkoth fressen; sie werden sogar herbeigerufen, um den Boden davon
zu säubern. Treibt Hunger den Hund in das Haus hinein, so wird er mit Stockschlägen hinaus-
getrieben. Nicht nur den Fremden, sondern selbst den Tartaren sind diese grimmigen Thiere eine
harte Plage, indem Alles unterschiedslos angegriffen wird. Jn fremder Tracht ist es kaum möglich,
ohne Begleitung von Tartaren durchzukommen, selbst zu Pferde hat man noch Mühe. Am besten ist
es, recht langsam zu reiten; der Fußgänger muß jedenfalls langsam gehen und den langen Stock,
der ihm unentbehrlich ist, nach hinten halten, weil die Hunde gewöhnlich hinten anpacken, dann aber

Die Raubthiere. Hunde. — Haushund.

„Dieſe Thiere ſind von einer ganz eignen Raſſe; ſie kommen in der äußern Geſtalt wohl am
meiſten unſeren Schäferhunden nahe, doch haben ſie keine gekrümmte Ruthe und kurze Haare von
ſchmuziggelber Farbe. Wenn ſie faul und träge umherſchleichen oder in der Sonne liegen, muß man
geſtehen, daß kein Thier frecher, ich möchte ſagen pöbelhafter ausſieht. Alle Gaſſen, alle Plätze ſind
mit ihnen bedeckt; ſie ſtehen entweder an den Häuſern gereiht und warten auf einen Biſſen, der ihnen
zufällig zugeworfen wird, oder ſie liegen mitten in der Straße, und der Türke, der ſich äußerſt in Acht
nimmt, einem lebenden Geſchöpfe Etwas zu Leide zu thun, geht ihnen aus dem Wege. Auch habe ich
nie geſehen, daß ein Muſelmann eins dieſer Thiere getreten oder geſchlagen hätte. Vielmehr wirft der
Handwerker ihnen aus ſeinem Laden die Ueberreſte ſeiner Mahlzeit zu. Nur die türkiſchen Kaikſchi
und die Matroſen der Marine haben nicht dieſe Zartheit, weshalb mancher Hund im goldnen Horn
ſein Leben endet.‟

„Jede Gaſſe hat ihre eignen Hunde, die ſie nicht verlaſſen, wie in unſeren großen Städten die
Bettler ihre gewiſſen Standorte haben, und Wehe dem Hunde, der es wagt, ein fremdes Gebiet zu be-
ſuchen. Oft habe ich geſehen, wie über einen ſolchen Unglücklichen alle anderen herfielen und ihn, wußte
er ſich nicht durch ſchleunige Flucht zu retten, förmlich zerriſſen. Jch möchte ſie mit den Straßenjungen
in geſitteten Ländern vergleichen; wie dieſe, wiſſen ſie ganz gut den Fremden vom Einheimiſchen zu
unterſcheiden. Wir brauchten nur in einer Ecke des Bazars etwas Eßbares zu kaufen, ſo folgten uns
alle Hunde, an denen wir vorbeikamen, und verließen uns erſt wieder, wenn wir in eine andere Gaſſe
traten, wo uns eine neue ähnliche Begleitung zu Theil wurde.‟

„So ruhig bei Tage dieſe Ablöſung vor ſich geht, ſo gefährlich werden die Hunde zuweilen dem
einzelnen Franken, der ſich bei der Nacht in den Gaſſen Stambuls verirrt, beſonders wenn er keine
Laterne trägt. Wir haben oftmals gehört, daß ein ſolcher, den die Beſtien förmlich anfielen, nur durch
Muſelmänner gerettet wurde, die ſein Hilferuf herbeizog; und obgleich wir ſtets in ziemlicher Geſell-
ſchaft und abends nie ohne Laterne ausgingen, hatten wir es doch oft nur unſeren guten Stöcken zu
danken, mit denen wir kräftig dreinſchlugen, daß wir nicht mit zerriſſenen Kleidern heimkamen.‟

„Sultan Mahmud ließ vor mehreren Jahren einige Tauſend dieſer Hunde auf einen bei den
Prinzeninſeln liegenden kahlen Fels bringen, wo ſie einander auffraßen. Dieſe Verminderung hat
aber Nichts genützt, denn die Fruchtbarkeit dieſer Geſchöpfe iſt großartig; faſt bei jedem Schritt findet
man auf der Straße runde Löcher in den Koth gemacht, worin eine kleine Hundefamilie liegt, die
hungernd den Zeitpunkt erwartet, wo ſie ſelbſtſtändig wird, um gleich ihren Vorfahren die Gaſſen
Konſtantinopels unangenehm und unſicher zu machen.‟

Auch bei den nogayiſchen Tartaren am aſowſchen Meer iſt es nach Schlatters Bericht nicht
viel anders. „Der Hund genießt dort nicht ſoviel Werthſchätzung, wie die Katze, welche das Recht
hat, im Haufe zu wohnen, an Allem herumzunaſchen, aus einer Schüſſel mit den Kindern und Er-
wachſenen zu eſſen und wohl auch auf einer Matratze mit dem Menſchen zu ſchlafen. Sie wird zu den
reinen Thieren gezählt, und der Tartar läßt es ihr, als dem Liebling des großen Profeten Mahammed,
an Nichts fehlen. Der Hund hingegen darf ſich nicht im Hauſe blicken laſſen.‟

„Der nogayiſche Hund iſt von mittler Größe, gewöhnlich ſehr mager, mit ſtruppigen, langen
Haaren von dunkler Farbe. Jn den Dörfern findet man von ihnen eine übergroße und läſtige An-
zahl, da kein junger Hund umgebracht wird. Sie erhalten zwar zu Zeiten, wenn ein Stück Vieh ge-
ſchlachtet wird, oder wenn es Aas giebt, ſatt zu freſſen, müſſen dann aber oft wieder lange hungern.
Sehr häufig ſieht man ſie Menſchenkoth freſſen; ſie werden ſogar herbeigerufen, um den Boden davon
zu ſäubern. Treibt Hunger den Hund in das Haus hinein, ſo wird er mit Stockſchlägen hinaus-
getrieben. Nicht nur den Fremden, ſondern ſelbſt den Tartaren ſind dieſe grimmigen Thiere eine
harte Plage, indem Alles unterſchiedslos angegriffen wird. Jn fremder Tracht iſt es kaum möglich,
ohne Begleitung von Tartaren durchzukommen, ſelbſt zu Pferde hat man noch Mühe. Am beſten iſt
es, recht langſam zu reiten; der Fußgänger muß jedenfalls langſam gehen und den langen Stock,
der ihm unentbehrlich iſt, nach hinten halten, weil die Hunde gewöhnlich hinten anpacken, dann aber

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[330/0396] Die Raubthiere. Hunde. — Haushund. „Dieſe Thiere ſind von einer ganz eignen Raſſe; ſie kommen in der äußern Geſtalt wohl am meiſten unſeren Schäferhunden nahe, doch haben ſie keine gekrümmte Ruthe und kurze Haare von ſchmuziggelber Farbe. Wenn ſie faul und träge umherſchleichen oder in der Sonne liegen, muß man geſtehen, daß kein Thier frecher, ich möchte ſagen pöbelhafter ausſieht. Alle Gaſſen, alle Plätze ſind mit ihnen bedeckt; ſie ſtehen entweder an den Häuſern gereiht und warten auf einen Biſſen, der ihnen zufällig zugeworfen wird, oder ſie liegen mitten in der Straße, und der Türke, der ſich äußerſt in Acht nimmt, einem lebenden Geſchöpfe Etwas zu Leide zu thun, geht ihnen aus dem Wege. Auch habe ich nie geſehen, daß ein Muſelmann eins dieſer Thiere getreten oder geſchlagen hätte. Vielmehr wirft der Handwerker ihnen aus ſeinem Laden die Ueberreſte ſeiner Mahlzeit zu. Nur die türkiſchen Kaikſchi und die Matroſen der Marine haben nicht dieſe Zartheit, weshalb mancher Hund im goldnen Horn ſein Leben endet.‟ „Jede Gaſſe hat ihre eignen Hunde, die ſie nicht verlaſſen, wie in unſeren großen Städten die Bettler ihre gewiſſen Standorte haben, und Wehe dem Hunde, der es wagt, ein fremdes Gebiet zu be- ſuchen. Oft habe ich geſehen, wie über einen ſolchen Unglücklichen alle anderen herfielen und ihn, wußte er ſich nicht durch ſchleunige Flucht zu retten, förmlich zerriſſen. Jch möchte ſie mit den Straßenjungen in geſitteten Ländern vergleichen; wie dieſe, wiſſen ſie ganz gut den Fremden vom Einheimiſchen zu unterſcheiden. Wir brauchten nur in einer Ecke des Bazars etwas Eßbares zu kaufen, ſo folgten uns alle Hunde, an denen wir vorbeikamen, und verließen uns erſt wieder, wenn wir in eine andere Gaſſe traten, wo uns eine neue ähnliche Begleitung zu Theil wurde.‟ „So ruhig bei Tage dieſe Ablöſung vor ſich geht, ſo gefährlich werden die Hunde zuweilen dem einzelnen Franken, der ſich bei der Nacht in den Gaſſen Stambuls verirrt, beſonders wenn er keine Laterne trägt. Wir haben oftmals gehört, daß ein ſolcher, den die Beſtien förmlich anfielen, nur durch Muſelmänner gerettet wurde, die ſein Hilferuf herbeizog; und obgleich wir ſtets in ziemlicher Geſell- ſchaft und abends nie ohne Laterne ausgingen, hatten wir es doch oft nur unſeren guten Stöcken zu danken, mit denen wir kräftig dreinſchlugen, daß wir nicht mit zerriſſenen Kleidern heimkamen.‟ „Sultan Mahmud ließ vor mehreren Jahren einige Tauſend dieſer Hunde auf einen bei den Prinzeninſeln liegenden kahlen Fels bringen, wo ſie einander auffraßen. Dieſe Verminderung hat aber Nichts genützt, denn die Fruchtbarkeit dieſer Geſchöpfe iſt großartig; faſt bei jedem Schritt findet man auf der Straße runde Löcher in den Koth gemacht, worin eine kleine Hundefamilie liegt, die hungernd den Zeitpunkt erwartet, wo ſie ſelbſtſtändig wird, um gleich ihren Vorfahren die Gaſſen Konſtantinopels unangenehm und unſicher zu machen.‟ Auch bei den nogayiſchen Tartaren am aſowſchen Meer iſt es nach Schlatters Bericht nicht viel anders. „Der Hund genießt dort nicht ſoviel Werthſchätzung, wie die Katze, welche das Recht hat, im Haufe zu wohnen, an Allem herumzunaſchen, aus einer Schüſſel mit den Kindern und Er- wachſenen zu eſſen und wohl auch auf einer Matratze mit dem Menſchen zu ſchlafen. Sie wird zu den reinen Thieren gezählt, und der Tartar läßt es ihr, als dem Liebling des großen Profeten Mahammed, an Nichts fehlen. Der Hund hingegen darf ſich nicht im Hauſe blicken laſſen.‟ „Der nogayiſche Hund iſt von mittler Größe, gewöhnlich ſehr mager, mit ſtruppigen, langen Haaren von dunkler Farbe. Jn den Dörfern findet man von ihnen eine übergroße und läſtige An- zahl, da kein junger Hund umgebracht wird. Sie erhalten zwar zu Zeiten, wenn ein Stück Vieh ge- ſchlachtet wird, oder wenn es Aas giebt, ſatt zu freſſen, müſſen dann aber oft wieder lange hungern. Sehr häufig ſieht man ſie Menſchenkoth freſſen; ſie werden ſogar herbeigerufen, um den Boden davon zu ſäubern. Treibt Hunger den Hund in das Haus hinein, ſo wird er mit Stockſchlägen hinaus- getrieben. Nicht nur den Fremden, ſondern ſelbſt den Tartaren ſind dieſe grimmigen Thiere eine harte Plage, indem Alles unterſchiedslos angegriffen wird. Jn fremder Tracht iſt es kaum möglich, ohne Begleitung von Tartaren durchzukommen, ſelbſt zu Pferde hat man noch Mühe. Am beſten iſt es, recht langſam zu reiten; der Fußgänger muß jedenfalls langſam gehen und den langen Stock, der ihm unentbehrlich iſt, nach hinten halten, weil die Hunde gewöhnlich hinten anpacken, dann aber

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/396>, abgerufen am 23.11.2024.