"Der vollkommenste Hund ist der Pudel, und was Gescheites und Braves am Hunde gerühmt wird, bezieht sich vereint auf ihn."
"Der Hundeleib ist für die Zeichnung und Ausstopfung schon zu geistig. Seine Seele ist un- leugbar so vollkommen, als die eines Säugethiers sein kann. Von keinem Thiere können wir so oft sagen, daß ihm vom Menschen Nichts mehr, als die Sprache, mangelt, von keinem Säugethiere haben wir so viele Darstellungen aller Abänderungen, von keinem so eine außerordentliche Menge von Er- zählungen, die uns seinen Verstand, sein Gedächtniß, seine Erinnerungskraft, sein Schließungs- vermögen, seine Einbildungskraft oder sogar sittliche Eigenschaften, als da sind: Treue Anhänglich- keit, Dankbarkeit, Wachsamkeit, Liebe zum Herrn, Geduld im Umgang mit Menschenkindern, Wuth und Todeshaß gegen die Feinde seines Herrn etc. kundthun sollen, weswegen kein Thier so oft, als er dem Menschen als Muster vorgestellt wird. Wie viel wird uns von seiner Fähigkeit, zu lernen erzählt! Er tanzt, er trommelt, er geht auf dem Seile; er steht Wache; er erstürmt und vertheidigt Festungen; er schießt Pistolen los; er dreht den Bratspieß; zieht den Wagen; er kennt die Noten, die Zahlen, Karten, Buchstaben; er holt dem Menschen die Mütze vom Kopfe; bringt Pantoffeln und versucht Stiefel und Schuhe wie ein Knecht auszuziehen; er versteht die Augen- und Mienensprache und noch gar vieles Andere."
"Gerade seine Verderbtheit, gerade seine List, sein Neid, Zorn, Falschheit, Geiz, seine Zanksucht, sein Haß, seine Geschicklichkeit, sein Leichtsinn, seine Neigung zum Stehlen, seine Fähigkeit, aller Welt freundlich zu sein etc. bringen ihm den gewöhnlichen Menschen nahe. Würmer, Käfer und Fische lobt und tadelt man nicht, aber den Hund! Man denkt, es lohne sich der Mühe, ihn zu strafen und zu belohnen. Man gebraucht in Urtheilen über ihn gerade die Ausdrücke, die man von dem Menschen braucht. Man macht ihn wegen seiner geistigen und sittlichen Vorzüge zum Reise- und Hausgenossen, zum Lebensgefährten und lieben Freunde; man lohnt ihm seine Liebe und Anhänglich- keit durch Anhänglichkeit und Liebe; man macht ihn zum Tischgenossen, man räumt ihm wohl gar eine Stelle im Bette ein; man kost ihn, pflegt ihn sorgfältig, giebt ihn an den Arzt, wenn er leidend ist, trauert mit ihm, um ihn und weint, wenn er gestorben; man setzt ihm ein Denkmal."
"Nicht ein einziger Hund ist dem andern weder körperlich noch geistig gleich. Jeder hat eigne Arten und Unarten. Oft sind sie die ärgsten Gegensätze, so daß die Hundebesitzer an ihren Hunden einen unersetzlichen Stoff zu gesellschaftlichen Gesprächen haben. Jeder hat einen noch gescheitern! Doch erzählt etwa Einer von seinem Hunde hundsdumme Streiche, dann ist jeder Hund ein großer Stoff zu einer Charakteristik, und wenn er ein merkwürdiges Schicksal erlebt, zu einer Lebens- beschreibung. Selbst in seinem Sterben kommen Eigenheiten vor."
"Nur wer kein Auge hat, sieht die ihm ursprünglichen und entstandenen Eigenschaften nicht. Und welche Verschiedenheit einer und derselben Hundeart! Jeder Pudel z. B. hat Eigenheiten, Sonder- barkeiten, Unerklärbarkeiten; er ist schon viel ohne Anleitung. Er lehrt sich selbst, ahmt dem Menschen nach, drängt sich zum Lernen, liebt das Spiel, hat Launen, setzt sich Etwas in den Kopf, will Nichts lernen, thut dumm, empfindet lange Weile, will thätig sein, ist neugierig u. s. w. Einige können nicht hassen, andere nicht lieben; einige können verzeihen, andere nie. Sie können einander in Ge- fahren und zu Verrichtungen beistehen, zu Hilfe eilen, Mitleid fühlen, lachen und weinen oder Thränen vergießen, zur Freude jauchzen, aus Liebe zum verlornen Herrn trauern, verhungern, alle Wunden für ihn verachten, den Menschen ihres Gleichen weit vorziehen, und alle Begierden vor den Augen ihres Herrn in dem Zügel halten oder schweigen. Der Pudel kann sich schämen, kennt Raum und Zeit vortrefflich, kennt die Stimme, den Ton der Glocke, den Schritt seines Herrn, die Art, wie er klingelt, kurz er ist kein halber, ein Zweidrittelmensch. Er benutzt ja seinen Körper so gescheit, als der Mensch den seinigen, und wendet seinen Verstand für seine Zwecke vollkommen an, doch mangelt ihm das letzte Dritttheil."
"Wir müssen wesentlich verschiedene Geister, die nicht in einander verwandelt werden können, unter den Hunden annehmen. Der Geist des Spitzes ist nicht der des Pudels; der Mops denkt und
Scheitlins Schilderung der Hundeſeele.
„Der vollkommenſte Hund iſt der Pudel, und was Geſcheites und Braves am Hunde gerühmt wird, bezieht ſich vereint auf ihn.‟
„Der Hundeleib iſt für die Zeichnung und Ausſtopfung ſchon zu geiſtig. Seine Seele iſt un- leugbar ſo vollkommen, als die eines Säugethiers ſein kann. Von keinem Thiere können wir ſo oft ſagen, daß ihm vom Menſchen Nichts mehr, als die Sprache, mangelt, von keinem Säugethiere haben wir ſo viele Darſtellungen aller Abänderungen, von keinem ſo eine außerordentliche Menge von Er- zählungen, die uns ſeinen Verſtand, ſein Gedächtniß, ſeine Erinnerungskraft, ſein Schließungs- vermögen, ſeine Einbildungskraft oder ſogar ſittliche Eigenſchaften, als da ſind: Treue Anhänglich- keit, Dankbarkeit, Wachſamkeit, Liebe zum Herrn, Geduld im Umgang mit Menſchenkindern, Wuth und Todeshaß gegen die Feinde ſeines Herrn ꝛc. kundthun ſollen, weswegen kein Thier ſo oft, als er dem Menſchen als Muſter vorgeſtellt wird. Wie viel wird uns von ſeiner Fähigkeit, zu lernen erzählt! Er tanzt, er trommelt, er geht auf dem Seile; er ſteht Wache; er erſtürmt und vertheidigt Feſtungen; er ſchießt Piſtolen los; er dreht den Bratſpieß; zieht den Wagen; er kennt die Noten, die Zahlen, Karten, Buchſtaben; er holt dem Menſchen die Mütze vom Kopfe; bringt Pantoffeln und verſucht Stiefel und Schuhe wie ein Knecht auszuziehen; er verſteht die Augen- und Mienenſprache und noch gar vieles Andere.‟
„Gerade ſeine Verderbtheit, gerade ſeine Liſt, ſein Neid, Zorn, Falſchheit, Geiz, ſeine Zankſucht, ſein Haß, ſeine Geſchicklichkeit, ſein Leichtſinn, ſeine Neigung zum Stehlen, ſeine Fähigkeit, aller Welt freundlich zu ſein ꝛc. bringen ihm den gewöhnlichen Menſchen nahe. Würmer, Käfer und Fiſche lobt und tadelt man nicht, aber den Hund! Man denkt, es lohne ſich der Mühe, ihn zu ſtrafen und zu belohnen. Man gebraucht in Urtheilen über ihn gerade die Ausdrücke, die man von dem Menſchen braucht. Man macht ihn wegen ſeiner geiſtigen und ſittlichen Vorzüge zum Reiſe- und Hausgenoſſen, zum Lebensgefährten und lieben Freunde; man lohnt ihm ſeine Liebe und Anhänglich- keit durch Anhänglichkeit und Liebe; man macht ihn zum Tiſchgenoſſen, man räumt ihm wohl gar eine Stelle im Bette ein; man koſt ihn, pflegt ihn ſorgfältig, giebt ihn an den Arzt, wenn er leidend iſt, trauert mit ihm, um ihn und weint, wenn er geſtorben; man ſetzt ihm ein Denkmal.‟
„Nicht ein einziger Hund iſt dem andern weder körperlich noch geiſtig gleich. Jeder hat eigne Arten und Unarten. Oft ſind ſie die ärgſten Gegenſätze, ſo daß die Hundebeſitzer an ihren Hunden einen unerſetzlichen Stoff zu geſellſchaftlichen Geſprächen haben. Jeder hat einen noch geſcheitern! Doch erzählt etwa Einer von ſeinem Hunde hundsdumme Streiche, dann iſt jeder Hund ein großer Stoff zu einer Charakteriſtik, und wenn er ein merkwürdiges Schickſal erlebt, zu einer Lebens- beſchreibung. Selbſt in ſeinem Sterben kommen Eigenheiten vor.‟
„Nur wer kein Auge hat, ſieht die ihm urſprünglichen und entſtandenen Eigenſchaften nicht. Und welche Verſchiedenheit einer und derſelben Hundeart! Jeder Pudel z. B. hat Eigenheiten, Sonder- barkeiten, Unerklärbarkeiten; er iſt ſchon viel ohne Anleitung. Er lehrt ſich ſelbſt, ahmt dem Menſchen nach, drängt ſich zum Lernen, liebt das Spiel, hat Launen, ſetzt ſich Etwas in den Kopf, will Nichts lernen, thut dumm, empfindet lange Weile, will thätig ſein, iſt neugierig u. ſ. w. Einige können nicht haſſen, andere nicht lieben; einige können verzeihen, andere nie. Sie können einander in Ge- fahren und zu Verrichtungen beiſtehen, zu Hilfe eilen, Mitleid fühlen, lachen und weinen oder Thränen vergießen, zur Freude jauchzen, aus Liebe zum verlornen Herrn trauern, verhungern, alle Wunden für ihn verachten, den Menſchen ihres Gleichen weit vorziehen, und alle Begierden vor den Augen ihres Herrn in dem Zügel halten oder ſchweigen. Der Pudel kann ſich ſchämen, kennt Raum und Zeit vortrefflich, kennt die Stimme, den Ton der Glocke, den Schritt ſeines Herrn, die Art, wie er klingelt, kurz er iſt kein halber, ein Zweidrittelmenſch. Er benutzt ja ſeinen Körper ſo geſcheit, als der Menſch den ſeinigen, und wendet ſeinen Verſtand für ſeine Zwecke vollkommen an, doch mangelt ihm das letzte Dritttheil.‟
„Wir müſſen weſentlich verſchiedene Geiſter, die nicht in einander verwandelt werden können, unter den Hunden annehmen. Der Geiſt des Spitzes iſt nicht der des Pudels; der Mops denkt und
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[335/0401]
Scheitlins Schilderung der Hundeſeele.
„Der vollkommenſte Hund iſt der Pudel, und was Geſcheites und Braves am Hunde gerühmt
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„Der Hundeleib iſt für die Zeichnung und Ausſtopfung ſchon zu geiſtig. Seine Seele iſt un-
leugbar ſo vollkommen, als die eines Säugethiers ſein kann. Von keinem Thiere können wir ſo oft
ſagen, daß ihm vom Menſchen Nichts mehr, als die Sprache, mangelt, von keinem Säugethiere haben
wir ſo viele Darſtellungen aller Abänderungen, von keinem ſo eine außerordentliche Menge von Er-
zählungen, die uns ſeinen Verſtand, ſein Gedächtniß, ſeine Erinnerungskraft, ſein Schließungs-
vermögen, ſeine Einbildungskraft oder ſogar ſittliche Eigenſchaften, als da ſind: Treue Anhänglich-
keit, Dankbarkeit, Wachſamkeit, Liebe zum Herrn, Geduld im Umgang mit Menſchenkindern, Wuth
und Todeshaß gegen die Feinde ſeines Herrn ꝛc. kundthun ſollen, weswegen kein Thier ſo oft, als
er dem Menſchen als Muſter vorgeſtellt wird. Wie viel wird uns von ſeiner Fähigkeit, zu lernen
erzählt! Er tanzt, er trommelt, er geht auf dem Seile; er ſteht Wache; er erſtürmt und vertheidigt
Feſtungen; er ſchießt Piſtolen los; er dreht den Bratſpieß; zieht den Wagen; er kennt die Noten, die
Zahlen, Karten, Buchſtaben; er holt dem Menſchen die Mütze vom Kopfe; bringt Pantoffeln und
verſucht Stiefel und Schuhe wie ein Knecht auszuziehen; er verſteht die Augen- und Mienenſprache
und noch gar vieles Andere.‟
„Gerade ſeine Verderbtheit, gerade ſeine Liſt, ſein Neid, Zorn, Falſchheit, Geiz, ſeine Zankſucht,
ſein Haß, ſeine Geſchicklichkeit, ſein Leichtſinn, ſeine Neigung zum Stehlen, ſeine Fähigkeit, aller Welt
freundlich zu ſein ꝛc. bringen ihm den gewöhnlichen Menſchen nahe. Würmer, Käfer und Fiſche
lobt und tadelt man nicht, aber den Hund! Man denkt, es lohne ſich der Mühe, ihn zu ſtrafen
und zu belohnen. Man gebraucht in Urtheilen über ihn gerade die Ausdrücke, die man von dem
Menſchen braucht. Man macht ihn wegen ſeiner geiſtigen und ſittlichen Vorzüge zum Reiſe- und
Hausgenoſſen, zum Lebensgefährten und lieben Freunde; man lohnt ihm ſeine Liebe und Anhänglich-
keit durch Anhänglichkeit und Liebe; man macht ihn zum Tiſchgenoſſen, man räumt ihm wohl gar
eine Stelle im Bette ein; man koſt ihn, pflegt ihn ſorgfältig, giebt ihn an den Arzt, wenn er leidend
iſt, trauert mit ihm, um ihn und weint, wenn er geſtorben; man ſetzt ihm ein Denkmal.‟
„Nicht ein einziger Hund iſt dem andern weder körperlich noch geiſtig gleich. Jeder hat eigne
Arten und Unarten. Oft ſind ſie die ärgſten Gegenſätze, ſo daß die Hundebeſitzer an ihren Hunden
einen unerſetzlichen Stoff zu geſellſchaftlichen Geſprächen haben. Jeder hat einen noch geſcheitern!
Doch erzählt etwa Einer von ſeinem Hunde hundsdumme Streiche, dann iſt jeder Hund ein großer
Stoff zu einer Charakteriſtik, und wenn er ein merkwürdiges Schickſal erlebt, zu einer Lebens-
beſchreibung. Selbſt in ſeinem Sterben kommen Eigenheiten vor.‟
„Nur wer kein Auge hat, ſieht die ihm urſprünglichen und entſtandenen Eigenſchaften nicht.
Und welche Verſchiedenheit einer und derſelben Hundeart! Jeder Pudel z. B. hat Eigenheiten, Sonder-
barkeiten, Unerklärbarkeiten; er iſt ſchon viel ohne Anleitung. Er lehrt ſich ſelbſt, ahmt dem Menſchen
nach, drängt ſich zum Lernen, liebt das Spiel, hat Launen, ſetzt ſich Etwas in den Kopf, will Nichts
lernen, thut dumm, empfindet lange Weile, will thätig ſein, iſt neugierig u. ſ. w. Einige können
nicht haſſen, andere nicht lieben; einige können verzeihen, andere nie. Sie können einander in Ge-
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vergießen, zur Freude jauchzen, aus Liebe zum verlornen Herrn trauern, verhungern, alle Wunden
für ihn verachten, den Menſchen ihres Gleichen weit vorziehen, und alle Begierden vor den Augen
ihres Herrn in dem Zügel halten oder ſchweigen. Der Pudel kann ſich ſchämen, kennt Raum und
Zeit vortrefflich, kennt die Stimme, den Ton der Glocke, den Schritt ſeines Herrn, die Art, wie er
klingelt, kurz er iſt kein halber, ein Zweidrittelmenſch. Er benutzt ja ſeinen Körper ſo geſcheit, als der
Menſch den ſeinigen, und wendet ſeinen Verſtand für ſeine Zwecke vollkommen an, doch mangelt ihm
das letzte Dritttheil.‟
„Wir müſſen weſentlich verſchiedene Geiſter, die nicht in einander verwandelt werden können,
unter den Hunden annehmen. Der Geiſt des Spitzes iſt nicht der des Pudels; der Mops denkt und
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/401>, abgerufen am 22.11.2024.
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