eine nicht mit Nest versehene Höhle. Die Nachgeburt wird von vielen Thieren, welche sonst nie Fleisch anrühren, gierig aufgefressen, so z. B. von den Ziegen, Antilopen und Stachelschweinen.
Die neugeborenen Jungen zeigen einen sehr verschiedenen Grad der Entwickelung. Bei den Beutelthieren ähneln sie einem rohen Stück Fleisch; sie werden aber in die diesen Thieren eigen- thümliche Hautfalte am Bauche, die sogenannte Tasche, gesteckt und in ihr gleichsam ausgetragen; die meisten Raubthiere sind blind, wenn sie zur Welt kommen und öffnen erst nach einer oder zwei Wochen ihre Augen; diejenigen Säugethiere dagegen, welche später ein sehr bewegtes und ruheloses Leben führen sollen, kommen sehr ausgebildet zur Welt und sind im Stande, ihrer Mutter schon wenige Stunden nach der Geburt zu folgen, bedürfen aber auch am längsten der Milch. Alle höheren Thiere gebären ebenfalls sehende Junge, die jedoch so hilflos sind, daß die Mutter sie wochenlang mit sich herumtragen muß; deshalb sehen wir die Kinder der Affen und Fledermäuse lange Zeit an ihrer Mutter hangen, an welcher sie sich mit allen vier Gliedern fest angeklammert haben.
Jede Säugethiermutter liebt ihre Kinder ganz ungemein und vertheidigt sie mit Aus- setzung ihres eigenen Lebens gegen jeden Feind, selbst gegen den Vater. Dieser bekümmert sich, streng genommen, gar nicht um sie, ja, wird ihnen im Gegentheile oft geradezu gefährlich, indem er sie auffrißt, wenn er ihrer habhaft werden kann. Selten nimmt er mittelbar Theil an der Pflege und Erziehung seiner Sprößlinge: er vertheidigt sie nämlich zuweilen, wenn der Gesammtheit eine Gefahr droht, bei welcher er überhaupt eintritt. Um so mehr thut die Mutter. Sie allein ernährt, reinigt, leitet, straft und schützt, kurz erzieht ihre Kinder. Sie bietet ihnen ihre Brüste oder jagt später für sie, leckt und putzt sie, führt sie aus dem Schlupfwinkel oder wieder in denselben zurück, spielt mit ihnen und lehrt sie ihre Nahrung erbeuten, gibt ihnen Unterricht im Laufen, Klettern, Schwimmen etc., hält sie wohl auch durch Strafen zum Gehorsam an und kämpft für sie mit jedem Feinde, der es wagen sollte, sie anzugreifen. Die Liebe macht sie ersinderisch, friedliebend, mild, heiter gegen ihre Nachkommenschaft, oder auch heftig und wüthend, bösartig und zornig nach Außen hin. Sie lebt und sorgt blos für ihre Kinder und scheint, so lange sie diese vollständig in Anspruch nehmen, für nichts Anderes Sinn zu haben. Selbst das ernsthafteste Thier wird als Mutter kindlich und spiellustig, wenn sein Kind Dies wünscht. Ohne Uebertreibung kann man behaupten, daß ihr die Liebe und Zärtlichkeit, der Stolz und die Freude der Mutter an den Augen abzulesen sei: man muß nur einen Hund, eine Katze, ein Pferd, eine Ziege in Gesellschaft ihrer Sprößlinge beobachten; -- keine Menschenmutter kann stolzer, als sie, auf ihr Kind sein. Und sie haben auch das vollste Recht dazu; denn alle jungen Säugethiere sind, wenn sie nur erst einigermaßen Herr ihrer Kräfte geworden, allerliebste Geschöpfe, welche ja selbst uns große Freude bereiten.
Man kann bei jeder Säugethiermutter wahrnehmen, daß sie ihr Betragen gegen ihre Jungen mit der Zeit wesentlich verändert. Je mehr das junge Volk heranwächst, um so kälter wird das Verhältniß zwischen Mutter und Kind: die Alte kennt den Grad der Bedürftigkeit des letzteren genau und bestrebt sich, wie jedes Thier überhaupt, seine Nachkommenschaft so rasch als möglich selb- ständig zu machen. Deshalb entzieht sie derselben nach einer gewissen Säugezeit zunächst die Milch und gewöhnt sie nach und nach, sich ihre Nahrung selbst zu suchen. Sobald dieser Zweck erreicht und das junge Thier selbständig geworden ist, endigt die Zärtlichkeit zwischen ihm und der Mutter, und jeder Theil geht nunmehr seinen eigenen Weg, ohne sich um den andern zu kümmern. Die geistig begabtesten Thiere, wie die Pferde und Hunde, beweisen uns, daß sich Mutter und Kind sehr bald nach ihrer Trennung so von einander entfremden, daß sie sich, wenn sie wieder zusammen kommen, gar nicht mehr kennen, während wir dagegen Beispiele haben, daß das geschwisterliche Verhältniß zweier Jungen lange Zeit sich erhalten kann.
Die zur Erlangung der Selbständigkeit eines Säugethieres nothwendige Zeit ist fast ebenso verschieden, wie seine Größe. Jm Allgemeinen ist diese maßgebend, d. h. ein Säugethier entwickelt sich um so langsamer, je größer es ist und umgekehrt: allein wir sehen an uns selbst, daß auch die Höhe der Ausbildung, welche erreicht wird, auf die Zeit der Entwickelung des Leibes von Einfluß sein kann, und ebenso trägt wohl auch die größere oder geringere Schwierigkeit des Nahrungserwerbes, die Beschaffenheit der Nahrung und der höhere oder geringere Wärmegrad eines Heimatkreises Vieles zum schnelleren oder langsameren Wachsthum bei. Unter den Landsäugethieren bedarf der Mensch entschieden die meiste Zeit zu seinem Wachsthume; denn auch der Elefant wird eher groß, als er. Es
Begattung. Geburt. Kinderliebe. Wachsthum.
eine nicht mit Neſt verſehene Höhle. Die Nachgeburt wird von vielen Thieren, welche ſonſt nie Fleiſch anrühren, gierig aufgefreſſen, ſo z. B. von den Ziegen, Antilopen und Stachelſchweinen.
Die neugeborenen Jungen zeigen einen ſehr verſchiedenen Grad der Entwickelung. Bei den Beutelthieren ähneln ſie einem rohen Stück Fleiſch; ſie werden aber in die dieſen Thieren eigen- thümliche Hautfalte am Bauche, die ſogenannte Taſche, geſteckt und in ihr gleichſam ausgetragen; die meiſten Raubthiere ſind blind, wenn ſie zur Welt kommen und öffnen erſt nach einer oder zwei Wochen ihre Augen; diejenigen Säugethiere dagegen, welche ſpäter ein ſehr bewegtes und ruheloſes Leben führen ſollen, kommen ſehr ausgebildet zur Welt und ſind im Stande, ihrer Mutter ſchon wenige Stunden nach der Geburt zu folgen, bedürfen aber auch am längſten der Milch. Alle höheren Thiere gebären ebenfalls ſehende Junge, die jedoch ſo hilflos ſind, daß die Mutter ſie wochenlang mit ſich herumtragen muß; deshalb ſehen wir die Kinder der Affen und Fledermäuſe lange Zeit an ihrer Mutter hangen, an welcher ſie ſich mit allen vier Gliedern feſt angeklammert haben.
Jede Säugethiermutter liebt ihre Kinder ganz ungemein und vertheidigt ſie mit Aus- ſetzung ihres eigenen Lebens gegen jeden Feind, ſelbſt gegen den Vater. Dieſer bekümmert ſich, ſtreng genommen, gar nicht um ſie, ja, wird ihnen im Gegentheile oft geradezu gefährlich, indem er ſie auffrißt, wenn er ihrer habhaft werden kann. Selten nimmt er mittelbar Theil an der Pflege und Erziehung ſeiner Sprößlinge: er vertheidigt ſie nämlich zuweilen, wenn der Geſammtheit eine Gefahr droht, bei welcher er überhaupt eintritt. Um ſo mehr thut die Mutter. Sie allein ernährt, reinigt, leitet, ſtraft und ſchützt, kurz erzieht ihre Kinder. Sie bietet ihnen ihre Brüſte oder jagt ſpäter für ſie, leckt und putzt ſie, führt ſie aus dem Schlupfwinkel oder wieder in denſelben zurück, ſpielt mit ihnen und lehrt ſie ihre Nahrung erbeuten, gibt ihnen Unterricht im Laufen, Klettern, Schwimmen ꝛc., hält ſie wohl auch durch Strafen zum Gehorſam an und kämpft für ſie mit jedem Feinde, der es wagen ſollte, ſie anzugreifen. Die Liebe macht ſie erſinderiſch, friedliebend, mild, heiter gegen ihre Nachkommenſchaft, oder auch heftig und wüthend, bösartig und zornig nach Außen hin. Sie lebt und ſorgt blos für ihre Kinder und ſcheint, ſo lange ſie dieſe vollſtändig in Anſpruch nehmen, für nichts Anderes Sinn zu haben. Selbſt das ernſthafteſte Thier wird als Mutter kindlich und ſpielluſtig, wenn ſein Kind Dies wünſcht. Ohne Uebertreibung kann man behaupten, daß ihr die Liebe und Zärtlichkeit, der Stolz und die Freude der Mutter an den Augen abzuleſen ſei: man muß nur einen Hund, eine Katze, ein Pferd, eine Ziege in Geſellſchaft ihrer Sprößlinge beobachten; — keine Menſchenmutter kann ſtolzer, als ſie, auf ihr Kind ſein. Und ſie haben auch das vollſte Recht dazu; denn alle jungen Säugethiere ſind, wenn ſie nur erſt einigermaßen Herr ihrer Kräfte geworden, allerliebſte Geſchöpfe, welche ja ſelbſt uns große Freude bereiten.
Man kann bei jeder Säugethiermutter wahrnehmen, daß ſie ihr Betragen gegen ihre Jungen mit der Zeit weſentlich verändert. Je mehr das junge Volk heranwächſt, um ſo kälter wird das Verhältniß zwiſchen Mutter und Kind: die Alte kennt den Grad der Bedürftigkeit des letzteren genau und beſtrebt ſich, wie jedes Thier überhaupt, ſeine Nachkommenſchaft ſo raſch als möglich ſelb- ſtändig zu machen. Deshalb entzieht ſie derſelben nach einer gewiſſen Säugezeit zunächſt die Milch und gewöhnt ſie nach und nach, ſich ihre Nahrung ſelbſt zu ſuchen. Sobald dieſer Zweck erreicht und das junge Thier ſelbſtändig geworden iſt, endigt die Zärtlichkeit zwiſchen ihm und der Mutter, und jeder Theil geht nunmehr ſeinen eigenen Weg, ohne ſich um den andern zu kümmern. Die geiſtig begabteſten Thiere, wie die Pferde und Hunde, beweiſen uns, daß ſich Mutter und Kind ſehr bald nach ihrer Trennung ſo von einander entfremden, daß ſie ſich, wenn ſie wieder zuſammen kommen, gar nicht mehr kennen, während wir dagegen Beiſpiele haben, daß das geſchwiſterliche Verhältniß zweier Jungen lange Zeit ſich erhalten kann.
Die zur Erlangung der Selbſtändigkeit eines Säugethieres nothwendige Zeit iſt faſt ebenſo verſchieden, wie ſeine Größe. Jm Allgemeinen iſt dieſe maßgebend, d. h. ein Säugethier entwickelt ſich um ſo langſamer, je größer es iſt und umgekehrt: allein wir ſehen an uns ſelbſt, daß auch die Höhe der Ausbildung, welche erreicht wird, auf die Zeit der Entwickelung des Leibes von Einfluß ſein kann, und ebenſo trägt wohl auch die größere oder geringere Schwierigkeit des Nahrungserwerbes, die Beſchaffenheit der Nahrung und der höhere oder geringere Wärmegrad eines Heimatkreiſes Vieles zum ſchnelleren oder langſameren Wachsthum bei. Unter den Landſäugethieren bedarf der Menſch entſchieden die meiſte Zeit zu ſeinem Wachsthume; denn auch der Elefant wird eher groß, als er. Es
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Begattung. Geburt. Kinderliebe. Wachsthum.
eine nicht mit Neſt verſehene Höhle. Die Nachgeburt wird von vielen Thieren, welche ſonſt nie
Fleiſch anrühren, gierig aufgefreſſen, ſo z. B. von den Ziegen, Antilopen und Stachelſchweinen.
Die neugeborenen Jungen zeigen einen ſehr verſchiedenen Grad der Entwickelung. Bei den
Beutelthieren ähneln ſie einem rohen Stück Fleiſch; ſie werden aber in die dieſen Thieren eigen-
thümliche Hautfalte am Bauche, die ſogenannte Taſche, geſteckt und in ihr gleichſam ausgetragen; die
meiſten Raubthiere ſind blind, wenn ſie zur Welt kommen und öffnen erſt nach einer oder zwei
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Leben führen ſollen, kommen ſehr ausgebildet zur Welt und ſind im Stande, ihrer Mutter ſchon wenige
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gebären ebenfalls ſehende Junge, die jedoch ſo hilflos ſind, daß die Mutter ſie wochenlang mit ſich
herumtragen muß; deshalb ſehen wir die Kinder der Affen und Fledermäuſe lange Zeit an ihrer
Mutter hangen, an welcher ſie ſich mit allen vier Gliedern feſt angeklammert haben.
Jede Säugethiermutter liebt ihre Kinder ganz ungemein und vertheidigt ſie mit Aus-
ſetzung ihres eigenen Lebens gegen jeden Feind, ſelbſt gegen den Vater. Dieſer bekümmert ſich,
ſtreng genommen, gar nicht um ſie, ja, wird ihnen im Gegentheile oft geradezu gefährlich, indem
er ſie auffrißt, wenn er ihrer habhaft werden kann. Selten nimmt er mittelbar Theil an der Pflege
und Erziehung ſeiner Sprößlinge: er vertheidigt ſie nämlich zuweilen, wenn der Geſammtheit eine
Gefahr droht, bei welcher er überhaupt eintritt. Um ſo mehr thut die Mutter. Sie allein ernährt,
reinigt, leitet, ſtraft und ſchützt, kurz erzieht ihre Kinder. Sie bietet ihnen ihre Brüſte oder jagt
ſpäter für ſie, leckt und putzt ſie, führt ſie aus dem Schlupfwinkel oder wieder in denſelben zurück,
ſpielt mit ihnen und lehrt ſie ihre Nahrung erbeuten, gibt ihnen Unterricht im Laufen, Klettern,
Schwimmen ꝛc., hält ſie wohl auch durch Strafen zum Gehorſam an und kämpft für ſie mit jedem
Feinde, der es wagen ſollte, ſie anzugreifen. Die Liebe macht ſie erſinderiſch, friedliebend, mild,
heiter gegen ihre Nachkommenſchaft, oder auch heftig und wüthend, bösartig und zornig nach Außen
hin. Sie lebt und ſorgt blos für ihre Kinder und ſcheint, ſo lange ſie dieſe vollſtändig in Anſpruch
nehmen, für nichts Anderes Sinn zu haben. Selbſt das ernſthafteſte Thier wird als Mutter kindlich
und ſpielluſtig, wenn ſein Kind Dies wünſcht. Ohne Uebertreibung kann man behaupten, daß
ihr die Liebe und Zärtlichkeit, der Stolz und die Freude der Mutter an den Augen abzuleſen ſei: man
muß nur einen Hund, eine Katze, ein Pferd, eine Ziege in Geſellſchaft ihrer Sprößlinge
beobachten; — keine Menſchenmutter kann ſtolzer, als ſie, auf ihr Kind ſein. Und ſie haben auch das
vollſte Recht dazu; denn alle jungen Säugethiere ſind, wenn ſie nur erſt einigermaßen Herr ihrer
Kräfte geworden, allerliebſte Geſchöpfe, welche ja ſelbſt uns große Freude bereiten.
Man kann bei jeder Säugethiermutter wahrnehmen, daß ſie ihr Betragen gegen ihre
Jungen mit der Zeit weſentlich verändert. Je mehr das junge Volk heranwächſt, um ſo kälter wird
das Verhältniß zwiſchen Mutter und Kind: die Alte kennt den Grad der Bedürftigkeit des letzteren
genau und beſtrebt ſich, wie jedes Thier überhaupt, ſeine Nachkommenſchaft ſo raſch als möglich ſelb-
ſtändig zu machen. Deshalb entzieht ſie derſelben nach einer gewiſſen Säugezeit zunächſt die Milch
und gewöhnt ſie nach und nach, ſich ihre Nahrung ſelbſt zu ſuchen. Sobald dieſer Zweck erreicht und
das junge Thier ſelbſtändig geworden iſt, endigt die Zärtlichkeit zwiſchen ihm und der Mutter, und
jeder Theil geht nunmehr ſeinen eigenen Weg, ohne ſich um den andern zu kümmern. Die geiſtig
begabteſten Thiere, wie die Pferde und Hunde, beweiſen uns, daß ſich Mutter und Kind ſehr bald
nach ihrer Trennung ſo von einander entfremden, daß ſie ſich, wenn ſie wieder zuſammen kommen, gar
nicht mehr kennen, während wir dagegen Beiſpiele haben, daß das geſchwiſterliche Verhältniß zweier
Jungen lange Zeit ſich erhalten kann.
Die zur Erlangung der Selbſtändigkeit eines Säugethieres nothwendige Zeit iſt faſt ebenſo
verſchieden, wie ſeine Größe. Jm Allgemeinen iſt dieſe maßgebend, d. h. ein Säugethier entwickelt
ſich um ſo langſamer, je größer es iſt und umgekehrt: allein wir ſehen an uns ſelbſt, daß auch die
Höhe der Ausbildung, welche erreicht wird, auf die Zeit der Entwickelung des Leibes von Einfluß
ſein kann, und ebenſo trägt wohl auch die größere oder geringere Schwierigkeit des Nahrungserwerbes,
die Beſchaffenheit der Nahrung und der höhere oder geringere Wärmegrad eines Heimatkreiſes Vieles
zum ſchnelleren oder langſameren Wachsthum bei. Unter den Landſäugethieren bedarf der Menſch
entſchieden die meiſte Zeit zu ſeinem Wachsthume; denn auch der Elefant wird eher groß, als er. Es
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXXVII[XXXVII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/47>, abgerufen am 21.11.2024.
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