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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Bären. -- Gemeiner Bär.

Gelangt der Bär glücklich in den Viehstall, so schlachtet er hier eine Kuh ab, reißt sie vom
Stricke los, umklammert sie mit einem Vorderlaufe, faßt mit der andern Tatze in das Dachgebälk
hinein und ist stark genug, um auf diese Weise die Kuh durch die Oeffnung hindurchzuziehen. Dann
wird das Opfer auf die Erde hinabgeschleppt, mit Leichtigkeit weitergeschafft und manchmal in
einer einzigen Nacht fast ganz aufgefressen. Bei dem Fortschaffen seiner Beute überwindet der Bär
Hindernisse aller Art mit größter Leichtigkeit. Er überklettert, wie man vielfach behauptet hat, mit
einem erwürgten Pferd oder Rind im Arme sogar jene gefährlichen Alpenstege d. h. zwei neben
einander liegende Baumstämme, welche über einen Abgrund führen.

Jn den Alpen wird der Bär, namentlich an nebligen Tagen, sehr gefährlich, weil er sich dann der
Herde unbemerkt nähern und, ohne daß es die anderen Thiere merken, einer Kuh auf den Rücken springen
kann. Hat er ein Rind gepackt und wird er von den anderen gemerkt, so sammelt sich die ganze Herde
schnaubend und brüllend um ihn her, und die muthigen Stiere gehen mit niedergebeugten Hörnern
wohl auch auf ihn los und schlagen ihn in die Flucht. Oft genug kommt es aber vor, daß er dann
um so grimmiger sicht und anstatt eines Stückes deren zehn bis zwölf zu Boden schlägt.

Noch ehe das geschlagene Geschöpf ganz verendet ist, beginnt der Bär die Mahlzeit. Seine Lieb-
lingsspeisen sollen das Euter und die Nieren sein; wenigstens behauptet man, daß er diese Theile
jedesmal zuerst auffräße. Jm Uebrigen nimmt er aber auch recht gern mit euterlosen Thieren, z. B.
mit Kälbern vorlieb, und auch Ochsen oder Pferde sind nie vor ihm sicher. Die Hirsche, Rehe oder
Gemsen entgehen ihm, Dank ihrer Schnelligkeit, fast regelmäßig; gleichwohl verfolgt er sie, wie
im Norden Skandinaviens die Reuthiere, lange Zeit. Selbst den Fischen stellt er nach und geht
ihnen zu Gefallen weit an den Flüssen empor. Den Rest einer Beute sucht er nicht gern wieder auf;
doch kennt man Beispiele, daß ein Bär mehrmals zu einem von ihm erlegten Wilde zurückgekehrt ist.
Wenn er gute Pflanzennahrung hat, läßt er übrigens die Thiere in Frieden, und wenn er kleine
Thiere in Masse findet, bekümmert er sich nicht besonders um die großen. Jn manchen Gegenden
ist er durchaus harmlos und dabei höchst gemüthlich. "Auf ganz Kamtschatka," sagt Steller, "giebt
es schwarze Bären in unbeschreiblicher Menge, und man sieht solche herdenweise auf den Feldern
umherschweifen. Ohne Zweifel würden sie längst ganz Kamtschatka aufgerieben haben, wären sie
nicht so zahm und friedfertig und leutseliger, als irgendwo in der Welt. Jm Frühjahre kommen sie
haufenweise von den Quellen der Flüsse aus den Bergen, wohin sie sich im Herbste der Nahrung
wegen begeben, um daselbst zu überwintern. Sie kommen an die Mündung der Flüsse, stehen an den
Ufern, fangen Fische, werfen sie nach dem Ufer und fressen zu der Zeit, wenn die Fische im Ueber-
flusse sind, nach Art der Hunde Nichts mehr von ihnen, als den Kopf. Finden sie irgendwo ein
stehendes Netz, so ziehen sie solches aus dem Wasser und nehmen die Fische heraus! Gegen den
Herbst, wenn die Fische weiter in den Strom aufwärts steigen, gehen sie allmählich mit denselben
nach den Gebirgen. -- Wenn ein Jtällman einen Bären ansichtig wird, spricht er ihn von weitem
an und beredet ihn, Freundschaft zu halten. Uebrigens lassen sich die Mädchen und Weiber, wenn
sie auf dem Torflande Beeren aufsammeln, durch die Bären nicht hindern. Geht einer auf sie zu, so
geschieht es nur um der Beeren willen, die er ihnen abuimmt und frißt. Sonst fallen sie keinen
Menschen an, es sei denn, daß man sie im Schlafe stört. Selten geschieht es, daß der Bär auf
einen Schützen losgeht, er werde angeschossen oder nicht. Sie sind so frech, daß sie, wie Diebe, in
die Häuser einbrechen und, was ihnen vorkommt, durchsuchen."

Mit diesen Angaben steht eine Erzählung Atkinsons vollständig im Einklange: "Zwei Kinder
von vier und sechs Jahren hatten sich vom Hause entfernt, wurden nach einiger Zeit vermißt und erst
im Dorfe, dann aber im Mor ängstlich gesucht. Zu nicht geringem Schrecken fanden die Eltern ihre
Sprößlinge im Spiel mit einem Bären begriffen. Eines der Kinder fütterte das Ungeheuer, das
andere saß ihm auf dem Rücken: -- und Meister Petz erwiederte die kindlich-unbefangene Zutraulich-
keit in der liebenswürdigsten Weise. Jm höchsten Entsetzen stießen beide Eltern einen lauten Schrei
aus und scheuchten damit den Spielgefährten ihrer Kinder in die Flucht."

Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Bär.

Gelangt der Bär glücklich in den Viehſtall, ſo ſchlachtet er hier eine Kuh ab, reißt ſie vom
Stricke los, umklammert ſie mit einem Vorderlaufe, faßt mit der andern Tatze in das Dachgebälk
hinein und iſt ſtark genug, um auf dieſe Weiſe die Kuh durch die Oeffnung hindurchzuziehen. Dann
wird das Opfer auf die Erde hinabgeſchleppt, mit Leichtigkeit weitergeſchafft und manchmal in
einer einzigen Nacht faſt ganz aufgefreſſen. Bei dem Fortſchaffen ſeiner Beute überwindet der Bär
Hinderniſſe aller Art mit größter Leichtigkeit. Er überklettert, wie man vielfach behauptet hat, mit
einem erwürgten Pferd oder Rind im Arme ſogar jene gefährlichen Alpenſtege d. h. zwei neben
einander liegende Baumſtämme, welche über einen Abgrund führen.

Jn den Alpen wird der Bär, namentlich an nebligen Tagen, ſehr gefährlich, weil er ſich dann der
Herde unbemerkt nähern und, ohne daß es die anderen Thiere merken, einer Kuh auf den Rücken ſpringen
kann. Hat er ein Rind gepackt und wird er von den anderen gemerkt, ſo ſammelt ſich die ganze Herde
ſchnaubend und brüllend um ihn her, und die muthigen Stiere gehen mit niedergebeugten Hörnern
wohl auch auf ihn los und ſchlagen ihn in die Flucht. Oft genug kommt es aber vor, daß er dann
um ſo grimmiger ſicht und anſtatt eines Stückes deren zehn bis zwölf zu Boden ſchlägt.

Noch ehe das geſchlagene Geſchöpf ganz verendet iſt, beginnt der Bär die Mahlzeit. Seine Lieb-
lingsſpeiſen ſollen das Euter und die Nieren ſein; wenigſtens behauptet man, daß er dieſe Theile
jedesmal zuerſt auffräße. Jm Uebrigen nimmt er aber auch recht gern mit euterloſen Thieren, z. B.
mit Kälbern vorlieb, und auch Ochſen oder Pferde ſind nie vor ihm ſicher. Die Hirſche, Rehe oder
Gemſen entgehen ihm, Dank ihrer Schnelligkeit, faſt regelmäßig; gleichwohl verfolgt er ſie, wie
im Norden Skandinaviens die Reuthiere, lange Zeit. Selbſt den Fiſchen ſtellt er nach und geht
ihnen zu Gefallen weit an den Flüſſen empor. Den Reſt einer Beute ſucht er nicht gern wieder auf;
doch kennt man Beiſpiele, daß ein Bär mehrmals zu einem von ihm erlegten Wilde zurückgekehrt iſt.
Wenn er gute Pflanzennahrung hat, läßt er übrigens die Thiere in Frieden, und wenn er kleine
Thiere in Maſſe findet, bekümmert er ſich nicht beſonders um die großen. Jn manchen Gegenden
iſt er durchaus harmlos und dabei höchſt gemüthlich. „Auf ganz Kamtſchatka,‟ ſagt Steller, „giebt
es ſchwarze Bären in unbeſchreiblicher Menge, und man ſieht ſolche herdenweiſe auf den Feldern
umherſchweifen. Ohne Zweifel würden ſie längſt ganz Kamtſchatka aufgerieben haben, wären ſie
nicht ſo zahm und friedfertig und leutſeliger, als irgendwo in der Welt. Jm Frühjahre kommen ſie
haufenweiſe von den Quellen der Flüſſe aus den Bergen, wohin ſie ſich im Herbſte der Nahrung
wegen begeben, um daſelbſt zu überwintern. Sie kommen an die Mündung der Flüſſe, ſtehen an den
Ufern, fangen Fiſche, werfen ſie nach dem Ufer und freſſen zu der Zeit, wenn die Fiſche im Ueber-
fluſſe ſind, nach Art der Hunde Nichts mehr von ihnen, als den Kopf. Finden ſie irgendwo ein
ſtehendes Netz, ſo ziehen ſie ſolches aus dem Waſſer und nehmen die Fiſche heraus! Gegen den
Herbſt, wenn die Fiſche weiter in den Strom aufwärts ſteigen, gehen ſie allmählich mit denſelben
nach den Gebirgen. — Wenn ein Jtällman einen Bären anſichtig wird, ſpricht er ihn von weitem
an und beredet ihn, Freundſchaft zu halten. Uebrigens laſſen ſich die Mädchen und Weiber, wenn
ſie auf dem Torflande Beeren aufſammeln, durch die Bären nicht hindern. Geht einer auf ſie zu, ſo
geſchieht es nur um der Beeren willen, die er ihnen abuimmt und frißt. Sonſt fallen ſie keinen
Menſchen an, es ſei denn, daß man ſie im Schlafe ſtört. Selten geſchieht es, daß der Bär auf
einen Schützen losgeht, er werde angeſchoſſen oder nicht. Sie ſind ſo frech, daß ſie, wie Diebe, in
die Häuſer einbrechen und, was ihnen vorkommt, durchſuchen.‟

Mit dieſen Angaben ſteht eine Erzählung Atkinſons vollſtändig im Einklange: „Zwei Kinder
von vier und ſechs Jahren hatten ſich vom Hauſe entfernt, wurden nach einiger Zeit vermißt und erſt
im Dorfe, dann aber im Mor ängſtlich geſucht. Zu nicht geringem Schrecken fanden die Eltern ihre
Sprößlinge im Spiel mit einem Bären begriffen. Eines der Kinder fütterte das Ungeheuer, das
andere ſaß ihm auf dem Rücken: — und Meiſter Petz erwiederte die kindlich-unbefangene Zutraulich-
keit in der liebenswürdigſten Weiſe. Jm höchſten Entſetzen ſtießen beide Eltern einen lauten Schrei
aus und ſcheuchten damit den Spielgefährten ihrer Kinder in die Flucht.‟

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[582/0658] Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Bär. Gelangt der Bär glücklich in den Viehſtall, ſo ſchlachtet er hier eine Kuh ab, reißt ſie vom Stricke los, umklammert ſie mit einem Vorderlaufe, faßt mit der andern Tatze in das Dachgebälk hinein und iſt ſtark genug, um auf dieſe Weiſe die Kuh durch die Oeffnung hindurchzuziehen. Dann wird das Opfer auf die Erde hinabgeſchleppt, mit Leichtigkeit weitergeſchafft und manchmal in einer einzigen Nacht faſt ganz aufgefreſſen. Bei dem Fortſchaffen ſeiner Beute überwindet der Bär Hinderniſſe aller Art mit größter Leichtigkeit. Er überklettert, wie man vielfach behauptet hat, mit einem erwürgten Pferd oder Rind im Arme ſogar jene gefährlichen Alpenſtege d. h. zwei neben einander liegende Baumſtämme, welche über einen Abgrund führen. Jn den Alpen wird der Bär, namentlich an nebligen Tagen, ſehr gefährlich, weil er ſich dann der Herde unbemerkt nähern und, ohne daß es die anderen Thiere merken, einer Kuh auf den Rücken ſpringen kann. Hat er ein Rind gepackt und wird er von den anderen gemerkt, ſo ſammelt ſich die ganze Herde ſchnaubend und brüllend um ihn her, und die muthigen Stiere gehen mit niedergebeugten Hörnern wohl auch auf ihn los und ſchlagen ihn in die Flucht. Oft genug kommt es aber vor, daß er dann um ſo grimmiger ſicht und anſtatt eines Stückes deren zehn bis zwölf zu Boden ſchlägt. Noch ehe das geſchlagene Geſchöpf ganz verendet iſt, beginnt der Bär die Mahlzeit. Seine Lieb- lingsſpeiſen ſollen das Euter und die Nieren ſein; wenigſtens behauptet man, daß er dieſe Theile jedesmal zuerſt auffräße. Jm Uebrigen nimmt er aber auch recht gern mit euterloſen Thieren, z. B. mit Kälbern vorlieb, und auch Ochſen oder Pferde ſind nie vor ihm ſicher. Die Hirſche, Rehe oder Gemſen entgehen ihm, Dank ihrer Schnelligkeit, faſt regelmäßig; gleichwohl verfolgt er ſie, wie im Norden Skandinaviens die Reuthiere, lange Zeit. Selbſt den Fiſchen ſtellt er nach und geht ihnen zu Gefallen weit an den Flüſſen empor. Den Reſt einer Beute ſucht er nicht gern wieder auf; doch kennt man Beiſpiele, daß ein Bär mehrmals zu einem von ihm erlegten Wilde zurückgekehrt iſt. Wenn er gute Pflanzennahrung hat, läßt er übrigens die Thiere in Frieden, und wenn er kleine Thiere in Maſſe findet, bekümmert er ſich nicht beſonders um die großen. Jn manchen Gegenden iſt er durchaus harmlos und dabei höchſt gemüthlich. „Auf ganz Kamtſchatka,‟ ſagt Steller, „giebt es ſchwarze Bären in unbeſchreiblicher Menge, und man ſieht ſolche herdenweiſe auf den Feldern umherſchweifen. Ohne Zweifel würden ſie längſt ganz Kamtſchatka aufgerieben haben, wären ſie nicht ſo zahm und friedfertig und leutſeliger, als irgendwo in der Welt. Jm Frühjahre kommen ſie haufenweiſe von den Quellen der Flüſſe aus den Bergen, wohin ſie ſich im Herbſte der Nahrung wegen begeben, um daſelbſt zu überwintern. Sie kommen an die Mündung der Flüſſe, ſtehen an den Ufern, fangen Fiſche, werfen ſie nach dem Ufer und freſſen zu der Zeit, wenn die Fiſche im Ueber- fluſſe ſind, nach Art der Hunde Nichts mehr von ihnen, als den Kopf. Finden ſie irgendwo ein ſtehendes Netz, ſo ziehen ſie ſolches aus dem Waſſer und nehmen die Fiſche heraus! Gegen den Herbſt, wenn die Fiſche weiter in den Strom aufwärts ſteigen, gehen ſie allmählich mit denſelben nach den Gebirgen. — Wenn ein Jtällman einen Bären anſichtig wird, ſpricht er ihn von weitem an und beredet ihn, Freundſchaft zu halten. Uebrigens laſſen ſich die Mädchen und Weiber, wenn ſie auf dem Torflande Beeren aufſammeln, durch die Bären nicht hindern. Geht einer auf ſie zu, ſo geſchieht es nur um der Beeren willen, die er ihnen abuimmt und frißt. Sonſt fallen ſie keinen Menſchen an, es ſei denn, daß man ſie im Schlafe ſtört. Selten geſchieht es, daß der Bär auf einen Schützen losgeht, er werde angeſchoſſen oder nicht. Sie ſind ſo frech, daß ſie, wie Diebe, in die Häuſer einbrechen und, was ihnen vorkommt, durchſuchen.‟ Mit dieſen Angaben ſteht eine Erzählung Atkinſons vollſtändig im Einklange: „Zwei Kinder von vier und ſechs Jahren hatten ſich vom Hauſe entfernt, wurden nach einiger Zeit vermißt und erſt im Dorfe, dann aber im Mor ängſtlich geſucht. Zu nicht geringem Schrecken fanden die Eltern ihre Sprößlinge im Spiel mit einem Bären begriffen. Eines der Kinder fütterte das Ungeheuer, das andere ſaß ihm auf dem Rücken: — und Meiſter Petz erwiederte die kindlich-unbefangene Zutraulich- keit in der liebenswürdigſten Weiſe. Jm höchſten Entſetzen ſtießen beide Eltern einen lauten Schrei aus und ſcheuchten damit den Spielgefährten ihrer Kinder in die Flucht.‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/658>, abgerufen am 22.11.2024.