unserm Jäger versicherte, er würde sehr erfreut sein, wenn er für jede Reise einen jungen Bären bekommen könnte.
"Eines Tages," erzählt dieser Gewährsmann, "trieb ein Regenschauer alle Reisenden aus- fchließlich des Bären unter Deck. Da wurde meine Aufmerksamkeit durch ein lautes Gelächter auf dem Deck rege. Als ich nach oben eilte, sah ich, daß der Bär die Ursache desselben war. Er hatte sich aus dem geschlossenen Raume durch Zerbrechen seiner Kette befreit und war weggegangen. Jmmer noch konnte ich mir die Ursache des Gelächters nicht erklären. Die Leute standen um die Kajüte des Steuermanns herum und beschäftigten sich mit einem Gegenstande, welcher auf des Steuermanns Bett lag und sich sorgfältig in die Laken gehüllt hatte. Jhre Scherze wurden plötzlich mit einem unwilligen Geheul beantwortet, und siehe da, mein Freund Braun war es, welcher, ärgerlich über den Regen, sich losgemacht, zufällig den Weg nach des Steuermanns Bett gefunden, dasselbe bestiegen und sich dort höchst sorgsam in die Decken gehüllt hatte. Der gutgelaunte Steuermann war nicht im ge- ringsten erzürnt darüber, sondern im Gegentheil auf das äußerste erfreut."
"Dasselbe Thier hatte eine merkwürdige Freundschaft mit einer kleinen Antilope eingegangen, welche ein Reisegenosse von ihm war, und vertheidigte sie bei einer Gelegenheit in der ritterlichsten Weise. Als die Antilope nämlich vom Schiff aus durch die Straßen geführt wurde, kam plötzlich ein gewaltiger Bulldogg auf sie zugeflogen und ergriff, ohne sich im geringsten um die Zurufe und Stockschläge der Führer zu kümmern, das kleine Geschöpf in der guten Absicht, es zu zerreißen. Zum Glück ging Palliser mit seinem Bären denselben Weg, und kaum hatte der Letztere gesehen, was vor- ging, als er sich mit einem mächtigen Ruck befreite und im nächsten Augenblicke den Feind seiner Freundin am Kragen hatte. Ein wüthender Streit entspann sich; der Bär machte aufangs gar keinen Gebrauch von seinen Zähnen oder Krallen und begnügte sich mit einer Umarmung des Bullenbeißers, nach welcher er ihn mit Macht zu Boden schleuderte. Der Hund, darüber wüthend und durch den Zuruf seines Herrn noch mehr angeregt, glaubte nach diesem Vorfall, es nur mit einem ziemlich harm- losen Gegner zu thun zu haben, und gab dem Bären einen ziemlich starken Biß. Doch er hatte sich in seinem Gegner vollkommen getäuscht. Durch den Schmerz wüthend gemacht, verlor Braun seinen Gleichmuth und faßte den Hund nochmals mit solcher Zärtlichkeit zwischen seine Arme, daß er ihn beinahe erdrosselte. Zum Glück konnte sich der Bullenbeißer noch freimachen, ehe der Bär seine Zähne an ihm versuchte, er hatte aber alle Lust zu fernerem Kampfe verloren und entfloh mit kläglichem Heulen, dem Bären das Feld überlassend, welcher seinerseits nun, höchlich befriedigt über den seiner Freundin gegebenen Schutz, weiter tappte."
Jn der Neuzeit sind die Grislibären häusiger zu uns gebracht worden. Sie haben stets die größte Aufmerksamkeit der Beschauer auf sich gezogen, ebensowohl wegen ihrer Größe, als wegen ihres lustigen, unterhaltenden Wesens. Jn dem Londoner Thiergarten befinden sich zwei von ihnen, welche auch einmal in der Thierheilkunde eine große Rolle spielten. Die meisten Bären leiden nämlich an Augenkrankheiten, und jene beiden wurden schon in ihrer Jugend von einer heftigen Augen- entzündung befallen, welche ihnen vollkommene Blindheit zurückließ. Aus Mitleid ebensowohl, als auch, um die Wirkungen des Chloroforms bei ihnen zu erproben, beschloß man, ihnen den Staar zu stechen, und der Versuch glückte merkwürdig gut. Die beiden Kranken wurden zuvörderst von einander getrennt, und hierauf legten die Wärter jedem derselben ein starkes Halsband an, an welches mehrere Stricke befestigt wurden. Vier starke Leute zogen den Kopf des Riesenbären sodann dicht an das Gitter heran, und jetzt konnte man ihm ohne Furcht den mit Chloroform getränkten Schwamm unter die Nase halten. Die Wirkung war eine ganz unverhältnißmäßig rasche und sichere. Nach wenigen Minuten schon lag das gewaltige Thier ohne Besinnung und ohne Bewegung wie todt in seinem Käfig, und der Augenarzt konnte jetzt getrost in denselben eintreten, sich das furchtbare Haupt nach Belieben zurecht legen und seine Operation vornehmen. Die beabsichtigte Heilung glückte, Dank der Geschicklichkeit des Wundarztes, vollständig. Als man eben die Verdunkelung des Käfigs bewirkt hatte, erwachte das Thier, taumelte noch wie betrunken hin und her und schien um so unsicherer zu werden,
Die Raubthiere. Bären. — Grislibär. Baribal.
unſerm Jäger verſicherte, er würde ſehr erfreut ſein, wenn er für jede Reiſe einen jungen Bären bekommen könnte.
„Eines Tages,‟ erzählt dieſer Gewährsmann, „trieb ein Regenſchauer alle Reiſenden aus- fchließlich des Bären unter Deck. Da wurde meine Aufmerkſamkeit durch ein lautes Gelächter auf dem Deck rege. Als ich nach oben eilte, ſah ich, daß der Bär die Urſache deſſelben war. Er hatte ſich aus dem geſchloſſenen Raume durch Zerbrechen ſeiner Kette befreit und war weggegangen. Jmmer noch konnte ich mir die Urſache des Gelächters nicht erklären. Die Leute ſtanden um die Kajüte des Steuermanns herum und beſchäftigten ſich mit einem Gegenſtande, welcher auf des Steuermanns Bett lag und ſich ſorgfältig in die Laken gehüllt hatte. Jhre Scherze wurden plötzlich mit einem unwilligen Geheul beantwortet, und ſiehe da, mein Freund Braun war es, welcher, ärgerlich über den Regen, ſich losgemacht, zufällig den Weg nach des Steuermanns Bett gefunden, daſſelbe beſtiegen und ſich dort höchſt ſorgſam in die Decken gehüllt hatte. Der gutgelaunte Steuermann war nicht im ge- ringſten erzürnt darüber, ſondern im Gegentheil auf das äußerſte erfreut.‟
„Daſſelbe Thier hatte eine merkwürdige Freundſchaft mit einer kleinen Antilope eingegangen, welche ein Reiſegenoſſe von ihm war, und vertheidigte ſie bei einer Gelegenheit in der ritterlichſten Weiſe. Als die Antilope nämlich vom Schiff aus durch die Straßen geführt wurde, kam plötzlich ein gewaltiger Bulldogg auf ſie zugeflogen und ergriff, ohne ſich im geringſten um die Zurufe und Stockſchläge der Führer zu kümmern, das kleine Geſchöpf in der guten Abſicht, es zu zerreißen. Zum Glück ging Palliſer mit ſeinem Bären denſelben Weg, und kaum hatte der Letztere geſehen, was vor- ging, als er ſich mit einem mächtigen Ruck befreite und im nächſten Augenblicke den Feind ſeiner Freundin am Kragen hatte. Ein wüthender Streit entſpann ſich; der Bär machte aufangs gar keinen Gebrauch von ſeinen Zähnen oder Krallen und begnügte ſich mit einer Umarmung des Bullenbeißers, nach welcher er ihn mit Macht zu Boden ſchleuderte. Der Hund, darüber wüthend und durch den Zuruf ſeines Herrn noch mehr angeregt, glaubte nach dieſem Vorfall, es nur mit einem ziemlich harm- loſen Gegner zu thun zu haben, und gab dem Bären einen ziemlich ſtarken Biß. Doch er hatte ſich in ſeinem Gegner vollkommen getäuſcht. Durch den Schmerz wüthend gemacht, verlor Braun ſeinen Gleichmuth und faßte den Hund nochmals mit ſolcher Zärtlichkeit zwiſchen ſeine Arme, daß er ihn beinahe erdroſſelte. Zum Glück konnte ſich der Bullenbeißer noch freimachen, ehe der Bär ſeine Zähne an ihm verſuchte, er hatte aber alle Luſt zu fernerem Kampfe verloren und entfloh mit kläglichem Heulen, dem Bären das Feld überlaſſend, welcher ſeinerſeits nun, höchlich befriedigt über den ſeiner Freundin gegebenen Schutz, weiter tappte.‟
Jn der Neuzeit ſind die Grislibären häuſiger zu uns gebracht worden. Sie haben ſtets die größte Aufmerkſamkeit der Beſchauer auf ſich gezogen, ebenſowohl wegen ihrer Größe, als wegen ihres luſtigen, unterhaltenden Weſens. Jn dem Londoner Thiergarten befinden ſich zwei von ihnen, welche auch einmal in der Thierheilkunde eine große Rolle ſpielten. Die meiſten Bären leiden nämlich an Augenkrankheiten, und jene beiden wurden ſchon in ihrer Jugend von einer heftigen Augen- entzündung befallen, welche ihnen vollkommene Blindheit zurückließ. Aus Mitleid ebenſowohl, als auch, um die Wirkungen des Chloroforms bei ihnen zu erproben, beſchloß man, ihnen den Staar zu ſtechen, und der Verſuch glückte merkwürdig gut. Die beiden Kranken wurden zuvörderſt von einander getrennt, und hierauf legten die Wärter jedem derſelben ein ſtarkes Halsband an, an welches mehrere Stricke befeſtigt wurden. Vier ſtarke Leute zogen den Kopf des Rieſenbären ſodann dicht an das Gitter heran, und jetzt konnte man ihm ohne Furcht den mit Chloroform getränkten Schwamm unter die Naſe halten. Die Wirkung war eine ganz unverhältnißmäßig raſche und ſichere. Nach wenigen Minuten ſchon lag das gewaltige Thier ohne Beſinnung und ohne Bewegung wie todt in ſeinem Käfig, und der Augenarzt konnte jetzt getroſt in denſelben eintreten, ſich das furchtbare Haupt nach Belieben zurecht legen und ſeine Operation vornehmen. Die beabſichtigte Heilung glückte, Dank der Geſchicklichkeit des Wundarztes, vollſtändig. Als man eben die Verdunkelung des Käfigs bewirkt hatte, erwachte das Thier, taumelte noch wie betrunken hin und her und ſchien um ſo unſicherer zu werden,
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[602/0678]
Die Raubthiere. Bären. — Grislibär. Baribal.
unſerm Jäger verſicherte, er würde ſehr erfreut ſein, wenn er für jede Reiſe einen jungen Bären
bekommen könnte.
„Eines Tages,‟ erzählt dieſer Gewährsmann, „trieb ein Regenſchauer alle Reiſenden aus-
fchließlich des Bären unter Deck. Da wurde meine Aufmerkſamkeit durch ein lautes Gelächter auf
dem Deck rege. Als ich nach oben eilte, ſah ich, daß der Bär die Urſache deſſelben war. Er hatte
ſich aus dem geſchloſſenen Raume durch Zerbrechen ſeiner Kette befreit und war weggegangen. Jmmer
noch konnte ich mir die Urſache des Gelächters nicht erklären. Die Leute ſtanden um die Kajüte des
Steuermanns herum und beſchäftigten ſich mit einem Gegenſtande, welcher auf des Steuermanns Bett
lag und ſich ſorgfältig in die Laken gehüllt hatte. Jhre Scherze wurden plötzlich mit einem unwilligen
Geheul beantwortet, und ſiehe da, mein Freund Braun war es, welcher, ärgerlich über den Regen,
ſich losgemacht, zufällig den Weg nach des Steuermanns Bett gefunden, daſſelbe beſtiegen und ſich
dort höchſt ſorgſam in die Decken gehüllt hatte. Der gutgelaunte Steuermann war nicht im ge-
ringſten erzürnt darüber, ſondern im Gegentheil auf das äußerſte erfreut.‟
„Daſſelbe Thier hatte eine merkwürdige Freundſchaft mit einer kleinen Antilope eingegangen,
welche ein Reiſegenoſſe von ihm war, und vertheidigte ſie bei einer Gelegenheit in der ritterlichſten
Weiſe. Als die Antilope nämlich vom Schiff aus durch die Straßen geführt wurde, kam plötzlich ein
gewaltiger Bulldogg auf ſie zugeflogen und ergriff, ohne ſich im geringſten um die Zurufe und
Stockſchläge der Führer zu kümmern, das kleine Geſchöpf in der guten Abſicht, es zu zerreißen. Zum
Glück ging Palliſer mit ſeinem Bären denſelben Weg, und kaum hatte der Letztere geſehen, was vor-
ging, als er ſich mit einem mächtigen Ruck befreite und im nächſten Augenblicke den Feind ſeiner
Freundin am Kragen hatte. Ein wüthender Streit entſpann ſich; der Bär machte aufangs gar keinen
Gebrauch von ſeinen Zähnen oder Krallen und begnügte ſich mit einer Umarmung des Bullenbeißers,
nach welcher er ihn mit Macht zu Boden ſchleuderte. Der Hund, darüber wüthend und durch den
Zuruf ſeines Herrn noch mehr angeregt, glaubte nach dieſem Vorfall, es nur mit einem ziemlich harm-
loſen Gegner zu thun zu haben, und gab dem Bären einen ziemlich ſtarken Biß. Doch er hatte ſich in
ſeinem Gegner vollkommen getäuſcht. Durch den Schmerz wüthend gemacht, verlor Braun ſeinen
Gleichmuth und faßte den Hund nochmals mit ſolcher Zärtlichkeit zwiſchen ſeine Arme, daß er ihn
beinahe erdroſſelte. Zum Glück konnte ſich der Bullenbeißer noch freimachen, ehe der Bär ſeine Zähne
an ihm verſuchte, er hatte aber alle Luſt zu fernerem Kampfe verloren und entfloh mit kläglichem
Heulen, dem Bären das Feld überlaſſend, welcher ſeinerſeits nun, höchlich befriedigt über den ſeiner
Freundin gegebenen Schutz, weiter tappte.‟
Jn der Neuzeit ſind die Grislibären häuſiger zu uns gebracht worden. Sie haben ſtets die
größte Aufmerkſamkeit der Beſchauer auf ſich gezogen, ebenſowohl wegen ihrer Größe, als wegen
ihres luſtigen, unterhaltenden Weſens. Jn dem Londoner Thiergarten befinden ſich zwei von ihnen,
welche auch einmal in der Thierheilkunde eine große Rolle ſpielten. Die meiſten Bären leiden nämlich
an Augenkrankheiten, und jene beiden wurden ſchon in ihrer Jugend von einer heftigen Augen-
entzündung befallen, welche ihnen vollkommene Blindheit zurückließ. Aus Mitleid ebenſowohl, als
auch, um die Wirkungen des Chloroforms bei ihnen zu erproben, beſchloß man, ihnen den Staar zu
ſtechen, und der Verſuch glückte merkwürdig gut. Die beiden Kranken wurden zuvörderſt von einander
getrennt, und hierauf legten die Wärter jedem derſelben ein ſtarkes Halsband an, an welches mehrere
Stricke befeſtigt wurden. Vier ſtarke Leute zogen den Kopf des Rieſenbären ſodann dicht an das
Gitter heran, und jetzt konnte man ihm ohne Furcht den mit Chloroform getränkten Schwamm unter
die Naſe halten. Die Wirkung war eine ganz unverhältnißmäßig raſche und ſichere. Nach wenigen
Minuten ſchon lag das gewaltige Thier ohne Beſinnung und ohne Bewegung wie todt in ſeinem
Käfig, und der Augenarzt konnte jetzt getroſt in denſelben eintreten, ſich das furchtbare Haupt nach
Belieben zurecht legen und ſeine Operation vornehmen. Die beabſichtigte Heilung glückte, Dank der
Geſchicklichkeit des Wundarztes, vollſtändig. Als man eben die Verdunkelung des Käfigs bewirkt hatte,
erwachte das Thier, taumelte noch wie betrunken hin und her und ſchien um ſo unſicherer zu werden,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/678>, abgerufen am 22.11.2024.
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