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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Bären. -- Wickelbär. Binturong.
streben eine Behandlung, gegen welche er sich Anderen gegenüber zu verwahren weiß. Jch darf ihn
jetzt sogar aus dem Schlafe wecken, ohne seinen Zorn zu erregen.

Auch er bringt den größten Theil des Tages schlafend zu. Dabei liegt er zusammengerollt auf
der Seite, den Rücken nach dem Lichte gekehrt. Gegen Abend, immer ungefähr zu derselben Zeit,
wird er munter, dehnt und reckt sich, gähnt und streckt dabei die Zunge lang aus dem Maule heraus.
Dann tappt er geraume Zeit bedächtig und sehr langsam im Käfig umher. Sein Gang ist sehr eigen-
thümlich und entschieden ungeschickt. Er setzt seine krummen Dachsbeine soweit nach innen, daß er
den Fuß der einen Seite beim Ausschreiten fast, oft aber wirklich, über den der andern wegheben muß.
Jm Klettern zeigt er sich viel geschickter; eigentlich gewandt aber ist er nicht. Den Wickelschwanz
benutzt er fortwährend. Zuweilen hält er sich mit ihm und den beiden Hinterfüßen frei an einem
Aste, den Leib wagrecht vorgestreckt.

Er frißt alles Genießbare, welches wir ihm geben, am liebsten Früchte, gekochte Kartoffeln und
gesottenen Reis. Wenn ich ihm einen kleinen Vogel vorwerfe, naht er sich höchst bedächtig, be-
schnuppert ihn sorgfältig, beißt dann zu und hält den Erfaßten beim Fressen mit beiden Vorderfüßen
fest. Er frißt langsam und, ich möchte so sagen, liederlich; er zerreißt und zerfetzt die Nahrung, beißt
auch, entschieden mit Mühe, immer nur kleine Stücken von ihr ab und kaut diese langsam vor dem
Verschlingen. Eigentlich blutgierig ist er nicht, obgleich er seine Raubthiernatur nicht verleugnet.

Schwer dürfte es halten, einen gemüthlichern Burschen, als er einer ist, zum Hausgenossen zu
finden. Er ist hingebend, wie ein Kind. Liebkosungen machen ihn ganz glücklich. Er schmiegt sich
zärtlich Dem an, welcher ihm schmeichelt, und scheint durchaus keine Tücke zu besitzen. Unwillig
wird er nur dann, wenn man ihn ohne weiteres aus seinem süßesten Schlafe weckt. Ermuntert man
ihn durch Anrufen und läßt ihm Zeit zum Wachwerden, so ist er auch bei Tage das liebenswürdige
Geschöpf, wie immer. --

Obgleich der Wickelbär auch in Europa die Gefangenschaft gut verträgt und ohne Beschwerde
ernährt werden kann, sieht man ihn doch sehr selten lebend bei uns, mir ist es unbekannt, warum.
Er kann nicht besonders schwer zu erlangen sein und gehört zu denjenigen Thieren, welche unter allen
Umständen die Aufmerksamkeit der Beschauer zu fesseln wissen, also doppelt willkommene Erwerbungen
für Thiergärten oder Thierschaubuden sind.



Einige Forscher reihen dem Wickelbären ein noch weit weniger bekanntes Thier an, während
Andere ihm unter den Zibetthieren seine Stelle anweisen wollen. Jch schließe mich, nachdem ich das
betreffende Raubthier lebend gesehen habe, den Ersteren an.

Der Binturong (Arctitis -- Ictitis -- Binturong) steht bis jetzt ebenso einzeln da, als der
Wickelbär. Er allein vertritt seine Sippe. Dem Wickelbären ähnelt er hinsichtlich seines Gebisses
und wegen seines wenigstens greiffähigen Schwanzes, den Zibetthieren durch seinen Leibesbau. Den
einen wie die anderen übertrifft er an Größe. Ein erwachsenes Männchen wird reichlich vier Fuß
lang, wovon die Hälfte auf den Schwanz kommt; das Weibchen ist nur wenig kleiner. Der Leib ist
kräftig, der Kopf dick, die Schnauze verlängert, der Schwanz lang; die Beine sind kurz und stämmig,
die Füße nacktsohlig, fünfzehig, mit ziemlich starken, nicht einziehbaren Krallen bewehrt. Ein dichter,
ziemlich rauhhaariger, lockerer Pelz bekleidet den Leib. Das Haar bildet an den kurzen, abgerundeten
Ohren Pinsel, ist aber auch am Leibe und besonders am Schwanze auffallend lang, überhaupt nur
an den Gliedern kurz. Dicke, weiße Schnurren zu beiden Seiten der Schnauze umgeben das Gesicht
wie mit einem Strahlenkranze. Die Färbung ist ein mattes Schwarz, welches auf dem Kopfe ins
Grauliche, an den Gliedmaßen ins Bräunliche übergeht. Das Weibchen soll grau, das Junge gelb-
lich aussehen, weil die Spitzen der übrigens schwarzen Haare die entsprechenden Färbungen zeigen.
Weißlich erscheinen die Ohrränder und Augenbrauen.

Die Raubthiere. Bären. — Wickelbär. Binturong.
ſtreben eine Behandlung, gegen welche er ſich Anderen gegenüber zu verwahren weiß. Jch darf ihn
jetzt ſogar aus dem Schlafe wecken, ohne ſeinen Zorn zu erregen.

Auch er bringt den größten Theil des Tages ſchlafend zu. Dabei liegt er zuſammengerollt auf
der Seite, den Rücken nach dem Lichte gekehrt. Gegen Abend, immer ungefähr zu derſelben Zeit,
wird er munter, dehnt und reckt ſich, gähnt und ſtreckt dabei die Zunge lang aus dem Maule heraus.
Dann tappt er geraume Zeit bedächtig und ſehr langſam im Käfig umher. Sein Gang iſt ſehr eigen-
thümlich und entſchieden ungeſchickt. Er ſetzt ſeine krummen Dachsbeine ſoweit nach innen, daß er
den Fuß der einen Seite beim Ausſchreiten faſt, oft aber wirklich, über den der andern wegheben muß.
Jm Klettern zeigt er ſich viel geſchickter; eigentlich gewandt aber iſt er nicht. Den Wickelſchwanz
benutzt er fortwährend. Zuweilen hält er ſich mit ihm und den beiden Hinterfüßen frei an einem
Aſte, den Leib wagrecht vorgeſtreckt.

Er frißt alles Genießbare, welches wir ihm geben, am liebſten Früchte, gekochte Kartoffeln und
geſottenen Reis. Wenn ich ihm einen kleinen Vogel vorwerfe, naht er ſich höchſt bedächtig, be-
ſchnuppert ihn ſorgfältig, beißt dann zu und hält den Erfaßten beim Freſſen mit beiden Vorderfüßen
feſt. Er frißt langſam und, ich möchte ſo ſagen, liederlich; er zerreißt und zerfetzt die Nahrung, beißt
auch, entſchieden mit Mühe, immer nur kleine Stücken von ihr ab und kaut dieſe langſam vor dem
Verſchlingen. Eigentlich blutgierig iſt er nicht, obgleich er ſeine Raubthiernatur nicht verleugnet.

Schwer dürfte es halten, einen gemüthlichern Burſchen, als er einer iſt, zum Hausgenoſſen zu
finden. Er iſt hingebend, wie ein Kind. Liebkoſungen machen ihn ganz glücklich. Er ſchmiegt ſich
zärtlich Dem an, welcher ihm ſchmeichelt, und ſcheint durchaus keine Tücke zu beſitzen. Unwillig
wird er nur dann, wenn man ihn ohne weiteres aus ſeinem ſüßeſten Schlafe weckt. Ermuntert man
ihn durch Anrufen und läßt ihm Zeit zum Wachwerden, ſo iſt er auch bei Tage das liebenswürdige
Geſchöpf, wie immer. —

Obgleich der Wickelbär auch in Europa die Gefangenſchaft gut verträgt und ohne Beſchwerde
ernährt werden kann, ſieht man ihn doch ſehr ſelten lebend bei uns, mir iſt es unbekannt, warum.
Er kann nicht beſonders ſchwer zu erlangen ſein und gehört zu denjenigen Thieren, welche unter allen
Umſtänden die Aufmerkſamkeit der Beſchauer zu feſſeln wiſſen, alſo doppelt willkommene Erwerbungen
für Thiergärten oder Thierſchaubuden ſind.



Einige Forſcher reihen dem Wickelbären ein noch weit weniger bekanntes Thier an, während
Andere ihm unter den Zibetthieren ſeine Stelle anweiſen wollen. Jch ſchließe mich, nachdem ich das
betreffende Raubthier lebend geſehen habe, den Erſteren an.

Der Binturong (Arctitis — Ictitis — Binturong) ſteht bis jetzt ebenſo einzeln da, als der
Wickelbär. Er allein vertritt ſeine Sippe. Dem Wickelbären ähnelt er hinſichtlich ſeines Gebiſſes
und wegen ſeines wenigſtens greiffähigen Schwanzes, den Zibetthieren durch ſeinen Leibesbau. Den
einen wie die anderen übertrifft er an Größe. Ein erwachſenes Männchen wird reichlich vier Fuß
lang, wovon die Hälfte auf den Schwanz kommt; das Weibchen iſt nur wenig kleiner. Der Leib iſt
kräftig, der Kopf dick, die Schnauze verlängert, der Schwanz lang; die Beine ſind kurz und ſtämmig,
die Füße nacktſohlig, fünfzehig, mit ziemlich ſtarken, nicht einziehbaren Krallen bewehrt. Ein dichter,
ziemlich rauhhaariger, lockerer Pelz bekleidet den Leib. Das Haar bildet an den kurzen, abgerundeten
Ohren Pinſel, iſt aber auch am Leibe und beſonders am Schwanze auffallend lang, überhaupt nur
an den Gliedern kurz. Dicke, weiße Schnurren zu beiden Seiten der Schnauze umgeben das Geſicht
wie mit einem Strahlenkranze. Die Färbung iſt ein mattes Schwarz, welches auf dem Kopfe ins
Grauliche, an den Gliedmaßen ins Bräunliche übergeht. Das Weibchen ſoll grau, das Junge gelb-
lich ausſehen, weil die Spitzen der übrigens ſchwarzen Haare die entſprechenden Färbungen zeigen.
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[642/0720] Die Raubthiere. Bären. — Wickelbär. Binturong. ſtreben eine Behandlung, gegen welche er ſich Anderen gegenüber zu verwahren weiß. Jch darf ihn jetzt ſogar aus dem Schlafe wecken, ohne ſeinen Zorn zu erregen. Auch er bringt den größten Theil des Tages ſchlafend zu. Dabei liegt er zuſammengerollt auf der Seite, den Rücken nach dem Lichte gekehrt. Gegen Abend, immer ungefähr zu derſelben Zeit, wird er munter, dehnt und reckt ſich, gähnt und ſtreckt dabei die Zunge lang aus dem Maule heraus. Dann tappt er geraume Zeit bedächtig und ſehr langſam im Käfig umher. Sein Gang iſt ſehr eigen- thümlich und entſchieden ungeſchickt. Er ſetzt ſeine krummen Dachsbeine ſoweit nach innen, daß er den Fuß der einen Seite beim Ausſchreiten faſt, oft aber wirklich, über den der andern wegheben muß. Jm Klettern zeigt er ſich viel geſchickter; eigentlich gewandt aber iſt er nicht. Den Wickelſchwanz benutzt er fortwährend. Zuweilen hält er ſich mit ihm und den beiden Hinterfüßen frei an einem Aſte, den Leib wagrecht vorgeſtreckt. Er frißt alles Genießbare, welches wir ihm geben, am liebſten Früchte, gekochte Kartoffeln und geſottenen Reis. Wenn ich ihm einen kleinen Vogel vorwerfe, naht er ſich höchſt bedächtig, be- ſchnuppert ihn ſorgfältig, beißt dann zu und hält den Erfaßten beim Freſſen mit beiden Vorderfüßen feſt. Er frißt langſam und, ich möchte ſo ſagen, liederlich; er zerreißt und zerfetzt die Nahrung, beißt auch, entſchieden mit Mühe, immer nur kleine Stücken von ihr ab und kaut dieſe langſam vor dem Verſchlingen. Eigentlich blutgierig iſt er nicht, obgleich er ſeine Raubthiernatur nicht verleugnet. Schwer dürfte es halten, einen gemüthlichern Burſchen, als er einer iſt, zum Hausgenoſſen zu finden. Er iſt hingebend, wie ein Kind. Liebkoſungen machen ihn ganz glücklich. Er ſchmiegt ſich zärtlich Dem an, welcher ihm ſchmeichelt, und ſcheint durchaus keine Tücke zu beſitzen. Unwillig wird er nur dann, wenn man ihn ohne weiteres aus ſeinem ſüßeſten Schlafe weckt. Ermuntert man ihn durch Anrufen und läßt ihm Zeit zum Wachwerden, ſo iſt er auch bei Tage das liebenswürdige Geſchöpf, wie immer. — Obgleich der Wickelbär auch in Europa die Gefangenſchaft gut verträgt und ohne Beſchwerde ernährt werden kann, ſieht man ihn doch ſehr ſelten lebend bei uns, mir iſt es unbekannt, warum. Er kann nicht beſonders ſchwer zu erlangen ſein und gehört zu denjenigen Thieren, welche unter allen Umſtänden die Aufmerkſamkeit der Beſchauer zu feſſeln wiſſen, alſo doppelt willkommene Erwerbungen für Thiergärten oder Thierſchaubuden ſind. Einige Forſcher reihen dem Wickelbären ein noch weit weniger bekanntes Thier an, während Andere ihm unter den Zibetthieren ſeine Stelle anweiſen wollen. Jch ſchließe mich, nachdem ich das betreffende Raubthier lebend geſehen habe, den Erſteren an. Der Binturong (Arctitis — Ictitis — Binturong) ſteht bis jetzt ebenſo einzeln da, als der Wickelbär. Er allein vertritt ſeine Sippe. Dem Wickelbären ähnelt er hinſichtlich ſeines Gebiſſes und wegen ſeines wenigſtens greiffähigen Schwanzes, den Zibetthieren durch ſeinen Leibesbau. Den einen wie die anderen übertrifft er an Größe. Ein erwachſenes Männchen wird reichlich vier Fuß lang, wovon die Hälfte auf den Schwanz kommt; das Weibchen iſt nur wenig kleiner. Der Leib iſt kräftig, der Kopf dick, die Schnauze verlängert, der Schwanz lang; die Beine ſind kurz und ſtämmig, die Füße nacktſohlig, fünfzehig, mit ziemlich ſtarken, nicht einziehbaren Krallen bewehrt. Ein dichter, ziemlich rauhhaariger, lockerer Pelz bekleidet den Leib. Das Haar bildet an den kurzen, abgerundeten Ohren Pinſel, iſt aber auch am Leibe und beſonders am Schwanze auffallend lang, überhaupt nur an den Gliedern kurz. Dicke, weiße Schnurren zu beiden Seiten der Schnauze umgeben das Geſicht wie mit einem Strahlenkranze. Die Färbung iſt ein mattes Schwarz, welches auf dem Kopfe ins Grauliche, an den Gliedmaßen ins Bräunliche übergeht. Das Weibchen ſoll grau, das Junge gelb- lich ausſehen, weil die Spitzen der übrigens ſchwarzen Haare die entſprechenden Färbungen zeigen. Weißlich erſcheinen die Ohrränder und Augenbrauen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/720>, abgerufen am 01.06.2024.