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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Kerbthierfresser im Allgemeinen. -- Jgel.
von Spitzen und geschärften Zacken; dolchähnliche Zahnklingen treten bald an der Stelle der Eckzähne,
bald weiter hinten über die Ebene der Kronzacken hervor; scharfe Piramiden, den Spitzen einer auf
zwei Reihen doppelt geschärften Säge ähnlich, wechseln mit Zahnformen, welche den Klingen der
englischen Taschenmesser nicht unähnlich sind. Die ganze Einrichtung weist darauf hin, daß die Zähne
dazu bestimmt sind, selbst hartschalige Jnsekten, wie Käfer, zu packen und zu halten. Diese Charaktere
können nicht trügen, denn, wie Savarin, der berühmte französische Gastronom, den Satz aufstellen
konnte: "Sage mir, was Du issest, und ich sage Dir, was Du bist;" so kann man auch von den Säuge-
thieren sagen: "Zeige mir Deine Zähne, und ich sage Dir, was Du issest und wer Du bist." Der Kerb-
thierfresser kaut und mahlt nicht mit seinen Zähnen; er beißt und durchbohrt nur. Seine Zahnkronen
werden nicht von oben her abgerieben, sondern nur geschärft durch das seitliche Jneinandergreifen der
Zacken des Gebisses. Man nehme sich nur die Mühe, das Gebiß eines kleinen Nagers, z. B. einer
Ratte, mit demjenigen einer Fledermaus oder eines Maulwurfs zu vergleichen, und das unter-
scheidende Gepräge Beider wird mit größter Bestimmtheit in die Augen springen. Das Gebiß einer
Hufeisennase, zu den Maßen desjenigen eines Löwen vergrößert, würde ein wahrhaft schauder-
haftes Zerstörungswerkzeug darstellen."

Jch glaube nicht, daß man den Nutzen, welchen diese Thiere dem Menschen bringen, mit weniger
Worten und schärfer bezeichnen könnte, als es Vogt hier gethan hat. Und nicht blos er allein hat
auf diesen Nutzen hingewiesen, sondern schon viele Naturforscher vor ihm! Aber gegen das einmal
eingewurzelte Vorurtheil der Menschen läßt sich leider nur allzuschwer ankämpfen, und trauriger
Weise ist der Satz nur zu tief begründet, daß der Mensch oft gerade Das, was ihm den meisten
Nutzen bringt, durchaus nicht anerkennen will. Man verfolgt die kleinen Wühler, wo man sie nur
antrifft, ihrer unschönen Gestalt, ihrer Lebensweise wegen, und vergißt dabei gänzlich, was sie leisten,
was sie sind. Anders freilich wird Derjenige handeln, welcher sich mit ihrem Leben näher beschäftigt.
Er findet so viel, was ihn anzieht und fesselt, daß er sehr bald die unschöne Körpergestalt von Vielen,
-- denn manche sind keineswegs unschöne Thiere -- vergißt und ihnen allen nun seine größte Theil-
nahme und Unterstützung zukommen läßt.

Die meisten bei uns wohnenden Kerbthierräuber halten einen Winterschlaf und würden zu
Grunde gehen, wenn die Natur nicht in der Weise für ihre Erhaltung gesorgt hätte. Mit der ein-
tretenden Kälte macht das rege Kerbthierleben gewissermaßen einen Stillstand, und Tausende und
andere Tausende der unseren Räubern zur Nahrung bestimmten Geschöpfe schlummern entweder in
den ewigen Schlaf oder wenigstens in einen zeitweiligen hinüber; damit verödet die Erde für die
Feinde der Kerfe, und sie müssen jetzt, weil sie nicht wandern können, wie die Vögel, dem Vorgange
der Kerbthiere gewissermaßen Folge leisten. So ziehen sie sich denn nach den verborgensten Schlupf-
winkeln zurück oder bereiten sich selbst solche, und fallen hier in den tiefen Winterschlaf, welcher, wie
wir oben kennen lernten, zeitweilig fast alle Regungen des Lebens aufhebt und somit ihrem Leibe bis
zum neuen Erwachen die Lebensthätigkeit aufbewahrt. Aber da, wo die strenge Kälte ihren Einfluß
nicht ausüben kann, in der Tiefe des Wassers oder unter der Erde, währt auch im Winter noch das
Leben, das Rauben und Morden fort, und ganz Dasselbe ist selbstverständlich in den glücklichen
Ländern der Fall, in welchen es einen ewigen Sommer oder wenigstens keinen Winter giebt, möge er
nun durch die sengende Gluth des Südens oder die erstarrende Kälte des Nordens hervorgebracht
werden. Schon im Süden Europas, und noch mehr in den Wendekreisländern, treiben die Kerf-
räuber jahraus, jahrein mit aller Regsamkeit und Frische ihr Gewerbe, freilich nicht überall; denn
gerade unter den Wendekreisen tritt ja auch ein Winter ein, obwohl hier ihn die Alles verdorrende
und vernichtende Gluth der am höchsten stehenden Sonne hervorruft.

Aus diesen Bemerkungen geht die Verbreitung unserer Thiere ganz von selbst hervor. Sie finden
sich hauptsächlich in den gemäßigten Ländern der Erde und in den wasserreichen Gegenden unter den
Wendekreisen, nehmen aber ebensowohl nach Norden hin, oder dort, wo die Hitze allgemeine Trocken-
heit hervorruft, bedeutend an Arten ab.

Die Raubthiere. Kerbthierfreſſer im Allgemeinen. — Jgel.
von Spitzen und geſchärften Zacken; dolchähnliche Zahnklingen treten bald an der Stelle der Eckzähne,
bald weiter hinten über die Ebene der Kronzacken hervor; ſcharfe Piramiden, den Spitzen einer auf
zwei Reihen doppelt geſchärften Säge ähnlich, wechſeln mit Zahnformen, welche den Klingen der
engliſchen Taſchenmeſſer nicht unähnlich ſind. Die ganze Einrichtung weiſt darauf hin, daß die Zähne
dazu beſtimmt ſind, ſelbſt hartſchalige Jnſekten, wie Käfer, zu packen und zu halten. Dieſe Charaktere
können nicht trügen, denn, wie Savarin, der berühmte franzöſiſche Gaſtronom, den Satz aufſtellen
konnte: „Sage mir, was Du iſſeſt, und ich ſage Dir, was Du biſt;‟ ſo kann man auch von den Säuge-
thieren ſagen: „Zeige mir Deine Zähne, und ich ſage Dir, was Du iſſeſt und wer Du biſt.‟ Der Kerb-
thierfreſſer kaut und mahlt nicht mit ſeinen Zähnen; er beißt und durchbohrt nur. Seine Zahnkronen
werden nicht von oben her abgerieben, ſondern nur geſchärft durch das ſeitliche Jneinandergreifen der
Zacken des Gebiſſes. Man nehme ſich nur die Mühe, das Gebiß eines kleinen Nagers, z. B. einer
Ratte, mit demjenigen einer Fledermaus oder eines Maulwurfs zu vergleichen, und das unter-
ſcheidende Gepräge Beider wird mit größter Beſtimmtheit in die Augen ſpringen. Das Gebiß einer
Hufeiſennaſe, zu den Maßen desjenigen eines Löwen vergrößert, würde ein wahrhaft ſchauder-
haftes Zerſtörungswerkzeug darſtellen.‟

Jch glaube nicht, daß man den Nutzen, welchen dieſe Thiere dem Menſchen bringen, mit weniger
Worten und ſchärfer bezeichnen könnte, als es Vogt hier gethan hat. Und nicht blos er allein hat
auf dieſen Nutzen hingewieſen, ſondern ſchon viele Naturforſcher vor ihm! Aber gegen das einmal
eingewurzelte Vorurtheil der Menſchen läßt ſich leider nur allzuſchwer ankämpfen, und trauriger
Weiſe iſt der Satz nur zu tief begründet, daß der Menſch oft gerade Das, was ihm den meiſten
Nutzen bringt, durchaus nicht anerkennen will. Man verfolgt die kleinen Wühler, wo man ſie nur
antrifft, ihrer unſchönen Geſtalt, ihrer Lebensweiſe wegen, und vergißt dabei gänzlich, was ſie leiſten,
was ſie ſind. Anders freilich wird Derjenige handeln, welcher ſich mit ihrem Leben näher beſchäftigt.
Er findet ſo viel, was ihn anzieht und feſſelt, daß er ſehr bald die unſchöne Körpergeſtalt von Vielen,
— denn manche ſind keineswegs unſchöne Thiere — vergißt und ihnen allen nun ſeine größte Theil-
nahme und Unterſtützung zukommen läßt.

Die meiſten bei uns wohnenden Kerbthierräuber halten einen Winterſchlaf und würden zu
Grunde gehen, wenn die Natur nicht in der Weiſe für ihre Erhaltung geſorgt hätte. Mit der ein-
tretenden Kälte macht das rege Kerbthierleben gewiſſermaßen einen Stillſtand, und Tauſende und
andere Tauſende der unſeren Räubern zur Nahrung beſtimmten Geſchöpfe ſchlummern entweder in
den ewigen Schlaf oder wenigſtens in einen zeitweiligen hinüber; damit verödet die Erde für die
Feinde der Kerfe, und ſie müſſen jetzt, weil ſie nicht wandern können, wie die Vögel, dem Vorgange
der Kerbthiere gewiſſermaßen Folge leiſten. So ziehen ſie ſich denn nach den verborgenſten Schlupf-
winkeln zurück oder bereiten ſich ſelbſt ſolche, und fallen hier in den tiefen Winterſchlaf, welcher, wie
wir oben kennen lernten, zeitweilig faſt alle Regungen des Lebens aufhebt und ſomit ihrem Leibe bis
zum neuen Erwachen die Lebensthätigkeit aufbewahrt. Aber da, wo die ſtrenge Kälte ihren Einfluß
nicht ausüben kann, in der Tiefe des Waſſers oder unter der Erde, währt auch im Winter noch das
Leben, das Rauben und Morden fort, und ganz Daſſelbe iſt ſelbſtverſtändlich in den glücklichen
Ländern der Fall, in welchen es einen ewigen Sommer oder wenigſtens keinen Winter giebt, möge er
nun durch die ſengende Gluth des Südens oder die erſtarrende Kälte des Nordens hervorgebracht
werden. Schon im Süden Europas, und noch mehr in den Wendekreisländern, treiben die Kerf-
räuber jahraus, jahrein mit aller Regſamkeit und Friſche ihr Gewerbe, freilich nicht überall; denn
gerade unter den Wendekreiſen tritt ja auch ein Winter ein, obwohl hier ihn die Alles verdorrende
und vernichtende Gluth der am höchſten ſtehenden Sonne hervorruft.

Aus dieſen Bemerkungen geht die Verbreitung unſerer Thiere ganz von ſelbſt hervor. Sie finden
ſich hauptſächlich in den gemäßigten Ländern der Erde und in den waſſerreichen Gegenden unter den
Wendekreiſen, nehmen aber ebenſowohl nach Norden hin, oder dort, wo die Hitze allgemeine Trocken-
heit hervorruft, bedeutend an Arten ab.

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[646/0724] Die Raubthiere. Kerbthierfreſſer im Allgemeinen. — Jgel. von Spitzen und geſchärften Zacken; dolchähnliche Zahnklingen treten bald an der Stelle der Eckzähne, bald weiter hinten über die Ebene der Kronzacken hervor; ſcharfe Piramiden, den Spitzen einer auf zwei Reihen doppelt geſchärften Säge ähnlich, wechſeln mit Zahnformen, welche den Klingen der engliſchen Taſchenmeſſer nicht unähnlich ſind. Die ganze Einrichtung weiſt darauf hin, daß die Zähne dazu beſtimmt ſind, ſelbſt hartſchalige Jnſekten, wie Käfer, zu packen und zu halten. Dieſe Charaktere können nicht trügen, denn, wie Savarin, der berühmte franzöſiſche Gaſtronom, den Satz aufſtellen konnte: „Sage mir, was Du iſſeſt, und ich ſage Dir, was Du biſt;‟ ſo kann man auch von den Säuge- thieren ſagen: „Zeige mir Deine Zähne, und ich ſage Dir, was Du iſſeſt und wer Du biſt.‟ Der Kerb- thierfreſſer kaut und mahlt nicht mit ſeinen Zähnen; er beißt und durchbohrt nur. Seine Zahnkronen werden nicht von oben her abgerieben, ſondern nur geſchärft durch das ſeitliche Jneinandergreifen der Zacken des Gebiſſes. Man nehme ſich nur die Mühe, das Gebiß eines kleinen Nagers, z. B. einer Ratte, mit demjenigen einer Fledermaus oder eines Maulwurfs zu vergleichen, und das unter- ſcheidende Gepräge Beider wird mit größter Beſtimmtheit in die Augen ſpringen. Das Gebiß einer Hufeiſennaſe, zu den Maßen desjenigen eines Löwen vergrößert, würde ein wahrhaft ſchauder- haftes Zerſtörungswerkzeug darſtellen.‟ Jch glaube nicht, daß man den Nutzen, welchen dieſe Thiere dem Menſchen bringen, mit weniger Worten und ſchärfer bezeichnen könnte, als es Vogt hier gethan hat. Und nicht blos er allein hat auf dieſen Nutzen hingewieſen, ſondern ſchon viele Naturforſcher vor ihm! Aber gegen das einmal eingewurzelte Vorurtheil der Menſchen läßt ſich leider nur allzuſchwer ankämpfen, und trauriger Weiſe iſt der Satz nur zu tief begründet, daß der Menſch oft gerade Das, was ihm den meiſten Nutzen bringt, durchaus nicht anerkennen will. Man verfolgt die kleinen Wühler, wo man ſie nur antrifft, ihrer unſchönen Geſtalt, ihrer Lebensweiſe wegen, und vergißt dabei gänzlich, was ſie leiſten, was ſie ſind. Anders freilich wird Derjenige handeln, welcher ſich mit ihrem Leben näher beſchäftigt. Er findet ſo viel, was ihn anzieht und feſſelt, daß er ſehr bald die unſchöne Körpergeſtalt von Vielen, — denn manche ſind keineswegs unſchöne Thiere — vergißt und ihnen allen nun ſeine größte Theil- nahme und Unterſtützung zukommen läßt. Die meiſten bei uns wohnenden Kerbthierräuber halten einen Winterſchlaf und würden zu Grunde gehen, wenn die Natur nicht in der Weiſe für ihre Erhaltung geſorgt hätte. Mit der ein- tretenden Kälte macht das rege Kerbthierleben gewiſſermaßen einen Stillſtand, und Tauſende und andere Tauſende der unſeren Räubern zur Nahrung beſtimmten Geſchöpfe ſchlummern entweder in den ewigen Schlaf oder wenigſtens in einen zeitweiligen hinüber; damit verödet die Erde für die Feinde der Kerfe, und ſie müſſen jetzt, weil ſie nicht wandern können, wie die Vögel, dem Vorgange der Kerbthiere gewiſſermaßen Folge leiſten. So ziehen ſie ſich denn nach den verborgenſten Schlupf- winkeln zurück oder bereiten ſich ſelbſt ſolche, und fallen hier in den tiefen Winterſchlaf, welcher, wie wir oben kennen lernten, zeitweilig faſt alle Regungen des Lebens aufhebt und ſomit ihrem Leibe bis zum neuen Erwachen die Lebensthätigkeit aufbewahrt. Aber da, wo die ſtrenge Kälte ihren Einfluß nicht ausüben kann, in der Tiefe des Waſſers oder unter der Erde, währt auch im Winter noch das Leben, das Rauben und Morden fort, und ganz Daſſelbe iſt ſelbſtverſtändlich in den glücklichen Ländern der Fall, in welchen es einen ewigen Sommer oder wenigſtens keinen Winter giebt, möge er nun durch die ſengende Gluth des Südens oder die erſtarrende Kälte des Nordens hervorgebracht werden. Schon im Süden Europas, und noch mehr in den Wendekreisländern, treiben die Kerf- räuber jahraus, jahrein mit aller Regſamkeit und Friſche ihr Gewerbe, freilich nicht überall; denn gerade unter den Wendekreiſen tritt ja auch ein Winter ein, obwohl hier ihn die Alles verdorrende und vernichtende Gluth der am höchſten ſtehenden Sonne hervorruft. Aus dieſen Bemerkungen geht die Verbreitung unſerer Thiere ganz von ſelbſt hervor. Sie finden ſich hauptſächlich in den gemäßigten Ländern der Erde und in den waſſerreichen Gegenden unter den Wendekreiſen, nehmen aber ebenſowohl nach Norden hin, oder dort, wo die Hitze allgemeine Trocken- heit hervorruft, bedeutend an Arten ab.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/724>, abgerufen am 24.11.2024.