Die meisten Spitzmäuse sind fruchtbare Geschöpfe; denn sie werfen zwischen vier und zehn Junge. Gewöhnlich kommen diese nackt und mit geschlossenen Augen zur Welt, entwickeln sich aber rasch und sind schon nach Monatsfrist im Stande, ihr eignes Gewerbe zu betreiben.
Der Mensch kann unsere Thiere unmittelbar nicht verwerthen; wenigstens wird nur von einer einzigen Art das Fell als Pelzwerk und der stark nach Zibet riechende Schwanz als Mittel gegen die Motten benutzt, das Fleisch aber nirgends gegessen. Um so größer ist der mittelbare Nutzen, den die Spitzmäuse bringen. Dieser Nutzen muß schon von den alten Egyptern anerkannt worden sein, weil sie eine Art von ihnen einbalsamirt und mit ihren Todten begraben haben. Erwähnenswerth ist, daß diese Familie die kleinsten bis jetzt bekannten Säugethiere enthält.
Die Spitzmäuse lassen sich nicht gut in eine einzige Reihe ordnen, weil die Arten nach Leibesbau und Wesen sich bedeutend unterscheiden. Wir wollen versuchen, die verschiedenen Sippen einiger- maßen folgerecht an einander zu reihen. Wenn wir mit denen beginnen, welche auf Bäumen leben und mit jenen schließen, die das Wasser bewohnen, so gebührt die erste Stelle
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Die Tana (Cladobates Tana).
den Spitzhörnchen (Cladobates). Der deutsche Name dieser Thiere ist gut gewählt; denn sie sind wirklich die Eichhörnchen unter den Kerfräubern und somit besser gekennzeichnet, als mit dem lateinischen oder richtiger griechischen, welcher "Zweigbesteiger" bedeutet. Da unsere Thierchen einer ganz andern Ordnung angehören, wie die Eichhörnchen, kann ihre Aehnlichkeit mit diesen nur eine oberflächliche sein. Jhr Kopf spitzt sich in eine lange Schnauze zu, deren stumpfe Spitze gewöhn- lich nackt ist. Die Augen sind groß, die Ohren länglich abgerundet, die Glieder regelmäßig, die Füße nacktsohlig, die fünf Zehen sind getrennt und mit kurzen Sichelkrallen bewaffnet; der Schwanz ist lang oder sehr lang, buschig, zweizeilig behaart; der Pelz ist dicht und weich. Das Weibchen hat vier Zitzen am Bauche.
Die verschiedenen Arten bewohnen Hinterindien und den indischen Archipel. Sie sind echte Tagthiere, welche ihre Räubereien im Angesicht der Sonne ausführen. Jhr Kleid kennzeichnet sie sofort als Baumthiere; denn es ähnelt immer der Farbe der Aeste, ist also entweder braun oder olivengrünlich. Hierin eben ist eine Aehnlichkeit mehr zwischen ihnen und den eigentlichen Eichhörnchen
Allgemeine Kennzeichnung. Lebensweiſe. Nutzen.
Die meiſten Spitzmäuſe ſind fruchtbare Geſchöpfe; denn ſie werfen zwiſchen vier und zehn Junge. Gewöhnlich kommen dieſe nackt und mit geſchloſſenen Augen zur Welt, entwickeln ſich aber raſch und ſind ſchon nach Monatsfriſt im Stande, ihr eignes Gewerbe zu betreiben.
Der Menſch kann unſere Thiere unmittelbar nicht verwerthen; wenigſtens wird nur von einer einzigen Art das Fell als Pelzwerk und der ſtark nach Zibet riechende Schwanz als Mittel gegen die Motten benutzt, das Fleiſch aber nirgends gegeſſen. Um ſo größer iſt der mittelbare Nutzen, den die Spitzmäuſe bringen. Dieſer Nutzen muß ſchon von den alten Egyptern anerkannt worden ſein, weil ſie eine Art von ihnen einbalſamirt und mit ihren Todten begraben haben. Erwähnenswerth iſt, daß dieſe Familie die kleinſten bis jetzt bekannten Säugethiere enthält.
Die Spitzmäuſe laſſen ſich nicht gut in eine einzige Reihe ordnen, weil die Arten nach Leibesbau und Weſen ſich bedeutend unterſcheiden. Wir wollen verſuchen, die verſchiedenen Sippen einiger- maßen folgerecht an einander zu reihen. Wenn wir mit denen beginnen, welche auf Bäumen leben und mit jenen ſchließen, die das Waſſer bewohnen, ſo gebührt die erſte Stelle
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Die Tana (Cladobates Tana).
den Spitzhörnchen (Cladobates). Der deutſche Name dieſer Thiere iſt gut gewählt; denn ſie ſind wirklich die Eichhörnchen unter den Kerfräubern und ſomit beſſer gekennzeichnet, als mit dem lateiniſchen oder richtiger griechiſchen, welcher „Zweigbeſteiger‟ bedeutet. Da unſere Thierchen einer ganz andern Ordnung angehören, wie die Eichhörnchen, kann ihre Aehnlichkeit mit dieſen nur eine oberflächliche ſein. Jhr Kopf ſpitzt ſich in eine lange Schnauze zu, deren ſtumpfe Spitze gewöhn- lich nackt iſt. Die Augen ſind groß, die Ohren länglich abgerundet, die Glieder regelmäßig, die Füße nacktſohlig, die fünf Zehen ſind getrennt und mit kurzen Sichelkrallen bewaffnet; der Schwanz iſt lang oder ſehr lang, buſchig, zweizeilig behaart; der Pelz iſt dicht und weich. Das Weibchen hat vier Zitzen am Bauche.
Die verſchiedenen Arten bewohnen Hinterindien und den indiſchen Archipel. Sie ſind echte Tagthiere, welche ihre Räubereien im Angeſicht der Sonne ausführen. Jhr Kleid kennzeichnet ſie ſofort als Baumthiere; denn es ähnelt immer der Farbe der Aeſte, iſt alſo entweder braun oder olivengrünlich. Hierin eben iſt eine Aehnlichkeit mehr zwiſchen ihnen und den eigentlichen Eichhörnchen
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Allgemeine Kennzeichnung. Lebensweiſe. Nutzen.
Die meiſten Spitzmäuſe ſind fruchtbare Geſchöpfe; denn ſie werfen zwiſchen vier und zehn Junge.
Gewöhnlich kommen dieſe nackt und mit geſchloſſenen Augen zur Welt, entwickeln ſich aber raſch und
ſind ſchon nach Monatsfriſt im Stande, ihr eignes Gewerbe zu betreiben.
Der Menſch kann unſere Thiere unmittelbar nicht verwerthen; wenigſtens wird nur von einer
einzigen Art das Fell als Pelzwerk und der ſtark nach Zibet riechende Schwanz als Mittel gegen die
Motten benutzt, das Fleiſch aber nirgends gegeſſen. Um ſo größer iſt der mittelbare Nutzen, den die
Spitzmäuſe bringen. Dieſer Nutzen muß ſchon von den alten Egyptern anerkannt worden ſein, weil
ſie eine Art von ihnen einbalſamirt und mit ihren Todten begraben haben. Erwähnenswerth iſt, daß
dieſe Familie die kleinſten bis jetzt bekannten Säugethiere enthält.
Die Spitzmäuſe laſſen ſich nicht gut in eine einzige Reihe ordnen, weil die Arten nach Leibesbau
und Weſen ſich bedeutend unterſcheiden. Wir wollen verſuchen, die verſchiedenen Sippen einiger-
maßen folgerecht an einander zu reihen. Wenn wir mit denen beginnen, welche auf Bäumen leben
und mit jenen ſchließen, die das Waſſer bewohnen, ſo gebührt die erſte Stelle
[Abbildung Die Tana (Cladobates Tana).]
den Spitzhörnchen (Cladobates). Der deutſche Name dieſer Thiere iſt gut gewählt; denn
ſie ſind wirklich die Eichhörnchen unter den Kerfräubern und ſomit beſſer gekennzeichnet, als mit dem
lateiniſchen oder richtiger griechiſchen, welcher „Zweigbeſteiger‟ bedeutet. Da unſere Thierchen
einer ganz andern Ordnung angehören, wie die Eichhörnchen, kann ihre Aehnlichkeit mit dieſen nur
eine oberflächliche ſein. Jhr Kopf ſpitzt ſich in eine lange Schnauze zu, deren ſtumpfe Spitze gewöhn-
lich nackt iſt. Die Augen ſind groß, die Ohren länglich abgerundet, die Glieder regelmäßig, die Füße
nacktſohlig, die fünf Zehen ſind getrennt und mit kurzen Sichelkrallen bewaffnet; der Schwanz iſt
lang oder ſehr lang, buſchig, zweizeilig behaart; der Pelz iſt dicht und weich. Das Weibchen hat
vier Zitzen am Bauche.
Die verſchiedenen Arten bewohnen Hinterindien und den indiſchen Archipel. Sie ſind echte
Tagthiere, welche ihre Räubereien im Angeſicht der Sonne ausführen. Jhr Kleid kennzeichnet ſie
ſofort als Baumthiere; denn es ähnelt immer der Farbe der Aeſte, iſt alſo entweder braun oder
olivengrünlich. Hierin eben iſt eine Aehnlichkeit mehr zwiſchen ihnen und den eigentlichen Eichhörnchen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/741>, abgerufen am 24.11.2024.
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