Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.Die Affen. Gibbons -- Siamang, Ungko und Oa. das Bewußtsein seiner unerreichbaren Fertigkeit ihm großes Vergnügen gewährt. Der Gibbonspringt ohne Noth über Zwischenräume, welche er durch kleine Umwege leicht vermeiden könnte; er ändert im Sprunge die Richtung und hängt sich an den ersten, besten Zweig, schaukelt und wiegt sich an ihm, ersteigt ihn rasch, federt ihn auf und nieder und wirft sich wieder hinaus in die Luft, mit unfehlbarer Sicherheit einem neuen Ziele zustrebend. Es scheint, als ob er Zauberkräfte besäße und ohne Flügel gleichwohl fliegen könnte: er lebt mehr in der Luft, als in dem Gezweig. Was bedarf solch begabtes Wesen noch der Erde?! Sie bleibt ihm fremd, wie er ihr; sie bietet ihm höchstens die Labung des Trunkes, sonst stößt sie ihn zurück in sein lustiges Reich. Hier findet er seine Heimat; hier genießt er Ruhe, Frieden, Sicherheit; hier wird es ihm möglich, jedem Feinde zu trotzen oder zu entrinnen; hier darf er erleben, erglühen in der Lust seiner Bewegung. Diese Lust zeigte sich recht deutlich an einem weiblichen Ungko, den man lebend nach London Es war ihm eine Kleinigkeit, sich von einem Aste auf den andern zu schwingen, ohne die ge- Es läßt sich denken, daß der Gibbon in der Freiheit noch ganz andere Proben seiner Beweglich- Die Beobachtung der Thiere im wilden Zustande ist übrigens sehr schwierig; denn sie sollen Die Affen. Gibbons — Siamang, Ungko und Oa. das Bewußtſein ſeiner unerreichbaren Fertigkeit ihm großes Vergnügen gewährt. Der Gibbonſpringt ohne Noth über Zwiſchenräume, welche er durch kleine Umwege leicht vermeiden könnte; er ändert im Sprunge die Richtung und hängt ſich an den erſten, beſten Zweig, ſchaukelt und wiegt ſich an ihm, erſteigt ihn raſch, federt ihn auf und nieder und wirft ſich wieder hinaus in die Luft, mit unfehlbarer Sicherheit einem neuen Ziele zuſtrebend. Es ſcheint, als ob er Zauberkräfte beſäße und ohne Flügel gleichwohl fliegen könnte: er lebt mehr in der Luft, als in dem Gezweig. Was bedarf ſolch begabtes Weſen noch der Erde?! Sie bleibt ihm fremd, wie er ihr; ſie bietet ihm höchſtens die Labung des Trunkes, ſonſt ſtößt ſie ihn zurück in ſein luſtiges Reich. Hier findet er ſeine Heimat; hier genießt er Ruhe, Frieden, Sicherheit; hier wird es ihm möglich, jedem Feinde zu trotzen oder zu entrinnen; hier darf er erleben, erglühen in der Luſt ſeiner Bewegung. Dieſe Luſt zeigte ſich recht deutlich an einem weiblichen Ungko, den man lebend nach London Es war ihm eine Kleinigkeit, ſich von einem Aſte auf den andern zu ſchwingen, ohne die ge- Es läßt ſich denken, daß der Gibbon in der Freiheit noch ganz andere Proben ſeiner Beweglich- Die Beobachtung der Thiere im wilden Zuſtande iſt übrigens ſehr ſchwierig; denn ſie ſollen <TEI> <text> <body> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0090" n="38"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Affen.</hi> Gibbons — <hi rendition="#g">Siamang, Ungko</hi> und <hi rendition="#g">Oa.</hi></fw><lb/> das Bewußtſein ſeiner unerreichbaren Fertigkeit ihm großes Vergnügen gewährt. 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Mitten im ſchnellſten Sprunge konnte er die begonnene Richtung ändern; während des<lb/> kräftigſten Dahinſchießens erfaßte er einen Zweig mit einer ſeiner Vorderhände, zog mit einem Rucke<lb/> die Hinterfüße zu gleicher Höhe empor, packte mit ihnen den Aſt und ſaß nun einen Augenblick ſpäter<lb/> ſo ruhig da, als wäre er nie in Bewegung geweſen.</p><lb/> <p>Es läßt ſich denken, daß der <hi rendition="#g">Gibbon</hi> in der Freiheit noch ganz andere Proben ſeiner Beweglich-<lb/> keit bieten kann, und die Erzählungen der Beobachter dürfen deshalb wohl auch allen Glauben ver-<lb/> dienen, obgleich ſie uns übertrieben zu ſein ſcheinen. 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Die Affen. Gibbons — Siamang, Ungko und Oa.
das Bewußtſein ſeiner unerreichbaren Fertigkeit ihm großes Vergnügen gewährt. Der Gibbon
ſpringt ohne Noth über Zwiſchenräume, welche er durch kleine Umwege leicht vermeiden könnte; er
ändert im Sprunge die Richtung und hängt ſich an den erſten, beſten Zweig, ſchaukelt und wiegt
ſich an ihm, erſteigt ihn raſch, federt ihn auf und nieder und wirft ſich wieder hinaus in die Luft, mit
unfehlbarer Sicherheit einem neuen Ziele zuſtrebend. Es ſcheint, als ob er Zauberkräfte beſäße und
ohne Flügel gleichwohl fliegen könnte: er lebt mehr in der Luft, als in dem Gezweig. Was bedarf
ſolch begabtes Weſen noch der Erde?! Sie bleibt ihm fremd, wie er ihr; ſie bietet ihm höchſtens die
Labung des Trunkes, ſonſt ſtößt ſie ihn zurück in ſein luſtiges Reich. Hier findet er ſeine Heimat;
hier genießt er Ruhe, Frieden, Sicherheit; hier wird es ihm möglich, jedem Feinde zu trotzen oder zu
entrinnen; hier darf er erleben, erglühen in der Luſt ſeiner Bewegung.
Dieſe Luſt zeigte ſich recht deutlich an einem weiblichen Ungko, den man lebend nach London
brachte. Man wollte an ihm die Bewegungsfähigkeit ſeiner Sippſchaft prüfen und richtete ihm des-
halb einen großen Raum beſonders her. Hier und da, in verſchiedenen Entfernungen, ſetzte man
Bäume ein für das Kind der Höhe, um ſeinen wundervollen Bewegungen Spielraum zu gewähren.
Die größte Weite von einem Aſt zum andern betrug nur achtzehn Fuß, — wenig für einen Affen,
welcher in der Freiheit das Doppelte überſpringen kann, viel, ſehr viel für ein Thier, welches ſeiner
Freiheit beraubt, in ein ihm fremdes und feindſeliges Klima gebracht und ſeiner urſprünglichen Nah-
rung entwöhnt worden war, welches eben erſt eine ſo lange, entkräftende Seereife überſtanden hatte.
Doch trotz all dieſer mißlichen Umſtände gab der Gibbon derartige Beweiſe ſeiner Bewegungsfähig-
keit zum beſten, daß, wie mein Gewährsmann ſagt, „alle Zuſchauer vor Erſtaunen und Bewunderung
gerade zu außer ſich waren.‟
Es war ihm eine Kleinigkeit, ſich von einem Aſte auf den andern zu ſchwingen, ohne die ge-
ringſte Vorbereitung dazu bemerklich werden zu laſſen, und er erreichte ſein erſtrebtes Ziel mit un-
wandelbarer Sicherheit. Er konnte ſeine Luftſprünge lange Zeit ununterbrochen fortſetzen, ohne dazu
einen neuen ſichtlichen Anſatz zu nehmen; den zum Sprunge nöthigen Abſtoß gab er ſich während der
augenblicklichen Berührung der Aeſte, welche er ſich zum Auffußen erwählt hatte. Ebenſo ſicher, wie
ſeine Bewegungen, waren bei ihm Auge und Hand. Die Zuſchauer beluſtigten ſich, ihm während
ſeiner Sprünge Früchte zuzuwerfen: er fing ſie auf, während er die Luft durchſchnitt, ohne es der
Mühe werth zu achten, deshalb ſeinen Flug zu unterbrechen. Er hatte ſich ſtets und vollkommen in
ſeiner Gewalt. Mitten im ſchnellſten Sprunge konnte er die begonnene Richtung ändern; während des
kräftigſten Dahinſchießens erfaßte er einen Zweig mit einer ſeiner Vorderhände, zog mit einem Rucke
die Hinterfüße zu gleicher Höhe empor, packte mit ihnen den Aſt und ſaß nun einen Augenblick ſpäter
ſo ruhig da, als wäre er nie in Bewegung geweſen.
Es läßt ſich denken, daß der Gibbon in der Freiheit noch ganz andere Proben ſeiner Beweglich-
keit bieten kann, und die Erzählungen der Beobachter dürfen deshalb wohl auch allen Glauben ver-
dienen, obgleich ſie uns übertrieben zu ſein ſcheinen. Die Berichterſtatter vergleichen die Bewegungen
der freilebenden Langarmaffen mit dem Fluge der Schwalben! Damit iſt wohl Alles geſagt.
Die Beobachtung der Thiere im wilden Zuſtande iſt übrigens ſehr ſchwierig; denn ſie ſollen
außerordentlich furchtſam und ſcheu ſein, bei der geringſten Störung augenblicklich die Flucht ergreifen
und dann in wenig Minuten dem Auge entſchwinden. Nur ein gutes Fernrohr — das unerſetz-
liche Werkzeug zur Beobachtung des Freilebens aller ſcheueren Thiere — geſtattet dem vorſichtigen
Forſcher, Einiges von ihrem gewöhnlichen Treiben zu erſpähen. Durch dieſes beobachtete Duvau-
cel auch das geſellige Leben der Gibbons, namentlich das Verhältniß zwiſchen Mutter und Kind.
Er erzählt von der außerordentlichen Liebe der erſtern zu ihrem Sprößlinge und verſichert unter
Anderm, daß ſie dieſem noch eine andere Art der Reinigung zu Theil werden laſſe, als man ſonſt bei
den Affen kennen gelernt hat. „Ein wunderliches und anziehendes Schauſpiel,‟ ſagt er, „habe ich, ob-
ſchon mit einiger Vorſicht, oft beobachtet. Die Mütter bringen nämlich ihre Kinder von Zeit zu Zeit
an das Waſſer und waſchen ihnen hier, ohne ſich durch ihr abwehrendes Geſchrei ſtören zu laſſen,
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