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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Bobak. -- Das eigentliche Murmelthier.
die genauere Beobachtung bestätigte Dies vollständig. Von Galizien, dem südlichen Polen und der
Buckowina an wird das Thier in ununterbrochener Verbreitung durch ganz Südrußland und Süd-
sibirien bis nach Asien hinüber getroffen, doch ist die Ostgrenze seines Verbreitungskreises noch nicht
mit Sicherheit bestimmt. Ganz wie der Prairiehund, bewohnt der Bobak ausgedehnte, baumleere
Ebenen und niedrige Hügelgegenden. Hier gräbt er sich an sonnigen Stellen im festen, trocknen
Boden Röhren von 12 bis 18 Fuß Tiefe mit vielen Kammern oder Kesseln, in welchen die Familie
beisammen wohnt. Wie der Prairiehund, erscheint er schon am frühen Morgen vor seiner Wohnung.
Er freut sich des Sonnenscheins und spielt und scherzt gesellig zusammen. Bei Gefahr warnt einer
den andern durch einen schrillend pfeifenden Ton. Wurzeln, Kräuter und Gras bilden seine Nahrung.
Gegen den Winter hin wird die Höhle mit weichem Heu ausgepolstert; dort schläft die ganze Familie
dann ununterbrochen bis zum Frühjahre. Jn diese Zeit fällt die Paarung. Mitten im Sommer sieht
man schon halberwachsene Junge. Der Bobak vermehrt sich nicht so zahlreich wie die anderen Murmel-
thiere; man sieht die Weibchen immer nur mit wenigen, häufig blos mit einem Jungen umherziehen.

Das Thier erträgt die Gefangenschaft sehr gut, gewöhnt sich bald an den Menschen und wird
sehr zahm. Sein Fleisch ist eßbar, das Fell dient zu Pelzwerk. --

Wenig andere Nagethiere unseres Vaterlandes sind so vielfach und genau beobachtet worden,
als das eigentliche Murmelthier (Aretomys Marmota), und dennoch ist die Lebensgeschichte dieses

[Abbildung] Das eigentliche Murmelthier (Arctomys Marmota).
höchst merkwürdigen Bewohners der Hochgebirge noch nicht vollständig bekannt. Der Heimats-
kreis und Aufenthaltsort des Murmelthieres lassen Das erklärlich scheinen. Oben auf den höchsten
Steinhalden der Alpen, wo kein Baum, kein Strauch mehr wächst, wo kein Rind, kaum die Ziege
und das Schaf mehr hinkommt, selbst auf den kleinen Felseninseln mitten zwischen den großen Glet-
schern, wo höchstens sechs Wochen lang im Jahre der Schnee vor den warmen Sonnenstrahlen schwin-
det: dort ist die Heimat des schon den Römern bekannten Murmelthieres. Hier lebt es sein kurzes,
frischfröhliches Sommerleben, und hier verbringt es den zehn Monate langen Winter in todtenähn-
lichem Schlafe. Die Jtaliener nennen es Mure montana, die Savoyarden Marmotta, die Engadiner
Marmotella; daraus ist der Name Murmelthier entstanden. Jn Glarus heißt es Munk, in Bern
Murmeli, in Wallis Murmentli und Mistbelleri, in Graubünden Murbetle oder Murbentle.

Gegenwärtig ist uns Mitteldeutschen das schmucke Geschöpf entfremdeter worden, als es früher
war. Die armen Savoyardenknaben dürfen nicht mehr wandern, während sie vormals bis zu uns und
noch weiter nördlich pilgerten mit ihrem zahmen Murmelthiere auf dem Rücken, und durch die ein-
fachen Schaustellungen, welche sie mit ihrem Ein und Alles in Dörfern und Städten gaben, einige

Der Bobak. — Das eigentliche Murmelthier.
die genauere Beobachtung beſtätigte Dies vollſtändig. Von Galizien, dem ſüdlichen Polen und der
Buckowina an wird das Thier in ununterbrochener Verbreitung durch ganz Südrußland und Süd-
ſibirien bis nach Aſien hinüber getroffen, doch iſt die Oſtgrenze ſeines Verbreitungskreiſes noch nicht
mit Sicherheit beſtimmt. Ganz wie der Prairiehund, bewohnt der Bobak ausgedehnte, baumleere
Ebenen und niedrige Hügelgegenden. Hier gräbt er ſich an ſonnigen Stellen im feſten, trocknen
Boden Röhren von 12 bis 18 Fuß Tiefe mit vielen Kammern oder Keſſeln, in welchen die Familie
beiſammen wohnt. Wie der Prairiehund, erſcheint er ſchon am frühen Morgen vor ſeiner Wohnung.
Er freut ſich des Sonnenſcheins und ſpielt und ſcherzt geſellig zuſammen. Bei Gefahr warnt einer
den andern durch einen ſchrillend pfeifenden Ton. Wurzeln, Kräuter und Gras bilden ſeine Nahrung.
Gegen den Winter hin wird die Höhle mit weichem Heu ausgepolſtert; dort ſchläft die ganze Familie
dann ununterbrochen bis zum Frühjahre. Jn dieſe Zeit fällt die Paarung. Mitten im Sommer ſieht
man ſchon halberwachſene Junge. Der Bobak vermehrt ſich nicht ſo zahlreich wie die anderen Murmel-
thiere; man ſieht die Weibchen immer nur mit wenigen, häufig blos mit einem Jungen umherziehen.

Das Thier erträgt die Gefangenſchaft ſehr gut, gewöhnt ſich bald an den Menſchen und wird
ſehr zahm. Sein Fleiſch iſt eßbar, das Fell dient zu Pelzwerk. —

Wenig andere Nagethiere unſeres Vaterlandes ſind ſo vielfach und genau beobachtet worden,
als das eigentliche Murmelthier (Aretomys Marmota), und dennoch iſt die Lebensgeſchichte dieſes

[Abbildung] Das eigentliche Murmelthier (Arctomys Marmota).
höchſt merkwürdigen Bewohners der Hochgebirge noch nicht vollſtändig bekannt. Der Heimats-
kreis und Aufenthaltsort des Murmelthieres laſſen Das erklärlich ſcheinen. Oben auf den höchſten
Steinhalden der Alpen, wo kein Baum, kein Strauch mehr wächſt, wo kein Rind, kaum die Ziege
und das Schaf mehr hinkommt, ſelbſt auf den kleinen Felſeninſeln mitten zwiſchen den großen Glet-
ſchern, wo höchſtens ſechs Wochen lang im Jahre der Schnee vor den warmen Sonnenſtrahlen ſchwin-
det: dort iſt die Heimat des ſchon den Römern bekannten Murmelthieres. Hier lebt es ſein kurzes,
friſchfröhliches Sommerleben, und hier verbringt es den zehn Monate langen Winter in todtenähn-
lichem Schlafe. Die Jtaliener nennen es Mure montana, die Savoyarden Marmotta, die Engadiner
Marmotella; daraus iſt der Name Murmelthier entſtanden. Jn Glarus heißt es Munk, in Bern
Murmeli, in Wallis Murmentli und Miſtbelleri, in Graubünden Murbetle oder Murbentle.

Gegenwärtig iſt uns Mitteldeutſchen das ſchmucke Geſchöpf entfremdeter worden, als es früher
war. Die armen Savoyardenknaben dürfen nicht mehr wandern, während ſie vormals bis zu uns und
noch weiter nördlich pilgerten mit ihrem zahmen Murmelthiere auf dem Rücken, und durch die ein-
fachen Schauſtellungen, welche ſie mit ihrem Ein und Alles in Dörfern und Städten gaben, einige

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[91/0105] Der Bobak. — Das eigentliche Murmelthier. die genauere Beobachtung beſtätigte Dies vollſtändig. Von Galizien, dem ſüdlichen Polen und der Buckowina an wird das Thier in ununterbrochener Verbreitung durch ganz Südrußland und Süd- ſibirien bis nach Aſien hinüber getroffen, doch iſt die Oſtgrenze ſeines Verbreitungskreiſes noch nicht mit Sicherheit beſtimmt. Ganz wie der Prairiehund, bewohnt der Bobak ausgedehnte, baumleere Ebenen und niedrige Hügelgegenden. Hier gräbt er ſich an ſonnigen Stellen im feſten, trocknen Boden Röhren von 12 bis 18 Fuß Tiefe mit vielen Kammern oder Keſſeln, in welchen die Familie beiſammen wohnt. Wie der Prairiehund, erſcheint er ſchon am frühen Morgen vor ſeiner Wohnung. Er freut ſich des Sonnenſcheins und ſpielt und ſcherzt geſellig zuſammen. Bei Gefahr warnt einer den andern durch einen ſchrillend pfeifenden Ton. Wurzeln, Kräuter und Gras bilden ſeine Nahrung. Gegen den Winter hin wird die Höhle mit weichem Heu ausgepolſtert; dort ſchläft die ganze Familie dann ununterbrochen bis zum Frühjahre. Jn dieſe Zeit fällt die Paarung. Mitten im Sommer ſieht man ſchon halberwachſene Junge. Der Bobak vermehrt ſich nicht ſo zahlreich wie die anderen Murmel- thiere; man ſieht die Weibchen immer nur mit wenigen, häufig blos mit einem Jungen umherziehen. Das Thier erträgt die Gefangenſchaft ſehr gut, gewöhnt ſich bald an den Menſchen und wird ſehr zahm. Sein Fleiſch iſt eßbar, das Fell dient zu Pelzwerk. — Wenig andere Nagethiere unſeres Vaterlandes ſind ſo vielfach und genau beobachtet worden, als das eigentliche Murmelthier (Aretomys Marmota), und dennoch iſt die Lebensgeſchichte dieſes [Abbildung Das eigentliche Murmelthier (Arctomys Marmota).] höchſt merkwürdigen Bewohners der Hochgebirge noch nicht vollſtändig bekannt. Der Heimats- kreis und Aufenthaltsort des Murmelthieres laſſen Das erklärlich ſcheinen. Oben auf den höchſten Steinhalden der Alpen, wo kein Baum, kein Strauch mehr wächſt, wo kein Rind, kaum die Ziege und das Schaf mehr hinkommt, ſelbſt auf den kleinen Felſeninſeln mitten zwiſchen den großen Glet- ſchern, wo höchſtens ſechs Wochen lang im Jahre der Schnee vor den warmen Sonnenſtrahlen ſchwin- det: dort iſt die Heimat des ſchon den Römern bekannten Murmelthieres. Hier lebt es ſein kurzes, friſchfröhliches Sommerleben, und hier verbringt es den zehn Monate langen Winter in todtenähn- lichem Schlafe. Die Jtaliener nennen es Mure montana, die Savoyarden Marmotta, die Engadiner Marmotella; daraus iſt der Name Murmelthier entſtanden. Jn Glarus heißt es Munk, in Bern Murmeli, in Wallis Murmentli und Miſtbelleri, in Graubünden Murbetle oder Murbentle. Gegenwärtig iſt uns Mitteldeutſchen das ſchmucke Geſchöpf entfremdeter worden, als es früher war. Die armen Savoyardenknaben dürfen nicht mehr wandern, während ſie vormals bis zu uns und noch weiter nördlich pilgerten mit ihrem zahmen Murmelthiere auf dem Rücken, und durch die ein- fachen Schauſtellungen, welche ſie mit ihrem Ein und Alles in Dörfern und Städten gaben, einige

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/105>, abgerufen am 23.11.2024.