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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Bilche oder Schlafmäuse.
ausgepolstert und bis auf eine kleine Oeffnung ringsum geschlossen. Die Mutter sängt die Jungen
lange Zeit, und trägt ihnen, auch wenn sie schon fressen können, eine hinreichende Menge Nahrungs-
mittel zu. Kommt man zufällig an das Nest und will versuchen, die Jungen auszunehmen, so
schnaubt die sorgende Alte Einem mit funkelnden Augen entgegen, fletscht die Zähne, springt nach
Gesicht und Händen und macht von ihrem gar nicht unbedeutenden Gebiß den allerausgedehntesten
Gebrauch. Merkwürdig ist, daß der sonst so reinliche Gartenschläfer sein Nest im höchsten Grade
schmuzig hält. Der stinkende Unrath, welcher sich in demselben anhäuft, bleibt liegen und verbreitet
mit der Zeit einen so heftigen Geruch, daß nicht blos die Hunde, sondern auch geübte Menschen schon
aus ziemlicher Entfernung ein solches Nest wahrzunehmen im Stande sind. Nach wenigen Wochen
haben die Jungen bereits die Größe der Mutter erreicht und streifen noch eine Zeit lang in der Nähe
ihres Lagers umher, um unter der Obhut und Leitung der Alten ihrer Nahrung nachzugehen; erst
später beziehen sie ihre eigene Wohnung. Jm nächsten Jahre sind sie fortpflanzungsfähig. Bei be-
sonders günstigem Wetter wirft das Weibchen auch wohl zum zweiten Male in demselben Jahre.

Zum Abhalten des Winterschlafes sucht sich der Gartenschläfer trockene und geschützte Baum-
und Mauerlöcher, auch Maulwurfshöhlen auf oder kommt an die in einem Walde stehenden Gehöfte,
in Gartenhäuser, Scheuern, Heuböden, Köhlerhütten und andere Wohngebäude, um sich dort zu ver-
bergen. Gewöhnlich finden sich ihrer mehrere schlafend in einem Neste, die ganze Gesellschaft dicht
zusammengerollt, fast in einen Knäuel verschlungen. Sie schlafen ununterbrochen, doch nicht so fest,
als andere Winterschläfer; denn so oft milde Witterung eintritt, erwachen sie, zehren etwas von ihren
Nahrungsvorräthen und verfallen erst bei erneuerter Kälte wieder in Schlaf. Abweichend von den
übrigen Winterschläfern zeigen sie während ihres bewußtlosen Zustandes eine große Empfindlichkeit
gegen äußere Reize. Wenn man einen Gartenschläfer berührt oder mit einer Nadel sticht, gibt er
augenblicklich durch schwache Zuckungen und dumpfe Laute seine Empfindung zu erkennen. Selten
erscheint der Gartenschläfer vor Ende April wieder im Freien. Dann frißt er seine Nahrungsvorräthe
vollends auf, und nun beginnt sein eigentliches Sommerleben.

Der Gartenschläfer ist ein recht verhaßter Gast in Gärten, wo feinere Obstsorten gezogen werden.
Ein einziges dieser Thiere reicht hin, eine ganze Pfirsich- oder Aprikosenernte zu vernichten. Bei
seinen Näschereien zeigt er einen Geschmack, der ihm alle Ehre macht. Er sucht sich nur die besten und
saftigsten Früchte aus, benagt aber oft auch andere, um sie zu erproben, und vernichtet so noch mehr,
als er eigentlich frißt. Es gibt kein Schutzmittel, ihn von den Früchten abzuhalten. Jedes Hinder-
niß weiß der kleine Dieb zu überwinden; er klettert an den Spalieren und Bäumen hinan, schlüpft
durch die Maschen der Netze, welche über sie gespannt sind, oder durchnagt sie, wenn sie zu eng ge-
macht wurden; ja er weiß sich selbst durch Drahtgeflechte zu stehlen. Blos dasjenige Obst, welches
spät reift, ist vor ihm gesichert; denn um diese Zeit liegt er schon schlafend in seinem Lager. Da er
nun den Menschen blos Schaden zufügt und nicht den geringsten Nutzen bringt, weder durch sein
Fleisch, noch durch sein Fell, wird er von Gartenbesitzern, welche am empfindlichsten von ihm ge-
brandschatzt werden, sehr eifrig verfolgt und auf alle mögliche Arten vernichtet. Die besten Fallen,
welche man ihm stellen kann, sind wohl Drahtschlingen, die man vor den Spalieren aufhängt, oder
kleine Tellereisen, welche man dort passend ausstellt. Besser aber, als solche Fallen, schützt eine gute
Katze den Garten vor diesem zudringlichen Gaudiebe. Sie und Marder, Wiesel und Uhu sind
seine ärgsten Feinde, und wenn er sich auch mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln nach Kräften
zu wehren sucht, sobald ihm einer der Räuber auf den Leib rückt: er muß ja doch diesen großen Herrn
unterliegen und sein junges Leben lassen. Gutsbesitzer also, welche dem Walde nahe wohnen, thun
entschieden wohl, wenn sie alle diese natürlichen Feinde des schädlichen Thierchens nach Möglichkeit
schonen.

Für die Gefangenschaft eignet sich der Gartenschläfer nicht. Selten gewöhnt er sich an den
Menschen, und bei jeder Ueberraschung bedient er sich sofort seiner scharfen Zähne, oft in recht em-
pfindlicher Weise. Dabei hat er die unangenehmen Eigenschaften des Siebenschläfers, verhält sich

Die Bilche oder Schlafmäuſe.
ausgepolſtert und bis auf eine kleine Oeffnung ringsum geſchloſſen. Die Mutter ſängt die Jungen
lange Zeit, und trägt ihnen, auch wenn ſie ſchon freſſen können, eine hinreichende Menge Nahrungs-
mittel zu. Kommt man zufällig an das Neſt und will verſuchen, die Jungen auszunehmen, ſo
ſchnaubt die ſorgende Alte Einem mit funkelnden Augen entgegen, fletſcht die Zähne, ſpringt nach
Geſicht und Händen und macht von ihrem gar nicht unbedeutenden Gebiß den allerausgedehnteſten
Gebrauch. Merkwürdig iſt, daß der ſonſt ſo reinliche Gartenſchläfer ſein Neſt im höchſten Grade
ſchmuzig hält. Der ſtinkende Unrath, welcher ſich in demſelben anhäuft, bleibt liegen und verbreitet
mit der Zeit einen ſo heftigen Geruch, daß nicht blos die Hunde, ſondern auch geübte Menſchen ſchon
aus ziemlicher Entfernung ein ſolches Neſt wahrzunehmen im Stande ſind. Nach wenigen Wochen
haben die Jungen bereits die Größe der Mutter erreicht und ſtreifen noch eine Zeit lang in der Nähe
ihres Lagers umher, um unter der Obhut und Leitung der Alten ihrer Nahrung nachzugehen; erſt
ſpäter beziehen ſie ihre eigene Wohnung. Jm nächſten Jahre ſind ſie fortpflanzungsfähig. Bei be-
ſonders günſtigem Wetter wirft das Weibchen auch wohl zum zweiten Male in demſelben Jahre.

Zum Abhalten des Winterſchlafes ſucht ſich der Gartenſchläfer trockene und geſchützte Baum-
und Mauerlöcher, auch Maulwurfshöhlen auf oder kommt an die in einem Walde ſtehenden Gehöfte,
in Gartenhäuſer, Scheuern, Heuböden, Köhlerhütten und andere Wohngebäude, um ſich dort zu ver-
bergen. Gewöhnlich finden ſich ihrer mehrere ſchlafend in einem Neſte, die ganze Geſellſchaft dicht
zuſammengerollt, faſt in einen Knäuel verſchlungen. Sie ſchlafen ununterbrochen, doch nicht ſo feſt,
als andere Winterſchläfer; denn ſo oft milde Witterung eintritt, erwachen ſie, zehren etwas von ihren
Nahrungsvorräthen und verfallen erſt bei erneuerter Kälte wieder in Schlaf. Abweichend von den
übrigen Winterſchläfern zeigen ſie während ihres bewußtloſen Zuſtandes eine große Empfindlichkeit
gegen äußere Reize. Wenn man einen Gartenſchläfer berührt oder mit einer Nadel ſticht, gibt er
augenblicklich durch ſchwache Zuckungen und dumpfe Laute ſeine Empfindung zu erkennen. Selten
erſcheint der Gartenſchläfer vor Ende April wieder im Freien. Dann frißt er ſeine Nahrungsvorräthe
vollends auf, und nun beginnt ſein eigentliches Sommerleben.

Der Gartenſchläfer iſt ein recht verhaßter Gaſt in Gärten, wo feinere Obſtſorten gezogen werden.
Ein einziges dieſer Thiere reicht hin, eine ganze Pfirſich- oder Aprikoſenernte zu vernichten. Bei
ſeinen Näſchereien zeigt er einen Geſchmack, der ihm alle Ehre macht. Er ſucht ſich nur die beſten und
ſaftigſten Früchte aus, benagt aber oft auch andere, um ſie zu erproben, und vernichtet ſo noch mehr,
als er eigentlich frißt. Es gibt kein Schutzmittel, ihn von den Früchten abzuhalten. Jedes Hinder-
niß weiß der kleine Dieb zu überwinden; er klettert an den Spalieren und Bäumen hinan, ſchlüpft
durch die Maſchen der Netze, welche über ſie geſpannt ſind, oder durchnagt ſie, wenn ſie zu eng ge-
macht wurden; ja er weiß ſich ſelbſt durch Drahtgeflechte zu ſtehlen. Blos dasjenige Obſt, welches
ſpät reift, iſt vor ihm geſichert; denn um dieſe Zeit liegt er ſchon ſchlafend in ſeinem Lager. Da er
nun den Menſchen blos Schaden zufügt und nicht den geringſten Nutzen bringt, weder durch ſein
Fleiſch, noch durch ſein Fell, wird er von Gartenbeſitzern, welche am empfindlichſten von ihm ge-
brandſchatzt werden, ſehr eifrig verfolgt und auf alle mögliche Arten vernichtet. Die beſten Fallen,
welche man ihm ſtellen kann, ſind wohl Drahtſchlingen, die man vor den Spalieren aufhängt, oder
kleine Tellereiſen, welche man dort paſſend auſſtellt. Beſſer aber, als ſolche Fallen, ſchützt eine gute
Katze den Garten vor dieſem zudringlichen Gaudiebe. Sie und Marder, Wieſel und Uhu ſind
ſeine ärgſten Feinde, und wenn er ſich auch mit allen ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln nach Kräften
zu wehren ſucht, ſobald ihm einer der Räuber auf den Leib rückt: er muß ja doch dieſen großen Herrn
unterliegen und ſein junges Leben laſſen. Gutsbeſitzer alſo, welche dem Walde nahe wohnen, thun
entſchieden wohl, wenn ſie alle dieſe natürlichen Feinde des ſchädlichen Thierchens nach Möglichkeit
ſchonen.

Für die Gefangenſchaft eignet ſich der Gartenſchläfer nicht. Selten gewöhnt er ſich an den
Menſchen, und bei jeder Ueberraſchung bedient er ſich ſofort ſeiner ſcharfen Zähne, oft in recht em-
pfindlicher Weiſe. Dabei hat er die unangenehmen Eigenſchaften des Siebenſchläfers, verhält ſich

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[108/0122] Die Bilche oder Schlafmäuſe. ausgepolſtert und bis auf eine kleine Oeffnung ringsum geſchloſſen. Die Mutter ſängt die Jungen lange Zeit, und trägt ihnen, auch wenn ſie ſchon freſſen können, eine hinreichende Menge Nahrungs- mittel zu. Kommt man zufällig an das Neſt und will verſuchen, die Jungen auszunehmen, ſo ſchnaubt die ſorgende Alte Einem mit funkelnden Augen entgegen, fletſcht die Zähne, ſpringt nach Geſicht und Händen und macht von ihrem gar nicht unbedeutenden Gebiß den allerausgedehnteſten Gebrauch. Merkwürdig iſt, daß der ſonſt ſo reinliche Gartenſchläfer ſein Neſt im höchſten Grade ſchmuzig hält. Der ſtinkende Unrath, welcher ſich in demſelben anhäuft, bleibt liegen und verbreitet mit der Zeit einen ſo heftigen Geruch, daß nicht blos die Hunde, ſondern auch geübte Menſchen ſchon aus ziemlicher Entfernung ein ſolches Neſt wahrzunehmen im Stande ſind. Nach wenigen Wochen haben die Jungen bereits die Größe der Mutter erreicht und ſtreifen noch eine Zeit lang in der Nähe ihres Lagers umher, um unter der Obhut und Leitung der Alten ihrer Nahrung nachzugehen; erſt ſpäter beziehen ſie ihre eigene Wohnung. Jm nächſten Jahre ſind ſie fortpflanzungsfähig. Bei be- ſonders günſtigem Wetter wirft das Weibchen auch wohl zum zweiten Male in demſelben Jahre. Zum Abhalten des Winterſchlafes ſucht ſich der Gartenſchläfer trockene und geſchützte Baum- und Mauerlöcher, auch Maulwurfshöhlen auf oder kommt an die in einem Walde ſtehenden Gehöfte, in Gartenhäuſer, Scheuern, Heuböden, Köhlerhütten und andere Wohngebäude, um ſich dort zu ver- bergen. Gewöhnlich finden ſich ihrer mehrere ſchlafend in einem Neſte, die ganze Geſellſchaft dicht zuſammengerollt, faſt in einen Knäuel verſchlungen. Sie ſchlafen ununterbrochen, doch nicht ſo feſt, als andere Winterſchläfer; denn ſo oft milde Witterung eintritt, erwachen ſie, zehren etwas von ihren Nahrungsvorräthen und verfallen erſt bei erneuerter Kälte wieder in Schlaf. Abweichend von den übrigen Winterſchläfern zeigen ſie während ihres bewußtloſen Zuſtandes eine große Empfindlichkeit gegen äußere Reize. Wenn man einen Gartenſchläfer berührt oder mit einer Nadel ſticht, gibt er augenblicklich durch ſchwache Zuckungen und dumpfe Laute ſeine Empfindung zu erkennen. Selten erſcheint der Gartenſchläfer vor Ende April wieder im Freien. Dann frißt er ſeine Nahrungsvorräthe vollends auf, und nun beginnt ſein eigentliches Sommerleben. Der Gartenſchläfer iſt ein recht verhaßter Gaſt in Gärten, wo feinere Obſtſorten gezogen werden. Ein einziges dieſer Thiere reicht hin, eine ganze Pfirſich- oder Aprikoſenernte zu vernichten. Bei ſeinen Näſchereien zeigt er einen Geſchmack, der ihm alle Ehre macht. Er ſucht ſich nur die beſten und ſaftigſten Früchte aus, benagt aber oft auch andere, um ſie zu erproben, und vernichtet ſo noch mehr, als er eigentlich frißt. Es gibt kein Schutzmittel, ihn von den Früchten abzuhalten. Jedes Hinder- niß weiß der kleine Dieb zu überwinden; er klettert an den Spalieren und Bäumen hinan, ſchlüpft durch die Maſchen der Netze, welche über ſie geſpannt ſind, oder durchnagt ſie, wenn ſie zu eng ge- macht wurden; ja er weiß ſich ſelbſt durch Drahtgeflechte zu ſtehlen. Blos dasjenige Obſt, welches ſpät reift, iſt vor ihm geſichert; denn um dieſe Zeit liegt er ſchon ſchlafend in ſeinem Lager. Da er nun den Menſchen blos Schaden zufügt und nicht den geringſten Nutzen bringt, weder durch ſein Fleiſch, noch durch ſein Fell, wird er von Gartenbeſitzern, welche am empfindlichſten von ihm ge- brandſchatzt werden, ſehr eifrig verfolgt und auf alle mögliche Arten vernichtet. Die beſten Fallen, welche man ihm ſtellen kann, ſind wohl Drahtſchlingen, die man vor den Spalieren aufhängt, oder kleine Tellereiſen, welche man dort paſſend auſſtellt. Beſſer aber, als ſolche Fallen, ſchützt eine gute Katze den Garten vor dieſem zudringlichen Gaudiebe. Sie und Marder, Wieſel und Uhu ſind ſeine ärgſten Feinde, und wenn er ſich auch mit allen ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln nach Kräften zu wehren ſucht, ſobald ihm einer der Räuber auf den Leib rückt: er muß ja doch dieſen großen Herrn unterliegen und ſein junges Leben laſſen. Gutsbeſitzer alſo, welche dem Walde nahe wohnen, thun entſchieden wohl, wenn ſie alle dieſe natürlichen Feinde des ſchädlichen Thierchens nach Möglichkeit ſchonen. Für die Gefangenſchaft eignet ſich der Gartenſchläfer nicht. Selten gewöhnt er ſich an den Menſchen, und bei jeder Ueberraſchung bedient er ſich ſofort ſeiner ſcharfen Zähne, oft in recht em- pfindlicher Weiſe. Dabei hat er die unangenehmen Eigenſchaften des Siebenſchläfers, verhält ſich

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/122>, abgerufen am 25.11.2024.