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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die eigentlichen Mäuse.
beschränkt, wie die Hausmaus auf die Wohnung des Menschen. Die Namen sind also nur be-
ziehentlich anzuwenden. Jm allgemeinen läßt sich Folgendes sagen. Die Hausmaus soll schon seit
den ältesten Zeiten der treueste Genosse des Menschen gewesen sein. Bereits Aristoteles und Pli-
nius
thun ihrer Erwähnung, und Albertus Magnus kennt sie ganz genau. Gegenwärtig ist
sie über die ganze Erde verbreitet. Sie wanderte mit dem Menschen, sie folgte ihm bis in den höch-
sten Norden und bis in die höchstgelegenen Alphütten. Wahrscheinlich gibt es gegenwärtig nur we-
nige Orte, wo sie fehlt, und jedenfalls hat man sie da blos noch nicht beobachtet. Auf den Sundainseln
z. B. soll sie nicht vorkommen. Jhre Aufenthaltsorte sind alle Theile der menschlichen Wohnungen.
Auf dem Lande haust sie zeitweilig auch im Freien d. h. im Garten oder den nächsten Feldern und
Wäldchen, in der Stadt beschränkt sie sich auf das Wohnhaus und seine Nebengebäude. Hier bietet
ihr jede Nitze, jede Höhle, mit einem Worte jeder Winkel, wo sie sich verstecken kann, genügendes
Obdach, und vonhieraus unternimmt sie ihre Streifzüge.

Die Hausmaus ist ein anmuthiges, überaus behendes und bewegliches Thier. Mit größter
Schnelligkeit rennt sie auf dem Boden dahin, klettert vortrefflich, springt ziemlich weit und hüpft oft
längere Zeit nach einander in kurzen Sätzen fort. An zahmen kann man recht deutlich beobachten,
wie geschickt sie alle Bewegungen unternimmt. Läßt man sie auf einem schief aufwärts gespannten
Bindfaden oder einem Stöckchen gehen, so schlingt sie ihren Schwanz, sobald sie aus dem Gleichgewicht
kommt, schnell um das Seil nach Art der echten Wickelschwänzler, bringt sich wieder in das Gleich-
gewicht und klettert weiter. Setzt man sie auf einen sehr biegsamen Halmen, so steigt sie auf demselben
bis zur Spitze empor, und wenn der Halmen sich dann niederbiegt, hängt sie sich auf der untern Seite
an und steigt hier langsam herunter, ohne jemals in Verlegenheit zu kommen. Beim Klettern leistet
ihr der Schwanz ganz wesentliche Dienste; denn diejenigen zahmen Mäuse, denen man, um ihnen ein
drolliges Aussehen zu geben, die Schwänze kurz geschnitten hatte, waren nicht mehr im Stande, es
ihren beschwänzten Mitschwestern gleich zu thun. Ganz allerliebst sind auch die verschiedenen
Stellungen, welche sie einnehmen kann. Jede Biegung, jede Bewegung ist nett. Schon wenn sie
ruhig sitzt, macht sie einen ganz hübschen Eindruck, erhebt sie sich aber nach Nagerart auf dem Hinter-
theil und putzt und wäscht sich, dann ist sie geradezu ein bezauberndes Thierchen. Aber sie kann noch
andere Kunststücke aufführen; sie kann sich ganz auf den Hinterbeinen aufrichten, wie ein Mensch,
und sogar einige Schritte gehen. Dabei stützt sie sich nur dann und wann ein klein wenig mit dem
Schwanze. Das Schwimmen versteht sie auch, obwohl sie nur im höchsten Nothfalle in das Wasser
geht. Wirft man sie in einen Teich oder Bach, so sieht man, daß sie fast mit der Schnelligkeit der
Zwergmaus oder der Wasserratte, welche beide wir später kennen lernen werden, die Wellen durch-
schneidet und dem ersten trocknen Orte zustrebt, um an ihm empor zu klettern und das Land wieder-
zugewinnen. Jhre Sinne sind vortrefflich: sie hört das feinste Geräusch, riecht sehr scharf und auf
weite Entfernungen hin und sieht auch recht leidlich, vielleicht noch besser bei Nacht, als bei Tage.
Jhr geistiges Wesen macht sie Dem, welcher das Lebens des Thieres zu erkennen trachtet, zum wahren
Liebling. Sie ist gutmüthig und harmlos und ähnelt nicht im geringsten ihren boshaften, tückischen
und bissigen Verwandten, den Ratten; sie ist höchst neugierig und untersucht Alles mit der größten
Sorgfalt; sie ist lustig und klug, sie merkt bald, wo sie geschont wird, und gewöhnt sich hier mit der
Zeit so an den Menschen, daß sie vor seinen Augen hin- und herläuft und ihre Hausgeschäfte be-
treibt, als gäbe es gar keine Störung für sie. Jm Käfig benimmt sie sich schon nach wenigen Tagen
ganz liebenswürdig; selbst alte Mäuse werden noch leidlich zahm, und jung eingefangene übertreffen
wegen ihrer Gutmüthigkeit und Harmlosigkeit die meisten anderen Nager, welche man gefangen
halten kann. Ganz eigenthümlich ist ihre Liebe zur Musik. Wohllautende Töne locken sie aus ihrem
Versteck hervor und lassen sie alle Furchtsamkeit vergessen. Sie erscheint bei hellem Tage in den Zim-
mern, in welchen gespielt wird, und Orte, in denen regelmäßig Musik ertönt, werden zuletzt ihre
Lieblingsaufenthaltsorte. Man sagt ihr nach, daß sie nachts, wenn sie zufällig in eine Stube kommt,
wo ein offener Flügel steht, sich gefällt, auf den Tasten und Saiten herumzulaufen, um ihrer Lieb-

Die eigentlichen Mäuſe.
beſchränkt, wie die Hausmaus auf die Wohnung des Menſchen. Die Namen ſind alſo nur be-
ziehentlich anzuwenden. Jm allgemeinen läßt ſich Folgendes ſagen. Die Hausmaus ſoll ſchon ſeit
den älteſten Zeiten der treueſte Genoſſe des Menſchen geweſen ſein. Bereits Ariſtoteles und Pli-
nius
thun ihrer Erwähnung, und Albertus Magnus kennt ſie ganz genau. Gegenwärtig iſt
ſie über die ganze Erde verbreitet. Sie wanderte mit dem Menſchen, ſie folgte ihm bis in den höch-
ſten Norden und bis in die höchſtgelegenen Alphütten. Wahrſcheinlich gibt es gegenwärtig nur we-
nige Orte, wo ſie fehlt, und jedenfalls hat man ſie da blos noch nicht beobachtet. Auf den Sundainſeln
z. B. ſoll ſie nicht vorkommen. Jhre Aufenthaltsorte ſind alle Theile der menſchlichen Wohnungen.
Auf dem Lande hauſt ſie zeitweilig auch im Freien d. h. im Garten oder den nächſten Feldern und
Wäldchen, in der Stadt beſchränkt ſie ſich auf das Wohnhaus und ſeine Nebengebäude. Hier bietet
ihr jede Nitze, jede Höhle, mit einem Worte jeder Winkel, wo ſie ſich verſtecken kann, genügendes
Obdach, und vonhieraus unternimmt ſie ihre Streifzüge.

Die Hausmaus iſt ein anmuthiges, überaus behendes und bewegliches Thier. Mit größter
Schnelligkeit rennt ſie auf dem Boden dahin, klettert vortrefflich, ſpringt ziemlich weit und hüpft oft
längere Zeit nach einander in kurzen Sätzen fort. An zahmen kann man recht deutlich beobachten,
wie geſchickt ſie alle Bewegungen unternimmt. Läßt man ſie auf einem ſchief aufwärts geſpannten
Bindfaden oder einem Stöckchen gehen, ſo ſchlingt ſie ihren Schwanz, ſobald ſie aus dem Gleichgewicht
kommt, ſchnell um das Seil nach Art der echten Wickelſchwänzler, bringt ſich wieder in das Gleich-
gewicht und klettert weiter. Setzt man ſie auf einen ſehr biegſamen Halmen, ſo ſteigt ſie auf demſelben
bis zur Spitze empor, und wenn der Halmen ſich dann niederbiegt, hängt ſie ſich auf der untern Seite
an und ſteigt hier langſam herunter, ohne jemals in Verlegenheit zu kommen. Beim Klettern leiſtet
ihr der Schwanz ganz weſentliche Dienſte; denn diejenigen zahmen Mäuſe, denen man, um ihnen ein
drolliges Ausſehen zu geben, die Schwänze kurz geſchnitten hatte, waren nicht mehr im Stande, es
ihren beſchwänzten Mitſchweſtern gleich zu thun. Ganz allerliebſt ſind auch die verſchiedenen
Stellungen, welche ſie einnehmen kann. Jede Biegung, jede Bewegung iſt nett. Schon wenn ſie
ruhig ſitzt, macht ſie einen ganz hübſchen Eindruck, erhebt ſie ſich aber nach Nagerart auf dem Hinter-
theil und putzt und wäſcht ſich, dann iſt ſie geradezu ein bezauberndes Thierchen. Aber ſie kann noch
andere Kunſtſtücke aufführen; ſie kann ſich ganz auf den Hinterbeinen aufrichten, wie ein Menſch,
und ſogar einige Schritte gehen. Dabei ſtützt ſie ſich nur dann und wann ein klein wenig mit dem
Schwanze. Das Schwimmen verſteht ſie auch, obwohl ſie nur im höchſten Nothfalle in das Waſſer
geht. Wirft man ſie in einen Teich oder Bach, ſo ſieht man, daß ſie faſt mit der Schnelligkeit der
Zwergmaus oder der Waſſerratte, welche beide wir ſpäter kennen lernen werden, die Wellen durch-
ſchneidet und dem erſten trocknen Orte zuſtrebt, um an ihm empor zu klettern und das Land wieder-
zugewinnen. Jhre Sinne ſind vortrefflich: ſie hört das feinſte Geräuſch, riecht ſehr ſcharf und auf
weite Entfernungen hin und ſieht auch recht leidlich, vielleicht noch beſſer bei Nacht, als bei Tage.
Jhr geiſtiges Weſen macht ſie Dem, welcher das Lebens des Thieres zu erkennen trachtet, zum wahren
Liebling. Sie iſt gutmüthig und harmlos und ähnelt nicht im geringſten ihren boshaften, tückiſchen
und biſſigen Verwandten, den Ratten; ſie iſt höchſt neugierig und unterſucht Alles mit der größten
Sorgfalt; ſie iſt luſtig und klug, ſie merkt bald, wo ſie geſchont wird, und gewöhnt ſich hier mit der
Zeit ſo an den Menſchen, daß ſie vor ſeinen Augen hin- und herläuft und ihre Hausgeſchäfte be-
treibt, als gäbe es gar keine Störung für ſie. Jm Käfig benimmt ſie ſich ſchon nach wenigen Tagen
ganz liebenswürdig; ſelbſt alte Mäuſe werden noch leidlich zahm, und jung eingefangene übertreffen
wegen ihrer Gutmüthigkeit und Harmloſigkeit die meiſten anderen Nager, welche man gefangen
halten kann. Ganz eigenthümlich iſt ihre Liebe zur Muſik. Wohllautende Töne locken ſie aus ihrem
Verſteck hervor und laſſen ſie alle Furchtſamkeit vergeſſen. Sie erſcheint bei hellem Tage in den Zim-
mern, in welchen geſpielt wird, und Orte, in denen regelmäßig Muſik ertönt, werden zuletzt ihre
Lieblingsaufenthaltsorte. Man ſagt ihr nach, daß ſie nachts, wenn ſie zufällig in eine Stube kommt,
wo ein offener Flügel ſteht, ſich gefällt, auf den Taſten und Saiten herumzulaufen, um ihrer Lieb-

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[132/0146] Die eigentlichen Mäuſe. beſchränkt, wie die Hausmaus auf die Wohnung des Menſchen. Die Namen ſind alſo nur be- ziehentlich anzuwenden. Jm allgemeinen läßt ſich Folgendes ſagen. Die Hausmaus ſoll ſchon ſeit den älteſten Zeiten der treueſte Genoſſe des Menſchen geweſen ſein. Bereits Ariſtoteles und Pli- nius thun ihrer Erwähnung, und Albertus Magnus kennt ſie ganz genau. Gegenwärtig iſt ſie über die ganze Erde verbreitet. Sie wanderte mit dem Menſchen, ſie folgte ihm bis in den höch- ſten Norden und bis in die höchſtgelegenen Alphütten. Wahrſcheinlich gibt es gegenwärtig nur we- nige Orte, wo ſie fehlt, und jedenfalls hat man ſie da blos noch nicht beobachtet. Auf den Sundainſeln z. B. ſoll ſie nicht vorkommen. Jhre Aufenthaltsorte ſind alle Theile der menſchlichen Wohnungen. Auf dem Lande hauſt ſie zeitweilig auch im Freien d. h. im Garten oder den nächſten Feldern und Wäldchen, in der Stadt beſchränkt ſie ſich auf das Wohnhaus und ſeine Nebengebäude. Hier bietet ihr jede Nitze, jede Höhle, mit einem Worte jeder Winkel, wo ſie ſich verſtecken kann, genügendes Obdach, und vonhieraus unternimmt ſie ihre Streifzüge. Die Hausmaus iſt ein anmuthiges, überaus behendes und bewegliches Thier. Mit größter Schnelligkeit rennt ſie auf dem Boden dahin, klettert vortrefflich, ſpringt ziemlich weit und hüpft oft längere Zeit nach einander in kurzen Sätzen fort. An zahmen kann man recht deutlich beobachten, wie geſchickt ſie alle Bewegungen unternimmt. Läßt man ſie auf einem ſchief aufwärts geſpannten Bindfaden oder einem Stöckchen gehen, ſo ſchlingt ſie ihren Schwanz, ſobald ſie aus dem Gleichgewicht kommt, ſchnell um das Seil nach Art der echten Wickelſchwänzler, bringt ſich wieder in das Gleich- gewicht und klettert weiter. Setzt man ſie auf einen ſehr biegſamen Halmen, ſo ſteigt ſie auf demſelben bis zur Spitze empor, und wenn der Halmen ſich dann niederbiegt, hängt ſie ſich auf der untern Seite an und ſteigt hier langſam herunter, ohne jemals in Verlegenheit zu kommen. Beim Klettern leiſtet ihr der Schwanz ganz weſentliche Dienſte; denn diejenigen zahmen Mäuſe, denen man, um ihnen ein drolliges Ausſehen zu geben, die Schwänze kurz geſchnitten hatte, waren nicht mehr im Stande, es ihren beſchwänzten Mitſchweſtern gleich zu thun. Ganz allerliebſt ſind auch die verſchiedenen Stellungen, welche ſie einnehmen kann. Jede Biegung, jede Bewegung iſt nett. Schon wenn ſie ruhig ſitzt, macht ſie einen ganz hübſchen Eindruck, erhebt ſie ſich aber nach Nagerart auf dem Hinter- theil und putzt und wäſcht ſich, dann iſt ſie geradezu ein bezauberndes Thierchen. Aber ſie kann noch andere Kunſtſtücke aufführen; ſie kann ſich ganz auf den Hinterbeinen aufrichten, wie ein Menſch, und ſogar einige Schritte gehen. Dabei ſtützt ſie ſich nur dann und wann ein klein wenig mit dem Schwanze. Das Schwimmen verſteht ſie auch, obwohl ſie nur im höchſten Nothfalle in das Waſſer geht. Wirft man ſie in einen Teich oder Bach, ſo ſieht man, daß ſie faſt mit der Schnelligkeit der Zwergmaus oder der Waſſerratte, welche beide wir ſpäter kennen lernen werden, die Wellen durch- ſchneidet und dem erſten trocknen Orte zuſtrebt, um an ihm empor zu klettern und das Land wieder- zugewinnen. Jhre Sinne ſind vortrefflich: ſie hört das feinſte Geräuſch, riecht ſehr ſcharf und auf weite Entfernungen hin und ſieht auch recht leidlich, vielleicht noch beſſer bei Nacht, als bei Tage. Jhr geiſtiges Weſen macht ſie Dem, welcher das Lebens des Thieres zu erkennen trachtet, zum wahren Liebling. Sie iſt gutmüthig und harmlos und ähnelt nicht im geringſten ihren boshaften, tückiſchen und biſſigen Verwandten, den Ratten; ſie iſt höchſt neugierig und unterſucht Alles mit der größten Sorgfalt; ſie iſt luſtig und klug, ſie merkt bald, wo ſie geſchont wird, und gewöhnt ſich hier mit der Zeit ſo an den Menſchen, daß ſie vor ſeinen Augen hin- und herläuft und ihre Hausgeſchäfte be- treibt, als gäbe es gar keine Störung für ſie. Jm Käfig benimmt ſie ſich ſchon nach wenigen Tagen ganz liebenswürdig; ſelbſt alte Mäuſe werden noch leidlich zahm, und jung eingefangene übertreffen wegen ihrer Gutmüthigkeit und Harmloſigkeit die meiſten anderen Nager, welche man gefangen halten kann. Ganz eigenthümlich iſt ihre Liebe zur Muſik. Wohllautende Töne locken ſie aus ihrem Verſteck hervor und laſſen ſie alle Furchtſamkeit vergeſſen. Sie erſcheint bei hellem Tage in den Zim- mern, in welchen geſpielt wird, und Orte, in denen regelmäßig Muſik ertönt, werden zuletzt ihre Lieblingsaufenthaltsorte. Man ſagt ihr nach, daß ſie nachts, wenn ſie zufällig in eine Stube kommt, wo ein offener Flügel ſteht, ſich gefällt, auf den Taſten und Saiten herumzulaufen, um ihrer Lieb-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/146>, abgerufen am 27.11.2024.