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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Hasenmäuse oder Chinchillen. -- Die Chinchilla.
den augenblicklich, sobald man Miene macht, sie zu verfolgen. Eine Felswand, welche mit Hun-
derten bedeckt ist, erscheint noch in derselben Minute todt und leer, in welcher man einen Schuß gegen
sie abfeuert. Jede Chinchilla hat im Nu eine Felsenspalte betreten und ist in ihr verschwunden, als
ob sie durch Zauber dem Auge entrückt wäre. Je zerklüfteter die Wände sind, um so häufiger wer-
den sie von den Chinchillas bewohnt; denn gerade die Ritzen, Spalten und Höhlen zwischen dem
Gestein bilden ihre Schlupfwinkel. Manchmal kommt es vor, daß der Reisende, welcher, ohne den
Thieren Etwas zu Leide zu thun, oben in jenen Höhen Nast hält, geradezu umlagert wird von un-
seren Felsenbewohnern. Das ganze Gestein wird nach und nach lebendig; aus jeder Ritze, aus jeder
Spalte lugt ein Kopf hervor. Die neugierigsten und vertrauendsten Chinchillas wagen sich wohl auch
noch näher herbei und laufen schließlich ungescheut unter den Beinen der weidenden Maulthiere
herum. Jhr Lauf ist mehr eine Art von Springen, als von Gehen; er erinnert an die Bewegungen
unserer Mäuse. Wenn sie ruhen, sitzen sie auf dem Hintertheile, mit an die Brust gezogenen Vor-
derbeinen, den Schwanz nach hinten gestreckt. Sie können sich aber auch ganz frei auf den Hinter-
beinen erheben und eine Zeitlang in dieser Stellung erhalten. Beim Klettern greifen sie mit allen
vier Füßen in die Ritzen des Gesteins ein, und die geringste Unebenheit genügt ihnen, um mit voll-
ständiger Sicherheit Fuß zu fassen. Alle Beobachter stimmen in der Angabe überein, daß dieses Thier
es meisterhaft verstehe, auch die ödeste und traurigste Gebirgsgegend zu beleben, und somit dem Men-
schen, der einsam und verlassen dort oben dahinzieht, Unterhaltung und Erheiterung zu bieten.

Ueber die Fortpflanzung der Chinchilla ist noch nichts Sicheres bekannt. Man hat zu jeder Zeit
des Jahres trächtige Weibchen gefunden und von den Eingeborenen erfahren, daß die Zahl der Jungen
zwischen vier und sechs schwanke; Genaueres weiß man nicht. Die Jungen werden selbständig, so-
bald sie die Felsenritzen verlassen können, in denen sie das Licht der Welt erblickten, und die Alte
scheint sich von dem Augenblicke des Auslaufens an nicht mehr um ihre Nachkommenschaft zu
kümmern.

Jn ihrem Vaterlande wird die große Chinchilla sehr häufig zahm gehalten. Die Anmuth ihrer
Bewegungen, ihre Reinlichkeit und die Leichtigkeit, mit welcher sie sich in ihr Schicksal findet, erwerben
ihr bald die Freundschaft des Menschen. Sie zeigt sich so harmlos und zutraulich, daß man sie frei
im Hause und in den Zimmern umherlaufen lassen kann. Nur durch ihre Neugier wird sie lästig;
denn sie untersucht Alles, was sie in ihrem Wege findet, und selbst die Geräthe, welche höher gestellt
sind; denn ihr ist es eine Kleinigkeit, an Tisch und Schränken emporzuklimmen. Nicht selten
springt sie sogar den Leuten plötzlich auf Kopf und Schultern. Jhre geistigen Fähigkeiten stehen unge-
fähr auf gleicher Stufe, wie die unseres Kaninchens oder Meerschweinchens. Man kann auch
bei ihr weder Anhänglichkeit an ihren Pfleger, noch Dankbarkeit gewahren. Sie ist lebhaft, doch bei
weitem nicht in dem Grade als im Freien, und niemals legt sie ihre große Furchtsamkeit ab. Mit
trockenen Kräutern, namentlich mit trockenem Klee ist sie leicht zu erhalten. Jm Freien frißt sie Grä-
ser, Wurzeln und Mose etc.; dabei setzt sie sich auf das Hintertheil und bedient sich gewöhnlich der
Vorderpfoten, um ihre Speise zum Munde zu führen.

Jn früheren Zeiten soll die große Chinchilla bis zum Meere herab auf allen Bergen ebensohäufig
vorgekommen sein, als in der Höhe; gegenwärtig findet man sie blos hier und da und immer nur sehr
einzeln in dem tieferen Gebirge. Die unablässige Verfolgung, welcher sie ihres Felles wegen ausgesetzt
ist, hat sie in die Höhe getrieben. Man hat schon von Alters her ihr eifrig nachgestellt und wendet
auch jetzt noch fast ganz dieselben Jagdweisen an, als früher. Die Europäer erlegen sie zwar ab und
zu mit dem Feuergewehre oder mit der Armbrust, doch bleibt diese Jagd immer eine mißliche Sache;
denn wenn eine Chinchilla nicht so getroffen wird, daß sie augenblicklich verendet, schlüpft sie regel-
mäßig noch in eine ihrer Felsritzen und ist dann für den Jäger natürlich verloren. Weit sicherer ist die
Jagdart der Jndianer. Diese stellen gut gearbeitete Schlingen vor allen Felsenspalten auf, zu denen
sie gelangen können, und lösen am anderen Morgen die Chinchillas, welche sich in diesen Schlingen
gefangen haben, aus, oft viele Dutzende auf ein Mal. Außerdem betreibt man leidenschaftlich gern

Die Haſenmäuſe oder Chinchillen. — Die Chinchilla.
den augenblicklich, ſobald man Miene macht, ſie zu verfolgen. Eine Felswand, welche mit Hun-
derten bedeckt iſt, erſcheint noch in derſelben Minute todt und leer, in welcher man einen Schuß gegen
ſie abfeuert. Jede Chinchilla hat im Nu eine Felſenſpalte betreten und iſt in ihr verſchwunden, als
ob ſie durch Zauber dem Auge entrückt wäre. Je zerklüfteter die Wände ſind, um ſo häufiger wer-
den ſie von den Chinchillas bewohnt; denn gerade die Ritzen, Spalten und Höhlen zwiſchen dem
Geſtein bilden ihre Schlupfwinkel. Manchmal kommt es vor, daß der Reiſende, welcher, ohne den
Thieren Etwas zu Leide zu thun, oben in jenen Höhen Naſt hält, geradezu umlagert wird von un-
ſeren Felſenbewohnern. Das ganze Geſtein wird nach und nach lebendig; aus jeder Ritze, aus jeder
Spalte lugt ein Kopf hervor. Die neugierigſten und vertrauendſten Chinchillas wagen ſich wohl auch
noch näher herbei und laufen ſchließlich ungeſcheut unter den Beinen der weidenden Maulthiere
herum. Jhr Lauf iſt mehr eine Art von Springen, als von Gehen; er erinnert an die Bewegungen
unſerer Mäuſe. Wenn ſie ruhen, ſitzen ſie auf dem Hintertheile, mit an die Bruſt gezogenen Vor-
derbeinen, den Schwanz nach hinten geſtreckt. Sie können ſich aber auch ganz frei auf den Hinter-
beinen erheben und eine Zeitlang in dieſer Stellung erhalten. Beim Klettern greifen ſie mit allen
vier Füßen in die Ritzen des Geſteins ein, und die geringſte Unebenheit genügt ihnen, um mit voll-
ſtändiger Sicherheit Fuß zu faſſen. Alle Beobachter ſtimmen in der Angabe überein, daß dieſes Thier
es meiſterhaft verſtehe, auch die ödeſte und traurigſte Gebirgsgegend zu beleben, und ſomit dem Men-
ſchen, der einſam und verlaſſen dort oben dahinzieht, Unterhaltung und Erheiterung zu bieten.

Ueber die Fortpflanzung der Chinchilla iſt noch nichts Sicheres bekannt. Man hat zu jeder Zeit
des Jahres trächtige Weibchen gefunden und von den Eingeborenen erfahren, daß die Zahl der Jungen
zwiſchen vier und ſechs ſchwanke; Genaueres weiß man nicht. Die Jungen werden ſelbſtändig, ſo-
bald ſie die Felſenritzen verlaſſen können, in denen ſie das Licht der Welt erblickten, und die Alte
ſcheint ſich von dem Augenblicke des Auslaufens an nicht mehr um ihre Nachkommenſchaft zu
kümmern.

Jn ihrem Vaterlande wird die große Chinchilla ſehr häufig zahm gehalten. Die Anmuth ihrer
Bewegungen, ihre Reinlichkeit und die Leichtigkeit, mit welcher ſie ſich in ihr Schickſal findet, erwerben
ihr bald die Freundſchaft des Menſchen. Sie zeigt ſich ſo harmlos und zutraulich, daß man ſie frei
im Hauſe und in den Zimmern umherlaufen laſſen kann. Nur durch ihre Neugier wird ſie läſtig;
denn ſie unterſucht Alles, was ſie in ihrem Wege findet, und ſelbſt die Geräthe, welche höher geſtellt
ſind; denn ihr iſt es eine Kleinigkeit, an Tiſch und Schränken emporzuklimmen. Nicht ſelten
ſpringt ſie ſogar den Leuten plötzlich auf Kopf und Schultern. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſtehen unge-
fähr auf gleicher Stufe, wie die unſeres Kaninchens oder Meerſchweinchens. Man kann auch
bei ihr weder Anhänglichkeit an ihren Pfleger, noch Dankbarkeit gewahren. Sie iſt lebhaft, doch bei
weitem nicht in dem Grade als im Freien, und niemals legt ſie ihre große Furchtſamkeit ab. Mit
trockenen Kräutern, namentlich mit trockenem Klee iſt ſie leicht zu erhalten. Jm Freien frißt ſie Grä-
ſer, Wurzeln und Moſe ꝛc.; dabei ſetzt ſie ſich auf das Hintertheil und bedient ſich gewöhnlich der
Vorderpfoten, um ihre Speiſe zum Munde zu führen.

Jn früheren Zeiten ſoll die große Chinchilla bis zum Meere herab auf allen Bergen ebenſohäufig
vorgekommen ſein, als in der Höhe; gegenwärtig findet man ſie blos hier und da und immer nur ſehr
einzeln in dem tieferen Gebirge. Die unabläſſige Verfolgung, welcher ſie ihres Felles wegen ausgeſetzt
iſt, hat ſie in die Höhe getrieben. Man hat ſchon von Alters her ihr eifrig nachgeſtellt und wendet
auch jetzt noch faſt ganz dieſelben Jagdweiſen an, als früher. Die Europäer erlegen ſie zwar ab und
zu mit dem Feuergewehre oder mit der Armbruſt, doch bleibt dieſe Jagd immer eine mißliche Sache;
denn wenn eine Chinchilla nicht ſo getroffen wird, daß ſie augenblicklich verendet, ſchlüpft ſie regel-
mäßig noch in eine ihrer Felsritzen und iſt dann für den Jäger natürlich verloren. Weit ſicherer iſt die
Jagdart der Jndianer. Dieſe ſtellen gut gearbeitete Schlingen vor allen Felſenſpalten auf, zu denen
ſie gelangen können, und löſen am anderen Morgen die Chinchillas, welche ſich in dieſen Schlingen
gefangen haben, aus, oft viele Dutzende auf ein Mal. Außerdem betreibt man leidenſchaftlich gern

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[196/0212] Die Haſenmäuſe oder Chinchillen. — Die Chinchilla. den augenblicklich, ſobald man Miene macht, ſie zu verfolgen. Eine Felswand, welche mit Hun- derten bedeckt iſt, erſcheint noch in derſelben Minute todt und leer, in welcher man einen Schuß gegen ſie abfeuert. Jede Chinchilla hat im Nu eine Felſenſpalte betreten und iſt in ihr verſchwunden, als ob ſie durch Zauber dem Auge entrückt wäre. Je zerklüfteter die Wände ſind, um ſo häufiger wer- den ſie von den Chinchillas bewohnt; denn gerade die Ritzen, Spalten und Höhlen zwiſchen dem Geſtein bilden ihre Schlupfwinkel. Manchmal kommt es vor, daß der Reiſende, welcher, ohne den Thieren Etwas zu Leide zu thun, oben in jenen Höhen Naſt hält, geradezu umlagert wird von un- ſeren Felſenbewohnern. Das ganze Geſtein wird nach und nach lebendig; aus jeder Ritze, aus jeder Spalte lugt ein Kopf hervor. Die neugierigſten und vertrauendſten Chinchillas wagen ſich wohl auch noch näher herbei und laufen ſchließlich ungeſcheut unter den Beinen der weidenden Maulthiere herum. Jhr Lauf iſt mehr eine Art von Springen, als von Gehen; er erinnert an die Bewegungen unſerer Mäuſe. Wenn ſie ruhen, ſitzen ſie auf dem Hintertheile, mit an die Bruſt gezogenen Vor- derbeinen, den Schwanz nach hinten geſtreckt. Sie können ſich aber auch ganz frei auf den Hinter- beinen erheben und eine Zeitlang in dieſer Stellung erhalten. Beim Klettern greifen ſie mit allen vier Füßen in die Ritzen des Geſteins ein, und die geringſte Unebenheit genügt ihnen, um mit voll- ſtändiger Sicherheit Fuß zu faſſen. Alle Beobachter ſtimmen in der Angabe überein, daß dieſes Thier es meiſterhaft verſtehe, auch die ödeſte und traurigſte Gebirgsgegend zu beleben, und ſomit dem Men- ſchen, der einſam und verlaſſen dort oben dahinzieht, Unterhaltung und Erheiterung zu bieten. Ueber die Fortpflanzung der Chinchilla iſt noch nichts Sicheres bekannt. Man hat zu jeder Zeit des Jahres trächtige Weibchen gefunden und von den Eingeborenen erfahren, daß die Zahl der Jungen zwiſchen vier und ſechs ſchwanke; Genaueres weiß man nicht. Die Jungen werden ſelbſtändig, ſo- bald ſie die Felſenritzen verlaſſen können, in denen ſie das Licht der Welt erblickten, und die Alte ſcheint ſich von dem Augenblicke des Auslaufens an nicht mehr um ihre Nachkommenſchaft zu kümmern. Jn ihrem Vaterlande wird die große Chinchilla ſehr häufig zahm gehalten. Die Anmuth ihrer Bewegungen, ihre Reinlichkeit und die Leichtigkeit, mit welcher ſie ſich in ihr Schickſal findet, erwerben ihr bald die Freundſchaft des Menſchen. Sie zeigt ſich ſo harmlos und zutraulich, daß man ſie frei im Hauſe und in den Zimmern umherlaufen laſſen kann. Nur durch ihre Neugier wird ſie läſtig; denn ſie unterſucht Alles, was ſie in ihrem Wege findet, und ſelbſt die Geräthe, welche höher geſtellt ſind; denn ihr iſt es eine Kleinigkeit, an Tiſch und Schränken emporzuklimmen. Nicht ſelten ſpringt ſie ſogar den Leuten plötzlich auf Kopf und Schultern. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſtehen unge- fähr auf gleicher Stufe, wie die unſeres Kaninchens oder Meerſchweinchens. Man kann auch bei ihr weder Anhänglichkeit an ihren Pfleger, noch Dankbarkeit gewahren. Sie iſt lebhaft, doch bei weitem nicht in dem Grade als im Freien, und niemals legt ſie ihre große Furchtſamkeit ab. Mit trockenen Kräutern, namentlich mit trockenem Klee iſt ſie leicht zu erhalten. Jm Freien frißt ſie Grä- ſer, Wurzeln und Moſe ꝛc.; dabei ſetzt ſie ſich auf das Hintertheil und bedient ſich gewöhnlich der Vorderpfoten, um ihre Speiſe zum Munde zu führen. Jn früheren Zeiten ſoll die große Chinchilla bis zum Meere herab auf allen Bergen ebenſohäufig vorgekommen ſein, als in der Höhe; gegenwärtig findet man ſie blos hier und da und immer nur ſehr einzeln in dem tieferen Gebirge. Die unabläſſige Verfolgung, welcher ſie ihres Felles wegen ausgeſetzt iſt, hat ſie in die Höhe getrieben. Man hat ſchon von Alters her ihr eifrig nachgeſtellt und wendet auch jetzt noch faſt ganz dieſelben Jagdweiſen an, als früher. Die Europäer erlegen ſie zwar ab und zu mit dem Feuergewehre oder mit der Armbruſt, doch bleibt dieſe Jagd immer eine mißliche Sache; denn wenn eine Chinchilla nicht ſo getroffen wird, daß ſie augenblicklich verendet, ſchlüpft ſie regel- mäßig noch in eine ihrer Felsritzen und iſt dann für den Jäger natürlich verloren. Weit ſicherer iſt die Jagdart der Jndianer. Dieſe ſtellen gut gearbeitete Schlingen vor allen Felſenſpalten auf, zu denen ſie gelangen können, und löſen am anderen Morgen die Chinchillas, welche ſich in dieſen Schlingen gefangen haben, aus, oft viele Dutzende auf ein Mal. Außerdem betreibt man leidenſchaftlich gern

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/212>, abgerufen am 23.11.2024.