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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der merikanische Greifstachler.
händen gefaßt hat, läßt er zuerst die beiden Hinterbeine und sodann den Schwanz los, schwingt sich,
durch das eigene Gewicht bewegt, bis unter den Zweig, faßt diesen mit dem Schwanze und hierauf
mit den Hinterbeinen und klettert nunmehr gemächlich nach oben und dann auf dem Zweige weiter.
Rengger behauptet, daß er den Schwanz nur bei dem Herunterklettern benutze; diese Angabe ist
jedoch falsch, wie ich nach eigenem Beobachten versichern darf.

Seine Nahrung besteht hauptsächlich aus Baumfrüchten, Knospen, Blättern, Blüthen und
Wurzeln, welche er mit den Händen zum Munde führt. Unser Gefangener verzehrte sehr gern auch
die Rinde junger Schößlinge, jedoch nur dann, wenn er sich letztere selbst auswählen konnte. Jm
Käfig fütterten wir ihn mit Möhren, Kartoffeln und Reis, auch nahm er Milchbrod an. Jn
Amerika ernährt man ihn mit Bananen.

Der Schilderung des Gefangenlebens will ich Azara's Beobachtungen vorausschicken. "Einen
alt Eingefangenen," erzählt er, "ließ ich in meinem Zimmer frei und ein Jahr ohne Wasser;
denn er trinkt nicht. Wenn er erschreckt wurde, lief er mit großer Leichtigkeit; doch erreichte ich ihn
immer noch, wenn ich gemächlich nebenher ging. Auch wenn er laufen will, beugt er das Gelenk
zwischen Schienbein und Knöchel nicht, gerade als ob er keinen Spielraum habe. Alle seine Be-
wegungen sind tölpelhaft; doch klettert er mit Leichtigkeit an irgend welchem Stocke auf und nieder
und klammert sich so fest, daß eine ziemliche Kraft erforderlich ist, um ihn wegzubringen. Eine
Stuhllehne, die Spitze eines senkrecht eingerammten Pfahles genügen ihm, um sicher zu schlafen und
auch wirklich auszuruhen. Er ist stumpfgeistig und so ruhig oder träge, daß zuweilen 24 bis 48
Stunden vergehen können, ehe er seinen Ort verändert oder seine Stellung im geringsten wechselt.
Der meinige bewegte sich nur, wenn er fressen wollte, und Dies geschah in der Regel um 9 Uhr
Vormittags und 4 Uhr Nachmittags. Ein einziges Mal beobachtete ich, daß er auch in der Nacht
umher lief; dem ungeachtet halte ich ihn für ein nächtliches Thier. Der meinige setzte sich in den
ersten Tagen seiner Gefangenschaft auf eine Stuhllehne, niemals auf etwas Ebenes; als er aber
eines Tages am Fenster emporgestiegen war, und dort die Kante des Fensterladens aufgefunden
hatte, suchte er später keinen andern Ort. Oben auf dem Laden verbrachte er seine Zeit; er saß
ohne die geringste Bewegung, einer Bildsäule gleich, in einer außergewöhnlichen Stellung. Er
hielt sich, ohne sich mit der Hand oder dem Schwanze zu versichern, einzig und allein mit den Füßen
fest, legte die Hände über einander und zwischen sie hinein seine Schnauze, als ob er die Hände
küssen wollte. So saß er, ohne sich zu bewegen, ja ohne umherzublicken, bis zur Stunde seiner
Mahlzeit. Eines Tages legte ich unter sein Futter eine todte Ratte. Als er diese entdeckt hatte,
entsetzte er sich derart, daß er über Hals und Kopf zu seinem Ruhesitze emporstieg; das Gleiche
that er, wenn sich ihm einer von den Vögeln, welche ich frei im Zimmer herumfliegen ließ, näherte,
während er fraß. Er nahm von dem ihm vorgesetzten Brod, Mais, Maniokwurzeln, Kräutern,
Blättern und Blumen außerordentlich wenig, liebte es aber, mit der verschiedenen Kost abzuwechseln.
Vielmal sah ich, daß er, die erwähnten Dinge verschmähend, sich über dünne Holzstengel hermachte,
ja selbst, daß er gediegenes Wachs anging. Er biß oder kratzte nie und fügte auch Niemand Schaden
zu. Seine Nothdurft verrichtete er während des Fraßes, und dabei achtete er nicht darauf, ob sein
Koth und Harn auf die Nahrung fiel."

"Der Geruch ist der ausgebildetste Sinn. Jch beobachtete, wenn ich Chocolade trank oder mit
Blumen in das Zimmer trat, daß mein Gefangener seine Schnauze erhob, und durfte mit Sicherheit
folgern, daß er den Geruch auf ziemliche Entfernungen wahrnahm. Seine Schwanzspitze ist so
empfindlich, daß er sich sogleich aufrasst und zusammenschreckt, wenn man ihn dort ganz leise berührt.
Jm übrigen nimmt man blos Trägheit und Dummheit von ihm wahr; man darf wohl sagen, daß
er kaum zu fressen und zu leben versteht. Niemals konnte ich bei ihm Freude oder Trauer und nie-
mals Wohlbehagen bemerken. Manchmal wendete er sein Haupt, wenn er bei seinem Namen
genannt wurde. Für gewöhnlich sah er sich nicht um, er that gerade, als ob er nicht sehen könne und

Der merikaniſche Greifſtachler.
händen gefaßt hat, läßt er zuerſt die beiden Hinterbeine und ſodann den Schwanz los, ſchwingt ſich,
durch das eigene Gewicht bewegt, bis unter den Zweig, faßt dieſen mit dem Schwanze und hierauf
mit den Hinterbeinen und klettert nunmehr gemächlich nach oben und dann auf dem Zweige weiter.
Rengger behauptet, daß er den Schwanz nur bei dem Herunterklettern benutze; dieſe Angabe iſt
jedoch falſch, wie ich nach eigenem Beobachten verſichern darf.

Seine Nahrung beſteht hauptſächlich aus Baumfrüchten, Knospen, Blättern, Blüthen und
Wurzeln, welche er mit den Händen zum Munde führt. Unſer Gefangener verzehrte ſehr gern auch
die Rinde junger Schößlinge, jedoch nur dann, wenn er ſich letztere ſelbſt auswählen konnte. Jm
Käfig fütterten wir ihn mit Möhren, Kartoffeln und Reis, auch nahm er Milchbrod an. Jn
Amerika ernährt man ihn mit Bananen.

Der Schilderung des Gefangenlebens will ich Azara’s Beobachtungen vorausſchicken. „Einen
alt Eingefangenen,‟ erzählt er, „ließ ich in meinem Zimmer frei und ein Jahr ohne Waſſer;
denn er trinkt nicht. Wenn er erſchreckt wurde, lief er mit großer Leichtigkeit; doch erreichte ich ihn
immer noch, wenn ich gemächlich nebenher ging. Auch wenn er laufen will, beugt er das Gelenk
zwiſchen Schienbein und Knöchel nicht, gerade als ob er keinen Spielraum habe. Alle ſeine Be-
wegungen ſind tölpelhaft; doch klettert er mit Leichtigkeit an irgend welchem Stocke auf und nieder
und klammert ſich ſo feſt, daß eine ziemliche Kraft erforderlich iſt, um ihn wegzubringen. Eine
Stuhllehne, die Spitze eines ſenkrecht eingerammten Pfahles genügen ihm, um ſicher zu ſchlafen und
auch wirklich auszuruhen. Er iſt ſtumpfgeiſtig und ſo ruhig oder träge, daß zuweilen 24 bis 48
Stunden vergehen können, ehe er ſeinen Ort verändert oder ſeine Stellung im geringſten wechſelt.
Der meinige bewegte ſich nur, wenn er freſſen wollte, und Dies geſchah in der Regel um 9 Uhr
Vormittags und 4 Uhr Nachmittags. Ein einziges Mal beobachtete ich, daß er auch in der Nacht
umher lief; dem ungeachtet halte ich ihn für ein nächtliches Thier. Der meinige ſetzte ſich in den
erſten Tagen ſeiner Gefangenſchaft auf eine Stuhllehne, niemals auf etwas Ebenes; als er aber
eines Tages am Fenſter emporgeſtiegen war, und dort die Kante des Fenſterladens aufgefunden
hatte, ſuchte er ſpäter keinen andern Ort. Oben auf dem Laden verbrachte er ſeine Zeit; er ſaß
ohne die geringſte Bewegung, einer Bildſäule gleich, in einer außergewöhnlichen Stellung. Er
hielt ſich, ohne ſich mit der Hand oder dem Schwanze zu verſichern, einzig und allein mit den Füßen
feſt, legte die Hände über einander und zwiſchen ſie hinein ſeine Schnauze, als ob er die Hände
küſſen wollte. So ſaß er, ohne ſich zu bewegen, ja ohne umherzublicken, bis zur Stunde ſeiner
Mahlzeit. Eines Tages legte ich unter ſein Futter eine todte Ratte. Als er dieſe entdeckt hatte,
entſetzte er ſich derart, daß er über Hals und Kopf zu ſeinem Ruheſitze emporſtieg; das Gleiche
that er, wenn ſich ihm einer von den Vögeln, welche ich frei im Zimmer herumfliegen ließ, näherte,
während er fraß. Er nahm von dem ihm vorgeſetzten Brod, Mais, Maniokwurzeln, Kräutern,
Blättern und Blumen außerordentlich wenig, liebte es aber, mit der verſchiedenen Koſt abzuwechſeln.
Vielmal ſah ich, daß er, die erwähnten Dinge verſchmähend, ſich über dünne Holzſtengel hermachte,
ja ſelbſt, daß er gediegenes Wachs anging. Er biß oder kratzte nie und fügte auch Niemand Schaden
zu. Seine Nothdurft verrichtete er während des Fraßes, und dabei achtete er nicht darauf, ob ſein
Koth und Harn auf die Nahrung fiel.‟

„Der Geruch iſt der ausgebildetſte Sinn. Jch beobachtete, wenn ich Chocolade trank oder mit
Blumen in das Zimmer trat, daß mein Gefangener ſeine Schnauze erhob, und durfte mit Sicherheit
folgern, daß er den Geruch auf ziemliche Entfernungen wahrnahm. Seine Schwanzſpitze iſt ſo
empfindlich, daß er ſich ſogleich aufraſſt und zuſammenſchreckt, wenn man ihn dort ganz leiſe berührt.
Jm übrigen nimmt man blos Trägheit und Dummheit von ihm wahr; man darf wohl ſagen, daß
er kaum zu freſſen und zu leben verſteht. Niemals konnte ich bei ihm Freude oder Trauer und nie-
mals Wohlbehagen bemerken. Manchmal wendete er ſein Haupt, wenn er bei ſeinem Namen
genannt wurde. Für gewöhnlich ſah er ſich nicht um, er that gerade, als ob er nicht ſehen könne und

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[217/0235] Der merikaniſche Greifſtachler. händen gefaßt hat, läßt er zuerſt die beiden Hinterbeine und ſodann den Schwanz los, ſchwingt ſich, durch das eigene Gewicht bewegt, bis unter den Zweig, faßt dieſen mit dem Schwanze und hierauf mit den Hinterbeinen und klettert nunmehr gemächlich nach oben und dann auf dem Zweige weiter. Rengger behauptet, daß er den Schwanz nur bei dem Herunterklettern benutze; dieſe Angabe iſt jedoch falſch, wie ich nach eigenem Beobachten verſichern darf. Seine Nahrung beſteht hauptſächlich aus Baumfrüchten, Knospen, Blättern, Blüthen und Wurzeln, welche er mit den Händen zum Munde führt. Unſer Gefangener verzehrte ſehr gern auch die Rinde junger Schößlinge, jedoch nur dann, wenn er ſich letztere ſelbſt auswählen konnte. Jm Käfig fütterten wir ihn mit Möhren, Kartoffeln und Reis, auch nahm er Milchbrod an. Jn Amerika ernährt man ihn mit Bananen. Der Schilderung des Gefangenlebens will ich Azara’s Beobachtungen vorausſchicken. „Einen alt Eingefangenen,‟ erzählt er, „ließ ich in meinem Zimmer frei und ein Jahr ohne Waſſer; denn er trinkt nicht. Wenn er erſchreckt wurde, lief er mit großer Leichtigkeit; doch erreichte ich ihn immer noch, wenn ich gemächlich nebenher ging. Auch wenn er laufen will, beugt er das Gelenk zwiſchen Schienbein und Knöchel nicht, gerade als ob er keinen Spielraum habe. Alle ſeine Be- wegungen ſind tölpelhaft; doch klettert er mit Leichtigkeit an irgend welchem Stocke auf und nieder und klammert ſich ſo feſt, daß eine ziemliche Kraft erforderlich iſt, um ihn wegzubringen. Eine Stuhllehne, die Spitze eines ſenkrecht eingerammten Pfahles genügen ihm, um ſicher zu ſchlafen und auch wirklich auszuruhen. Er iſt ſtumpfgeiſtig und ſo ruhig oder träge, daß zuweilen 24 bis 48 Stunden vergehen können, ehe er ſeinen Ort verändert oder ſeine Stellung im geringſten wechſelt. Der meinige bewegte ſich nur, wenn er freſſen wollte, und Dies geſchah in der Regel um 9 Uhr Vormittags und 4 Uhr Nachmittags. Ein einziges Mal beobachtete ich, daß er auch in der Nacht umher lief; dem ungeachtet halte ich ihn für ein nächtliches Thier. Der meinige ſetzte ſich in den erſten Tagen ſeiner Gefangenſchaft auf eine Stuhllehne, niemals auf etwas Ebenes; als er aber eines Tages am Fenſter emporgeſtiegen war, und dort die Kante des Fenſterladens aufgefunden hatte, ſuchte er ſpäter keinen andern Ort. Oben auf dem Laden verbrachte er ſeine Zeit; er ſaß ohne die geringſte Bewegung, einer Bildſäule gleich, in einer außergewöhnlichen Stellung. Er hielt ſich, ohne ſich mit der Hand oder dem Schwanze zu verſichern, einzig und allein mit den Füßen feſt, legte die Hände über einander und zwiſchen ſie hinein ſeine Schnauze, als ob er die Hände küſſen wollte. So ſaß er, ohne ſich zu bewegen, ja ohne umherzublicken, bis zur Stunde ſeiner Mahlzeit. Eines Tages legte ich unter ſein Futter eine todte Ratte. Als er dieſe entdeckt hatte, entſetzte er ſich derart, daß er über Hals und Kopf zu ſeinem Ruheſitze emporſtieg; das Gleiche that er, wenn ſich ihm einer von den Vögeln, welche ich frei im Zimmer herumfliegen ließ, näherte, während er fraß. Er nahm von dem ihm vorgeſetzten Brod, Mais, Maniokwurzeln, Kräutern, Blättern und Blumen außerordentlich wenig, liebte es aber, mit der verſchiedenen Koſt abzuwechſeln. Vielmal ſah ich, daß er, die erwähnten Dinge verſchmähend, ſich über dünne Holzſtengel hermachte, ja ſelbſt, daß er gediegenes Wachs anging. Er biß oder kratzte nie und fügte auch Niemand Schaden zu. Seine Nothdurft verrichtete er während des Fraßes, und dabei achtete er nicht darauf, ob ſein Koth und Harn auf die Nahrung fiel.‟ „Der Geruch iſt der ausgebildetſte Sinn. Jch beobachtete, wenn ich Chocolade trank oder mit Blumen in das Zimmer trat, daß mein Gefangener ſeine Schnauze erhob, und durfte mit Sicherheit folgern, daß er den Geruch auf ziemliche Entfernungen wahrnahm. Seine Schwanzſpitze iſt ſo empfindlich, daß er ſich ſogleich aufraſſt und zuſammenſchreckt, wenn man ihn dort ganz leiſe berührt. Jm übrigen nimmt man blos Trägheit und Dummheit von ihm wahr; man darf wohl ſagen, daß er kaum zu freſſen und zu leben verſteht. Niemals konnte ich bei ihm Freude oder Trauer und nie- mals Wohlbehagen bemerken. Manchmal wendete er ſein Haupt, wenn er bei ſeinem Namen genannt wurde. Für gewöhnlich ſah er ſich nicht um, er that gerade, als ob er nicht ſehen könne und

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/235>, abgerufen am 23.11.2024.