sehen. Der ziemlich dicke, runde und spitze Schwanz ist blos an seiner Wurzel behaart und von da bis zu seinem Ende nackt und von feinen Schuppenhaaren umgeben, zwischen denen nur hier und da einige kurze Haare hervortreten. Er ist ein Rollschwanz, welcher von dem Thiere nach abwärts ge- rollt getragen wird und ihm beim Klettern wesentliche Dienste leistet. Das Weibchen hat einen voll- kommenen Beutel.
Nordamerika ist die Heimat des Opossums, und es findet sich dort von Mejiko an bis in die kälteren Gegenden der nördlichen Vereinigten Staaten, bis Pennsylvanien und an die großen Seen Canadas. Jn den mittleren Theilen dieses gewaltigen Landstrichs wird es überall häufig gefunden und zwar keineswegs zur Freude der Menschen. Wälder und Gebüsche sind seine Aufenthaltsorte, und je dichter dieselben sind, um so lieber hält sich das Opossum in ihnen auf.
Bevor ich über die Lebensweise und Sitten des sonderbaren Geschöpfes ausführlicher berichte, will ich dasselbe meinen Lesern mit Audubon's Worten vorstellen; denn nach seiner Anführung bin ich im voraus der Theilnahme für das Opossum gewiß, so häßlich es auch sonst sein mag.
"Mir ist," sagt der vortreffliche Beobachter, "als sähe ich noch jetzt eines über den schmelzenden Schnee langsam und vorsichtig dahintrippeln, indem es am Boden hin nach Dem schnuppert, was seinem Geschmack am meisten zusagt. Jetzt stößt es auf die frische Fährte eines Huhnes oder Hasens; es erhebt die Schnauze und schnüffelt. Endlich hat es sich entschieden und eilt auf dem gewählten Wege vorwärts, so schnell wie ein guter Fußgänger. Nun sucht es und scheint in Verlegenheit, welche Richtung es weiter verfolgen soll; denn der Gegenstand seiner Verfolgung hat entweder einen beträchtlichen Satz gemacht oder wohl einen Haken geschlagen, ehe das Opossum seine Spur aufge- nommen hatte. Es richtet sich auf, hält sich ein Weilchen auf den Hinterbeinen, schaut sich um, spürt aufs neue und trabt dann weiter. Aber jetzt, am Fuße eines alten Baumes, macht's ent- schieden Halt. Es geht rund um den gewaltigen Stamm über die schneebedeckten Wurzeln und findet zwischen diesen eine Oeffnung, in welche es im Nu hineinschlüpft."
"Mehrere Minuten vergehen: da erscheint's wieder, schleppt ein bereits abgethanes Eich- hörnchen in seinem Maule heraus und beginnt, den Baum zu ersteigen. Langsam klimmt es empor Der erste Zwiesel scheint ihm nicht anzustehen: es denkt wohl, es möchte hier allzusehr den Blicken eines bösen Feindes ausgesetzt sein, und somit steigt es höher, bis es die dichteren Zweige bergen können, die mit Weinranken durchflochten sind. Hier setzt es sich zur Ruhe, schlingt seinen Schwanz um einen Zweig und zerreißt mit den scharfen Zähnen das unglückliche Eichhörnchen, das es dabei immer mit den Vorderpfoten hält."
"Die lieblichen Frühlingstage sind gekommen; kräftig schossen die Blätter: das Opossum aber muß immer noch Hunger leiden und ist fast gänzlich erschöpft. Es besucht den Rand der Buchten und freut sich, einen jungen Frosch zu sehen, der ihm eine leidliche Mahlzeit gewährt. Nach und nach brechen Moosbeeren und Nesseln auf, und vergnügt schmaust es die jungen Stengel. Der Morgenruf des wilden Truthahns entzückt das Ohr des listigen Geschöpfes; denn es weiß sehr wohl, daß es bald auch die Henne hören und ihre Spur bis zu dem Neste auffindig machen wird; dort wird es dann mit Wonne die Eier ausschlürfen."
"Auf seinen Reisen durch den Wald, bald auf dem Boden, bald in der Höhe von Baum zu Baum, hört es einen Hahn krähen, und sein Herz schwillt bei der Erinnerung an die saftige Speise, mit welcher es sich im vorigen Sommer am benachbarten Meierhofe eine Güte that. Höchst vorsichtig jedoch rückt es vor und birgt sich endlich im Hühnerhaus selbst."
"Biederer Bauer! warum hast du vorigen Winter soviel Krähen weggeschossen und Raben dazu? Nun, du hast deinen Spaß gehabt: jetzt aber eile ins nahe Dorf und verschaffe dir hinrei- chenden Schießvorrath, putze deinen rostigen Kuhfuß, stelle deine Fallen auf und lehre deine trägen Köter, um dem Opossum aufzulauern. Dort kommt es! Die Sonne ist kaum schlafen gegangen, aber des Strolches Hunger ist längst wach. Hörst du das Kreischen deiner besten Henne, die es gepackt hat? Das listige Thier ist auf und davon mit ihr. Jetzt ist Nichts weiter zu thun; höchstens
Die Beutelratten.
ſehen. Der ziemlich dicke, runde und ſpitze Schwanz iſt blos an ſeiner Wurzel behaart und von da bis zu ſeinem Ende nackt und von feinen Schuppenhaaren umgeben, zwiſchen denen nur hier und da einige kurze Haare hervortreten. Er iſt ein Rollſchwanz, welcher von dem Thiere nach abwärts ge- rollt getragen wird und ihm beim Klettern weſentliche Dienſte leiſtet. Das Weibchen hat einen voll- kommenen Beutel.
Nordamerika iſt die Heimat des Opoſſums, und es findet ſich dort von Mejiko an bis in die kälteren Gegenden der nördlichen Vereinigten Staaten, bis Pennſylvanien und an die großen Seen Canadas. Jn den mittleren Theilen dieſes gewaltigen Landſtrichs wird es überall häufig gefunden und zwar keineswegs zur Freude der Menſchen. Wälder und Gebüſche ſind ſeine Aufenthaltsorte, und je dichter dieſelben ſind, um ſo lieber hält ſich das Opoſſum in ihnen auf.
Bevor ich über die Lebensweiſe und Sitten des ſonderbaren Geſchöpfes ausführlicher berichte, will ich daſſelbe meinen Leſern mit Audubon’s Worten vorſtellen; denn nach ſeiner Anführung bin ich im voraus der Theilnahme für das Opoſſum gewiß, ſo häßlich es auch ſonſt ſein mag.
„Mir iſt,‟ ſagt der vortreffliche Beobachter, „als ſähe ich noch jetzt eines über den ſchmelzenden Schnee langſam und vorſichtig dahintrippeln, indem es am Boden hin nach Dem ſchnuppert, was ſeinem Geſchmack am meiſten zuſagt. Jetzt ſtößt es auf die friſche Fährte eines Huhnes oder Haſens; es erhebt die Schnauze und ſchnüffelt. Endlich hat es ſich entſchieden und eilt auf dem gewählten Wege vorwärts, ſo ſchnell wie ein guter Fußgänger. Nun ſucht es und ſcheint in Verlegenheit, welche Richtung es weiter verfolgen ſoll; denn der Gegenſtand ſeiner Verfolgung hat entweder einen beträchtlichen Satz gemacht oder wohl einen Haken geſchlagen, ehe das Opoſſum ſeine Spur aufge- nommen hatte. Es richtet ſich auf, hält ſich ein Weilchen auf den Hinterbeinen, ſchaut ſich um, ſpürt aufs neue und trabt dann weiter. Aber jetzt, am Fuße eines alten Baumes, macht’s ent- ſchieden Halt. Es geht rund um den gewaltigen Stamm über die ſchneebedeckten Wurzeln und findet zwiſchen dieſen eine Oeffnung, in welche es im Nu hineinſchlüpft.‟
„Mehrere Minuten vergehen: da erſcheint’s wieder, ſchleppt ein bereits abgethanes Eich- hörnchen in ſeinem Maule heraus und beginnt, den Baum zu erſteigen. Langſam klimmt es empor Der erſte Zwieſel ſcheint ihm nicht anzuſtehen: es denkt wohl, es möchte hier allzuſehr den Blicken eines böſen Feindes ausgeſetzt ſein, und ſomit ſteigt es höher, bis es die dichteren Zweige bergen können, die mit Weinranken durchflochten ſind. Hier ſetzt es ſich zur Ruhe, ſchlingt ſeinen Schwanz um einen Zweig und zerreißt mit den ſcharfen Zähnen das unglückliche Eichhörnchen, das es dabei immer mit den Vorderpfoten hält.‟
„Die lieblichen Frühlingstage ſind gekommen; kräftig ſchoſſen die Blätter: das Opoſſum aber muß immer noch Hunger leiden und iſt faſt gänzlich erſchöpft. Es beſucht den Rand der Buchten und freut ſich, einen jungen Froſch zu ſehen, der ihm eine leidliche Mahlzeit gewährt. Nach und nach brechen Moosbeeren und Neſſeln auf, und vergnügt ſchmauſt es die jungen Stengel. Der Morgenruf des wilden Truthahns entzückt das Ohr des liſtigen Geſchöpfes; denn es weiß ſehr wohl, daß es bald auch die Henne hören und ihre Spur bis zu dem Neſte auffindig machen wird; dort wird es dann mit Wonne die Eier ausſchlürfen.‟
„Auf ſeinen Reiſen durch den Wald, bald auf dem Boden, bald in der Höhe von Baum zu Baum, hört es einen Hahn krähen, und ſein Herz ſchwillt bei der Erinnerung an die ſaftige Speiſe, mit welcher es ſich im vorigen Sommer am benachbarten Meierhofe eine Güte that. Höchſt vorſichtig jedoch rückt es vor und birgt ſich endlich im Hühnerhaus ſelbſt.‟
„Biederer Bauer! warum haſt du vorigen Winter ſoviel Krähen weggeſchoſſen und Raben dazu? Nun, du haſt deinen Spaß gehabt: jetzt aber eile ins nahe Dorf und verſchaffe dir hinrei- chenden Schießvorrath, putze deinen roſtigen Kuhfuß, ſtelle deine Fallen auf und lehre deine trägen Köter, um dem Opoſſum aufzulauern. Dort kommt es! Die Sonne iſt kaum ſchlafen gegangen, aber des Strolches Hunger iſt längſt wach. Hörſt du das Kreiſchen deiner beſten Henne, die es gepackt hat? Das liſtige Thier iſt auf und davon mit ihr. Jetzt iſt Nichts weiter zu thun; höchſtens
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[18/0030]
Die Beutelratten.
ſehen. Der ziemlich dicke, runde und ſpitze Schwanz iſt blos an ſeiner Wurzel behaart und von da
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einige kurze Haare hervortreten. Er iſt ein Rollſchwanz, welcher von dem Thiere nach abwärts ge-
rollt getragen wird und ihm beim Klettern weſentliche Dienſte leiſtet. Das Weibchen hat einen voll-
kommenen Beutel.
Nordamerika iſt die Heimat des Opoſſums, und es findet ſich dort von Mejiko an bis in die
kälteren Gegenden der nördlichen Vereinigten Staaten, bis Pennſylvanien und an die großen Seen
Canadas. Jn den mittleren Theilen dieſes gewaltigen Landſtrichs wird es überall häufig gefunden
und zwar keineswegs zur Freude der Menſchen. Wälder und Gebüſche ſind ſeine Aufenthaltsorte,
und je dichter dieſelben ſind, um ſo lieber hält ſich das Opoſſum in ihnen auf.
Bevor ich über die Lebensweiſe und Sitten des ſonderbaren Geſchöpfes ausführlicher berichte,
will ich daſſelbe meinen Leſern mit Audubon’s Worten vorſtellen; denn nach ſeiner Anführung bin
ich im voraus der Theilnahme für das Opoſſum gewiß, ſo häßlich es auch ſonſt ſein mag.
„Mir iſt,‟ ſagt der vortreffliche Beobachter, „als ſähe ich noch jetzt eines über den ſchmelzenden
Schnee langſam und vorſichtig dahintrippeln, indem es am Boden hin nach Dem ſchnuppert, was
ſeinem Geſchmack am meiſten zuſagt. Jetzt ſtößt es auf die friſche Fährte eines Huhnes oder Haſens;
es erhebt die Schnauze und ſchnüffelt. Endlich hat es ſich entſchieden und eilt auf dem gewählten
Wege vorwärts, ſo ſchnell wie ein guter Fußgänger. Nun ſucht es und ſcheint in Verlegenheit,
welche Richtung es weiter verfolgen ſoll; denn der Gegenſtand ſeiner Verfolgung hat entweder einen
beträchtlichen Satz gemacht oder wohl einen Haken geſchlagen, ehe das Opoſſum ſeine Spur aufge-
nommen hatte. Es richtet ſich auf, hält ſich ein Weilchen auf den Hinterbeinen, ſchaut ſich um,
ſpürt aufs neue und trabt dann weiter. Aber jetzt, am Fuße eines alten Baumes, macht’s ent-
ſchieden Halt. Es geht rund um den gewaltigen Stamm über die ſchneebedeckten Wurzeln und findet
zwiſchen dieſen eine Oeffnung, in welche es im Nu hineinſchlüpft.‟
„Mehrere Minuten vergehen: da erſcheint’s wieder, ſchleppt ein bereits abgethanes Eich-
hörnchen in ſeinem Maule heraus und beginnt, den Baum zu erſteigen. Langſam klimmt es
empor Der erſte Zwieſel ſcheint ihm nicht anzuſtehen: es denkt wohl, es möchte hier allzuſehr den
Blicken eines böſen Feindes ausgeſetzt ſein, und ſomit ſteigt es höher, bis es die dichteren Zweige
bergen können, die mit Weinranken durchflochten ſind. Hier ſetzt es ſich zur Ruhe, ſchlingt ſeinen
Schwanz um einen Zweig und zerreißt mit den ſcharfen Zähnen das unglückliche Eichhörnchen, das
es dabei immer mit den Vorderpfoten hält.‟
„Die lieblichen Frühlingstage ſind gekommen; kräftig ſchoſſen die Blätter: das Opoſſum aber
muß immer noch Hunger leiden und iſt faſt gänzlich erſchöpft. Es beſucht den Rand der Buchten
und freut ſich, einen jungen Froſch zu ſehen, der ihm eine leidliche Mahlzeit gewährt. Nach und
nach brechen Moosbeeren und Neſſeln auf, und vergnügt ſchmauſt es die jungen Stengel. Der
Morgenruf des wilden Truthahns entzückt das Ohr des liſtigen Geſchöpfes; denn es weiß ſehr
wohl, daß es bald auch die Henne hören und ihre Spur bis zu dem Neſte auffindig machen wird;
dort wird es dann mit Wonne die Eier ausſchlürfen.‟
„Auf ſeinen Reiſen durch den Wald, bald auf dem Boden, bald in der Höhe von Baum zu
Baum, hört es einen Hahn krähen, und ſein Herz ſchwillt bei der Erinnerung an die ſaftige Speiſe,
mit welcher es ſich im vorigen Sommer am benachbarten Meierhofe eine Güte that. Höchſt vorſichtig
jedoch rückt es vor und birgt ſich endlich im Hühnerhaus ſelbſt.‟
„Biederer Bauer! warum haſt du vorigen Winter ſoviel Krähen weggeſchoſſen und Raben
dazu? Nun, du haſt deinen Spaß gehabt: jetzt aber eile ins nahe Dorf und verſchaffe dir hinrei-
chenden Schießvorrath, putze deinen roſtigen Kuhfuß, ſtelle deine Fallen auf und lehre deine trägen
Köter, um dem Opoſſum aufzulauern. Dort kommt es! Die Sonne iſt kaum ſchlafen gegangen,
aber des Strolches Hunger iſt längſt wach. Hörſt du das Kreiſchen deiner beſten Henne, die es
gepackt hat? Das liſtige Thier iſt auf und davon mit ihr. Jetzt iſt Nichts weiter zu thun; höchſtens
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/30>, abgerufen am 23.11.2024.
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