Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.Das Temmincksche Schuppenthier. -- Kloaken- oder Gabelthiere. kundigen, welche in den Kloakenthieren eine besondere Klasse des Thierreichs sehen wollten, hat aller-dings ihre Geltung verloren; aber noch zur Zeit setzt man den Ameisenigel und das Schnabel- thier, welche als Vertreter unserer Ordnung angesehen werden, bald zu den Beutelthieren, bald zu den Zahnarmen. Und in der That: sie vereinigen nicht nur die eigenthümlichsten Kennzeichen dieser und jener, sondern die verschiedensten und widersprechendsten Charaktere der gesammten ersten Klasse in sich; ja sie erscheinen gewissermaßen als Bindeglieder zwischen den ersten drei Klassen, zwi- schen Säugethieren, Vögeln und Lurchen. Kein Wunder, daß sie von je die Naturforscher auf das lebhafteste beschäftigt haben. Australien zeigt sich in ihnen so recht in seiner Eigenthümlichkeit und Selbständigkeit. Die Entdeckung Amerikas hat die Thierkunde um außerordentlich viele Formen bereichert, aber niemals sind die Naturforscher in Verlegenheit gekommen, diese im System unterzu- ordnen: immer gab es auch in den übrigen Erdtheilen ähnlich gestaltete Geschöpfe. Bei den Australiern ist Dies anders. Schon die Beutelthiere bieten des Auffallenden genug; aber sie sind die eigentlichen Wunderthiere Australiens nicht. "Wenn es Wunder im thierischen Gestaltenreiche gibt," sagt Giebel, "so sind die Gabelthiere die seltsamsten derselben; denn alle Regellosigkeiten und Wun- derlichkeiten, welche wir in dem vielgestaltigen Organismus der Zahnlosen kennen lernen, bleiben gar weit hinter denen der Kloakenthiere zurück." Daß die Gabelthiere wirklich Säugethiere sind, steht gegenwärtig unzweifelhaft fest; aber es ge- Betrachtet man die Schnabelthiere und Ameisenigel nur flüchtig, so darf man wohl in Zweifel Die Gabelthiere haben mit den Säugethieren blos das Fell gemein, das Schnabelthier seinen Das Temminckſche Schuppenthier. — Kloaken- oder Gabelthiere. kundigen, welche in den Kloakenthieren eine beſondere Klaſſe des Thierreichs ſehen wollten, hat aller-dings ihre Geltung verloren; aber noch zur Zeit ſetzt man den Ameiſenigel und das Schnabel- thier, welche als Vertreter unſerer Ordnung angeſehen werden, bald zu den Beutelthieren, bald zu den Zahnarmen. Und in der That: ſie vereinigen nicht nur die eigenthümlichſten Kennzeichen dieſer und jener, ſondern die verſchiedenſten und widerſprechendſten Charaktere der geſammten erſten Klaſſe in ſich; ja ſie erſcheinen gewiſſermaßen als Bindeglieder zwiſchen den erſten drei Klaſſen, zwi- ſchen Säugethieren, Vögeln und Lurchen. Kein Wunder, daß ſie von je die Naturforſcher auf das lebhafteſte beſchäftigt haben. Auſtralien zeigt ſich in ihnen ſo recht in ſeiner Eigenthümlichkeit und Selbſtändigkeit. Die Entdeckung Amerikas hat die Thierkunde um außerordentlich viele Formen bereichert, aber niemals ſind die Naturforſcher in Verlegenheit gekommen, dieſe im Syſtem unterzu- ordnen: immer gab es auch in den übrigen Erdtheilen ähnlich geſtaltete Geſchöpfe. Bei den Auſtraliern iſt Dies anders. Schon die Beutelthiere bieten des Auffallenden genug; aber ſie ſind die eigentlichen Wunderthiere Auſtraliens nicht. „Wenn es Wunder im thieriſchen Geſtaltenreiche gibt,‟ ſagt Giebel, „ſo ſind die Gabelthiere die ſeltſamſten derſelben; denn alle Regelloſigkeiten und Wun- derlichkeiten, welche wir in dem vielgeſtaltigen Organismus der Zahnloſen kennen lernen, bleiben gar weit hinter denen der Kloakenthiere zurück.‟ Daß die Gabelthiere wirklich Säugethiere ſind, ſteht gegenwärtig unzweifelhaft feſt; aber es ge- Betrachtet man die Schnabelthiere und Ameiſenigel nur flüchtig, ſo darf man wohl in Zweifel Die Gabelthiere haben mit den Säugethieren blos das Fell gemein, das Schnabelthier ſeinen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0337" n="317"/><fw place="top" type="header">Das Temminckſche Schuppenthier. — Kloaken- oder Gabelthiere.</fw><lb/> kundigen, welche in den Kloakenthieren eine beſondere Klaſſe des Thierreichs ſehen wollten, hat aller-<lb/> dings ihre Geltung verloren; aber noch zur Zeit ſetzt man den <hi rendition="#g">Ameiſenigel</hi> und das <hi rendition="#g">Schnabel-<lb/> thier,</hi> welche als Vertreter unſerer Ordnung angeſehen werden, bald zu den <hi rendition="#g">Beutelthieren,</hi> bald<lb/> zu den <hi rendition="#g">Zahnarmen.</hi> Und in der That: ſie vereinigen nicht nur die eigenthümlichſten Kennzeichen<lb/> dieſer und jener, ſondern die verſchiedenſten und widerſprechendſten Charaktere der geſammten erſten<lb/> Klaſſe in ſich; ja ſie erſcheinen gewiſſermaßen als Bindeglieder zwiſchen den erſten drei Klaſſen, zwi-<lb/> ſchen Säugethieren, Vögeln und Lurchen. 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Weil nun manche männliche Säugethiere ähnliche Drüſen an<lb/> denſelben Stellen haben, glaubten die erſten Zergliederer nicht, daß ſie bei dem Schnabelthiere wirkliche<lb/> Milchdrüſen vor ſich hätten, bis <hi rendition="#g">Meckel</hi> bewies, daß die genannten Drüſen dem männlichen Schna-<lb/> belthiere fehlen, und <hi rendition="#g">Bär</hi> bemerkte, daß die Milchdrüſen der Wale ebenſo gebaut ſeien. <hi rendition="#g">Owen</hi> unter-<lb/> ſuchte ſpäter im Jahre 1832 die Milchdrüſen und fand, daß jede etwa hundert und zwanzig Oeff-<lb/> nungen in der Haut habe; er fand, daß wirklich echte Milch durch ſie abgeſondert wird; er fand<lb/> endlich die geronnene Milch im Magen der Jungen. 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Nun theilen ſie aber den trockenen Kieferüberzug, die Kloake und das doppelte<lb/> Schlüſſelbein auch mit den Schildkröten: und ſomit wird ihre eigenthümliche Mittelſtellung nur noch<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [317/0337]
Das Temminckſche Schuppenthier. — Kloaken- oder Gabelthiere.
kundigen, welche in den Kloakenthieren eine beſondere Klaſſe des Thierreichs ſehen wollten, hat aller-
dings ihre Geltung verloren; aber noch zur Zeit ſetzt man den Ameiſenigel und das Schnabel-
thier, welche als Vertreter unſerer Ordnung angeſehen werden, bald zu den Beutelthieren, bald
zu den Zahnarmen. Und in der That: ſie vereinigen nicht nur die eigenthümlichſten Kennzeichen
dieſer und jener, ſondern die verſchiedenſten und widerſprechendſten Charaktere der geſammten erſten
Klaſſe in ſich; ja ſie erſcheinen gewiſſermaßen als Bindeglieder zwiſchen den erſten drei Klaſſen, zwi-
ſchen Säugethieren, Vögeln und Lurchen. Kein Wunder, daß ſie von je die Naturforſcher auf das
lebhafteſte beſchäftigt haben. Auſtralien zeigt ſich in ihnen ſo recht in ſeiner Eigenthümlichkeit und
Selbſtändigkeit. Die Entdeckung Amerikas hat die Thierkunde um außerordentlich viele Formen
bereichert, aber niemals ſind die Naturforſcher in Verlegenheit gekommen, dieſe im Syſtem unterzu-
ordnen: immer gab es auch in den übrigen Erdtheilen ähnlich geſtaltete Geſchöpfe. Bei den
Auſtraliern iſt Dies anders. Schon die Beutelthiere bieten des Auffallenden genug; aber ſie ſind die
eigentlichen Wunderthiere Auſtraliens nicht. „Wenn es Wunder im thieriſchen Geſtaltenreiche gibt,‟
ſagt Giebel, „ſo ſind die Gabelthiere die ſeltſamſten derſelben; denn alle Regelloſigkeiten und Wun-
derlichkeiten, welche wir in dem vielgeſtaltigen Organismus der Zahnloſen kennen lernen, bleiben gar
weit hinter denen der Kloakenthiere zurück.‟
Daß die Gabelthiere wirklich Säugethiere ſind, ſteht gegenwärtig unzweifelhaft feſt; aber es ge-
hörten erſt die genauen Unterſuchungen neuzeitlicher Naturforſcher dazu, um dieſer Anſicht Glauben
zu verſchaffen. Früher hatte man lange die Milchdrüſen vermißt und glaubte deshalb eine Fabel,
welche der erſte Entdecker mitgebracht hatte, als volle Wahrheit anſehen zu müſſen. Erſt Meckel
fand (im Jahre 1824) die Bruſtdrüſen vom Schnabelthiere auf und beſchrieb ſie in einem beſonderen
Werke über dieſe merkwürdigen Geſchöpfe, die früheren Naturforſcher hatten ſie nur als Schleimdrüſen
betrachtet. Es fehlen bei den Gabelthieren nämlich alle äußeren Saugwarzen; die Drüſen, welche
an den Seiten der Weibchen liegen, öffnen ſich in vielen feinen Gängen der Haut, die aber auch an
dieſen Stellen mit Haaren bedeckt iſt. Weil nun manche männliche Säugethiere ähnliche Drüſen an
denſelben Stellen haben, glaubten die erſten Zergliederer nicht, daß ſie bei dem Schnabelthiere wirkliche
Milchdrüſen vor ſich hätten, bis Meckel bewies, daß die genannten Drüſen dem männlichen Schna-
belthiere fehlen, und Bär bemerkte, daß die Milchdrüſen der Wale ebenſo gebaut ſeien. Owen unter-
ſuchte ſpäter im Jahre 1832 die Milchdrüſen und fand, daß jede etwa hundert und zwanzig Oeff-
nungen in der Haut habe; er fand, daß wirklich echte Milch durch ſie abgeſondert wird; er fand
endlich die geronnene Milch im Magen der Jungen. Hiermit reihte er die Gabelthiere mit aller
Sicherheit der erſten Klaſſe ein.
Betrachtet man die Schnabelthiere und Ameiſenigel nur flüchtig, ſo darf man wohl in Zweifel
ſein, welcher Klaſſe man ſie beizuzählen hat und verwundert ſich nicht mehr, daß die erſten Bälge der
Schnabelthiere, welche nach England kamen, nicht als Naturerzeugniſſe, ſondern vielmehr als die
eines Schwindlers galten. Man erblickte ein Maulwurfsfell mit den Freßwerkzeugen einer Ente,
und mußte ſich faſt mit Widerſtreben daran gewöhnen, an das Vorhandenſein ſolcher Räthſel-
geſchöpfe zu glauben. Der viel ſpäter, erſt im Jahre 1824 entdeckte Ameiſenigel verurſachte weniger
Kopfzerbrechen; denn ihm war ja das Schnabelthier vorausgegangen und was man bei jenem mühſam
hatte ſuchen müſſen, das fand man hier leicht auf, weil man wußte, wie man ſuchen ſollte.
Die Gabelthiere haben mit den Säugethieren blos das Fell gemein, das Schnabelthier ſeinen
Pelz, der Ameiſenigel ſein Stachelkleid; im übrigen unterſcheiden ſie ſich weſentlich von den anderen
bekannten Formen der höheren Thiere. Ein trockener Schnabel, ganz an den einer Ente erinnernd,
vertritt bei ihnen die Stelle des Mauls, und die Harn- und Geſchlechtswerkzeuge befinden ſich vereinigt
in der Kloake. Dies iſt eine Bildung, welche wir bei den Vögeln wieder finden: aber die ganze
äußere Erſcheinung und der Knochenbau der Schnabelthiere widerſprechen der Vogelnatur auf das
entſchiedenſte. Nun theilen ſie aber den trockenen Kieferüberzug, die Kloake und das doppelte
Schlüſſelbein auch mit den Schildkröten: und ſomit wird ihre eigenthümliche Mittelſtellung nur noch
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