schweifen während des ganzen Sommers in den Hochgebirgen umher, müssen selbst im Winter sich noch einen guten Theil ihrer Nahrung suchen, und kommen nur dann in das Gehöft ihrer Besitzer, wenn diese sie brauchen. Auf dem Dovrefjeld traf ich Bauern, welche nach ihren Pferden aussahen, die vor sechs Wochen zum letzten Male von ihnen besucht worden waren.
Daß bei allen diesen Thieren an eine Veredelung der Rassen nicht gedacht werden kann, ver- steht sich von selbst. Die Hengste befreunden sich mit den Stuten, welche sie gerade finden, und die Nachkommenschaft trägt oft sehr gemischtes Blut in sich.
Hinsichtlich der Nahrung werden die Pferde im ganzen Norden durchaus nicht verwöhnt. Man wundert sich nicht wenig, wenn man die kleinen, munteren und dabei doch so frommen Thiere mit großem Behagen von den Flechtenzöpfen schmausen sieht, welche in allen Wäldern lang von den Aesten der Nadelbäume herabhängen; man wundert sich aber noch weit mehr, wenn man beobachten muß, daß für diese Pferde ein Gerüst, auf welchem Fische getrocknet werden, ein höchst anziehender Gegenstand ist. Wie alle übrigen Hausthiere im Norden, erhalten auch die Rosse im Winter oft nur ein Gemengsel von gekochten und zerstoßenen Fischköpfen und Seetangen oder Fischköpfe allein als Hauptspeise: und sie gewöhnen sich so vollständig an diese ihnen durchaus widernatürliche Nahrung, daß sie, wenn man sie nicht beaufsichtigt, die Fischer bestehlen, indem sie sich einen und den anderen der zum Trocknen aufgehängten Dorsche von den Gerüsten herablangen und mit größter Behaglichkeit verspeisen. --
Nur wenige Völkerschaften würdigen das Pferd, wie es gewürdigt zu werden verdient. Unter ihnen stehen die Araber, Türken und Perser obenan; dann folgen die Engländer und Spanier, hier- auf erst die Deutschen, Franzosen, Jtaliener, Portugiesen und Dänen. Jn den Augen der Araber ist das Pferd das höchst geschaffene aller Thiere; es steht dem Menschen nicht nur fast gleich, son- dern genießt oft noch höhere Achtung, als dieser. Bei einem Volke, welches über einen großen Raum spärlich vertheilt lebt, welches ungleich weniger an der Scholle klebt, als wir Abendländer, dessen Hauptbeschäftigung die Viehzucht ist, muß das Roß nothwendigerweise zur höchsten Achtung oder, wenn man will, Würdigung gelangen. Das Pferd ist dem Araber nothwendig zu seinem Leben, zu seinem Bestehen; er vollbringt mit seiner Hilfe Wanderungen und Reisen; er hütet auf seinem Pferde die Herden; er glänzt durch sein Pferd in seinen Kämpfen, bei den Festen, bei den geselligen Vereinigungen; er lebt, liebt und stirbt auf seinem Rosse. Mit der Natur des Arabers, zumal des Beduinen, ist die Liebe zum Pferde unzertrennlich; er saugt die Achtung für dieses Thier schon mit der Muttermilch ein. Das edle Geschöpf ist der treueste Gefährte des Kriegers, der geachtetste Diener des Gewaltherrschers, der Liebling der Familie, und eben deshalb beobachtet der Araber mit ängstlichem Fleiß das ganze Thier. Er erlernt seine Sitten, seine Nothwendigkeiten; er besingt es in seinen Gedichten, er erhebt es in seinen Liedern; er macht es zum Stoff seiner angenehmsten Unterhaltung. Seine Sage dient nur dazu, die grenzenlose Verehrung für dieses edle Wesen zu vermehren. Er betrachtet es als das werthvollste aller Geschenke, welche der Gebende ihm gegeben; er glaubt der alleinige, rechtmäßige Besitzer des Pferdes zu sein. "Als der Erschaffende das Roß erschaffen wollte," verkündigen die Schriftgelehrten, "sagte er zum Winde: ""Von dir werde ich ein Wesen gebären lassen, bestimmt, meine Verehrung zu tragen. Dieses Wesen soll geliebt und geachtet sein von meinen Sklaven. Es soll gefürchtet werden von Allen, die meinen Geboten nicht nachstreben."" Und er schuf das Pferd, und rief ihm zu: ""Dich habe ich gemacht ohne Gleichen. Alle Schätze der Erde liegen zwischen deinen Augen. Du wirst meine Feinde werfen un- ter deinen Hufen, meine Freunde aber tragen auf deinem Rücken. Dieser soll der Sitz sein, von welchem Gebete zu mir emporsteigen. Auf der ganzen Erde sollst du glücklich sein, und vorgezogen werden allen übrigen Geschöpfen; denn dir soll die Liebe werden des Herrn der Erde. Du sollst fliegen ohne Flügel und siegen ohne Schwert!"" Aus dieser Meinung entspringt auch der eigen- thümliche Aberglaube, daß das edle Pferd nur in den Händen der Araber glücklich sein könne; hier- auf begründet sich die Weigerung, Rosse an Andersgläubige, und namentlich an Christen abzulassen.
Das arabiſche Pferd.
ſchweifen während des ganzen Sommers in den Hochgebirgen umher, müſſen ſelbſt im Winter ſich noch einen guten Theil ihrer Nahrung ſuchen, und kommen nur dann in das Gehöft ihrer Beſitzer, wenn dieſe ſie brauchen. Auf dem Dovrefjeld traf ich Bauern, welche nach ihren Pferden ausſahen, die vor ſechs Wochen zum letzten Male von ihnen beſucht worden waren.
Daß bei allen dieſen Thieren an eine Veredelung der Raſſen nicht gedacht werden kann, ver- ſteht ſich von ſelbſt. Die Hengſte befreunden ſich mit den Stuten, welche ſie gerade finden, und die Nachkommenſchaft trägt oft ſehr gemiſchtes Blut in ſich.
Hinſichtlich der Nahrung werden die Pferde im ganzen Norden durchaus nicht verwöhnt. Man wundert ſich nicht wenig, wenn man die kleinen, munteren und dabei doch ſo frommen Thiere mit großem Behagen von den Flechtenzöpfen ſchmauſen ſieht, welche in allen Wäldern lang von den Aeſten der Nadelbäume herabhängen; man wundert ſich aber noch weit mehr, wenn man beobachten muß, daß für dieſe Pferde ein Gerüſt, auf welchem Fiſche getrocknet werden, ein höchſt anziehender Gegenſtand iſt. Wie alle übrigen Hausthiere im Norden, erhalten auch die Roſſe im Winter oft nur ein Gemengſel von gekochten und zerſtoßenen Fiſchköpfen und Seetangen oder Fiſchköpfe allein als Hauptſpeiſe: und ſie gewöhnen ſich ſo vollſtändig an dieſe ihnen durchaus widernatürliche Nahrung, daß ſie, wenn man ſie nicht beaufſichtigt, die Fiſcher beſtehlen, indem ſie ſich einen und den anderen der zum Trocknen aufgehängten Dorſche von den Gerüſten herablangen und mit größter Behaglichkeit verſpeiſen. —
Nur wenige Völkerſchaften würdigen das Pferd, wie es gewürdigt zu werden verdient. Unter ihnen ſtehen die Araber, Türken und Perſer obenan; dann folgen die Engländer und Spanier, hier- auf erſt die Deutſchen, Franzoſen, Jtaliener, Portugieſen und Dänen. Jn den Augen der Araber iſt das Pferd das höchſt geſchaffene aller Thiere; es ſteht dem Menſchen nicht nur faſt gleich, ſon- dern genießt oft noch höhere Achtung, als dieſer. Bei einem Volke, welches über einen großen Raum ſpärlich vertheilt lebt, welches ungleich weniger an der Scholle klebt, als wir Abendländer, deſſen Hauptbeſchäftigung die Viehzucht iſt, muß das Roß nothwendigerweiſe zur höchſten Achtung oder, wenn man will, Würdigung gelangen. Das Pferd iſt dem Araber nothwendig zu ſeinem Leben, zu ſeinem Beſtehen; er vollbringt mit ſeiner Hilfe Wanderungen und Reiſen; er hütet auf ſeinem Pferde die Herden; er glänzt durch ſein Pferd in ſeinen Kämpfen, bei den Feſten, bei den geſelligen Vereinigungen; er lebt, liebt und ſtirbt auf ſeinem Roſſe. Mit der Natur des Arabers, zumal des Beduinen, iſt die Liebe zum Pferde unzertrennlich; er ſaugt die Achtung für dieſes Thier ſchon mit der Muttermilch ein. Das edle Geſchöpf iſt der treueſte Gefährte des Kriegers, der geachtetſte Diener des Gewaltherrſchers, der Liebling der Familie, und eben deshalb beobachtet der Araber mit ängſtlichem Fleiß das ganze Thier. Er erlernt ſeine Sitten, ſeine Nothwendigkeiten; er beſingt es in ſeinen Gedichten, er erhebt es in ſeinen Liedern; er macht es zum Stoff ſeiner angenehmſten Unterhaltung. Seine Sage dient nur dazu, die grenzenloſe Verehrung für dieſes edle Weſen zu vermehren. Er betrachtet es als das werthvollſte aller Geſchenke, welche der Gebende ihm gegeben; er glaubt der alleinige, rechtmäßige Beſitzer des Pferdes zu ſein. „Als der Erſchaffende das Roß erſchaffen wollte,‟ verkündigen die Schriftgelehrten, „ſagte er zum Winde: „„Von dir werde ich ein Weſen gebären laſſen, beſtimmt, meine Verehrung zu tragen. Dieſes Weſen ſoll geliebt und geachtet ſein von meinen Sklaven. Es ſoll gefürchtet werden von Allen, die meinen Geboten nicht nachſtreben.‟‟ Und er ſchuf das Pferd, und rief ihm zu: „„Dich habe ich gemacht ohne Gleichen. Alle Schätze der Erde liegen zwiſchen deinen Augen. Du wirſt meine Feinde werfen un- ter deinen Hufen, meine Freunde aber tragen auf deinem Rücken. Dieſer ſoll der Sitz ſein, von welchem Gebete zu mir emporſteigen. Auf der ganzen Erde ſollſt du glücklich ſein, und vorgezogen werden allen übrigen Geſchöpfen; denn dir ſoll die Liebe werden des Herrn der Erde. Du ſollſt fliegen ohne Flügel und ſiegen ohne Schwert!‟‟ Aus dieſer Meinung entſpringt auch der eigen- thümliche Aberglaube, daß das edle Pferd nur in den Händen der Araber glücklich ſein könne; hier- auf begründet ſich die Weigerung, Roſſe an Andersgläubige, und namentlich an Chriſten abzulaſſen.
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Das arabiſche Pferd.
ſchweifen während des ganzen Sommers in den Hochgebirgen umher, müſſen ſelbſt im Winter ſich
noch einen guten Theil ihrer Nahrung ſuchen, und kommen nur dann in das Gehöft ihrer Beſitzer,
wenn dieſe ſie brauchen. Auf dem Dovrefjeld traf ich Bauern, welche nach ihren Pferden ausſahen,
die vor ſechs Wochen zum letzten Male von ihnen beſucht worden waren.
Daß bei allen dieſen Thieren an eine Veredelung der Raſſen nicht gedacht werden kann, ver-
ſteht ſich von ſelbſt. Die Hengſte befreunden ſich mit den Stuten, welche ſie gerade finden, und die
Nachkommenſchaft trägt oft ſehr gemiſchtes Blut in ſich.
Hinſichtlich der Nahrung werden die Pferde im ganzen Norden durchaus nicht verwöhnt. Man
wundert ſich nicht wenig, wenn man die kleinen, munteren und dabei doch ſo frommen Thiere mit
großem Behagen von den Flechtenzöpfen ſchmauſen ſieht, welche in allen Wäldern lang von den
Aeſten der Nadelbäume herabhängen; man wundert ſich aber noch weit mehr, wenn man beobachten
muß, daß für dieſe Pferde ein Gerüſt, auf welchem Fiſche getrocknet werden, ein höchſt anziehender
Gegenſtand iſt. Wie alle übrigen Hausthiere im Norden, erhalten auch die Roſſe im Winter oft
nur ein Gemengſel von gekochten und zerſtoßenen Fiſchköpfen und Seetangen oder Fiſchköpfe allein als
Hauptſpeiſe: und ſie gewöhnen ſich ſo vollſtändig an dieſe ihnen durchaus widernatürliche Nahrung,
daß ſie, wenn man ſie nicht beaufſichtigt, die Fiſcher beſtehlen, indem ſie ſich einen und den anderen
der zum Trocknen aufgehängten Dorſche von den Gerüſten herablangen und mit größter Behaglichkeit
verſpeiſen. —
Nur wenige Völkerſchaften würdigen das Pferd, wie es gewürdigt zu werden verdient. Unter
ihnen ſtehen die Araber, Türken und Perſer obenan; dann folgen die Engländer und Spanier, hier-
auf erſt die Deutſchen, Franzoſen, Jtaliener, Portugieſen und Dänen. Jn den Augen der Araber
iſt das Pferd das höchſt geſchaffene aller Thiere; es ſteht dem Menſchen nicht nur faſt gleich, ſon-
dern genießt oft noch höhere Achtung, als dieſer. Bei einem Volke, welches über einen großen
Raum ſpärlich vertheilt lebt, welches ungleich weniger an der Scholle klebt, als wir Abendländer,
deſſen Hauptbeſchäftigung die Viehzucht iſt, muß das Roß nothwendigerweiſe zur höchſten Achtung
oder, wenn man will, Würdigung gelangen. Das Pferd iſt dem Araber nothwendig zu ſeinem
Leben, zu ſeinem Beſtehen; er vollbringt mit ſeiner Hilfe Wanderungen und Reiſen; er hütet auf
ſeinem Pferde die Herden; er glänzt durch ſein Pferd in ſeinen Kämpfen, bei den Feſten, bei den
geſelligen Vereinigungen; er lebt, liebt und ſtirbt auf ſeinem Roſſe. Mit der Natur des Arabers,
zumal des Beduinen, iſt die Liebe zum Pferde unzertrennlich; er ſaugt die Achtung für dieſes Thier
ſchon mit der Muttermilch ein. Das edle Geſchöpf iſt der treueſte Gefährte des Kriegers, der
geachtetſte Diener des Gewaltherrſchers, der Liebling der Familie, und eben deshalb beobachtet der
Araber mit ängſtlichem Fleiß das ganze Thier. Er erlernt ſeine Sitten, ſeine Nothwendigkeiten;
er beſingt es in ſeinen Gedichten, er erhebt es in ſeinen Liedern; er macht es zum Stoff ſeiner
angenehmſten Unterhaltung. Seine Sage dient nur dazu, die grenzenloſe Verehrung für dieſes edle
Weſen zu vermehren. Er betrachtet es als das werthvollſte aller Geſchenke, welche der Gebende ihm
gegeben; er glaubt der alleinige, rechtmäßige Beſitzer des Pferdes zu ſein. „Als der Erſchaffende
das Roß erſchaffen wollte,‟ verkündigen die Schriftgelehrten, „ſagte er zum Winde: „„Von dir
werde ich ein Weſen gebären laſſen, beſtimmt, meine Verehrung zu tragen. Dieſes Weſen ſoll geliebt
und geachtet ſein von meinen Sklaven. Es ſoll gefürchtet werden von Allen, die meinen Geboten
nicht nachſtreben.‟‟ Und er ſchuf das Pferd, und rief ihm zu: „„Dich habe ich gemacht ohne
Gleichen. Alle Schätze der Erde liegen zwiſchen deinen Augen. Du wirſt meine Feinde werfen un-
ter deinen Hufen, meine Freunde aber tragen auf deinem Rücken. Dieſer ſoll der Sitz ſein, von
welchem Gebete zu mir emporſteigen. Auf der ganzen Erde ſollſt du glücklich ſein, und vorgezogen
werden allen übrigen Geſchöpfen; denn dir ſoll die Liebe werden des Herrn der Erde. Du ſollſt
fliegen ohne Flügel und ſiegen ohne Schwert!‟‟ Aus dieſer Meinung entſpringt auch der eigen-
thümliche Aberglaube, daß das edle Pferd nur in den Händen der Araber glücklich ſein könne; hier-
auf begründet ſich die Weigerung, Roſſe an Andersgläubige, und namentlich an Chriſten abzulaſſen.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/365>, abgerufen am 23.11.2024.
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