Die Kamele. -- Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.
Wohlgeruch erscheinen läßt, daß es das Ohr durch sein Gebrüll ebenso martert, wie die Nase durch seinen Gestank oder das Auge durch den gezwungenen Anblick seines unsäglich dumm aussehen- den Kopfes auf dem langen Straußenhalse, gehört nicht hierher; daß es aber mit Bewußtsein dem Willen seines Herrn jederzeit entgegenhandelt, Das ist es, was es in meinen Augen so tief stellt. Jch habe auf allen meinen Reisen in Afrika unter den Tausenden von Kamelen, die ich beobachten konnte, nur ein einziges gesehen, welches eine gewisse Anhänglichkeit an seinen Herrn zeigte; alle übrigen arbeiteten gezwungen zum Vortheile des Menschen.
Die einzige Eigenschaft, in welcher das Kamel groß ist, dürfte seine Freßgier sein; in ihr gehen alle geistigen Eigenschaften unter. Sein Verstand ist ungemein gering. Es zeigt, ungereizt, keine Liebe und keinen Haß, sondern blos Gleichgiltigkeit gegen Alles, mit Ausnahme des Futters und seines Jungen. Gereizt wird es, sobald es sich anstrengen, sobald es arbeiten soll; hilft ihm seine Wuth Nichts, dann fügt es sich mit derselben Gleichgiltigkeit in die Arbeit, wie in alles Uebrige. Jm Augenblicke seiner Wuth ist es aber äußerst boshaft und wirklich gefährlich. Wahrhaft abscheulich ist seine grenzenlose Feigheit. Das Gebrüll eines Löwen zersprengt augenblicklich die Karavane; jedes Kamel wirft sofort seine Last ab und stürzt davon. Das Heulen einer Hiäne beunruhigt das muthlose Vieh außerordentlich; ein Affe, ein Hund, eine Eidechse sind ihm ent- setzliche Geschöpfe. Jch kenne kein anderes Thier, mit welchem es in Freundschaft lebt. Der Esel scheint sich ziemlich gut mit ihm zu vertragen: von besonderer Freundschaft zum Kamel kann aber auch bei ihm keine Rede sein; das Roß scheint in ihm das widerwärtigste aller Thiere zu erblicken. Seinerseits scheint das Kamel die übrigen Thiere mit demselben Mißmuthe anzusehen, mit dem es den Menschen betrachtet.
Doch die häßlichste Untugend des Kamels ist unzweifelhaft seine Störrigkeit. Man muß ein Kamel tagelang geritten haben, um diese Untugend in ihrer ganzen, entsetzlichen Ausdehnung kennen gelernt zu haben. Der Anfänger im Kamelreiten hat mit dem Aufsteigen und dem Sicherhalten im Sattel genug zu thun; sowie das Ther störrisch wird, ist es zu Ende mit allem Reiten. Dann gehört ein Ausgelernter in den Sattel. Das Aufsteigen hat seine Schwierigkeiten. Der Reiter muß mit kühnem Sprunge in den Sattel springen und hat anfangs bedacht zu sein, um sich festzu- setzen. Diesen Augenblick benutzt das Thier, um allerlei Unthaten auszuführen. Der Reiter will sich nach Süden hinwenden -- er darf überzeugt sein, daß das Kamel nach Norden sich richtet; er will traben -- das Kamel geht Schritt; er will es im Schritt gehen lassen -- es geht mit ihm durch! Und wehe ihm, wenn er nicht erdentlich reiten, wehe ihm, wenn er das Vieh nicht zügeln kann! Er ziehe den Zaum an, soviel er will, er reiße den Kopf zurück, daß die Schnauze senkrecht nach oben steht, das Kamel wird um so toller davon stampfen. Und nun mag er sich festsetzen und sich wahren, damit ihn sein Reitthier nicht nach vorn hin aus dem Sattel wirft, und er dabei auf den Hals desselben zu sitzen kommt! Das liebenswürdige und tugendreiche Wesen ist viel zu ernst, als daß es ein solches Zuwiderhandeln aller Regeln höherer Reitkunst als Scherz oder Bersehen hin- nehmen sollte! Die nichtswürdige Behandlung, welche es seit seiner Zähmung von dem Menschen erdulden mußte, hat seinen ursprünglich unzweifelhaft edlen und großen Charakter mürrisch und unduldsam gemacht. Es sieht das Ungeschick des Reiters von der ungünstigsten Seite an, als Unbilliges, welches "kein edles Herz erträgt", und sucht sich nach Kräften dagegen zu wehren. Ein Schrei der Wuth entringt sich seinen nicht gerade anmuthigen Lippen, dann rast es zornig davon. Die auf dem Sattel liegenden und an ihm hängenden Teppiche, Trinkschläuche, Waffen etc. werden herabgeschleudert, und der Reiter folgt seinen Geräthschaften zuletzt sicher nach. Jetzt macht es schleunigst einen Versuch, der Zwingherrschaft zu entrinnen und stürmt auf gut Glück in die Wüste hinaus. Leider sind die Kameltreiber auf alle diese Fälle vorbereitet. Augenblicklich eilen sie dem Flüchtling nach; laufend, schleichend, eine unbefangene Miene heuchelnd, suchen sie sich ihm zu nähern; sie bitten, locken, schmeicheln, bis sie den nebenherschleppenden Zügel erfaßt haben: dann aber zeigt sich ihre schwarze Seele in ihrer ganzen Abscheulichkeit. Mit einem Satze sind sie, die
Die Kamele. — Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.
Wohlgeruch erſcheinen läßt, daß es das Ohr durch ſein Gebrüll ebenſo martert, wie die Naſe durch ſeinen Geſtank oder das Auge durch den gezwungenen Anblick ſeines unſäglich dumm ausſehen- den Kopfes auf dem langen Straußenhalſe, gehört nicht hierher; daß es aber mit Bewußtſein dem Willen ſeines Herrn jederzeit entgegenhandelt, Das iſt es, was es in meinen Augen ſo tief ſtellt. Jch habe auf allen meinen Reiſen in Afrika unter den Tauſenden von Kamelen, die ich beobachten konnte, nur ein einziges geſehen, welches eine gewiſſe Anhänglichkeit an ſeinen Herrn zeigte; alle übrigen arbeiteten gezwungen zum Vortheile des Menſchen.
Die einzige Eigenſchaft, in welcher das Kamel groß iſt, dürfte ſeine Freßgier ſein; in ihr gehen alle geiſtigen Eigenſchaften unter. Sein Verſtand iſt ungemein gering. Es zeigt, ungereizt, keine Liebe und keinen Haß, ſondern blos Gleichgiltigkeit gegen Alles, mit Ausnahme des Futters und ſeines Jungen. Gereizt wird es, ſobald es ſich anſtrengen, ſobald es arbeiten ſoll; hilft ihm ſeine Wuth Nichts, dann fügt es ſich mit derſelben Gleichgiltigkeit in die Arbeit, wie in alles Uebrige. Jm Augenblicke ſeiner Wuth iſt es aber äußerſt boshaft und wirklich gefährlich. Wahrhaft abſcheulich iſt ſeine grenzenloſe Feigheit. Das Gebrüll eines Löwen zerſprengt augenblicklich die Karavane; jedes Kamel wirft ſofort ſeine Laſt ab und ſtürzt davon. Das Heulen einer Hiäne beunruhigt das muthloſe Vieh außerordentlich; ein Affe, ein Hund, eine Eidechſe ſind ihm ent- ſetzliche Geſchöpfe. Jch kenne kein anderes Thier, mit welchem es in Freundſchaft lebt. Der Eſel ſcheint ſich ziemlich gut mit ihm zu vertragen: von beſonderer Freundſchaft zum Kamel kann aber auch bei ihm keine Rede ſein; das Roß ſcheint in ihm das widerwärtigſte aller Thiere zu erblicken. Seinerſeits ſcheint das Kamel die übrigen Thiere mit demſelben Mißmuthe anzuſehen, mit dem es den Menſchen betrachtet.
Doch die häßlichſte Untugend des Kamels iſt unzweifelhaft ſeine Störrigkeit. Man muß ein Kamel tagelang geritten haben, um dieſe Untugend in ihrer ganzen, entſetzlichen Ausdehnung kennen gelernt zu haben. Der Anfänger im Kamelreiten hat mit dem Aufſteigen und dem Sicherhalten im Sattel genug zu thun; ſowie das Ther ſtörriſch wird, iſt es zu Ende mit allem Reiten. Dann gehört ein Ausgelernter in den Sattel. Das Aufſteigen hat ſeine Schwierigkeiten. Der Reiter muß mit kühnem Sprunge in den Sattel ſpringen und hat anfangs bedacht zu ſein, um ſich feſtzu- ſetzen. Dieſen Augenblick benutzt das Thier, um allerlei Unthaten auszuführen. Der Reiter will ſich nach Süden hinwenden — er darf überzeugt ſein, daß das Kamel nach Norden ſich richtet; er will traben — das Kamel geht Schritt; er will es im Schritt gehen laſſen — es geht mit ihm durch! Und wehe ihm, wenn er nicht erdentlich reiten, wehe ihm, wenn er das Vieh nicht zügeln kann! Er ziehe den Zaum an, ſoviel er will, er reiße den Kopf zurück, daß die Schnauze ſenkrecht nach oben ſteht, das Kamel wird um ſo toller davon ſtampfen. Und nun mag er ſich feſtſetzen und ſich wahren, damit ihn ſein Reitthier nicht nach vorn hin aus dem Sattel wirft, und er dabei auf den Hals deſſelben zu ſitzen kommt! Das liebenswürdige und tugendreiche Weſen iſt viel zu ernſt, als daß es ein ſolches Zuwiderhandeln aller Regeln höherer Reitkunſt als Scherz oder Berſehen hin- nehmen ſollte! Die nichtswürdige Behandlung, welche es ſeit ſeiner Zähmung von dem Menſchen erdulden mußte, hat ſeinen urſprünglich unzweifelhaft edlen und großen Charakter mürriſch und unduldſam gemacht. Es ſieht das Ungeſchick des Reiters von der ungünſtigſten Seite an, als Unbilliges, welches „kein edles Herz erträgt‟, und ſucht ſich nach Kräften dagegen zu wehren. Ein Schrei der Wuth entringt ſich ſeinen nicht gerade anmuthigen Lippen, dann raſt es zornig davon. Die auf dem Sattel liegenden und an ihm hängenden Teppiche, Trinkſchläuche, Waffen ꝛc. werden herabgeſchleudert, und der Reiter folgt ſeinen Geräthſchaften zuletzt ſicher nach. Jetzt macht es ſchleunigſt einen Verſuch, der Zwingherrſchaft zu entrinnen und ſtürmt auf gut Glück in die Wüſte hinaus. Leider ſind die Kameltreiber auf alle dieſe Fälle vorbereitet. Augenblicklich eilen ſie dem Flüchtling nach; laufend, ſchleichend, eine unbefangene Miene heuchelnd, ſuchen ſie ſich ihm zu nähern; ſie bitten, locken, ſchmeicheln, bis ſie den nebenherſchleppenden Zügel erfaßt haben: dann aber zeigt ſich ihre ſchwarze Seele in ihrer ganzen Abſcheulichkeit. Mit einem Satze ſind ſie, die
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Die Kamele. — Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.
Wohlgeruch erſcheinen läßt, daß es das Ohr durch ſein Gebrüll ebenſo martert, wie die Naſe durch
ſeinen Geſtank oder das Auge durch den gezwungenen Anblick ſeines unſäglich dumm ausſehen-
den Kopfes auf dem langen Straußenhalſe, gehört nicht hierher; daß es aber mit Bewußtſein dem
Willen ſeines Herrn jederzeit entgegenhandelt, Das iſt es, was es in meinen Augen ſo tief ſtellt. Jch
habe auf allen meinen Reiſen in Afrika unter den Tauſenden von Kamelen, die ich beobachten konnte,
nur ein einziges geſehen, welches eine gewiſſe Anhänglichkeit an ſeinen Herrn zeigte; alle übrigen
arbeiteten gezwungen zum Vortheile des Menſchen.
Die einzige Eigenſchaft, in welcher das Kamel groß iſt, dürfte ſeine Freßgier ſein; in ihr
gehen alle geiſtigen Eigenſchaften unter. Sein Verſtand iſt ungemein gering. Es zeigt, ungereizt,
keine Liebe und keinen Haß, ſondern blos Gleichgiltigkeit gegen Alles, mit Ausnahme des Futters
und ſeines Jungen. Gereizt wird es, ſobald es ſich anſtrengen, ſobald es arbeiten ſoll; hilft ihm
ſeine Wuth Nichts, dann fügt es ſich mit derſelben Gleichgiltigkeit in die Arbeit, wie in alles
Uebrige. Jm Augenblicke ſeiner Wuth iſt es aber äußerſt boshaft und wirklich gefährlich. Wahrhaft
abſcheulich iſt ſeine grenzenloſe Feigheit. Das Gebrüll eines Löwen zerſprengt augenblicklich die
Karavane; jedes Kamel wirft ſofort ſeine Laſt ab und ſtürzt davon. Das Heulen einer Hiäne
beunruhigt das muthloſe Vieh außerordentlich; ein Affe, ein Hund, eine Eidechſe ſind ihm ent-
ſetzliche Geſchöpfe. Jch kenne kein anderes Thier, mit welchem es in Freundſchaft lebt. Der Eſel
ſcheint ſich ziemlich gut mit ihm zu vertragen: von beſonderer Freundſchaft zum Kamel kann aber
auch bei ihm keine Rede ſein; das Roß ſcheint in ihm das widerwärtigſte aller Thiere zu erblicken.
Seinerſeits ſcheint das Kamel die übrigen Thiere mit demſelben Mißmuthe anzuſehen, mit dem es
den Menſchen betrachtet.
Doch die häßlichſte Untugend des Kamels iſt unzweifelhaft ſeine Störrigkeit. Man muß ein
Kamel tagelang geritten haben, um dieſe Untugend in ihrer ganzen, entſetzlichen Ausdehnung kennen
gelernt zu haben. Der Anfänger im Kamelreiten hat mit dem Aufſteigen und dem Sicherhalten im
Sattel genug zu thun; ſowie das Ther ſtörriſch wird, iſt es zu Ende mit allem Reiten. Dann
gehört ein Ausgelernter in den Sattel. Das Aufſteigen hat ſeine Schwierigkeiten. Der Reiter
muß mit kühnem Sprunge in den Sattel ſpringen und hat anfangs bedacht zu ſein, um ſich feſtzu-
ſetzen. Dieſen Augenblick benutzt das Thier, um allerlei Unthaten auszuführen. Der Reiter will
ſich nach Süden hinwenden — er darf überzeugt ſein, daß das Kamel nach Norden ſich richtet; er
will traben — das Kamel geht Schritt; er will es im Schritt gehen laſſen — es geht mit ihm
durch! Und wehe ihm, wenn er nicht erdentlich reiten, wehe ihm, wenn er das Vieh nicht zügeln
kann! Er ziehe den Zaum an, ſoviel er will, er reiße den Kopf zurück, daß die Schnauze ſenkrecht
nach oben ſteht, das Kamel wird um ſo toller davon ſtampfen. Und nun mag er ſich feſtſetzen und ſich
wahren, damit ihn ſein Reitthier nicht nach vorn hin aus dem Sattel wirft, und er dabei auf den
Hals deſſelben zu ſitzen kommt! Das liebenswürdige und tugendreiche Weſen iſt viel zu ernſt, als
daß es ein ſolches Zuwiderhandeln aller Regeln höherer Reitkunſt als Scherz oder Berſehen hin-
nehmen ſollte! Die nichtswürdige Behandlung, welche es ſeit ſeiner Zähmung von dem Menſchen
erdulden mußte, hat ſeinen urſprünglich unzweifelhaft edlen und großen Charakter mürriſch und
unduldſam gemacht. Es ſieht das Ungeſchick des Reiters von der ungünſtigſten Seite an, als
Unbilliges, welches „kein edles Herz erträgt‟, und ſucht ſich nach Kräften dagegen zu wehren. Ein
Schrei der Wuth entringt ſich ſeinen nicht gerade anmuthigen Lippen, dann raſt es zornig davon.
Die auf dem Sattel liegenden und an ihm hängenden Teppiche, Trinkſchläuche, Waffen ꝛc. werden
herabgeſchleudert, und der Reiter folgt ſeinen Geräthſchaften zuletzt ſicher nach. Jetzt macht es
ſchleunigſt einen Verſuch, der Zwingherrſchaft zu entrinnen und ſtürmt auf gut Glück in die Wüſte
hinaus. Leider ſind die Kameltreiber auf alle dieſe Fälle vorbereitet. Augenblicklich eilen ſie dem
Flüchtling nach; laufend, ſchleichend, eine unbefangene Miene heuchelnd, ſuchen ſie ſich ihm zu
nähern; ſie bitten, locken, ſchmeicheln, bis ſie den nebenherſchleppenden Zügel erfaßt haben: dann
aber zeigt ſich ihre ſchwarze Seele in ihrer ganzen Abſcheulichkeit. Mit einem Satze ſind ſie, die
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/416>, abgerufen am 23.11.2024.
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