Polo ausführlichere Nachrichten. Er beschreibt das Moschusthier und sagt dann: "Beim Voll- monde wächst diesem Geschöpf am Nabel eine Blutblase, und die Jäger gehen sodann hinaus, um es zu fangen, schneiden das Blutgeschwür aus, trocknen es an der Sonne und gewinnen den fein- sten Balsam, welchen man kennt." Eine ganze Reihe von Reisenden fabelten nun ins Blaue hinein, bis endlich Pallas, der große und hochverdiente Naturforscher Asiens, uns mit einer so sorgfäl- tigen Naturbeschreibung des Thieres vertraut gemacht hat, daß alle Neueren bisjetzt nur als "Kärr- ner" erschienen sind, welche "zu thun haben, wenn die Könige bauen". G. Radde macht eine rühmliche Ausnahme.
Gegenwärtig wissen wir etwa Folgendes: Das Moschusthier heißt bei den Chinesen Xe oder Sche, Xiany oder Schiag, aber auch Hiang-Tscheny-The. Dabei unterscheidet man das Männchen als Sche-Hiang und das Weibchen als Me-Hiang. Jn Tibet heißt ersteres Alath, Glao oder Gloa und La; die Russen nennen es Kabarga, die Bewohner der Lena Saiga, die Tungusen Dsanga oder Dschiga, die Umwohner des Baikalsees Honde; das Männchen aber Miktschan; die Ostjacken bezeichnen es mit dem Namen Bjös, die Tartaren mit Taberga, Torgo, Gifar und Jufarte-Kjik, die Kalmücken und Mongolen mit Kudari und die Kamatschinzen endlich mit Südö.
Aus diesem Namenreichthum geht die Verbreitung unseres Thieres schon zur Genüge hervor. Sein Vaterland sind die höchsten Alpen des hinterasiatischen Gebirgsvierecks. Es reicht vom Amur an bis zum Hindukusch, und vom 60. Grade nördlicher Breite bis nach Jndien und China. Am häufigsten findet es sich auf den tibetanischen Abhängen des Himalaya, in der Umgebung des Baikal- sees und in den Gebirgen der Mongolei. Hier soll es so zahlreich sein, daß Jäger in einem und demselben Winter mehrere hundert Stück erlegen könnten.
Die schroffen Gehänge und die Waldungen jener Gebirge bilden die eigentlichen Wohnsitze des berühmten Thieres. Radde nennt es den Bewohner öder, vielfach zertrümmerter Gebirgswände und sagt, daß es sich vornehmlich die stumpfen Kegelspitzen der Höhen zu seinem Aufenthalte aus- wähle. Es steigt ebensowenig nach oben hin über die Baumgrenze hinaus, als es in die reicheren Gegenden der Tiefe herabkommt. Höhen zwischen 3000 und 7000 Fuß über dem Meere bilden seinen bevorzugten Aufenthalt, ausnahmsweise nur kommt es in Thalmündungen herab, welche blos 7 bis 800 Fuß über dem Meere gelegen sind. Am liebsten wohnt es in dem Alpengürtel an der oberen Baumgrenze. Es hält fest an dem einmal gewählten Stande. Bis zur Brunstzeit lebt es einzeln, bei Tage verborgen im Gebüsch, bei Nacht seiner Aeßung nachgehend. Seine Bewegungen sind ebenso rasch, als sicher. Es läuft mit der Schnelligkeit der Antilope, springt mit der Sicherheit des Steinbocks und klettert mit der Kühnheit einer Gemse. Auf Schneeflächen, wo jeder Hund einsinkt und ein Mensch sich kaum fortbewegen kann, trollt das Moschusthier noch gemächlich dahin, fast ohne eine sichtbare Spur zurückzulassen. Verfolgte springen, wie die Gem- sen, aus bedeutenden Höhen ohne Schaden herab oder laufen an Wänden hin, an welchen sich ihnen kaum die Möglichkeit zum Fußen bietet. Jm Fall der Noth schwimmt unser Thier ohne Besinnen über breite Ströme.
Die Sinne sind vortrefflich, die Geistesfähigkeiten aber gering. Das Moschusthier ist scheu, jedoch nicht klug und berechnend. Wenn es von einem Mißgeschick überrascht wird, weiß es sich oft gar nicht zu benehmen und rennt wie verrückt umher. So benimmt sich auch das frisch- gefangene.
Jm Spätherbst, gewöhnlich im November und Dezember, schlagen sich die Rudel der Brunst halber zusammen. Die Männchen bestehen heftige Kämpfe um den Minnesold, und gebrauchen ihre scharfen Zähne in gefährlicher Weise. Sie gehen auf einander los, suchen sich mit den Hälsen zu umschlingen, um die Zähne einzusetzen, und reißen dann tiefe Wunden in Fell und Fleisch. Man findet, daß fast alle erwachsenen Männchen die Narben solcher Kämpfe an sich tragen. Wäh- rend der Brunstzeit verbreitet das Männchen einen wahrhaft unausstehlichen Moschusgeruch: die
Die Moſchusthiere. — Das echte Moſchusthier.
Polo ausführlichere Nachrichten. Er beſchreibt das Moſchusthier und ſagt dann: „Beim Voll- monde wächſt dieſem Geſchöpf am Nabel eine Blutblaſe, und die Jäger gehen ſodann hinaus, um es zu fangen, ſchneiden das Blutgeſchwür aus, trocknen es an der Sonne und gewinnen den fein- ſten Balſam, welchen man kennt.‟ Eine ganze Reihe von Reiſenden fabelten nun ins Blaue hinein, bis endlich Pallas, der große und hochverdiente Naturforſcher Aſiens, uns mit einer ſo ſorgfäl- tigen Naturbeſchreibung des Thieres vertraut gemacht hat, daß alle Neueren bisjetzt nur als „Kärr- ner‟ erſchienen ſind, welche „zu thun haben, wenn die Könige bauen‟. G. Radde macht eine rühmliche Ausnahme.
Gegenwärtig wiſſen wir etwa Folgendes: Das Moſchusthier heißt bei den Chineſen Xe oder Sche, Xiany oder Schiag, aber auch Hiang-Tſcheny-The. Dabei unterſcheidet man das Männchen als Sche-Hiang und das Weibchen als Me-Hiang. Jn Tibet heißt erſteres Alath, Glao oder Gloa und La; die Ruſſen nennen es Kabarga, die Bewohner der Lena Saiga, die Tunguſen Dſanga oder Dſchiga, die Umwohner des Baikalſees Honde; das Männchen aber Miktſchan; die Oſtjacken bezeichnen es mit dem Namen Bjös, die Tartaren mit Taberga, Torgo, Gifar und Jufarte-Kjik, die Kalmücken und Mongolen mit Kudari und die Kamatſchinzen endlich mit Südö.
Aus dieſem Namenreichthum geht die Verbreitung unſeres Thieres ſchon zur Genüge hervor. Sein Vaterland ſind die höchſten Alpen des hinteraſiatiſchen Gebirgsvierecks. Es reicht vom Amur an bis zum Hindukuſch, und vom 60. Grade nördlicher Breite bis nach Jndien und China. Am häufigſten findet es ſich auf den tibetaniſchen Abhängen des Himalaya, in der Umgebung des Baikal- ſees und in den Gebirgen der Mongolei. Hier ſoll es ſo zahlreich ſein, daß Jäger in einem und demſelben Winter mehrere hundert Stück erlegen könnten.
Die ſchroffen Gehänge und die Waldungen jener Gebirge bilden die eigentlichen Wohnſitze des berühmten Thieres. Radde nennt es den Bewohner öder, vielfach zertrümmerter Gebirgswände und ſagt, daß es ſich vornehmlich die ſtumpfen Kegelſpitzen der Höhen zu ſeinem Aufenthalte aus- wähle. Es ſteigt ebenſowenig nach oben hin über die Baumgrenze hinaus, als es in die reicheren Gegenden der Tiefe herabkommt. Höhen zwiſchen 3000 und 7000 Fuß über dem Meere bilden ſeinen bevorzugten Aufenthalt, ausnahmsweiſe nur kommt es in Thalmündungen herab, welche blos 7 bis 800 Fuß über dem Meere gelegen ſind. Am liebſten wohnt es in dem Alpengürtel an der oberen Baumgrenze. Es hält feſt an dem einmal gewählten Stande. Bis zur Brunſtzeit lebt es einzeln, bei Tage verborgen im Gebüſch, bei Nacht ſeiner Aeßung nachgehend. Seine Bewegungen ſind ebenſo raſch, als ſicher. Es läuft mit der Schnelligkeit der Antilope, ſpringt mit der Sicherheit des Steinbocks und klettert mit der Kühnheit einer Gemſe. Auf Schneeflächen, wo jeder Hund einſinkt und ein Menſch ſich kaum fortbewegen kann, trollt das Moſchusthier noch gemächlich dahin, faſt ohne eine ſichtbare Spur zurückzulaſſen. Verfolgte ſpringen, wie die Gem- ſen, aus bedeutenden Höhen ohne Schaden herab oder laufen an Wänden hin, an welchen ſich ihnen kaum die Möglichkeit zum Fußen bietet. Jm Fall der Noth ſchwimmt unſer Thier ohne Beſinnen über breite Ströme.
Die Sinne ſind vortrefflich, die Geiſtesfähigkeiten aber gering. Das Moſchusthier iſt ſcheu, jedoch nicht klug und berechnend. Wenn es von einem Mißgeſchick überraſcht wird, weiß es ſich oft gar nicht zu benehmen und rennt wie verrückt umher. So benimmt ſich auch das friſch- gefangene.
Jm Spätherbſt, gewöhnlich im November und Dezember, ſchlagen ſich die Rudel der Brunſt halber zuſammen. Die Männchen beſtehen heftige Kämpfe um den Minneſold, und gebrauchen ihre ſcharfen Zähne in gefährlicher Weiſe. Sie gehen auf einander los, ſuchen ſich mit den Hälſen zu umſchlingen, um die Zähne einzuſetzen, und reißen dann tiefe Wunden in Fell und Fleiſch. Man findet, daß faſt alle erwachſenen Männchen die Narben ſolcher Kämpfe an ſich tragen. Wäh- rend der Brunſtzeit verbreitet das Männchen einen wahrhaft unausſtehlichen Moſchusgeruch: die
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Die Moſchusthiere. — Das echte Moſchusthier.
Polo ausführlichere Nachrichten. Er beſchreibt das Moſchusthier und ſagt dann: „Beim Voll-
monde wächſt dieſem Geſchöpf am Nabel eine Blutblaſe, und die Jäger gehen ſodann hinaus, um
es zu fangen, ſchneiden das Blutgeſchwür aus, trocknen es an der Sonne und gewinnen den fein-
ſten Balſam, welchen man kennt.‟ Eine ganze Reihe von Reiſenden fabelten nun ins Blaue hinein,
bis endlich Pallas, der große und hochverdiente Naturforſcher Aſiens, uns mit einer ſo ſorgfäl-
tigen Naturbeſchreibung des Thieres vertraut gemacht hat, daß alle Neueren bisjetzt nur als „Kärr-
ner‟ erſchienen ſind, welche „zu thun haben, wenn die Könige bauen‟. G. Radde macht eine
rühmliche Ausnahme.
Gegenwärtig wiſſen wir etwa Folgendes: Das Moſchusthier heißt bei den Chineſen Xe oder
Sche, Xiany oder Schiag, aber auch Hiang-Tſcheny-The. Dabei unterſcheidet man das
Männchen als Sche-Hiang und das Weibchen als Me-Hiang. Jn Tibet heißt erſteres
Alath, Glao oder Gloa und La; die Ruſſen nennen es Kabarga, die Bewohner der Lena
Saiga, die Tunguſen Dſanga oder Dſchiga, die Umwohner des Baikalſees Honde; das
Männchen aber Miktſchan; die Oſtjacken bezeichnen es mit dem Namen Bjös, die Tartaren mit
Taberga, Torgo, Gifar und Jufarte-Kjik, die Kalmücken und Mongolen mit Kudari
und die Kamatſchinzen endlich mit Südö.
Aus dieſem Namenreichthum geht die Verbreitung unſeres Thieres ſchon zur Genüge hervor.
Sein Vaterland ſind die höchſten Alpen des hinteraſiatiſchen Gebirgsvierecks. Es reicht vom Amur
an bis zum Hindukuſch, und vom 60. Grade nördlicher Breite bis nach Jndien und China. Am
häufigſten findet es ſich auf den tibetaniſchen Abhängen des Himalaya, in der Umgebung des Baikal-
ſees und in den Gebirgen der Mongolei. Hier ſoll es ſo zahlreich ſein, daß Jäger in einem und
demſelben Winter mehrere hundert Stück erlegen könnten.
Die ſchroffen Gehänge und die Waldungen jener Gebirge bilden die eigentlichen Wohnſitze des
berühmten Thieres. Radde nennt es den Bewohner öder, vielfach zertrümmerter Gebirgswände
und ſagt, daß es ſich vornehmlich die ſtumpfen Kegelſpitzen der Höhen zu ſeinem Aufenthalte aus-
wähle. Es ſteigt ebenſowenig nach oben hin über die Baumgrenze hinaus, als es in die reicheren
Gegenden der Tiefe herabkommt. Höhen zwiſchen 3000 und 7000 Fuß über dem Meere bilden
ſeinen bevorzugten Aufenthalt, ausnahmsweiſe nur kommt es in Thalmündungen herab, welche blos
7 bis 800 Fuß über dem Meere gelegen ſind. Am liebſten wohnt es in dem Alpengürtel an der
oberen Baumgrenze. Es hält feſt an dem einmal gewählten Stande. Bis zur Brunſtzeit lebt es
einzeln, bei Tage verborgen im Gebüſch, bei Nacht ſeiner Aeßung nachgehend. Seine Bewegungen
ſind ebenſo raſch, als ſicher. Es läuft mit der Schnelligkeit der Antilope, ſpringt mit der
Sicherheit des Steinbocks und klettert mit der Kühnheit einer Gemſe. Auf Schneeflächen,
wo jeder Hund einſinkt und ein Menſch ſich kaum fortbewegen kann, trollt das Moſchusthier noch
gemächlich dahin, faſt ohne eine ſichtbare Spur zurückzulaſſen. Verfolgte ſpringen, wie die Gem-
ſen, aus bedeutenden Höhen ohne Schaden herab oder laufen an Wänden hin, an welchen ſich ihnen
kaum die Möglichkeit zum Fußen bietet. Jm Fall der Noth ſchwimmt unſer Thier ohne Beſinnen
über breite Ströme.
Die Sinne ſind vortrefflich, die Geiſtesfähigkeiten aber gering. Das Moſchusthier iſt ſcheu,
jedoch nicht klug und berechnend. Wenn es von einem Mißgeſchick überraſcht wird, weiß es ſich
oft gar nicht zu benehmen und rennt wie verrückt umher. So benimmt ſich auch das friſch-
gefangene.
Jm Spätherbſt, gewöhnlich im November und Dezember, ſchlagen ſich die Rudel der Brunſt
halber zuſammen. Die Männchen beſtehen heftige Kämpfe um den Minneſold, und gebrauchen
ihre ſcharfen Zähne in gefährlicher Weiſe. Sie gehen auf einander los, ſuchen ſich mit den Hälſen
zu umſchlingen, um die Zähne einzuſetzen, und reißen dann tiefe Wunden in Fell und Fleiſch.
Man findet, daß faſt alle erwachſenen Männchen die Narben ſolcher Kämpfe an ſich tragen. Wäh-
rend der Brunſtzeit verbreitet das Männchen einen wahrhaft unausſtehlichen Moſchusgeruch: die
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/440>, abgerufen am 23.11.2024.
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