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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Hirsche. -- Das Renthier.
nahe; außerdem aber wehren sich die verfolgten Thiere auf alle mögliche Art; die Männchen mit
ihren Geweihen und Zähnen, die Weibchen aber mit den Vorderläufen, mit denen sie auf den Rand
des Kahnes zu springen pflegen und ihn auf diese Weise leicht umwerfen. Gelingt dieses, so ist ge-
wöhnlich der Jäger verloren, weil es ihm beinahe unmöglich wird, sich aus dem dichten Haufen her-
auszuarbeiten."

Ganz ähnlich jagen die Jndianer Nordamerikas, namentlich die Chipewyanes, sowie die
Kupfer-, Hundsrippen- und Hasenindianer das Renthier, wie King berichtet. Auch diese Leute
leben fast einzig vom Renthier. Große Herden von zehn- bis hunderttausend Stück wandern im
Frühjahr nordwärts zum Eismeere und im Herbst wieder südwärts. Wenn im Sommer die Flech-
ten vertrocknen, welche den Thieren während der kalten Jahreszeit zur Nahrung gedient haben,
suchen sie sich nahe der Seeküste mancherlei saftige Kräuter zur Aeßung; im September treten sie den
Rückzug an und erreichen im Oktober das Ziel. Sie haben alsdann eine drei bis sechs Zoll dicke Lage
von Feist unter der Haut des Rückens und der Schenkel, und deshalb bilden jetzt unsere Thiere den
Hauptgegenstand der Jagd. Große Meuten von Wölfen wandern mit den Renthieren und holen
sich aus ihrer Mitte ihre tagtägliche Beute. Schlimmer aber als die Jndianer treiben es die Wölfe nicht.
Man erlegt das beklagenswerthe Wild mit der Flinte, fängt es in Schlingen, tödtet es beim Durch-
schwimmen der Flüsse mit Spießen, gräbt tiefe Falllöcher oder bildet von Zweigen und Buschwerk
zwei Zäune, läßt in beiden schmale Lücken, legt in jede Lücke eine Schlinge, treibt die Rudel zwi-
schen die Zäune und fängt die Stücke, welche heraus wollen, oder sticht sie beim Herauskommen
todt. Die Hundsrippenindianer gehen, wie Trenzel erzählt, paarweise auf die Jagd. Der Vor-
derste hält in der einen Hand ein Renthiergeweih, der Andere ein Büschel Zweige, gegen welche er
das Geweih reibt, um die Stirn trägt er eine Binde von weißem Pelz; der zweite Jäger geht dicht
hinter dem ersten her. Bemerken die Renthiere diese merkwürdige Erscheinung, so stehen sie still
und äugen ganz verwundert. Nun feuern beide Jäger zugleich, eilen der Herde nach, laden im Lau-
fen wieder und schießen noch ein oder mehrere Male. An anderen Orten treiben die Jndianer,
wenn sie erst können, die Renthiere auch ins Wasser und stechen sie dann nieder.

Die Jndianer wissen das wilde Ren in ähnlicher Weise zu benutzen, wie die Lappen ihr zahmes
Herdenthier. Aus den Geweihen und den Knochen verfertigen sie sich ihre Fischspere und Angeln; mit
den gespaltenen Schienbeinknochen arbeiten sie von den Häuten das Fleisch, das Fett und das
Haar ab; mit Renthiergehirn schmieren sie das Fell ein, um es geschmeidig zu machen. -- Das
durch Räuchern mit faulem Holz gegerbte Leder hängen sie dann um ihre Zeltstangen; die unge-
gerbten Häute geben ihnen Bogensehnen und Netze; die Sehnen des Rückens werden zu feinem
Zwirn gespalten; die weichen, pelzartigen Felle der Kälber müssen ihnen, wie auch den Lappen,
die Kleidung liefern, denn das Haar der alten Thiere ist zu lang und spröde. Vom Kopf bis zu
den Zehen hüllen sie sich in Renthierfelle, werfen ein anderes, weichgegerbtes Fell auf den Schnee,
decken sich mit dem dritten zu und sind so im Stande, der grimmigsten Kälte Trotz zu bieten. Kein
Theil des Renthiers bleibt unbenutzt, nicht einmal der Speisebrei im Magen. Wenn dieser einige
Zeit gelegen und eine gewisse Gährung gelitten hat, gilt er als höchst schmackhaftes Gericht. Das
Blut wird gekocht und zur Suppe bereitet, die Knochen werden gestoßen und gekocht; das daraus
gewonnene Mark mischt man mit Fett und getrocknetem Fleisch oder benutzt es zum Salben des
Haares und des Gesichts. Jn ganz ähnlicher Weise wissen auch die Sibirier und ihre Stamm- und
Gesinnungsgenossen, die nördlichen Europäer, die erlegten wilden Renthiere zu verwerthen.

Das wilde Renthier hat außer dem Menschen noch viel andere Feinde. Der gefährlichste
von ihnen ist der Wolf. Er umlagert die Rudel stets, am schlimmsten aber doch im Winter. Wenn
der Schnee so fest geworden ist, daß er die Renthiere trägt, gelingt es dem bösen Räuber bei der
Wachsamkeit seiner Beute nur äußerst selten, an eine Herde heranzukommen, und im ungünstigsten
Falle sind dann auch die Renthierböcke noch so kräftig, daß sie ihm mit den Vorderläufen gehörig

Die Hirſche. — Das Renthier.
nahe; außerdem aber wehren ſich die verfolgten Thiere auf alle mögliche Art; die Männchen mit
ihren Geweihen und Zähnen, die Weibchen aber mit den Vorderläufen, mit denen ſie auf den Rand
des Kahnes zu ſpringen pflegen und ihn auf dieſe Weiſe leicht umwerfen. Gelingt dieſes, ſo iſt ge-
wöhnlich der Jäger verloren, weil es ihm beinahe unmöglich wird, ſich aus dem dichten Haufen her-
auszuarbeiten.‟

Ganz ähnlich jagen die Jndianer Nordamerikas, namentlich die Chipewyanes, ſowie die
Kupfer-, Hundsrippen- und Haſenindianer das Renthier, wie King berichtet. Auch dieſe Leute
leben faſt einzig vom Renthier. Große Herden von zehn- bis hunderttauſend Stück wandern im
Frühjahr nordwärts zum Eismeere und im Herbſt wieder ſüdwärts. Wenn im Sommer die Flech-
ten vertrocknen, welche den Thieren während der kalten Jahreszeit zur Nahrung gedient haben,
ſuchen ſie ſich nahe der Seeküſte mancherlei ſaftige Kräuter zur Aeßung; im September treten ſie den
Rückzug an und erreichen im Oktober das Ziel. Sie haben alsdann eine drei bis ſechs Zoll dicke Lage
von Feiſt unter der Haut des Rückens und der Schenkel, und deshalb bilden jetzt unſere Thiere den
Hauptgegenſtand der Jagd. Große Meuten von Wölfen wandern mit den Renthieren und holen
ſich aus ihrer Mitte ihre tagtägliche Beute. Schlimmer aber als die Jndianer treiben es die Wölfe nicht.
Man erlegt das beklagenswerthe Wild mit der Flinte, fängt es in Schlingen, tödtet es beim Durch-
ſchwimmen der Flüſſe mit Spießen, gräbt tiefe Falllöcher oder bildet von Zweigen und Buſchwerk
zwei Zäune, läßt in beiden ſchmale Lücken, legt in jede Lücke eine Schlinge, treibt die Rudel zwi-
ſchen die Zäune und fängt die Stücke, welche heraus wollen, oder ſticht ſie beim Herauskommen
todt. Die Hundsrippenindianer gehen, wie Trenzel erzählt, paarweiſe auf die Jagd. Der Vor-
derſte hält in der einen Hand ein Renthiergeweih, der Andere ein Büſchel Zweige, gegen welche er
das Geweih reibt, um die Stirn trägt er eine Binde von weißem Pelz; der zweite Jäger geht dicht
hinter dem erſten her. Bemerken die Renthiere dieſe merkwürdige Erſcheinung, ſo ſtehen ſie ſtill
und äugen ganz verwundert. Nun feuern beide Jäger zugleich, eilen der Herde nach, laden im Lau-
fen wieder und ſchießen noch ein oder mehrere Male. An anderen Orten treiben die Jndianer,
wenn ſie erſt können, die Renthiere auch ins Waſſer und ſtechen ſie dann nieder.

Die Jndianer wiſſen das wilde Ren in ähnlicher Weiſe zu benutzen, wie die Lappen ihr zahmes
Herdenthier. Aus den Geweihen und den Knochen verfertigen ſie ſich ihre Fiſchſpere und Angeln; mit
den geſpaltenen Schienbeinknochen arbeiten ſie von den Häuten das Fleiſch, das Fett und das
Haar ab; mit Renthiergehirn ſchmieren ſie das Fell ein, um es geſchmeidig zu machen. — Das
durch Räuchern mit faulem Holz gegerbte Leder hängen ſie dann um ihre Zeltſtangen; die unge-
gerbten Häute geben ihnen Bogenſehnen und Netze; die Sehnen des Rückens werden zu feinem
Zwirn geſpalten; die weichen, pelzartigen Felle der Kälber müſſen ihnen, wie auch den Lappen,
die Kleidung liefern, denn das Haar der alten Thiere iſt zu lang und ſpröde. Vom Kopf bis zu
den Zehen hüllen ſie ſich in Renthierfelle, werfen ein anderes, weichgegerbtes Fell auf den Schnee,
decken ſich mit dem dritten zu und ſind ſo im Stande, der grimmigſten Kälte Trotz zu bieten. Kein
Theil des Renthiers bleibt unbenutzt, nicht einmal der Speiſebrei im Magen. Wenn dieſer einige
Zeit gelegen und eine gewiſſe Gährung gelitten hat, gilt er als höchſt ſchmackhaftes Gericht. Das
Blut wird gekocht und zur Suppe bereitet, die Knochen werden geſtoßen und gekocht; das daraus
gewonnene Mark miſcht man mit Fett und getrocknetem Fleiſch oder benutzt es zum Salben des
Haares und des Geſichts. Jn ganz ähnlicher Weiſe wiſſen auch die Sibirier und ihre Stamm- und
Geſinnungsgenoſſen, die nördlichen Europäer, die erlegten wilden Renthiere zu verwerthen.

Das wilde Renthier hat außer dem Menſchen noch viel andere Feinde. Der gefährlichſte
von ihnen iſt der Wolf. Er umlagert die Rudel ſtets, am ſchlimmſten aber doch im Winter. Wenn
der Schnee ſo feſt geworden iſt, daß er die Renthiere trägt, gelingt es dem böſen Räuber bei der
Wachſamkeit ſeiner Beute nur äußerſt ſelten, an eine Herde heranzukommen, und im ungünſtigſten
Falle ſind dann auch die Renthierböcke noch ſo kräftig, daß ſie ihm mit den Vorderläufen gehörig

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[440/0466] Die Hirſche. — Das Renthier. nahe; außerdem aber wehren ſich die verfolgten Thiere auf alle mögliche Art; die Männchen mit ihren Geweihen und Zähnen, die Weibchen aber mit den Vorderläufen, mit denen ſie auf den Rand des Kahnes zu ſpringen pflegen und ihn auf dieſe Weiſe leicht umwerfen. Gelingt dieſes, ſo iſt ge- wöhnlich der Jäger verloren, weil es ihm beinahe unmöglich wird, ſich aus dem dichten Haufen her- auszuarbeiten.‟ Ganz ähnlich jagen die Jndianer Nordamerikas, namentlich die Chipewyanes, ſowie die Kupfer-, Hundsrippen- und Haſenindianer das Renthier, wie King berichtet. Auch dieſe Leute leben faſt einzig vom Renthier. Große Herden von zehn- bis hunderttauſend Stück wandern im Frühjahr nordwärts zum Eismeere und im Herbſt wieder ſüdwärts. Wenn im Sommer die Flech- ten vertrocknen, welche den Thieren während der kalten Jahreszeit zur Nahrung gedient haben, ſuchen ſie ſich nahe der Seeküſte mancherlei ſaftige Kräuter zur Aeßung; im September treten ſie den Rückzug an und erreichen im Oktober das Ziel. Sie haben alsdann eine drei bis ſechs Zoll dicke Lage von Feiſt unter der Haut des Rückens und der Schenkel, und deshalb bilden jetzt unſere Thiere den Hauptgegenſtand der Jagd. Große Meuten von Wölfen wandern mit den Renthieren und holen ſich aus ihrer Mitte ihre tagtägliche Beute. Schlimmer aber als die Jndianer treiben es die Wölfe nicht. Man erlegt das beklagenswerthe Wild mit der Flinte, fängt es in Schlingen, tödtet es beim Durch- ſchwimmen der Flüſſe mit Spießen, gräbt tiefe Falllöcher oder bildet von Zweigen und Buſchwerk zwei Zäune, läßt in beiden ſchmale Lücken, legt in jede Lücke eine Schlinge, treibt die Rudel zwi- ſchen die Zäune und fängt die Stücke, welche heraus wollen, oder ſticht ſie beim Herauskommen todt. Die Hundsrippenindianer gehen, wie Trenzel erzählt, paarweiſe auf die Jagd. Der Vor- derſte hält in der einen Hand ein Renthiergeweih, der Andere ein Büſchel Zweige, gegen welche er das Geweih reibt, um die Stirn trägt er eine Binde von weißem Pelz; der zweite Jäger geht dicht hinter dem erſten her. Bemerken die Renthiere dieſe merkwürdige Erſcheinung, ſo ſtehen ſie ſtill und äugen ganz verwundert. Nun feuern beide Jäger zugleich, eilen der Herde nach, laden im Lau- fen wieder und ſchießen noch ein oder mehrere Male. An anderen Orten treiben die Jndianer, wenn ſie erſt können, die Renthiere auch ins Waſſer und ſtechen ſie dann nieder. Die Jndianer wiſſen das wilde Ren in ähnlicher Weiſe zu benutzen, wie die Lappen ihr zahmes Herdenthier. Aus den Geweihen und den Knochen verfertigen ſie ſich ihre Fiſchſpere und Angeln; mit den geſpaltenen Schienbeinknochen arbeiten ſie von den Häuten das Fleiſch, das Fett und das Haar ab; mit Renthiergehirn ſchmieren ſie das Fell ein, um es geſchmeidig zu machen. — Das durch Räuchern mit faulem Holz gegerbte Leder hängen ſie dann um ihre Zeltſtangen; die unge- gerbten Häute geben ihnen Bogenſehnen und Netze; die Sehnen des Rückens werden zu feinem Zwirn geſpalten; die weichen, pelzartigen Felle der Kälber müſſen ihnen, wie auch den Lappen, die Kleidung liefern, denn das Haar der alten Thiere iſt zu lang und ſpröde. Vom Kopf bis zu den Zehen hüllen ſie ſich in Renthierfelle, werfen ein anderes, weichgegerbtes Fell auf den Schnee, decken ſich mit dem dritten zu und ſind ſo im Stande, der grimmigſten Kälte Trotz zu bieten. Kein Theil des Renthiers bleibt unbenutzt, nicht einmal der Speiſebrei im Magen. Wenn dieſer einige Zeit gelegen und eine gewiſſe Gährung gelitten hat, gilt er als höchſt ſchmackhaftes Gericht. Das Blut wird gekocht und zur Suppe bereitet, die Knochen werden geſtoßen und gekocht; das daraus gewonnene Mark miſcht man mit Fett und getrocknetem Fleiſch oder benutzt es zum Salben des Haares und des Geſichts. Jn ganz ähnlicher Weiſe wiſſen auch die Sibirier und ihre Stamm- und Geſinnungsgenoſſen, die nördlichen Europäer, die erlegten wilden Renthiere zu verwerthen. Das wilde Renthier hat außer dem Menſchen noch viel andere Feinde. Der gefährlichſte von ihnen iſt der Wolf. Er umlagert die Rudel ſtets, am ſchlimmſten aber doch im Winter. Wenn der Schnee ſo feſt geworden iſt, daß er die Renthiere trägt, gelingt es dem böſen Räuber bei der Wachſamkeit ſeiner Beute nur äußerſt ſelten, an eine Herde heranzukommen, und im ungünſtigſten Falle ſind dann auch die Renthierböcke noch ſo kräftig, daß ſie ihm mit den Vorderläufen gehörig

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/466>, abgerufen am 16.07.2024.