denn solche Zertheilung kann jede Verzweigung der Hauptstange treffen und ins Unbegrenzte fort- gehen. Sie zeigen sich nicht selten in den Enden der Kronen von sehr alten Hirschen und kommen auch häufig an der Mittelsprosse vor. So kommt es, daß in den Augen des Naturforschers die hohe Endenzahl vieler berühmten Geweihe, z. B. des Sechsundsechszigenders auf der Moritzburg, der vom Kurfürsten Friedrich III. 1696 bei Fürsteuwalde geschossen wurde, sehr gewaltig zusammenbricht. Mehr als 20 regelrechte Enden sind wohl sehr selten vorgekommen; Achtzehnender sieht man schon in jeder mäßig großen Sammlung, und unter den lebenden Hirschen kommen Sechszehnender noch im- mer nicht selten vor. Bei reichlicher Aeßung geschieht es, daß die Hirsche bei neuen Aufsätzen Ge- weihe von sechs und zehn Enden überspringen; noch häufiger aber kommt das Wiederholen der Endenzahl und ebenso oft das Zurücksetzen auf eine geringere Endenzahl vor. Jn dieser Be- ziehung bildet der Zehnender eine auffallende Grenze. Ein Hirsch, der einmal eine Krone getragen hat, setzt nie weiter, als auf einen regelmäßigen Zehnender zurück. --
Jn gewisser Hinsicht ist es auffallend, daß jeder gesunde Hirsch sein Geweih in eben der Form und Stellung wieder aufsetzt, wie er es im vorigen Jahre hatte. Wenn es weit oder eng, vorwärts oder rückwärts stand, bekommt es auch in der Folge wieder eben dieselbe Gestalt, und wenn die Augensprosse oder Eissprosse, oder andere Enden eine besondere Biegung machen, erscheint diese in gleicher Weise beim nächsten Aufsetzen. Einige Jäger, welche Gelegenheit zu vielen Beobachtungen hat- ten, behaupten sogar, daß gewisse Eigenthümlichkeiten der Geweihe sich der Nachkommenschaft durch viele Geschlechter hindurch vererben. Sie versichern, daß sie gewisse Familien sofort am Geweih zu erken- nen vermöchten. -- Daß auch die Oertlichkeit auf Bildung des Geweihes Einfluß hat, dürfte kaum zu bezweifeln sein. Die Hirsche der Donauinseln z. B. tragen, so schwach von Wildpret sie auch sind auffallend vielendige Geweihe: -- Vierundzwanzigender unter ihnen gehören nicht zu besonderen Seltenheiten, obschon die Geweihe nicht so schwer als bei Berghirschen sind.
Das Gewicht, welches das Geweih erreichen kann, ist sehr verschieden; bei schwachen Hirschen wiegt es 14 bis 18, bei sehr starken 32 bis 36 Pfund.
Die Feinde des Edelwilds sind der Wolf, der Luchs und der Vielfraß, seltener der Bär. Wolf und Luchs dürften wohl die schlimmsten genannt werden. Der erstere verfolgt bei tiefem Schnee das Wild in Meuten und hetzt und mattet es ab; der letztere springt ihm von oben herab auf den Hals, wenn es, Nichts ahnend, vorüberzieht. Der schlimmste Feind aber ist und bleibt unter allen Umständen der Mensch, obgleich er das Edelwild gegenwärtig nicht mehr in der greulichen Weise verfolgt und tödtet, als früher. Jch glaube hier von der Jagd absehen zu dürfen, weil eine genaue Beschreibung derselben uns zu weit führen dürfte und man darüber, wenn man sonst will, in anderen Büchern nachschlagen kann. Gegenwärtig ist dieses edle Vergnügen schon außerordentlich geschmälert worden, und die meisten der jetzt lebenden Jäger von Beruf haben keinen Hirsch geschos- sen: solches Wild bleibt für vornehmere Herren aufgespart. Es gilt jetzt schon in vielen Gegenden als große Seltenheit, wenn einmal ein Hirsch erlegt wird; sogar die Zeitungen erwähnen einen der- artigen Vorfall! Es mag wohl eine recht lustige Zeit gewesen sein, in welcher die Grünröcke noch die liebe deutsche Büchse fast ausschließlich handhabten und in den glatten Schrotgewehren nur ein nothwendiges Uebel erblickten! Mit großartigem Schaugepränge zog man zu den Jagden hinaus, und gar fröhlich und lustig ging es zu, zumal dann, wenn Einer oder der Andere von den Sonntags- schützen oder noch nicht ganz waidgerechten Jägern, sich irgend ein Versehen zu Schulden hatte kom- men lassen und nun dafür die üblichen drei Pfunde aufgebürdet erhielt; wenn der eines Anstoßes Ueberführte seinen Hirschfänger abgeben und sich selbst quer über den geschossenen Hirsch legen mußte und von einem der Waidmannen höheren Ranges mit dem Blatte des Hirschfängers die berühmten drei Streiche unter folgenden Worten erhielt:
"Das ist für meinen Fürsten und Herrn, Das für Ritter, Reiter und Knecht, Und das ist das edle Jägerrecht." --
Der Edelhirſch.
denn ſolche Zertheilung kann jede Verzweigung der Hauptſtange treffen und ins Unbegrenzte fort- gehen. Sie zeigen ſich nicht ſelten in den Enden der Kronen von ſehr alten Hirſchen und kommen auch häufig an der Mittelſproſſe vor. So kommt es, daß in den Augen des Naturforſchers die hohe Endenzahl vieler berühmten Geweihe, z. B. des Sechsundſechszigenders auf der Moritzburg, der vom Kurfürſten Friedrich III. 1696 bei Fürſteuwalde geſchoſſen wurde, ſehr gewaltig zuſammenbricht. Mehr als 20 regelrechte Enden ſind wohl ſehr ſelten vorgekommen; Achtzehnender ſieht man ſchon in jeder mäßig großen Sammlung, und unter den lebenden Hirſchen kommen Sechszehnender noch im- mer nicht ſelten vor. Bei reichlicher Aeßung geſchieht es, daß die Hirſche bei neuen Aufſätzen Ge- weihe von ſechs und zehn Enden überſpringen; noch häufiger aber kommt das Wiederholen der Endenzahl und ebenſo oft das Zurückſetzen auf eine geringere Endenzahl vor. Jn dieſer Be- ziehung bildet der Zehnender eine auffallende Grenze. Ein Hirſch, der einmal eine Krone getragen hat, ſetzt nie weiter, als auf einen regelmäßigen Zehnender zurück. —
Jn gewiſſer Hinſicht iſt es auffallend, daß jeder geſunde Hirſch ſein Geweih in eben der Form und Stellung wieder aufſetzt, wie er es im vorigen Jahre hatte. Wenn es weit oder eng, vorwärts oder rückwärts ſtand, bekommt es auch in der Folge wieder eben dieſelbe Geſtalt, und wenn die Augenſproſſe oder Eisſproſſe, oder andere Enden eine beſondere Biegung machen, erſcheint dieſe in gleicher Weiſe beim nächſten Aufſetzen. Einige Jäger, welche Gelegenheit zu vielen Beobachtungen hat- ten, behaupten ſogar, daß gewiſſe Eigenthümlichkeiten der Geweihe ſich der Nachkommenſchaft durch viele Geſchlechter hindurch vererben. Sie verſichern, daß ſie gewiſſe Familien ſofort am Geweih zu erken- nen vermöchten. — Daß auch die Oertlichkeit auf Bildung des Geweihes Einfluß hat, dürfte kaum zu bezweifeln ſein. Die Hirſche der Donauinſeln z. B. tragen, ſo ſchwach von Wildpret ſie auch ſind auffallend vielendige Geweihe: — Vierundzwanzigender unter ihnen gehören nicht zu beſonderen Seltenheiten, obſchon die Geweihe nicht ſo ſchwer als bei Berghirſchen ſind.
Das Gewicht, welches das Geweih erreichen kann, iſt ſehr verſchieden; bei ſchwachen Hirſchen wiegt es 14 bis 18, bei ſehr ſtarken 32 bis 36 Pfund.
Die Feinde des Edelwilds ſind der Wolf, der Luchs und der Vielfraß, ſeltener der Bär. Wolf und Luchs dürften wohl die ſchlimmſten genannt werden. Der erſtere verfolgt bei tiefem Schnee das Wild in Meuten und hetzt und mattet es ab; der letztere ſpringt ihm von oben herab auf den Hals, wenn es, Nichts ahnend, vorüberzieht. Der ſchlimmſte Feind aber iſt und bleibt unter allen Umſtänden der Menſch, obgleich er das Edelwild gegenwärtig nicht mehr in der greulichen Weiſe verfolgt und tödtet, als früher. Jch glaube hier von der Jagd abſehen zu dürfen, weil eine genaue Beſchreibung derſelben uns zu weit führen dürfte und man darüber, wenn man ſonſt will, in anderen Büchern nachſchlagen kann. Gegenwärtig iſt dieſes edle Vergnügen ſchon außerordentlich geſchmälert worden, und die meiſten der jetzt lebenden Jäger von Beruf haben keinen Hirſch geſchoſ- ſen: ſolches Wild bleibt für vornehmere Herren aufgeſpart. Es gilt jetzt ſchon in vielen Gegenden als große Seltenheit, wenn einmal ein Hirſch erlegt wird; ſogar die Zeitungen erwähnen einen der- artigen Vorfall! Es mag wohl eine recht luſtige Zeit geweſen ſein, in welcher die Grünröcke noch die liebe deutſche Büchſe faſt ausſchließlich handhabten und in den glatten Schrotgewehren nur ein nothwendiges Uebel erblickten! Mit großartigem Schaugepränge zog man zu den Jagden hinaus, und gar fröhlich und luſtig ging es zu, zumal dann, wenn Einer oder der Andere von den Sonntags- ſchützen oder noch nicht ganz waidgerechten Jägern, ſich irgend ein Verſehen zu Schulden hatte kom- men laſſen und nun dafür die üblichen drei Pfunde aufgebürdet erhielt; wenn der eines Anſtoßes Ueberführte ſeinen Hirſchfänger abgeben und ſich ſelbſt quer über den geſchoſſenen Hirſch legen mußte und von einem der Waidmannen höheren Ranges mit dem Blatte des Hirſchfängers die berühmten drei Streiche unter folgenden Worten erhielt:
„Das iſt für meinen Fürſten und Herrn, Das für Ritter, Reiter und Knecht, Und das iſt das edle Jägerrecht.‟ —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0485"n="459"/><fwplace="top"type="header">Der Edelhirſch.</fw><lb/>
denn ſolche Zertheilung kann jede Verzweigung der Hauptſtange treffen und ins Unbegrenzte fort-<lb/>
gehen. Sie zeigen ſich nicht ſelten in den Enden der Kronen von ſehr alten Hirſchen und kommen<lb/>
auch häufig an der Mittelſproſſe vor. So kommt es, daß in den Augen des Naturforſchers die hohe<lb/>
Endenzahl vieler berühmten Geweihe, z. B. des Sechsundſechszigenders auf der Moritzburg, der vom<lb/>
Kurfürſten Friedrich <hirendition="#aq">III.</hi> 1696 bei Fürſteuwalde geſchoſſen wurde, ſehr gewaltig zuſammenbricht.<lb/>
Mehr als 20 regelrechte Enden ſind wohl ſehr ſelten vorgekommen; Achtzehnender ſieht man ſchon in<lb/>
jeder mäßig großen Sammlung, und unter den lebenden Hirſchen kommen Sechszehnender noch im-<lb/>
mer nicht ſelten vor. Bei reichlicher Aeßung geſchieht es, daß die Hirſche bei neuen Aufſätzen Ge-<lb/>
weihe von ſechs und zehn Enden überſpringen; noch häufiger aber kommt das Wiederholen der<lb/>
Endenzahl und ebenſo oft das Zurückſetzen auf eine geringere Endenzahl vor. Jn dieſer Be-<lb/>
ziehung bildet der Zehnender eine auffallende Grenze. Ein Hirſch, der einmal eine Krone getragen<lb/>
hat, ſetzt nie weiter, als auf einen regelmäßigen Zehnender zurück. —</p><lb/><p>Jn gewiſſer Hinſicht iſt es auffallend, daß jeder geſunde Hirſch ſein Geweih in eben der Form<lb/>
und Stellung wieder aufſetzt, wie er es im vorigen Jahre hatte. Wenn es weit oder eng, vorwärts<lb/>
oder rückwärts ſtand, bekommt es auch in der Folge wieder eben dieſelbe Geſtalt, und wenn die<lb/>
Augenſproſſe oder Eisſproſſe, oder andere Enden eine beſondere Biegung machen, erſcheint dieſe in<lb/>
gleicher Weiſe beim nächſten Aufſetzen. Einige Jäger, welche Gelegenheit zu vielen Beobachtungen hat-<lb/>
ten, behaupten ſogar, daß gewiſſe Eigenthümlichkeiten der Geweihe ſich der Nachkommenſchaft durch<lb/>
viele Geſchlechter hindurch vererben. Sie verſichern, daß ſie gewiſſe Familien ſofort am Geweih zu erken-<lb/>
nen vermöchten. — Daß auch die Oertlichkeit auf Bildung des Geweihes Einfluß hat, dürfte kaum<lb/>
zu bezweifeln ſein. Die Hirſche der Donauinſeln z. B. tragen, ſo ſchwach von Wildpret ſie auch ſind<lb/>
auffallend vielendige Geweihe: — Vierundzwanzigender unter ihnen gehören nicht zu beſonderen<lb/>
Seltenheiten, obſchon die Geweihe nicht ſo ſchwer als bei Berghirſchen ſind.</p><lb/><p>Das Gewicht, welches das Geweih erreichen kann, iſt ſehr verſchieden; bei ſchwachen Hirſchen<lb/>
wiegt es 14 bis 18, bei ſehr ſtarken 32 bis 36 Pfund.</p><lb/><p>Die Feinde des Edelwilds ſind der <hirendition="#g">Wolf,</hi> der <hirendition="#g">Luchs</hi> und der <hirendition="#g">Vielfraß,</hi>ſeltener der <hirendition="#g">Bär.</hi><lb/>
Wolf und Luchs dürften wohl die ſchlimmſten genannt werden. Der erſtere verfolgt bei tiefem<lb/>
Schnee das Wild in Meuten und hetzt und mattet es ab; der letztere ſpringt ihm von oben herab auf<lb/>
den Hals, wenn es, Nichts ahnend, vorüberzieht. Der ſchlimmſte Feind aber iſt und bleibt unter<lb/>
allen Umſtänden der Menſch, obgleich er das Edelwild gegenwärtig nicht mehr in der greulichen<lb/>
Weiſe verfolgt und tödtet, als früher. Jch glaube hier von der Jagd abſehen zu dürfen, weil eine<lb/>
genaue Beſchreibung derſelben uns zu weit führen dürfte und man darüber, wenn man ſonſt will,<lb/>
in anderen Büchern nachſchlagen kann. Gegenwärtig iſt dieſes edle Vergnügen ſchon außerordentlich<lb/>
geſchmälert worden, und die meiſten der jetzt lebenden Jäger von Beruf haben keinen Hirſch geſchoſ-<lb/>ſen: ſolches Wild bleibt für vornehmere Herren aufgeſpart. Es gilt jetzt ſchon in vielen Gegenden<lb/>
als große Seltenheit, wenn einmal ein Hirſch erlegt wird; ſogar die Zeitungen erwähnen einen der-<lb/>
artigen Vorfall! Es mag wohl eine recht luſtige Zeit geweſen ſein, in welcher die Grünröcke noch<lb/>
die liebe deutſche Büchſe faſt ausſchließlich handhabten und in den glatten Schrotgewehren nur ein<lb/>
nothwendiges Uebel erblickten! Mit großartigem Schaugepränge zog man zu den Jagden hinaus, und<lb/>
gar fröhlich und luſtig ging es zu, zumal dann, wenn Einer oder der Andere von den Sonntags-<lb/>ſchützen oder noch nicht ganz waidgerechten Jägern, ſich irgend ein Verſehen zu Schulden hatte kom-<lb/>
men laſſen und nun dafür die üblichen drei Pfunde aufgebürdet erhielt; wenn der eines Anſtoßes<lb/>
Ueberführte ſeinen Hirſchfänger abgeben und ſich ſelbſt quer über den geſchoſſenen Hirſch legen mußte<lb/>
und von einem der Waidmannen höheren Ranges mit dem Blatte des Hirſchfängers die berühmten<lb/>
drei Streiche unter folgenden Worten erhielt:</p><lb/><cit><quote><hirendition="#et">„Das iſt für meinen Fürſten und Herrn,<lb/>
Das für Ritter, Reiter und Knecht,<lb/>
Und das iſt das edle Jägerrecht.‟—</hi></quote></cit><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[459/0485]
Der Edelhirſch.
denn ſolche Zertheilung kann jede Verzweigung der Hauptſtange treffen und ins Unbegrenzte fort-
gehen. Sie zeigen ſich nicht ſelten in den Enden der Kronen von ſehr alten Hirſchen und kommen
auch häufig an der Mittelſproſſe vor. So kommt es, daß in den Augen des Naturforſchers die hohe
Endenzahl vieler berühmten Geweihe, z. B. des Sechsundſechszigenders auf der Moritzburg, der vom
Kurfürſten Friedrich III. 1696 bei Fürſteuwalde geſchoſſen wurde, ſehr gewaltig zuſammenbricht.
Mehr als 20 regelrechte Enden ſind wohl ſehr ſelten vorgekommen; Achtzehnender ſieht man ſchon in
jeder mäßig großen Sammlung, und unter den lebenden Hirſchen kommen Sechszehnender noch im-
mer nicht ſelten vor. Bei reichlicher Aeßung geſchieht es, daß die Hirſche bei neuen Aufſätzen Ge-
weihe von ſechs und zehn Enden überſpringen; noch häufiger aber kommt das Wiederholen der
Endenzahl und ebenſo oft das Zurückſetzen auf eine geringere Endenzahl vor. Jn dieſer Be-
ziehung bildet der Zehnender eine auffallende Grenze. Ein Hirſch, der einmal eine Krone getragen
hat, ſetzt nie weiter, als auf einen regelmäßigen Zehnender zurück. —
Jn gewiſſer Hinſicht iſt es auffallend, daß jeder geſunde Hirſch ſein Geweih in eben der Form
und Stellung wieder aufſetzt, wie er es im vorigen Jahre hatte. Wenn es weit oder eng, vorwärts
oder rückwärts ſtand, bekommt es auch in der Folge wieder eben dieſelbe Geſtalt, und wenn die
Augenſproſſe oder Eisſproſſe, oder andere Enden eine beſondere Biegung machen, erſcheint dieſe in
gleicher Weiſe beim nächſten Aufſetzen. Einige Jäger, welche Gelegenheit zu vielen Beobachtungen hat-
ten, behaupten ſogar, daß gewiſſe Eigenthümlichkeiten der Geweihe ſich der Nachkommenſchaft durch
viele Geſchlechter hindurch vererben. Sie verſichern, daß ſie gewiſſe Familien ſofort am Geweih zu erken-
nen vermöchten. — Daß auch die Oertlichkeit auf Bildung des Geweihes Einfluß hat, dürfte kaum
zu bezweifeln ſein. Die Hirſche der Donauinſeln z. B. tragen, ſo ſchwach von Wildpret ſie auch ſind
auffallend vielendige Geweihe: — Vierundzwanzigender unter ihnen gehören nicht zu beſonderen
Seltenheiten, obſchon die Geweihe nicht ſo ſchwer als bei Berghirſchen ſind.
Das Gewicht, welches das Geweih erreichen kann, iſt ſehr verſchieden; bei ſchwachen Hirſchen
wiegt es 14 bis 18, bei ſehr ſtarken 32 bis 36 Pfund.
Die Feinde des Edelwilds ſind der Wolf, der Luchs und der Vielfraß, ſeltener der Bär.
Wolf und Luchs dürften wohl die ſchlimmſten genannt werden. Der erſtere verfolgt bei tiefem
Schnee das Wild in Meuten und hetzt und mattet es ab; der letztere ſpringt ihm von oben herab auf
den Hals, wenn es, Nichts ahnend, vorüberzieht. Der ſchlimmſte Feind aber iſt und bleibt unter
allen Umſtänden der Menſch, obgleich er das Edelwild gegenwärtig nicht mehr in der greulichen
Weiſe verfolgt und tödtet, als früher. Jch glaube hier von der Jagd abſehen zu dürfen, weil eine
genaue Beſchreibung derſelben uns zu weit führen dürfte und man darüber, wenn man ſonſt will,
in anderen Büchern nachſchlagen kann. Gegenwärtig iſt dieſes edle Vergnügen ſchon außerordentlich
geſchmälert worden, und die meiſten der jetzt lebenden Jäger von Beruf haben keinen Hirſch geſchoſ-
ſen: ſolches Wild bleibt für vornehmere Herren aufgeſpart. Es gilt jetzt ſchon in vielen Gegenden
als große Seltenheit, wenn einmal ein Hirſch erlegt wird; ſogar die Zeitungen erwähnen einen der-
artigen Vorfall! Es mag wohl eine recht luſtige Zeit geweſen ſein, in welcher die Grünröcke noch
die liebe deutſche Büchſe faſt ausſchließlich handhabten und in den glatten Schrotgewehren nur ein
nothwendiges Uebel erblickten! Mit großartigem Schaugepränge zog man zu den Jagden hinaus, und
gar fröhlich und luſtig ging es zu, zumal dann, wenn Einer oder der Andere von den Sonntags-
ſchützen oder noch nicht ganz waidgerechten Jägern, ſich irgend ein Verſehen zu Schulden hatte kom-
men laſſen und nun dafür die üblichen drei Pfunde aufgebürdet erhielt; wenn der eines Anſtoßes
Ueberführte ſeinen Hirſchfänger abgeben und ſich ſelbſt quer über den geſchoſſenen Hirſch legen mußte
und von einem der Waidmannen höheren Ranges mit dem Blatte des Hirſchfängers die berühmten
drei Streiche unter folgenden Worten erhielt:
„Das iſt für meinen Fürſten und Herrn,
Das für Ritter, Reiter und Knecht,
Und das iſt das edle Jägerrecht.‟ —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/485>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.