Die Hirsche. -- Unser Reh. Der braune Spießhirsch.
Zur Zähmung muß man nur Ricken wählen, weil die Böcke, wenn sie älter werden, sich oft recht trotzig und unverschämt zeigen. Die ihnen angeborene Furchtsamkeit ist durch die Gewohnheit abgestumpft worden; sie kennen den Menschen und wissen, daß weder er, noch die Hunde ihnen Etwas thun dürfen, und da zeigen sie sich dann nicht blos anmaßend, sondern werden auch sogar Kindern gefährlich. Ein junger Rehbock, welchen der meinem Vater befreundete Oberförster Heer- wart hielt, hatte sich in den Kopf gesetzt, daß die Hundehütte für ihn ein ganz bequemes Lager wäre und ging, so oft es ihm einfiel, da hinein. Wenn nun der bereits erwähnte Hund Basko gerade in der Hütte lag, schlug er mit seinen Vorderläufen kühn auf den gewaltigen Feind seines Geschlechtes los, bis dieser mit eingeklemmtem Schwanz die Hütte verließ und dem übermüthigen Gesellen Platz machte. Der vortreffliche Hund wußte recht wohl, daß er dem Liebling seines Herrn Nichts abschla- gen durfte und ließ sich von ihm in wirklich lächerlicher Weise beherrschen. Aeltere Böcke gehen oft auf Kinder und noch mehr auf Frauenzimmer los und stoßen manchmal in gefährlicher Weise mit ihrem Gehörn; sie sind dann nicht mehr zu dulden.
Jn Südamerika leben, soviel bisjetzt bekannt, zwei kleine Hirsche, welche sich durch ihr Gehörn vor allen anderen auszeichnen. Das ganze stolze Geweih ist bei ihnen bis auf zwei einfache Stangen verkümmert. Dies sind die Spießhirsche (Subulo), zu deren fernerer Kennzeichnung die kleinen Thränengruben und die Haarbüschel an der Jnnenseite der Fußwurzel dienen mögen. Klanendrüsen und Eckzähne fehlen. Die beiden Arten sind der braune und der rothe Spießhirsch, beide Be- wohner derselben Gegend, von den Guaranern Guazu-vira und Guazu-pyta genannt. Ersterer (Subulo simplicicornis) ist einer der kleinsten Hirsche überhaupt. Seine Leibeslänge beträgt blos 3 Fuß, die Schwanzlänge nur 3 Zoll, die Höhe am Widerrist 23 Zoll, die am Kreuz 25 Zoll. Der Leib ist gestreckt, der Hals kurz und schlank, der Kopf kurz, vorn sehr schmal; die Läufe sind hoch, schlank und äußerst zierlich gebaut, die Ohren ziemlich groß, aber nicht besonders lang, die Augen klein und lebhaft, die Thränengruben kaum bemerkbar. Nur das Männchen trägt das eigenthümliche Geweih, zwei kurze, einfache, pfriemenförmig gerundete Spieße, welche an der Wurzel ziemlich dick sind, allmählich sich verschmälern und in eine scharfe Spitze auslaufen; sie stehen schief nach oben und rückwärts, fast gleichlaufend neben einander; ihre Oberfläche ist mit runzelartigen Furchen durchzogen. Das Weibchen trägt an der Geweihstelle zwei kleine Erhaben- heiten. Die glatt und dicht anliegende Behaarung erinnert hinsichtlich ihrer Beschaffenheit an die unseres Rehes. An dem Kopfe und an den Läufen ist sie sehr kurz, sonst ziemlich reichlich; längs der Mitte des Vorderkopfes erhebt sie sich mähnenartig. Jhre Gesammtfärbung ist ein aus Brännlich- grau und Gelbroth zusammengesetztes Braungelb, welches auf der Unterseite und der Jnnenseite der Läufe in ein ziemlich reines Weißgelb übergeht. Die einzelnen sind am Grunde weiß, dann schwarz, hierauf falb geringelt und schließlich schwarz gespitzt. Junge Thiere sind oben bräunlichgrau, an den Halsseiten aschgrau, und längs der Mittellinie des Rückens dunkelbraun gefärbt und an den Rumpf- seiten mit drei Reihen lichter Flecken gezeichnet.
Beide Spießhirsche bewohnen in ziemlicher Anzahl Guiana, Brasilien, Peru und Paraguay. Sie leben in Ebenen, wie im Gebirge; unsere Art steigt sogar bis zu 16,000 Fuß über den Meeresspiegel empor. Möglicher Weise findet sich dieser Hirsch auch in Mejiko. Wälder aller Art und niedere Gebüsche bilden seinen Aufenthalt. Jn niederen Gegenden bevor- zugt er die schattigen, dichten Urwaldungen, in den Hochländern die einzeln stehenden Gebüsche; das Feld meidet er. Bei Tag liegt er ruhend im dichten Gebüsch; mit Sonnenuntergang begibt er sich an den Saum der Wälder, um dort sich zu äßen; Pflanzungen in der Nähe werden besucht und gebrandschatzt; sonst begnügt er sich mit der Aeßung, welche im Walde wächst. Auf den angebauten Stellen geht er hauptsächlich die jungen Schößlinge der Melonen, den aufkeimenden Mais, den jun-
Die Hirſche. — Unſer Reh. Der braune Spießhirſch.
Zur Zähmung muß man nur Ricken wählen, weil die Böcke, wenn ſie älter werden, ſich oft recht trotzig und unverſchämt zeigen. Die ihnen angeborene Furchtſamkeit iſt durch die Gewohnheit abgeſtumpft worden; ſie kennen den Menſchen und wiſſen, daß weder er, noch die Hunde ihnen Etwas thun dürfen, und da zeigen ſie ſich dann nicht blos anmaßend, ſondern werden auch ſogar Kindern gefährlich. Ein junger Rehbock, welchen der meinem Vater befreundete Oberförſter Heer- wart hielt, hatte ſich in den Kopf geſetzt, daß die Hundehütte für ihn ein ganz bequemes Lager wäre und ging, ſo oft es ihm einfiel, da hinein. Wenn nun der bereits erwähnte Hund Basko gerade in der Hütte lag, ſchlug er mit ſeinen Vorderläufen kühn auf den gewaltigen Feind ſeines Geſchlechtes los, bis dieſer mit eingeklemmtem Schwanz die Hütte verließ und dem übermüthigen Geſellen Platz machte. Der vortreffliche Hund wußte recht wohl, daß er dem Liebling ſeines Herrn Nichts abſchla- gen durfte und ließ ſich von ihm in wirklich lächerlicher Weiſe beherrſchen. Aeltere Böcke gehen oft auf Kinder und noch mehr auf Frauenzimmer los und ſtoßen manchmal in gefährlicher Weiſe mit ihrem Gehörn; ſie ſind dann nicht mehr zu dulden.
Jn Südamerika leben, ſoviel bisjetzt bekannt, zwei kleine Hirſche, welche ſich durch ihr Gehörn vor allen anderen auszeichnen. Das ganze ſtolze Geweih iſt bei ihnen bis auf zwei einfache Stangen verkümmert. Dies ſind die Spießhirſche (Subulo), zu deren fernerer Kennzeichnung die kleinen Thränengruben und die Haarbüſchel an der Jnnenſeite der Fußwurzel dienen mögen. Klanendrüſen und Eckzähne fehlen. Die beiden Arten ſind der braune und der rothe Spießhirſch, beide Be- wohner derſelben Gegend, von den Guaranern Guazu-vira und Guazu-pyta genannt. Erſterer (Subulo simplicicornis) iſt einer der kleinſten Hirſche überhaupt. Seine Leibeslänge beträgt blos 3 Fuß, die Schwanzlänge nur 3 Zoll, die Höhe am Widerriſt 23 Zoll, die am Kreuz 25 Zoll. Der Leib iſt geſtreckt, der Hals kurz und ſchlank, der Kopf kurz, vorn ſehr ſchmal; die Läufe ſind hoch, ſchlank und äußerſt zierlich gebaut, die Ohren ziemlich groß, aber nicht beſonders lang, die Augen klein und lebhaft, die Thränengruben kaum bemerkbar. Nur das Männchen trägt das eigenthümliche Geweih, zwei kurze, einfache, pfriemenförmig gerundete Spieße, welche an der Wurzel ziemlich dick ſind, allmählich ſich verſchmälern und in eine ſcharfe Spitze auslaufen; ſie ſtehen ſchief nach oben und rückwärts, faſt gleichlaufend neben einander; ihre Oberfläche iſt mit runzelartigen Furchen durchzogen. Das Weibchen trägt an der Geweihſtelle zwei kleine Erhaben- heiten. Die glatt und dicht anliegende Behaarung erinnert hinſichtlich ihrer Beſchaffenheit an die unſeres Rehes. An dem Kopfe und an den Läufen iſt ſie ſehr kurz, ſonſt ziemlich reichlich; längs der Mitte des Vorderkopfes erhebt ſie ſich mähnenartig. Jhre Geſammtfärbung iſt ein aus Brännlich- grau und Gelbroth zuſammengeſetztes Braungelb, welches auf der Unterſeite und der Jnnenſeite der Läufe in ein ziemlich reines Weißgelb übergeht. Die einzelnen ſind am Grunde weiß, dann ſchwarz, hierauf falb geringelt und ſchließlich ſchwarz geſpitzt. Junge Thiere ſind oben bräunlichgrau, an den Halsſeiten aſchgrau, und längs der Mittellinie des Rückens dunkelbraun gefärbt und an den Rumpf- ſeiten mit drei Reihen lichter Flecken gezeichnet.
Beide Spießhirſche bewohnen in ziemlicher Anzahl Guiana, Braſilien, Peru und Paraguay. Sie leben in Ebenen, wie im Gebirge; unſere Art ſteigt ſogar bis zu 16,000 Fuß über den Meeresſpiegel empor. Möglicher Weiſe findet ſich dieſer Hirſch auch in Mejiko. Wälder aller Art und niedere Gebüſche bilden ſeinen Aufenthalt. Jn niederen Gegenden bevor- zugt er die ſchattigen, dichten Urwaldungen, in den Hochländern die einzeln ſtehenden Gebüſche; das Feld meidet er. Bei Tag liegt er ruhend im dichten Gebüſch; mit Sonnenuntergang begibt er ſich an den Saum der Wälder, um dort ſich zu äßen; Pflanzungen in der Nähe werden beſucht und gebrandſchatzt; ſonſt begnügt er ſich mit der Aeßung, welche im Walde wächſt. Auf den angebauten Stellen geht er hauptſächlich die jungen Schößlinge der Melonen, den aufkeimenden Mais, den jun-
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Die Hirſche. — Unſer Reh. Der braune Spießhirſch.
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recht trotzig und unverſchämt zeigen. Die ihnen angeborene Furchtſamkeit iſt durch die Gewohnheit
abgeſtumpft worden; ſie kennen den Menſchen und wiſſen, daß weder er, noch die Hunde ihnen
Etwas thun dürfen, und da zeigen ſie ſich dann nicht blos anmaßend, ſondern werden auch ſogar
Kindern gefährlich. Ein junger Rehbock, welchen der meinem Vater befreundete Oberförſter Heer-
wart hielt, hatte ſich in den Kopf geſetzt, daß die Hundehütte für ihn ein ganz bequemes Lager wäre
und ging, ſo oft es ihm einfiel, da hinein. Wenn nun der bereits erwähnte Hund Basko gerade
in der Hütte lag, ſchlug er mit ſeinen Vorderläufen kühn auf den gewaltigen Feind ſeines Geſchlechtes
los, bis dieſer mit eingeklemmtem Schwanz die Hütte verließ und dem übermüthigen Geſellen Platz
machte. Der vortreffliche Hund wußte recht wohl, daß er dem Liebling ſeines Herrn Nichts abſchla-
gen durfte und ließ ſich von ihm in wirklich lächerlicher Weiſe beherrſchen. Aeltere Böcke gehen oft
auf Kinder und noch mehr auf Frauenzimmer los und ſtoßen manchmal in gefährlicher Weiſe mit
ihrem Gehörn; ſie ſind dann nicht mehr zu dulden.
Jn Südamerika leben, ſoviel bisjetzt bekannt, zwei kleine Hirſche, welche ſich durch ihr Gehörn
vor allen anderen auszeichnen. Das ganze ſtolze Geweih iſt bei ihnen bis auf zwei einfache Stangen
verkümmert. Dies ſind die Spießhirſche (Subulo), zu deren fernerer Kennzeichnung die kleinen
Thränengruben und die Haarbüſchel an der Jnnenſeite der Fußwurzel dienen mögen. Klanendrüſen
und Eckzähne fehlen. Die beiden Arten ſind der braune und der rothe Spießhirſch, beide Be-
wohner derſelben Gegend, von den Guaranern Guazu-vira und Guazu-pyta genannt. Erſterer
(Subulo simplicicornis) iſt einer der kleinſten Hirſche überhaupt. Seine Leibeslänge beträgt blos
3 Fuß, die Schwanzlänge nur 3 Zoll, die Höhe am Widerriſt 23 Zoll, die am Kreuz 25 Zoll.
Der Leib iſt geſtreckt, der Hals kurz und ſchlank, der Kopf kurz, vorn ſehr ſchmal; die Läufe ſind
hoch, ſchlank und äußerſt zierlich gebaut, die Ohren ziemlich groß, aber nicht beſonders lang, die
Augen klein und lebhaft, die Thränengruben kaum bemerkbar. Nur das Männchen trägt das
eigenthümliche Geweih, zwei kurze, einfache, pfriemenförmig gerundete Spieße, welche an der
Wurzel ziemlich dick ſind, allmählich ſich verſchmälern und in eine ſcharfe Spitze auslaufen; ſie
ſtehen ſchief nach oben und rückwärts, faſt gleichlaufend neben einander; ihre Oberfläche iſt mit
runzelartigen Furchen durchzogen. Das Weibchen trägt an der Geweihſtelle zwei kleine Erhaben-
heiten. Die glatt und dicht anliegende Behaarung erinnert hinſichtlich ihrer Beſchaffenheit an die
unſeres Rehes. An dem Kopfe und an den Läufen iſt ſie ſehr kurz, ſonſt ziemlich reichlich; längs
der Mitte des Vorderkopfes erhebt ſie ſich mähnenartig. Jhre Geſammtfärbung iſt ein aus Brännlich-
grau und Gelbroth zuſammengeſetztes Braungelb, welches auf der Unterſeite und der Jnnenſeite der
Läufe in ein ziemlich reines Weißgelb übergeht. Die einzelnen ſind am Grunde weiß, dann ſchwarz,
hierauf falb geringelt und ſchließlich ſchwarz geſpitzt. Junge Thiere ſind oben bräunlichgrau, an den
Halsſeiten aſchgrau, und längs der Mittellinie des Rückens dunkelbraun gefärbt und an den Rumpf-
ſeiten mit drei Reihen lichter Flecken gezeichnet.
Beide Spießhirſche bewohnen in ziemlicher Anzahl Guiana, Braſilien, Peru und
Paraguay. Sie leben in Ebenen, wie im Gebirge; unſere Art ſteigt ſogar bis zu 16,000
Fuß über den Meeresſpiegel empor. Möglicher Weiſe findet ſich dieſer Hirſch auch in Mejiko.
Wälder aller Art und niedere Gebüſche bilden ſeinen Aufenthalt. Jn niederen Gegenden bevor-
zugt er die ſchattigen, dichten Urwaldungen, in den Hochländern die einzeln ſtehenden Gebüſche;
das Feld meidet er. Bei Tag liegt er ruhend im dichten Gebüſch; mit Sonnenuntergang begibt er
ſich an den Saum der Wälder, um dort ſich zu äßen; Pflanzungen in der Nähe werden beſucht und
gebrandſchatzt; ſonſt begnügt er ſich mit der Aeßung, welche im Walde wächſt. Auf den angebauten
Stellen geht er hauptſächlich die jungen Schößlinge der Melonen, den aufkeimenden Mais, den jun-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/510>, abgerufen am 23.11.2024.
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