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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Gazelle.
Hinterläufe und geht auf diesen dem Thiere nach, welches vorwärts rückt und, spröde thuend, mit
einer raschen Bewegung sich seitwärts wendet. Der so Geprellte läßt sich aber nicht sogleich abweisen,
sondern folgt der Erkorenen immer wieder, treibt sie hin und her und kommt endlich doch zum Ziele.
Jm Norden setzt die Ricke Ende Februars oder Anfangs März, im Süden zwischen den Monaten
März und Mai, also nach etwa fünf- oder sechsmonatlicher Tragzeit, ein einziges Kalb. Ende
März und im Anfang des Aprils waren die meisten weiblichen Gazellen, welche ich erlegte, hoch-
beschlagen und manche trugen bereits ein sehr ausgebildetes Junge. Das zur Welt gekommene Kalb
ist in den ersten Tagen seines Lebens ein höchst unbehilfliches Geschöpf, und daher kommt es auch,
daß sehr viele junge Gazellen von den flinken Arabern und Abissiniern mit den Händen gefangen
werden. Je unbehilflicher das Thierchen ist, umsomehr wird es von der Mutter geliebt. Nicht gar
zu mächtigen Feinden geht die besorgte Alte muthig entgegen. So weiß sie einen etwa heranschlei-
chenden Fuchs, welcher schlimme Absichten verrathen sollte, mit den scharfen Hufen abzutreiben, und
der Bock hilft ihr dabei getreulich. Doch hat das junge Thier viel Gefahren auszustehen, ehe es so
flüchtig wird, daß es mit den Eltern gleichen Schritt halten kann. Man dürfte schwerlich übertreiben,
wenn man sagt, daß die Hälfte der Nachkommenschaft unserer Gazellen und anderer Schwächlinge
ihrer Verwandtschaft den zahllosen Räubern, welche sie beständig umlauern, zum Opfer fällt. Frei-
lich würden sich die Gazellen ohne diese, das Gleichgewicht herstellenden Glieder der Thierwelt, auch
so vermehren, daß sie, wie im Süden Afrikas, die Springböcke und andere in Herden lebende
Antilopen, die niedere Pflanzenwelt so gut als vernichten könnten.

Jung ins Haus gebrachte Gazellen werden nach wenig Tagen sehr zahm und ertragen leicht die
Gefangenschaft, zumal in ihrer Heimat. Jn den europäischen Häusern der größeren Städte Nord-
und Ostafrikas sieht man regelmäßig gezähmte Gazellen, und unter ihnen findet man viele, welche
sich so an den Menschen gewöhnt haben, daß sie als echte Hausthiere angesehen werden können. Sie
folgen ihrem Herrn wie Hunde nach, kommen in die Zimmer herein, betteln bei Tisch um Nahrung,
machen Ausflüge in die benachbarten Felder oder in die Wüste und kehren gern und freudig wieder
nach Hause zurück, wenn der Abend kommt, oder wenn sie die geliebte Stimme ihres Pflegers ver-
nehmen. Auch bei uns zu Lande kann man die Gazelle Jahre lang am Leben erhalten, falls man
ihr die nöthige Pflege angedeihen läßt. Wie zu erwarten ist, müssen die höchst empfindlichen Kin-
der des Südens vor allen Einflüssen der rauhen Witterung, besonders während des Winters, sorgfältig
behütet werden. Ein warmer Stall für den Winter und eine größere Parkanlage für den Sommer
sind deshalb zu ihrem Wohlbefinden unentbehrlich. Ein Rudel Gazellen verleiht jedem größeren Gar-
ten oder Park eine Zierde, welche schwerlich von einer anderen übertroffen werden kann. Das
schmucke Reh erscheint der Gazelle gegenüber plump und schwerfällig; steht ihr ja doch fast jeder an-
dere Wiederkäuer an Anmuth und Lieblichkeit nach! Zahme Gazellen zeigen sich auch gegen fremde
Leute sanft und zutraulich; nur die Böcke gebrauchen bisweilen ihr Gehörn, doch immer mehr, um
zu spielen, als in der Absicht, zu verletzen. Heu, Brod und Gerste, im Sommer Klee und anderes
Grünzeug genügen zur Ernährung der Gefangenen vollkommen. Sehr gut bekommt ihnen auch ein
Kleientrank, wie ihn die Ziegen erhalten. Wasser bedürfen sie nur sehr wenig: täglich ein mittelgroßes
Glas voll befriedigt ihren Durst vollständig. Dagegen verlangen sie Salz, welches sie begierig
auflecken.

Ueberall, wo man solche gefangene Gazellen gut hält, kann man sie zur Fortpflanzung bringen,
im Süden natürlich leichter, als in unserem rauhen Norden. Jn Kairo hat eine Gazelle fünf Jahre
nach einander je ein wohlgebildetes Junge zur Welt gebracht und auch glücklich aufgezogen; in unseren
Thiergärten gehören derartige Vorkommnisse aber auch nicht zu den Seltenheiten.

Die Gazelle bildet in ihrer Heimat einen Gegenstand der eifrigsten, ja, der leidenschaftlichsten
Jagd. Alle Völkerschaften, welche mit ihr denselben Wohnkreis theilen, wetteifern mit einander in
Ausführung dieses herrlichen Vergnügens. Der edle Perser und der vornehme Türke jagen die Gazelle
mit derselben Lust, wie der Beduinenhäuptling und der Sudahnese. Jm Norden bildet das Feuer-

Die Gazelle.
Hinterläufe und geht auf dieſen dem Thiere nach, welches vorwärts rückt und, ſpröde thuend, mit
einer raſchen Bewegung ſich ſeitwärts wendet. Der ſo Geprellte läßt ſich aber nicht ſogleich abweiſen,
ſondern folgt der Erkorenen immer wieder, treibt ſie hin und her und kommt endlich doch zum Ziele.
Jm Norden ſetzt die Ricke Ende Februars oder Anfangs März, im Süden zwiſchen den Monaten
März und Mai, alſo nach etwa fünf- oder ſechsmonatlicher Tragzeit, ein einziges Kalb. Ende
März und im Anfang des Aprils waren die meiſten weiblichen Gazellen, welche ich erlegte, hoch-
beſchlagen und manche trugen bereits ein ſehr ausgebildetes Junge. Das zur Welt gekommene Kalb
iſt in den erſten Tagen ſeines Lebens ein höchſt unbehilfliches Geſchöpf, und daher kommt es auch,
daß ſehr viele junge Gazellen von den flinken Arabern und Abiſſiniern mit den Händen gefangen
werden. Je unbehilflicher das Thierchen iſt, umſomehr wird es von der Mutter geliebt. Nicht gar
zu mächtigen Feinden geht die beſorgte Alte muthig entgegen. So weiß ſie einen etwa heranſchlei-
chenden Fuchs, welcher ſchlimme Abſichten verrathen ſollte, mit den ſcharfen Hufen abzutreiben, und
der Bock hilft ihr dabei getreulich. Doch hat das junge Thier viel Gefahren auszuſtehen, ehe es ſo
flüchtig wird, daß es mit den Eltern gleichen Schritt halten kann. Man dürfte ſchwerlich übertreiben,
wenn man ſagt, daß die Hälfte der Nachkommenſchaft unſerer Gazellen und anderer Schwächlinge
ihrer Verwandtſchaft den zahlloſen Räubern, welche ſie beſtändig umlauern, zum Opfer fällt. Frei-
lich würden ſich die Gazellen ohne dieſe, das Gleichgewicht herſtellenden Glieder der Thierwelt, auch
ſo vermehren, daß ſie, wie im Süden Afrikas, die Springböcke und andere in Herden lebende
Antilopen, die niedere Pflanzenwelt ſo gut als vernichten könnten.

Jung ins Haus gebrachte Gazellen werden nach wenig Tagen ſehr zahm und ertragen leicht die
Gefangenſchaft, zumal in ihrer Heimat. Jn den europäiſchen Häuſern der größeren Städte Nord-
und Oſtafrikas ſieht man regelmäßig gezähmte Gazellen, und unter ihnen findet man viele, welche
ſich ſo an den Menſchen gewöhnt haben, daß ſie als echte Hausthiere angeſehen werden können. Sie
folgen ihrem Herrn wie Hunde nach, kommen in die Zimmer herein, betteln bei Tiſch um Nahrung,
machen Ausflüge in die benachbarten Felder oder in die Wüſte und kehren gern und freudig wieder
nach Hauſe zurück, wenn der Abend kommt, oder wenn ſie die geliebte Stimme ihres Pflegers ver-
nehmen. Auch bei uns zu Lande kann man die Gazelle Jahre lang am Leben erhalten, falls man
ihr die nöthige Pflege angedeihen läßt. Wie zu erwarten iſt, müſſen die höchſt empfindlichen Kin-
der des Südens vor allen Einflüſſen der rauhen Witterung, beſonders während des Winters, ſorgfältig
behütet werden. Ein warmer Stall für den Winter und eine größere Parkanlage für den Sommer
ſind deshalb zu ihrem Wohlbefinden unentbehrlich. Ein Rudel Gazellen verleiht jedem größeren Gar-
ten oder Park eine Zierde, welche ſchwerlich von einer anderen übertroffen werden kann. Das
ſchmucke Reh erſcheint der Gazelle gegenüber plump und ſchwerfällig; ſteht ihr ja doch faſt jeder an-
dere Wiederkäuer an Anmuth und Lieblichkeit nach! Zahme Gazellen zeigen ſich auch gegen fremde
Leute ſanft und zutraulich; nur die Böcke gebrauchen bisweilen ihr Gehörn, doch immer mehr, um
zu ſpielen, als in der Abſicht, zu verletzen. Heu, Brod und Gerſte, im Sommer Klee und anderes
Grünzeug genügen zur Ernährung der Gefangenen vollkommen. Sehr gut bekommt ihnen auch ein
Kleientrank, wie ihn die Ziegen erhalten. Waſſer bedürfen ſie nur ſehr wenig: täglich ein mittelgroßes
Glas voll befriedigt ihren Durſt vollſtändig. Dagegen verlangen ſie Salz, welches ſie begierig
auflecken.

Ueberall, wo man ſolche gefangene Gazellen gut hält, kann man ſie zur Fortpflanzung bringen,
im Süden natürlich leichter, als in unſerem rauhen Norden. Jn Kairo hat eine Gazelle fünf Jahre
nach einander je ein wohlgebildetes Junge zur Welt gebracht und auch glücklich aufgezogen; in unſeren
Thiergärten gehören derartige Vorkommniſſe aber auch nicht zu den Seltenheiten.

Die Gazelle bildet in ihrer Heimat einen Gegenſtand der eifrigſten, ja, der leidenſchaftlichſten
Jagd. Alle Völkerſchaften, welche mit ihr denſelben Wohnkreis theilen, wetteifern mit einander in
Ausführung dieſes herrlichen Vergnügens. Der edle Perſer und der vornehme Türke jagen die Gazelle
mit derſelben Luſt, wie der Beduinenhäuptling und der Sudahneſe. Jm Norden bildet das Feuer-

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[505/0535] Die Gazelle. Hinterläufe und geht auf dieſen dem Thiere nach, welches vorwärts rückt und, ſpröde thuend, mit einer raſchen Bewegung ſich ſeitwärts wendet. Der ſo Geprellte läßt ſich aber nicht ſogleich abweiſen, ſondern folgt der Erkorenen immer wieder, treibt ſie hin und her und kommt endlich doch zum Ziele. Jm Norden ſetzt die Ricke Ende Februars oder Anfangs März, im Süden zwiſchen den Monaten März und Mai, alſo nach etwa fünf- oder ſechsmonatlicher Tragzeit, ein einziges Kalb. Ende März und im Anfang des Aprils waren die meiſten weiblichen Gazellen, welche ich erlegte, hoch- beſchlagen und manche trugen bereits ein ſehr ausgebildetes Junge. Das zur Welt gekommene Kalb iſt in den erſten Tagen ſeines Lebens ein höchſt unbehilfliches Geſchöpf, und daher kommt es auch, daß ſehr viele junge Gazellen von den flinken Arabern und Abiſſiniern mit den Händen gefangen werden. Je unbehilflicher das Thierchen iſt, umſomehr wird es von der Mutter geliebt. Nicht gar zu mächtigen Feinden geht die beſorgte Alte muthig entgegen. So weiß ſie einen etwa heranſchlei- chenden Fuchs, welcher ſchlimme Abſichten verrathen ſollte, mit den ſcharfen Hufen abzutreiben, und der Bock hilft ihr dabei getreulich. Doch hat das junge Thier viel Gefahren auszuſtehen, ehe es ſo flüchtig wird, daß es mit den Eltern gleichen Schritt halten kann. Man dürfte ſchwerlich übertreiben, wenn man ſagt, daß die Hälfte der Nachkommenſchaft unſerer Gazellen und anderer Schwächlinge ihrer Verwandtſchaft den zahlloſen Räubern, welche ſie beſtändig umlauern, zum Opfer fällt. Frei- lich würden ſich die Gazellen ohne dieſe, das Gleichgewicht herſtellenden Glieder der Thierwelt, auch ſo vermehren, daß ſie, wie im Süden Afrikas, die Springböcke und andere in Herden lebende Antilopen, die niedere Pflanzenwelt ſo gut als vernichten könnten. Jung ins Haus gebrachte Gazellen werden nach wenig Tagen ſehr zahm und ertragen leicht die Gefangenſchaft, zumal in ihrer Heimat. Jn den europäiſchen Häuſern der größeren Städte Nord- und Oſtafrikas ſieht man regelmäßig gezähmte Gazellen, und unter ihnen findet man viele, welche ſich ſo an den Menſchen gewöhnt haben, daß ſie als echte Hausthiere angeſehen werden können. Sie folgen ihrem Herrn wie Hunde nach, kommen in die Zimmer herein, betteln bei Tiſch um Nahrung, machen Ausflüge in die benachbarten Felder oder in die Wüſte und kehren gern und freudig wieder nach Hauſe zurück, wenn der Abend kommt, oder wenn ſie die geliebte Stimme ihres Pflegers ver- nehmen. Auch bei uns zu Lande kann man die Gazelle Jahre lang am Leben erhalten, falls man ihr die nöthige Pflege angedeihen läßt. Wie zu erwarten iſt, müſſen die höchſt empfindlichen Kin- der des Südens vor allen Einflüſſen der rauhen Witterung, beſonders während des Winters, ſorgfältig behütet werden. Ein warmer Stall für den Winter und eine größere Parkanlage für den Sommer ſind deshalb zu ihrem Wohlbefinden unentbehrlich. Ein Rudel Gazellen verleiht jedem größeren Gar- ten oder Park eine Zierde, welche ſchwerlich von einer anderen übertroffen werden kann. Das ſchmucke Reh erſcheint der Gazelle gegenüber plump und ſchwerfällig; ſteht ihr ja doch faſt jeder an- dere Wiederkäuer an Anmuth und Lieblichkeit nach! Zahme Gazellen zeigen ſich auch gegen fremde Leute ſanft und zutraulich; nur die Böcke gebrauchen bisweilen ihr Gehörn, doch immer mehr, um zu ſpielen, als in der Abſicht, zu verletzen. Heu, Brod und Gerſte, im Sommer Klee und anderes Grünzeug genügen zur Ernährung der Gefangenen vollkommen. Sehr gut bekommt ihnen auch ein Kleientrank, wie ihn die Ziegen erhalten. Waſſer bedürfen ſie nur ſehr wenig: täglich ein mittelgroßes Glas voll befriedigt ihren Durſt vollſtändig. Dagegen verlangen ſie Salz, welches ſie begierig auflecken. Ueberall, wo man ſolche gefangene Gazellen gut hält, kann man ſie zur Fortpflanzung bringen, im Süden natürlich leichter, als in unſerem rauhen Norden. Jn Kairo hat eine Gazelle fünf Jahre nach einander je ein wohlgebildetes Junge zur Welt gebracht und auch glücklich aufgezogen; in unſeren Thiergärten gehören derartige Vorkommniſſe aber auch nicht zu den Seltenheiten. Die Gazelle bildet in ihrer Heimat einen Gegenſtand der eifrigſten, ja, der leidenſchaftlichſten Jagd. Alle Völkerſchaften, welche mit ihr denſelben Wohnkreis theilen, wetteifern mit einander in Ausführung dieſes herrlichen Vergnügens. Der edle Perſer und der vornehme Türke jagen die Gazelle mit derſelben Luſt, wie der Beduinenhäuptling und der Sudahneſe. Jm Norden bildet das Feuer-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/535>, abgerufen am 23.11.2024.