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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Antilopen. -- Der eigentliche Springbock.

Wir würden unzweifelhaft versucht sein, diese lebendige Schilderung des berühmten afrikanischen
Jägers für eine echte Jagdgeschichte zu halten, wenn nicht alle Reisenden die Wahrheit jener Angaben
bestätigten. Auch Le Vaillant spricht von Herden von 10 bis 50,000 Stück, welche von Löwen,
Leoparden, Luchsen
und Hiänen verfolgt werden, und Eduard Kretschmar erzählt von
Massen, die er nach Millionen schätzt. Da mir das Werk dieses Reisenden nicht zur Hand ist, ent-
nehme ich der gemeinnützigen Naturgeschichte von Lenz einen kurzen Auszug. Kretschmar ritt
während einer Dürrung, welche schon über Jahresfrist angehalten hatte und zahlreiches Vieh tödtete,
mit den holländischen Bewohnern vor Tagesanbruch nach einem Paß, durch welchen muthmaßlich
Scharen von Springböcken ins Land hereinbrechen wollten. Bald kamen die Vorposten der Böcke,
zu zwei und drei, zu zehn und zwanzig, dann zweihundert und vierhundert; endlich drängte sich der
ganze Paß dicht voll, und über ihnen wirbelten Staubwolken und schwärmten Geier. Die Hunde
wurden losgelassen und verschwanden unter der Masse; die Schüsse krachten. Jn kurzer Zeit waren mehr
als zweihundert Böcke geschossen. Schnell wurden Anstalten gemacht, sie wegzuschaffen. Da drängte
sich eine neue Herde von etwa 25,000 heran. Einer von den Leuten wurde über den Haufen gerissen,
und so zusammengetreten, daß er nachher bewußtlos und ganz mit Erde bedeckt gefunden wurde; er
erholte sich jedoch allmählich, da er glücklicherweise mit dem Gesicht auf der Erde gelegen hatte. Bei
diesem zweiten Durchzug wurden wiederum hundert Stück geschossen. Man schnitt allen den Kopf
ab; das übrige wurde auf Wagen und Pferden nach Hause geschafft. Während dem waren auch
durch andere Pässe Massen von Springböcken durchgedrungen, und man sah auf der an sechs deut-
schen Meilen sich hinstreckenden Fläche Millionen von diesen Thieren weiden. Man brachte auch
Nachricht, daß beim Uebergang über den Karre, in geringer Entfernung vom Krahl, mehrere Hun-
dert vom Felsen gestürzt und leicht zu holen wären. So wurde denn auch dorthin ein neuer Zug ver-
anstaltet und eine Anzahl von etwa zweihundert Stück auf Wagen geladen. Zu Hause war dann Alles
damit beschäftigt, das Fleisch in dünne Streifen zu schneiden und überall im Hause und um das
Haus herum auf dünne Stöcke, auf Bettpfosten, auf jeden brauchbaren Gegenstand zu legen, wo es
bald von Millionen Fliegen umschwärmt wurde. Die Keulen wurden eingesalzen, die Felle auf dem
Erdboden ausgebreitet und mit Pflöcken befestigt. Getrocknet dienen sie vorzüglich, um den Fuß-
boden der Zimmer zu belegen. Das Fleisch, welches vortrefflich schmeckt, wird im getrockneten Zu-
stande vielfach benutzt.

Die Richtung, welche die wandernden Antilopen einschlagen, ist nicht immer dieselbe. Ge-
wöhnlich kehren sie auch auf einem anderen Wege zurück, als auf dem, wo sie gekommen waren.
Jhre Weglinie bildet deshalb gewöhnlich eine ungeheure, langgezogene Ellipse oder ein großes Viereck,
dessen Durchmesser vielleicht einige hundert Meilen beträgt. Diese Bahn wird von den Thieren in
einer Zeit von sechs Monaten bis zu einem Jahre durchzogen. Wunderbar ist der Zusammenhalt
einer so sich bewegenden Herde. Wood erzählt, daß eine Schafherde, welche einmal zufällig unter
die wandernden Springböcke gekommen war, gezwungen wurde, mit diesen zu laufen, wohin sie
gingen, ohne daß es dem Hirten möglich war, seine Schutzbefohlenen wieder zu befreien. Selbst der
Löwe, welcher diesen Antilopen eifrig nachstellt, soll manchmal von den Herden geradezu gefangen
werden. So groß auch der Schrecken sein mag, welchen das Raubthier den wehrlosen Wiederkäuern
bereitet: Diejenigen, welche diesen Schrecken empfinden, sind nicht im Stande, dem Andrängen der
anderen, welche von dem fürchterlichen Räuber Nichts wissen, zu widerstehen, und der Löwe seiner-
seits muß wohl oder übel mit der Masse fortwandern, weil er durch die lebenden Haufen, die jeden
Augenblick wechseln und sich neu ersetzen, sich unmöglich einen Ausgang bahnen kann. Die Sache
klingt sehr sonderbar, ist aber durchaus nicht unwahrscheinlich, zumal wenn man an die vorhin
erwähnte Geschichte von Kretschmar denkt. Die Nachzügler des Heeres freilich können den zahllosen
hungrigen Feinden, welche diesen Zügen folgen, nicht widerstehen; aber alle die Löwen, Leoparden,
die Hunderte von Hiänen und Schakals, welche die Herde umschwärmen, die Tausende von Geiern,
welche in den Lüften über ihr kreisen, brauchen sich auch nicht eben anzustrengen; denn von den Hun-

Die Antilopen. — Der eigentliche Springbock.

Wir würden unzweifelhaft verſucht ſein, dieſe lebendige Schilderung des berühmten afrikaniſchen
Jägers für eine echte Jagdgeſchichte zu halten, wenn nicht alle Reiſenden die Wahrheit jener Angaben
beſtätigten. Auch Le Vaillant ſpricht von Herden von 10 bis 50,000 Stück, welche von Löwen,
Leoparden, Luchſen
und Hiänen verfolgt werden, und Eduard Kretſchmar erzählt von
Maſſen, die er nach Millionen ſchätzt. Da mir das Werk dieſes Reiſenden nicht zur Hand iſt, ent-
nehme ich der gemeinnützigen Naturgeſchichte von Lenz einen kurzen Auszug. Kretſchmar ritt
während einer Dürrung, welche ſchon über Jahresfriſt angehalten hatte und zahlreiches Vieh tödtete,
mit den holländiſchen Bewohnern vor Tagesanbruch nach einem Paß, durch welchen muthmaßlich
Scharen von Springböcken ins Land hereinbrechen wollten. Bald kamen die Vorpoſten der Böcke,
zu zwei und drei, zu zehn und zwanzig, dann zweihundert und vierhundert; endlich drängte ſich der
ganze Paß dicht voll, und über ihnen wirbelten Staubwolken und ſchwärmten Geier. Die Hunde
wurden losgelaſſen und verſchwanden unter der Maſſe; die Schüſſe krachten. Jn kurzer Zeit waren mehr
als zweihundert Böcke geſchoſſen. Schnell wurden Anſtalten gemacht, ſie wegzuſchaffen. Da drängte
ſich eine neue Herde von etwa 25,000 heran. Einer von den Leuten wurde über den Haufen geriſſen,
und ſo zuſammengetreten, daß er nachher bewußtlos und ganz mit Erde bedeckt gefunden wurde; er
erholte ſich jedoch allmählich, da er glücklicherweiſe mit dem Geſicht auf der Erde gelegen hatte. Bei
dieſem zweiten Durchzug wurden wiederum hundert Stück geſchoſſen. Man ſchnitt allen den Kopf
ab; das übrige wurde auf Wagen und Pferden nach Hauſe geſchafft. Während dem waren auch
durch andere Päſſe Maſſen von Springböcken durchgedrungen, und man ſah auf der an ſechs deut-
ſchen Meilen ſich hinſtreckenden Fläche Millionen von dieſen Thieren weiden. Man brachte auch
Nachricht, daß beim Uebergang über den Karre, in geringer Entfernung vom Krahl, mehrere Hun-
dert vom Felſen geſtürzt und leicht zu holen wären. So wurde denn auch dorthin ein neuer Zug ver-
anſtaltet und eine Anzahl von etwa zweihundert Stück auf Wagen geladen. Zu Hauſe war dann Alles
damit beſchäftigt, das Fleiſch in dünne Streifen zu ſchneiden und überall im Hauſe und um das
Haus herum auf dünne Stöcke, auf Bettpfoſten, auf jeden brauchbaren Gegenſtand zu legen, wo es
bald von Millionen Fliegen umſchwärmt wurde. Die Keulen wurden eingeſalzen, die Felle auf dem
Erdboden ausgebreitet und mit Pflöcken befeſtigt. Getrocknet dienen ſie vorzüglich, um den Fuß-
boden der Zimmer zu belegen. Das Fleiſch, welches vortrefflich ſchmeckt, wird im getrockneten Zu-
ſtande vielfach benutzt.

Die Richtung, welche die wandernden Antilopen einſchlagen, iſt nicht immer dieſelbe. Ge-
wöhnlich kehren ſie auch auf einem anderen Wege zurück, als auf dem, wo ſie gekommen waren.
Jhre Weglinie bildet deshalb gewöhnlich eine ungeheure, langgezogene Ellipſe oder ein großes Viereck,
deſſen Durchmeſſer vielleicht einige hundert Meilen beträgt. Dieſe Bahn wird von den Thieren in
einer Zeit von ſechs Monaten bis zu einem Jahre durchzogen. Wunderbar iſt der Zuſammenhalt
einer ſo ſich bewegenden Herde. Wood erzählt, daß eine Schafherde, welche einmal zufällig unter
die wandernden Springböcke gekommen war, gezwungen wurde, mit dieſen zu laufen, wohin ſie
gingen, ohne daß es dem Hirten möglich war, ſeine Schutzbefohlenen wieder zu befreien. Selbſt der
Löwe, welcher dieſen Antilopen eifrig nachſtellt, ſoll manchmal von den Herden geradezu gefangen
werden. So groß auch der Schrecken ſein mag, welchen das Raubthier den wehrloſen Wiederkäuern
bereitet: Diejenigen, welche dieſen Schrecken empfinden, ſind nicht im Stande, dem Andrängen der
anderen, welche von dem fürchterlichen Räuber Nichts wiſſen, zu widerſtehen, und der Löwe ſeiner-
ſeits muß wohl oder übel mit der Maſſe fortwandern, weil er durch die lebenden Haufen, die jeden
Augenblick wechſeln und ſich neu erſetzen, ſich unmöglich einen Ausgang bahnen kann. Die Sache
klingt ſehr ſonderbar, iſt aber durchaus nicht unwahrſcheinlich, zumal wenn man an die vorhin
erwähnte Geſchichte von Kretſchmar denkt. Die Nachzügler des Heeres freilich können den zahlloſen
hungrigen Feinden, welche dieſen Zügen folgen, nicht widerſtehen; aber alle die Löwen, Leoparden,
die Hunderte von Hiänen und Schakals, welche die Herde umſchwärmen, die Tauſende von Geiern,
welche in den Lüften über ihr kreiſen, brauchen ſich auch nicht eben anzuſtrengen; denn von den Hun-

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[510/0540] Die Antilopen. — Der eigentliche Springbock. Wir würden unzweifelhaft verſucht ſein, dieſe lebendige Schilderung des berühmten afrikaniſchen Jägers für eine echte Jagdgeſchichte zu halten, wenn nicht alle Reiſenden die Wahrheit jener Angaben beſtätigten. Auch Le Vaillant ſpricht von Herden von 10 bis 50,000 Stück, welche von Löwen, Leoparden, Luchſen und Hiänen verfolgt werden, und Eduard Kretſchmar erzählt von Maſſen, die er nach Millionen ſchätzt. Da mir das Werk dieſes Reiſenden nicht zur Hand iſt, ent- nehme ich der gemeinnützigen Naturgeſchichte von Lenz einen kurzen Auszug. Kretſchmar ritt während einer Dürrung, welche ſchon über Jahresfriſt angehalten hatte und zahlreiches Vieh tödtete, mit den holländiſchen Bewohnern vor Tagesanbruch nach einem Paß, durch welchen muthmaßlich Scharen von Springböcken ins Land hereinbrechen wollten. Bald kamen die Vorpoſten der Böcke, zu zwei und drei, zu zehn und zwanzig, dann zweihundert und vierhundert; endlich drängte ſich der ganze Paß dicht voll, und über ihnen wirbelten Staubwolken und ſchwärmten Geier. Die Hunde wurden losgelaſſen und verſchwanden unter der Maſſe; die Schüſſe krachten. Jn kurzer Zeit waren mehr als zweihundert Böcke geſchoſſen. Schnell wurden Anſtalten gemacht, ſie wegzuſchaffen. Da drängte ſich eine neue Herde von etwa 25,000 heran. Einer von den Leuten wurde über den Haufen geriſſen, und ſo zuſammengetreten, daß er nachher bewußtlos und ganz mit Erde bedeckt gefunden wurde; er erholte ſich jedoch allmählich, da er glücklicherweiſe mit dem Geſicht auf der Erde gelegen hatte. Bei dieſem zweiten Durchzug wurden wiederum hundert Stück geſchoſſen. Man ſchnitt allen den Kopf ab; das übrige wurde auf Wagen und Pferden nach Hauſe geſchafft. Während dem waren auch durch andere Päſſe Maſſen von Springböcken durchgedrungen, und man ſah auf der an ſechs deut- ſchen Meilen ſich hinſtreckenden Fläche Millionen von dieſen Thieren weiden. Man brachte auch Nachricht, daß beim Uebergang über den Karre, in geringer Entfernung vom Krahl, mehrere Hun- dert vom Felſen geſtürzt und leicht zu holen wären. So wurde denn auch dorthin ein neuer Zug ver- anſtaltet und eine Anzahl von etwa zweihundert Stück auf Wagen geladen. Zu Hauſe war dann Alles damit beſchäftigt, das Fleiſch in dünne Streifen zu ſchneiden und überall im Hauſe und um das Haus herum auf dünne Stöcke, auf Bettpfoſten, auf jeden brauchbaren Gegenſtand zu legen, wo es bald von Millionen Fliegen umſchwärmt wurde. Die Keulen wurden eingeſalzen, die Felle auf dem Erdboden ausgebreitet und mit Pflöcken befeſtigt. Getrocknet dienen ſie vorzüglich, um den Fuß- boden der Zimmer zu belegen. Das Fleiſch, welches vortrefflich ſchmeckt, wird im getrockneten Zu- ſtande vielfach benutzt. Die Richtung, welche die wandernden Antilopen einſchlagen, iſt nicht immer dieſelbe. Ge- wöhnlich kehren ſie auch auf einem anderen Wege zurück, als auf dem, wo ſie gekommen waren. Jhre Weglinie bildet deshalb gewöhnlich eine ungeheure, langgezogene Ellipſe oder ein großes Viereck, deſſen Durchmeſſer vielleicht einige hundert Meilen beträgt. Dieſe Bahn wird von den Thieren in einer Zeit von ſechs Monaten bis zu einem Jahre durchzogen. Wunderbar iſt der Zuſammenhalt einer ſo ſich bewegenden Herde. Wood erzählt, daß eine Schafherde, welche einmal zufällig unter die wandernden Springböcke gekommen war, gezwungen wurde, mit dieſen zu laufen, wohin ſie gingen, ohne daß es dem Hirten möglich war, ſeine Schutzbefohlenen wieder zu befreien. Selbſt der Löwe, welcher dieſen Antilopen eifrig nachſtellt, ſoll manchmal von den Herden geradezu gefangen werden. So groß auch der Schrecken ſein mag, welchen das Raubthier den wehrloſen Wiederkäuern bereitet: Diejenigen, welche dieſen Schrecken empfinden, ſind nicht im Stande, dem Andrängen der anderen, welche von dem fürchterlichen Räuber Nichts wiſſen, zu widerſtehen, und der Löwe ſeiner- ſeits muß wohl oder übel mit der Maſſe fortwandern, weil er durch die lebenden Haufen, die jeden Augenblick wechſeln und ſich neu erſetzen, ſich unmöglich einen Ausgang bahnen kann. Die Sache klingt ſehr ſonderbar, iſt aber durchaus nicht unwahrſcheinlich, zumal wenn man an die vorhin erwähnte Geſchichte von Kretſchmar denkt. Die Nachzügler des Heeres freilich können den zahlloſen hungrigen Feinden, welche dieſen Zügen folgen, nicht widerſtehen; aber alle die Löwen, Leoparden, die Hunderte von Hiänen und Schakals, welche die Herde umſchwärmen, die Tauſende von Geiern, welche in den Lüften über ihr kreiſen, brauchen ſich auch nicht eben anzuſtrengen; denn von den Hun-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/540>, abgerufen am 23.11.2024.