klettern barfuß ins Gebirge und härzen sich von Zeit zu Zeit die Füße, um fester zu stehen; nie- mals aber verwunden sie sich, wie früher behauptet wurde, den Fuß
"Sich anzuleimen mit dem eignen Blut, Um ein armselig Gratthier zu erlegen."
Gewöhnlich bedienen sich die Jäger der sogenannten Thierbüchse mit gezogenem Laufe, leichtem Schafte und dünnem Kolben. Jn Wallis sieht man auch noch häufig die früher einläufige Flinte mit zwei hinter einander liegenden Schlössern auf derselben Seite, in welcher die erste Kugel der zweiten Ladung als Bodenstück dienen muß. Dieses Gewehr, welches zwei Schlösser besitzt, hat den Vortheil, daß es leichter als eine gezogene Doppelbüchse ist und doch zwei Schüsse zur Verfügung stellt. Unumgänglich nothwendig ist auch ein gutes Fernrohr; denn nur mit dessen Hilfe ist der Jäger im Stande, sein Gebiet zu überschauen. Bei der Gemsjagd handelt es sich nicht um kleine Flächen, sondern um Gebiete von vielen Geviertmeilen; es handelt sich hier um tagelange Wan- derungen. Der Jäger spart oft jahrelang, um sich einen guten "Spiegel" zu erwerben.
Abends oder am frühesten Morgen bei Sternenschein bricht der Jäger zur Jagd auf, um vor Sonnenaufgang die Gemsgründe zu gewinnen. Er muß alle Gänge und Züge, die Lieblingsweiden, Zufluchtsorte, Sulzen und Wechsel des Wildes genau kennen, mit dem Winde und seinen Tücken im Gebirge vertraut sein, alle Eigenheiten der Thiere, so zu sagen, auswendig gelernt haben. Die Waldgemsen sollen viel vorsichtiger sein, als die Gratthiere, weil jene eben häufiger in der Nähe der Menschen sind, und zwischen Verdächtigen und Unverdächtigen zu unterscheiden gelernt haben. Ge- wöhnlich hat der Jäger, noch ehe er zur Jagd ging, das Gebiet durchforscht und bei befreundeten Sennen angefragt; denn andere würden ihm keine Auskunft geben. Er hat vielleicht auch sein Ge- wehr schon nach oben geschickt, um ja nicht aufzufallen. Schon eine Stunde vorher, ehe er das eigentliche Gebiet betritt, meidet er alles laute Sprechen und Geräusch, und bei seinen Beobachtungs- zügen hält er sich so still, als möglich. Von einer der oberen Sennhütten aus beginnt die Jagd. Der Jäger bricht schon nach Mitternacht auf, schleicht sich, höchst sorgfältig den Wind beobachtend, bis zu dem von ihm erkundeten Platze der Gemsen heran und ermöglicht es, wenn er geschickt ist, bis auf 40, ja 20 Schritte an die ruhenden Gemsen heranzukriechen. Dort verweilt er hinter einem Stein oder Busch kauernd, bis es hell wird. Langsam erhebt sich das Vorthier und streckt sich, ebenso die übrige Herde. Jn diesem Augenblicke wählt der Jäger sich seine Beute, womöglich einen großen, starken Bock, der sich dem geübten Auge durch etwas dickere, oben weiter aus einander stehende Hörner kenntlich macht. Fällt das Thier, so stutzt einen Augenblick die ganze Herde, sieht sich mit der höchsten Unruhe nach dem aufsteigenden Pulverdampf um und flieht blitzschnell nach der entgegengesetzten Nichtung.
Auch die Treibjagd ist, wenn gute Kundschaft waltet, ziemlich sicher. Dabei muß ein Jäger die Gemsen in den Morgenweiden aufstören und langsam bergaufwärts treiben. Er kennt alle Wechsel und Pfade der Thiere und stellt sich an günstigen Stellen auf, von wo aus er auf die vorüber- gehenden zu feuern gedenkt. Gute Jäger folgen ihrem Wilde meilenweit, ja tagelang nach und trei- ben es förmlich vor sich her. Sie müssen im Gebirge vertraut sein, wie die Gemsen selbst; denn ihr Beginnen ist ein beständiger Kampf zwischen Leben und Tod. Gelingt es, das Thier mit unsäglicher Mühe auf einen sogenannten Treibstock, eine Gemsenklemme, hinzutreiben, wo sie nicht zurück können, so ist gewöhnlich die Beute reichlich, selbst dann, wenn die geängstigten Thiere, alle Furcht vor dem Menschen vergessend, plötzlich umkehren und dicht an dem Jäger vorbei zurücksetzen. Zu diesen Beschwerden und Gefahren, die hier gar nicht alle anzugeben sind, kommt das Unangenehme, daß der Jäger oft tage-, ja wochenlang im Gebirge umherstreift, ohne auch nur eine Gemse zu sehen; hierzu muß gerechnet werden die erstaunliche Lebenszähigkeit der Gemsen, welche oft, trotz der schwersten Verwundung, so schnell dahinfliehen, daß der Jäger das blose Nachsehen hat oder der Spur wieder tagelang nachgehen muß, ehe er sein Wild findet, vielleicht schon halb gefressen von den
Die Antilopen. — Die Gemſe.
klettern barfuß ins Gebirge und härzen ſich von Zeit zu Zeit die Füße, um feſter zu ſtehen; nie- mals aber verwunden ſie ſich, wie früher behauptet wurde, den Fuß
„Sich anzuleimen mit dem eignen Blut, Um ein armſelig Gratthier zu erlegen.‟
Gewöhnlich bedienen ſich die Jäger der ſogenannten Thierbüchſe mit gezogenem Laufe, leichtem Schafte und dünnem Kolben. Jn Wallis ſieht man auch noch häufig die früher einläufige Flinte mit zwei hinter einander liegenden Schlöſſern auf derſelben Seite, in welcher die erſte Kugel der zweiten Ladung als Bodenſtück dienen muß. Dieſes Gewehr, welches zwei Schlöſſer beſitzt, hat den Vortheil, daß es leichter als eine gezogene Doppelbüchſe iſt und doch zwei Schüſſe zur Verfügung ſtellt. Unumgänglich nothwendig iſt auch ein gutes Fernrohr; denn nur mit deſſen Hilfe iſt der Jäger im Stande, ſein Gebiet zu überſchauen. Bei der Gemsjagd handelt es ſich nicht um kleine Flächen, ſondern um Gebiete von vielen Geviertmeilen; es handelt ſich hier um tagelange Wan- derungen. Der Jäger ſpart oft jahrelang, um ſich einen guten „Spiegel‟ zu erwerben.
Abends oder am früheſten Morgen bei Sternenſchein bricht der Jäger zur Jagd auf, um vor Sonnenaufgang die Gemsgründe zu gewinnen. Er muß alle Gänge und Züge, die Lieblingsweiden, Zufluchtsorte, Sulzen und Wechſel des Wildes genau kennen, mit dem Winde und ſeinen Tücken im Gebirge vertraut ſein, alle Eigenheiten der Thiere, ſo zu ſagen, auswendig gelernt haben. Die Waldgemſen ſollen viel vorſichtiger ſein, als die Gratthiere, weil jene eben häufiger in der Nähe der Menſchen ſind, und zwiſchen Verdächtigen und Unverdächtigen zu unterſcheiden gelernt haben. Ge- wöhnlich hat der Jäger, noch ehe er zur Jagd ging, das Gebiet durchforſcht und bei befreundeten Sennen angefragt; denn andere würden ihm keine Auskunft geben. Er hat vielleicht auch ſein Ge- wehr ſchon nach oben geſchickt, um ja nicht aufzufallen. Schon eine Stunde vorher, ehe er das eigentliche Gebiet betritt, meidet er alles laute Sprechen und Geräuſch, und bei ſeinen Beobachtungs- zügen hält er ſich ſo ſtill, als möglich. Von einer der oberen Sennhütten aus beginnt die Jagd. Der Jäger bricht ſchon nach Mitternacht auf, ſchleicht ſich, höchſt ſorgfältig den Wind beobachtend, bis zu dem von ihm erkundeten Platze der Gemſen heran und ermöglicht es, wenn er geſchickt iſt, bis auf 40, ja 20 Schritte an die ruhenden Gemſen heranzukriechen. Dort verweilt er hinter einem Stein oder Buſch kauernd, bis es hell wird. Langſam erhebt ſich das Vorthier und ſtreckt ſich, ebenſo die übrige Herde. Jn dieſem Augenblicke wählt der Jäger ſich ſeine Beute, womöglich einen großen, ſtarken Bock, der ſich dem geübten Auge durch etwas dickere, oben weiter aus einander ſtehende Hörner kenntlich macht. Fällt das Thier, ſo ſtutzt einen Augenblick die ganze Herde, ſieht ſich mit der höchſten Unruhe nach dem aufſteigenden Pulverdampf um und flieht blitzſchnell nach der entgegengeſetzten Nichtung.
Auch die Treibjagd iſt, wenn gute Kundſchaft waltet, ziemlich ſicher. Dabei muß ein Jäger die Gemſen in den Morgenweiden aufſtören und langſam bergaufwärts treiben. Er kennt alle Wechſel und Pfade der Thiere und ſtellt ſich an günſtigen Stellen auf, von wo aus er auf die vorüber- gehenden zu feuern gedenkt. Gute Jäger folgen ihrem Wilde meilenweit, ja tagelang nach und trei- ben es förmlich vor ſich her. Sie müſſen im Gebirge vertraut ſein, wie die Gemſen ſelbſt; denn ihr Beginnen iſt ein beſtändiger Kampf zwiſchen Leben und Tod. Gelingt es, das Thier mit unſäglicher Mühe auf einen ſogenannten Treibſtock, eine Gemſenklemme, hinzutreiben, wo ſie nicht zurück können, ſo iſt gewöhnlich die Beute reichlich, ſelbſt dann, wenn die geängſtigten Thiere, alle Furcht vor dem Menſchen vergeſſend, plötzlich umkehren und dicht an dem Jäger vorbei zurückſetzen. Zu dieſen Beſchwerden und Gefahren, die hier gar nicht alle anzugeben ſind, kommt das Unangenehme, daß der Jäger oft tage-, ja wochenlang im Gebirge umherſtreift, ohne auch nur eine Gemſe zu ſehen; hierzu muß gerechnet werden die erſtaunliche Lebenszähigkeit der Gemſen, welche oft, trotz der ſchwerſten Verwundung, ſo ſchnell dahinfliehen, daß der Jäger das bloſe Nachſehen hat oder der Spur wieder tagelang nachgehen muß, ehe er ſein Wild findet, vielleicht ſchon halb gefreſſen von den
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[534/0564]
Die Antilopen. — Die Gemſe.
klettern barfuß ins Gebirge und härzen ſich von Zeit zu Zeit die Füße, um feſter zu ſtehen; nie-
mals aber verwunden ſie ſich, wie früher behauptet wurde, den Fuß
„Sich anzuleimen mit dem eignen Blut,
Um ein armſelig Gratthier zu erlegen.‟
Gewöhnlich bedienen ſich die Jäger der ſogenannten Thierbüchſe mit gezogenem Laufe, leichtem
Schafte und dünnem Kolben. Jn Wallis ſieht man auch noch häufig die früher einläufige Flinte
mit zwei hinter einander liegenden Schlöſſern auf derſelben Seite, in welcher die erſte Kugel der
zweiten Ladung als Bodenſtück dienen muß. Dieſes Gewehr, welches zwei Schlöſſer beſitzt, hat den
Vortheil, daß es leichter als eine gezogene Doppelbüchſe iſt und doch zwei Schüſſe zur Verfügung
ſtellt. Unumgänglich nothwendig iſt auch ein gutes Fernrohr; denn nur mit deſſen Hilfe iſt der
Jäger im Stande, ſein Gebiet zu überſchauen. Bei der Gemsjagd handelt es ſich nicht um kleine
Flächen, ſondern um Gebiete von vielen Geviertmeilen; es handelt ſich hier um tagelange Wan-
derungen. Der Jäger ſpart oft jahrelang, um ſich einen guten „Spiegel‟ zu erwerben.
Abends oder am früheſten Morgen bei Sternenſchein bricht der Jäger zur Jagd auf, um vor
Sonnenaufgang die Gemsgründe zu gewinnen. Er muß alle Gänge und Züge, die Lieblingsweiden,
Zufluchtsorte, Sulzen und Wechſel des Wildes genau kennen, mit dem Winde und ſeinen Tücken
im Gebirge vertraut ſein, alle Eigenheiten der Thiere, ſo zu ſagen, auswendig gelernt haben. Die
Waldgemſen ſollen viel vorſichtiger ſein, als die Gratthiere, weil jene eben häufiger in der Nähe der
Menſchen ſind, und zwiſchen Verdächtigen und Unverdächtigen zu unterſcheiden gelernt haben. Ge-
wöhnlich hat der Jäger, noch ehe er zur Jagd ging, das Gebiet durchforſcht und bei befreundeten
Sennen angefragt; denn andere würden ihm keine Auskunft geben. Er hat vielleicht auch ſein Ge-
wehr ſchon nach oben geſchickt, um ja nicht aufzufallen. Schon eine Stunde vorher, ehe er das
eigentliche Gebiet betritt, meidet er alles laute Sprechen und Geräuſch, und bei ſeinen Beobachtungs-
zügen hält er ſich ſo ſtill, als möglich. Von einer der oberen Sennhütten aus beginnt die Jagd.
Der Jäger bricht ſchon nach Mitternacht auf, ſchleicht ſich, höchſt ſorgfältig den Wind beobachtend,
bis zu dem von ihm erkundeten Platze der Gemſen heran und ermöglicht es, wenn er geſchickt iſt, bis
auf 40, ja 20 Schritte an die ruhenden Gemſen heranzukriechen. Dort verweilt er hinter einem
Stein oder Buſch kauernd, bis es hell wird. Langſam erhebt ſich das Vorthier und ſtreckt ſich,
ebenſo die übrige Herde. Jn dieſem Augenblicke wählt der Jäger ſich ſeine Beute, womöglich einen
großen, ſtarken Bock, der ſich dem geübten Auge durch etwas dickere, oben weiter aus einander
ſtehende Hörner kenntlich macht. Fällt das Thier, ſo ſtutzt einen Augenblick die ganze Herde, ſieht
ſich mit der höchſten Unruhe nach dem aufſteigenden Pulverdampf um und flieht blitzſchnell nach der
entgegengeſetzten Nichtung.
Auch die Treibjagd iſt, wenn gute Kundſchaft waltet, ziemlich ſicher. Dabei muß ein Jäger
die Gemſen in den Morgenweiden aufſtören und langſam bergaufwärts treiben. Er kennt alle Wechſel
und Pfade der Thiere und ſtellt ſich an günſtigen Stellen auf, von wo aus er auf die vorüber-
gehenden zu feuern gedenkt. Gute Jäger folgen ihrem Wilde meilenweit, ja tagelang nach und trei-
ben es förmlich vor ſich her. Sie müſſen im Gebirge vertraut ſein, wie die Gemſen ſelbſt; denn ihr
Beginnen iſt ein beſtändiger Kampf zwiſchen Leben und Tod. Gelingt es, das Thier mit unſäglicher
Mühe auf einen ſogenannten Treibſtock, eine Gemſenklemme, hinzutreiben, wo ſie nicht zurück
können, ſo iſt gewöhnlich die Beute reichlich, ſelbſt dann, wenn die geängſtigten Thiere, alle Furcht
vor dem Menſchen vergeſſend, plötzlich umkehren und dicht an dem Jäger vorbei zurückſetzen. Zu
dieſen Beſchwerden und Gefahren, die hier gar nicht alle anzugeben ſind, kommt das Unangenehme,
daß der Jäger oft tage-, ja wochenlang im Gebirge umherſtreift, ohne auch nur eine Gemſe zu
ſehen; hierzu muß gerechnet werden die erſtaunliche Lebenszähigkeit der Gemſen, welche oft, trotz der
ſchwerſten Verwundung, ſo ſchnell dahinfliehen, daß der Jäger das bloſe Nachſehen hat oder der
Spur wieder tagelang nachgehen muß, ehe er ſein Wild findet, vielleicht ſchon halb gefreſſen von den
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/564>, abgerufen am 23.11.2024.
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