Die Gabelgemse ist ein in jeder Hinsicht ausgezeichnetes Thier, welches hinsichtlich seiner Ge- hörnbildung in seiner Familie, ja, sogar unter allen scheidenhörnigen Wiederkäuern, einzig dasteht. Die Hörner sind nämlich gabelförmig getheilt, wenigstens bei der Mehrzahl der Böcke. Jn der Größe kommt das Thier etwa unserem Rehe gleich. Seine Länge beträgt nach einer Messung des Prinzen von Wied 4 Fuß 10 Zoll 8 Linien, wovon 11 1/3 Zoll auf den Kopf, 71/4 Zoll auf den Wedel gerechnet werden müssen. Die Schulterhöhe wird zu 21/2 Fuß, die Kreuzhöhe zu 3 Fuß an- gegeben; die Hörner werden, in gerader Linie gemessen, gegen 9 Zoll, der Krümmung nach 11 Zoll lang. Die Gestalt ist schlank; der Leib ruht auf hohen Läufen und trägt einen langen Hals und einen schmächtigen, etwas zugespitzten Kopf. Das große, lang bewimperte Auge hat keine Thränen- gruben; das Gehör ist ziemlich lang, schmal zugespitzt; die Muffel ist behaart. Nur um die Nasen-
[Abbildung]
Die Gabelgemse (Antilocapra americana oder Antilope furcifer).
löcher zieht sich ein schmaler, nackter Streifen. Die Hörner entspringen einen Zoll hoch über den Augen; sie sind gerade aufgerichtet, ein wenig sanft auswärts gebogen, haben eine starke, oft ab- wärts gekrümmte Hakenspitze und an der Mitte ihrer Vorderseite ein gedrungenes, zusammengedrück- tes, breites Ende von etwa 21/2 Zoll Länge, welches jedoch den jungen Böcken und nicht selten auch den alten fehlt. Die Hufe sind zugespitzt, denen des Schafes ähnlich gebildet; sie tragen nur an der inneren Seite eine Afterklaue. Das Haar ist lang, hart und so spröde, daß es bei der ge- ringsten Berührung abbricht, ja, daß es durch Drücken abgeplattet werden kann, ohne seine frühere Form wieder anzunehmen. Es steht sehr dicht, überdeckt aber keine Grundwolle. Auf dem Nasen- rücken und an dem Gehör, in der Umgebung der Augen und um die Lippen ist es am kürzesten, auf den Hinterkeulen länger, als am übrigen Körper; ein Streifen zwischen den Hinterschenkeln vom Weideloch abwärts ist gänzlich unbehaart. Je nach der Jahreszeit ist es länger oder kürzer, dichter oder spärlicher stehend. Die Färbung ist ziemlich bunt. Vorherrschend ist ein röthliches Fahlgrau,
Die Antilopen. — Die Gabelgemſe.
Die Gabelgemſe iſt ein in jeder Hinſicht ausgezeichnetes Thier, welches hinſichtlich ſeiner Ge- hörnbildung in ſeiner Familie, ja, ſogar unter allen ſcheidenhörnigen Wiederkäuern, einzig daſteht. Die Hörner ſind nämlich gabelförmig getheilt, wenigſtens bei der Mehrzahl der Böcke. Jn der Größe kommt das Thier etwa unſerem Rehe gleich. Seine Länge beträgt nach einer Meſſung des Prinzen von Wied 4 Fuß 10 Zoll 8 Linien, wovon 11⅓ Zoll auf den Kopf, 7¼ Zoll auf den Wedel gerechnet werden müſſen. Die Schulterhöhe wird zu 2½ Fuß, die Kreuzhöhe zu 3 Fuß an- gegeben; die Hörner werden, in gerader Linie gemeſſen, gegen 9 Zoll, der Krümmung nach 11 Zoll lang. Die Geſtalt iſt ſchlank; der Leib ruht auf hohen Läufen und trägt einen langen Hals und einen ſchmächtigen, etwas zugeſpitzten Kopf. Das große, lang bewimperte Auge hat keine Thränen- gruben; das Gehör iſt ziemlich lang, ſchmal zugeſpitzt; die Muffel iſt behaart. Nur um die Naſen-
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Die Gabelgemſe (Antilocapra americana oder Antilope furcifer).
löcher zieht ſich ein ſchmaler, nackter Streifen. Die Hörner entſpringen einen Zoll hoch über den Augen; ſie ſind gerade aufgerichtet, ein wenig ſanft auswärts gebogen, haben eine ſtarke, oft ab- wärts gekrümmte Hakenſpitze und an der Mitte ihrer Vorderſeite ein gedrungenes, zuſammengedrück- tes, breites Ende von etwa 2½ Zoll Länge, welches jedoch den jungen Böcken und nicht ſelten auch den alten fehlt. Die Hufe ſind zugeſpitzt, denen des Schafes ähnlich gebildet; ſie tragen nur an der inneren Seite eine Afterklaue. Das Haar iſt lang, hart und ſo ſpröde, daß es bei der ge- ringſten Berührung abbricht, ja, daß es durch Drücken abgeplattet werden kann, ohne ſeine frühere Form wieder anzunehmen. Es ſteht ſehr dicht, überdeckt aber keine Grundwolle. Auf dem Naſen- rücken und an dem Gehör, in der Umgebung der Augen und um die Lippen iſt es am kürzeſten, auf den Hinterkeulen länger, als am übrigen Körper; ein Streifen zwiſchen den Hinterſchenkeln vom Weideloch abwärts iſt gänzlich unbehaart. Je nach der Jahreszeit iſt es länger oder kürzer, dichter oder ſpärlicher ſtehend. Die Färbung iſt ziemlich bunt. Vorherrſchend iſt ein röthliches Fahlgrau,
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Die Antilopen. — Die Gabelgemſe.
Die Gabelgemſe iſt ein in jeder Hinſicht ausgezeichnetes Thier, welches hinſichtlich ſeiner Ge-
hörnbildung in ſeiner Familie, ja, ſogar unter allen ſcheidenhörnigen Wiederkäuern, einzig daſteht.
Die Hörner ſind nämlich gabelförmig getheilt, wenigſtens bei der Mehrzahl der Böcke. Jn der
Größe kommt das Thier etwa unſerem Rehe gleich. Seine Länge beträgt nach einer Meſſung des
Prinzen von Wied 4 Fuß 10 Zoll 8 Linien, wovon 11⅓ Zoll auf den Kopf, 7¼ Zoll auf den
Wedel gerechnet werden müſſen. Die Schulterhöhe wird zu 2½ Fuß, die Kreuzhöhe zu 3 Fuß an-
gegeben; die Hörner werden, in gerader Linie gemeſſen, gegen 9 Zoll, der Krümmung nach 11 Zoll
lang. Die Geſtalt iſt ſchlank; der Leib ruht auf hohen Läufen und trägt einen langen Hals und
einen ſchmächtigen, etwas zugeſpitzten Kopf. Das große, lang bewimperte Auge hat keine Thränen-
gruben; das Gehör iſt ziemlich lang, ſchmal zugeſpitzt; die Muffel iſt behaart. Nur um die Naſen-
[Abbildung Die Gabelgemſe (Antilocapra americana oder Antilope furcifer).]
löcher zieht ſich ein ſchmaler, nackter Streifen. Die Hörner entſpringen einen Zoll hoch über den
Augen; ſie ſind gerade aufgerichtet, ein wenig ſanft auswärts gebogen, haben eine ſtarke, oft ab-
wärts gekrümmte Hakenſpitze und an der Mitte ihrer Vorderſeite ein gedrungenes, zuſammengedrück-
tes, breites Ende von etwa 2½ Zoll Länge, welches jedoch den jungen Böcken und nicht ſelten auch
den alten fehlt. Die Hufe ſind zugeſpitzt, denen des Schafes ähnlich gebildet; ſie tragen nur an der
inneren Seite eine Afterklaue. Das Haar iſt lang, hart und ſo ſpröde, daß es bei der ge-
ringſten Berührung abbricht, ja, daß es durch Drücken abgeplattet werden kann, ohne ſeine frühere
Form wieder anzunehmen. Es ſteht ſehr dicht, überdeckt aber keine Grundwolle. Auf dem Naſen-
rücken und an dem Gehör, in der Umgebung der Augen und um die Lippen iſt es am kürzeſten, auf
den Hinterkeulen länger, als am übrigen Körper; ein Streifen zwiſchen den Hinterſchenkeln vom
Weideloch abwärts iſt gänzlich unbehaart. Je nach der Jahreszeit iſt es länger oder kürzer, dichter
oder ſpärlicher ſtehend. Die Färbung iſt ziemlich bunt. Vorherrſchend iſt ein röthliches Fahlgrau,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/566>, abgerufen am 23.11.2024.
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