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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Hausziegen.
herunter, und wenn Frost und Schnee auch hier zu groß werden, treibt der Bube zu Thal, um hier
einen unglaublich kleinen Lohn in Empfang zu nehmen."

Der berühmte Thomas Plater, welcher in seiner Jugend lange Ziegenhirt war, berichtet
später selbst in seiner Lebensbeschreibung von dem Leben, welches er führte: "Da ich bei sechs Jahre
alt war, hat man mich zu einem Vetter gethan, dem mußte ich ein Paar der Gizen bei dem Hause
hüten. Derselbe Bauer hatte bei achtzig Geisen, deren mußte ich in meinem siebenten und achten
Jahre hüten. Da ich noch so klein war, daß, wenn ich den Stall aufthat und nicht gleich neben sich
sprang, stießen mich die Geisen nieder, loffen über mich weg und traten mir auf den Kopf, Arme
und Rücken. Wann ich dann die Geisen über die Vispen getrieben hatte, liefen mir die ersten über
die Kornäcker, wann ich die daraus trieb, liefen die anderen hinein; da weinte ich dann und schrie,
denn ich wußte wohl, daß man mich zu Nacht würde schlagen. Ein ander Mal gingen meine Geis-
lein auf ein Felslein; es war eines guten Schrittes breit und dabei schrecklich tief, gewiß an tausend
Klaftern, um mich Nichts, denn Felsen. Von den Felsen ging eine Geis der anderen nach und einen
Schroffen hinauf, da sie blos die Fußkläuelein mochten stellen auf die grauen Büschen, die auf den
Felsen gewachsen waren. Wie sie nun da hinauf waren, wollte ich auch nach; als ich aber nicht
mehr, als ein Schrittlein mich am Grase hatte aufgezogen, konnte ich nicht weiter, mochte auch nicht
weiter auf das Schröfflein schreiten und durfte auch nicht ein Schrittlein hinter sich springen. Jn
dieser Noth war mir sehr angst, denn ich fürchtete, die großen Geier, die unter mir in den Lüften
flogen, würden mich hinwegtragen. -- -- -- Solch gut Leben habe ich in Menge auf den Bergen bei
den Geisen gehabt. Das weiß ich wohl, daß ich selten ganze Zehen gehabt habe, sondern Blätze
daran abgestoßen, große Schrunden, oft übel gefallen, ohne Schuhe der Mehrtheil, im Sommer
oder Holzschuhe, großen Durst. Mein Speise war am Morgen vor Tage ein Brai von Roggen-
mehl, zu Nacht aber erwählte Käsemilch. Jm Sommer kann man im Heu liegen, im Winter auf
einem Streu ganz voll Ungeziefers. So liegen gemeiniglich die armen Hirtlein, die bei den Bauern
in den Einöden dienen."

Die griechischen Hirten, bei denen ich mehrere Tage in der Nähe des Anakulsees verlebte, hat-
ten es nicht besser. Sie wurden nachts von den Mücken weidlich gepeinigt und mußten bei Tage in
der glühenden Sonnenhitze auf allen den steilen Felsen umherklettern, um ihr übermüthiges Herden-
volk zusammenzuhalten. Jn Griechenland sind die Ziegen fast das einzige Herdenvieh, welches man
sieht; sie beleben alle Berge und künden sich dem Wanderer schon von weitem durch den empfindlich-
sten Bockgeruch an. Auf dem Wege zwischen Athen und Theben kamen wir durch ein enges Thal, in
dem wir es vor Gestank kaum aushalten konnten. Viele Hunderte von Ziegen in kleinen Herden lie-
fen auf halsbrecherischen Pfaden dahin; die Hirten folgten ihnen mit beispiellosem Geschick.

Jn vielen Orten überläßt man die Ziege sich selbst, so auch in den Alpen. Man treibt sie in
ein bestimmtes, ganz abgelegenes Weidegebiet und sucht sie im Herbst wieder zusammen, wobei dann
nicht selten manch theueres Haupt fehlt, oder man schickt ihnen täglich oder auch nur wöchentlich durch
einen Knecht etwas Salz, welches sie dann auf der bestimmten, ihnen wohlbekannten Steinplatte zur
bestimmten Stunde sehnsüchtig erwarten. Da kommt es dann oft vor, daß die Ziegen, von der Neu-
gierde getrieben, sich zu den Gemsen begeben und mit diesen wochenlang ein echtes Freileben führen,
obwohl es ihnen sicherlich nicht geringe Anstrengung kosten mag, mit jenen Kletterkünstlern zu
wetteifern.

Jm Jnnern Afrikas weiden die Ziegen ebenfalls nach eigenem Gutdünken, kommen aber abends
in eine sogenannte Serieba oder Umzäunung von Dornen, wo sie vor den Raubthieren geschützt sind.
Nicht selten begegnet man mitten im Urwalde einer bedeutenden Ziegenherde, und da bemerkt man
dann oft genug, daß die Hälfte der Thiere buchstäblich auf den Bäumen herumklettert, während die
andere unten weidet. Oder mitten in den Steppen sieht man sich plötzlich umringt von einer ganzen
Anzahl dieser lustigen Geschöpfe, welche bettelnd Einen umlagern. Dann trifft man wohl auch ein
armseliges Zelt, in welchem ein Paar zerlumpte, sonnenverbrannte Araber hausen, deren ganzes

Die Hausziegen.
herunter, und wenn Froſt und Schnee auch hier zu groß werden, treibt der Bube zu Thal, um hier
einen unglaublich kleinen Lohn in Empfang zu nehmen.‟

Der berühmte Thomas Plater, welcher in ſeiner Jugend lange Ziegenhirt war, berichtet
ſpäter ſelbſt in ſeiner Lebensbeſchreibung von dem Leben, welches er führte: „Da ich bei ſechs Jahre
alt war, hat man mich zu einem Vetter gethan, dem mußte ich ein Paar der Gizen bei dem Hauſe
hüten. Derſelbe Bauer hatte bei achtzig Geiſen, deren mußte ich in meinem ſiebenten und achten
Jahre hüten. Da ich noch ſo klein war, daß, wenn ich den Stall aufthat und nicht gleich neben ſich
ſprang, ſtießen mich die Geiſen nieder, loffen über mich weg und traten mir auf den Kopf, Arme
und Rücken. Wann ich dann die Geiſen über die Vispen getrieben hatte, liefen mir die erſten über
die Kornäcker, wann ich die daraus trieb, liefen die anderen hinein; da weinte ich dann und ſchrie,
denn ich wußte wohl, daß man mich zu Nacht würde ſchlagen. Ein ander Mal gingen meine Geis-
lein auf ein Felslein; es war eines guten Schrittes breit und dabei ſchrecklich tief, gewiß an tauſend
Klaftern, um mich Nichts, denn Felſen. Von den Felſen ging eine Geis der anderen nach und einen
Schroffen hinauf, da ſie blos die Fußkläuelein mochten ſtellen auf die grauen Büſchen, die auf den
Felſen gewachſen waren. Wie ſie nun da hinauf waren, wollte ich auch nach; als ich aber nicht
mehr, als ein Schrittlein mich am Graſe hatte aufgezogen, konnte ich nicht weiter, mochte auch nicht
weiter auf das Schröfflein ſchreiten und durfte auch nicht ein Schrittlein hinter ſich ſpringen. Jn
dieſer Noth war mir ſehr angſt, denn ich fürchtete, die großen Geier, die unter mir in den Lüften
flogen, würden mich hinwegtragen. — — — Solch gut Leben habe ich in Menge auf den Bergen bei
den Geiſen gehabt. Das weiß ich wohl, daß ich ſelten ganze Zehen gehabt habe, ſondern Blätze
daran abgeſtoßen, große Schrunden, oft übel gefallen, ohne Schuhe der Mehrtheil, im Sommer
oder Holzſchuhe, großen Durſt. Mein Speiſe war am Morgen vor Tage ein Brai von Roggen-
mehl, zu Nacht aber erwählte Käſemilch. Jm Sommer kann man im Heu liegen, im Winter auf
einem Streu ganz voll Ungeziefers. So liegen gemeiniglich die armen Hirtlein, die bei den Bauern
in den Einöden dienen.‟

Die griechiſchen Hirten, bei denen ich mehrere Tage in der Nähe des Anakulſees verlebte, hat-
ten es nicht beſſer. Sie wurden nachts von den Mücken weidlich gepeinigt und mußten bei Tage in
der glühenden Sonnenhitze auf allen den ſteilen Felſen umherklettern, um ihr übermüthiges Herden-
volk zuſammenzuhalten. Jn Griechenland ſind die Ziegen faſt das einzige Herdenvieh, welches man
ſieht; ſie beleben alle Berge und künden ſich dem Wanderer ſchon von weitem durch den empfindlich-
ſten Bockgeruch an. Auf dem Wege zwiſchen Athen und Theben kamen wir durch ein enges Thal, in
dem wir es vor Geſtank kaum aushalten konnten. Viele Hunderte von Ziegen in kleinen Herden lie-
fen auf halsbrecheriſchen Pfaden dahin; die Hirten folgten ihnen mit beiſpielloſem Geſchick.

Jn vielen Orten überläßt man die Ziege ſich ſelbſt, ſo auch in den Alpen. Man treibt ſie in
ein beſtimmtes, ganz abgelegenes Weidegebiet und ſucht ſie im Herbſt wieder zuſammen, wobei dann
nicht ſelten manch theueres Haupt fehlt, oder man ſchickt ihnen täglich oder auch nur wöchentlich durch
einen Knecht etwas Salz, welches ſie dann auf der beſtimmten, ihnen wohlbekannten Steinplatte zur
beſtimmten Stunde ſehnſüchtig erwarten. Da kommt es dann oft vor, daß die Ziegen, von der Neu-
gierde getrieben, ſich zu den Gemſen begeben und mit dieſen wochenlang ein echtes Freileben führen,
obwohl es ihnen ſicherlich nicht geringe Anſtrengung koſten mag, mit jenen Kletterkünſtlern zu
wetteifern.

Jm Jnnern Afrikas weiden die Ziegen ebenfalls nach eigenem Gutdünken, kommen aber abends
in eine ſogenannte Serieba oder Umzäunung von Dornen, wo ſie vor den Raubthieren geſchützt ſind.
Nicht ſelten begegnet man mitten im Urwalde einer bedeutenden Ziegenherde, und da bemerkt man
dann oft genug, daß die Hälfte der Thiere buchſtäblich auf den Bäumen herumklettert, während die
andere unten weidet. Oder mitten in den Steppen ſieht man ſich plötzlich umringt von einer ganzen
Anzahl dieſer luſtigen Geſchöpfe, welche bettelnd Einen umlagern. Dann trifft man wohl auch ein
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[591/0621] Die Hausziegen. herunter, und wenn Froſt und Schnee auch hier zu groß werden, treibt der Bube zu Thal, um hier einen unglaublich kleinen Lohn in Empfang zu nehmen.‟ Der berühmte Thomas Plater, welcher in ſeiner Jugend lange Ziegenhirt war, berichtet ſpäter ſelbſt in ſeiner Lebensbeſchreibung von dem Leben, welches er führte: „Da ich bei ſechs Jahre alt war, hat man mich zu einem Vetter gethan, dem mußte ich ein Paar der Gizen bei dem Hauſe hüten. Derſelbe Bauer hatte bei achtzig Geiſen, deren mußte ich in meinem ſiebenten und achten Jahre hüten. Da ich noch ſo klein war, daß, wenn ich den Stall aufthat und nicht gleich neben ſich ſprang, ſtießen mich die Geiſen nieder, loffen über mich weg und traten mir auf den Kopf, Arme und Rücken. Wann ich dann die Geiſen über die Vispen getrieben hatte, liefen mir die erſten über die Kornäcker, wann ich die daraus trieb, liefen die anderen hinein; da weinte ich dann und ſchrie, denn ich wußte wohl, daß man mich zu Nacht würde ſchlagen. Ein ander Mal gingen meine Geis- lein auf ein Felslein; es war eines guten Schrittes breit und dabei ſchrecklich tief, gewiß an tauſend Klaftern, um mich Nichts, denn Felſen. Von den Felſen ging eine Geis der anderen nach und einen Schroffen hinauf, da ſie blos die Fußkläuelein mochten ſtellen auf die grauen Büſchen, die auf den Felſen gewachſen waren. Wie ſie nun da hinauf waren, wollte ich auch nach; als ich aber nicht mehr, als ein Schrittlein mich am Graſe hatte aufgezogen, konnte ich nicht weiter, mochte auch nicht weiter auf das Schröfflein ſchreiten und durfte auch nicht ein Schrittlein hinter ſich ſpringen. Jn dieſer Noth war mir ſehr angſt, denn ich fürchtete, die großen Geier, die unter mir in den Lüften flogen, würden mich hinwegtragen. — — — Solch gut Leben habe ich in Menge auf den Bergen bei den Geiſen gehabt. Das weiß ich wohl, daß ich ſelten ganze Zehen gehabt habe, ſondern Blätze daran abgeſtoßen, große Schrunden, oft übel gefallen, ohne Schuhe der Mehrtheil, im Sommer oder Holzſchuhe, großen Durſt. Mein Speiſe war am Morgen vor Tage ein Brai von Roggen- mehl, zu Nacht aber erwählte Käſemilch. Jm Sommer kann man im Heu liegen, im Winter auf einem Streu ganz voll Ungeziefers. So liegen gemeiniglich die armen Hirtlein, die bei den Bauern in den Einöden dienen.‟ Die griechiſchen Hirten, bei denen ich mehrere Tage in der Nähe des Anakulſees verlebte, hat- ten es nicht beſſer. Sie wurden nachts von den Mücken weidlich gepeinigt und mußten bei Tage in der glühenden Sonnenhitze auf allen den ſteilen Felſen umherklettern, um ihr übermüthiges Herden- volk zuſammenzuhalten. Jn Griechenland ſind die Ziegen faſt das einzige Herdenvieh, welches man ſieht; ſie beleben alle Berge und künden ſich dem Wanderer ſchon von weitem durch den empfindlich- ſten Bockgeruch an. Auf dem Wege zwiſchen Athen und Theben kamen wir durch ein enges Thal, in dem wir es vor Geſtank kaum aushalten konnten. Viele Hunderte von Ziegen in kleinen Herden lie- fen auf halsbrecheriſchen Pfaden dahin; die Hirten folgten ihnen mit beiſpielloſem Geſchick. Jn vielen Orten überläßt man die Ziege ſich ſelbſt, ſo auch in den Alpen. Man treibt ſie in ein beſtimmtes, ganz abgelegenes Weidegebiet und ſucht ſie im Herbſt wieder zuſammen, wobei dann nicht ſelten manch theueres Haupt fehlt, oder man ſchickt ihnen täglich oder auch nur wöchentlich durch einen Knecht etwas Salz, welches ſie dann auf der beſtimmten, ihnen wohlbekannten Steinplatte zur beſtimmten Stunde ſehnſüchtig erwarten. Da kommt es dann oft vor, daß die Ziegen, von der Neu- gierde getrieben, ſich zu den Gemſen begeben und mit dieſen wochenlang ein echtes Freileben führen, obwohl es ihnen ſicherlich nicht geringe Anſtrengung koſten mag, mit jenen Kletterkünſtlern zu wetteifern. Jm Jnnern Afrikas weiden die Ziegen ebenfalls nach eigenem Gutdünken, kommen aber abends in eine ſogenannte Serieba oder Umzäunung von Dornen, wo ſie vor den Raubthieren geſchützt ſind. Nicht ſelten begegnet man mitten im Urwalde einer bedeutenden Ziegenherde, und da bemerkt man dann oft genug, daß die Hälfte der Thiere buchſtäblich auf den Bäumen herumklettert, während die andere unten weidet. Oder mitten in den Steppen ſieht man ſich plötzlich umringt von einer ganzen Anzahl dieſer luſtigen Geſchöpfe, welche bettelnd Einen umlagern. Dann trifft man wohl auch ein armſeliges Zelt, in welchem ein Paar zerlumpte, ſonnenverbrannte Araber hauſen, deren ganzes

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/621>, abgerufen am 23.11.2024.