ihrer Geburt richten sich die Zicklein auf und suchen das Euter ihrer Erzeugerin; am nächsten Tage laufen sie schon herum und nach vier bis fünf Tagen folgen sie der Alten überall hin. Sie wachsen rasch: im zweiten Monate sprossen schon die Hörnchen hervor; mit einem Jahre sind sie ausgewachsen.
Der Nutzen der Ziege ist sehr bedeutend. Sie ist in vielen Gegenden, wie bemerkt, der größte Freund des Armen: denn ihre Unterhaltung kostet wenig, im Sommer so zu sagen gar Nichts; sie versorgt aber das Haus mit Milch, und liefert dem Unbemittelten auch noch den Dünger für sein gemiethetes Feldstück. Lenz hat gewissenhaft Buch geführt und gefunden, daß eine Ziege, wenn sie gut gefüttert wird, in einem Jahre 1884 Nösel Milch liefern kann, welche bereits im Jahre 1834 über 26 Thaler werth waren; gegenwärtig aber mag sich der Ertrag einer Ziege etwa auf 30 Thaler belaufen, und der Ueberschuß unzweifelhaft ein sehr bedeutender sein.
Jn vielen Gegenden, so z. B. in Egypten, treibt man die Ziegen mit strotzendem Euter vor die Häuser der Milchverkäufer und milkt hier die gewünschte Menge gleich vor der Thür. Der Käufer hat dadurch den Vortheil, lauwarme Milch zu erhalten, und der Verkäufer braucht nicht erst zu che- mischen Künsteleien, namentlich zu der ihm so nothwendig scheinenden Verbesserung durch Wasser seine Zuflucht zu nehmen. Man begegnet selbst in den größten Städten Egyptens einer Frau, hinter welcher eine zahlreiche Ziegenherde meckernd herläuft. Sie ruft "lebn, lebn hilwe", oder "süße, süße Milch", und da und dort öffnet sich ein Pförtchen, und ein mehr oder minder verschleierter dienst- barer Geist weiblichen Geschlechts, oder ein brauner Aethiopier, welcher die Küche eines Junggesellen zu besorgen hat, kommt hervorgeschlüpft, kauert sich auf den Boden hin, die Verkäuferin milkt ihm sein Gefäß voll, und weiter geht die Rufende mit ihrer meckernden Gesellschaft. Die Ziegen der Nomaden und festwohnenden Sudahnesen werden täglich zwei Mal gemolken und rennen, wenn die Milch sie drückt, wie toll zu dem einfachen Zelte oder Haus ihres Herrn, -- gleichviel, ob sie heute hier und morgen dort eingestellt werden: sie wissen den jeweiligen Wohnplatz ihres Gebieters schon aufzufinden.
Weit bedeutender noch als der Nutzen, welchen die Ziege durch ihre Milch bringt, ist der Ge- winn, welchen man von den feinen Wollhaaren der edleren Rassen oder Arten erzielt. Die Angora-, Kaschmir- und zottigen Ziegen werden fast ausschließlich zu dem Zwecke gehalten, Wolle zu erzeu- gen, und namentlich die erstgenannten liefern einen wirklich namhaften Ertrag.
Außer der Milch und des von ihr gewonnenen Käse, welcher in Griechenland eine große Rolle spielt, oder der Butter und der Wolle nutzt die Ziege durch ihr Fleisch, ihr Fell und ihre Hörner. Junge Zicklein sind sehr wohlschmeckend, obwohl fast etwas zu zart, und auch das Fleisch älterer Ziegen ist durchaus keine schlechte Kost. Das Fell wird zu Korduan und Saffian, seltener zu Perga- ment verarbeitet; für erstere Lederarten ist immer noch das Morgenland die Hauptquelle. Aus den Fellen der Böcke verfertigt man Beinkleider und starke Handschuhe, in Griechenland Wein- oder in Afrika Wasserschläuche. Das grobe Haar wird hier und da zu Pinseln benutzt oder zu Stricken gedreht. Die Hörner fallen den Drechslern, und im Morgenlande dem Wundarzt anheim, welcher sie als Schröpfköpfe zu verwenden pflegt. So nutzt also das vortreffliche Thier im Leben wie im Tode.
Nach dieser ausführlichen Schilderung der wichtigeren Ziegen wollen wir der Halbziegen (Hemitragus) wenigstens noch flüchtig gedenken. Als Vertreter dieser Thiere gilt der Thar oder Tahir, welchen sein Entdecker, Hamilton Smith, Jraharal nannte (Hemitragus jemlaieus). Die Eigenthümlichkeiten der Sippe liegen in den seitlich zusammengedrückten, vorn gekanteten Hör- nern, welche bei dem Männchen drei- oder vierseitig und mit ringelartigen Querwülsten bedeckt, beim Weibchen aber mehr gerundet und gerunzelt sind, in der nackten und kleinen Nasenkuppe und den vier Zitzen des Weibchens.
Der Thar ist ein schönes großes Thier von 41/2 Fuß Leibes-, 31/2 Zoll Schwanzeslänge und 23/4 Fuß Höhe am Widerrist; die Hörner werden höchstens fußlang. Hinsichtlich seines Leibesbaues
Brehm, Thierleben. II. 38
Die Hausziegen. — Die Halbziegen.
ihrer Geburt richten ſich die Zicklein auf und ſuchen das Euter ihrer Erzeugerin; am nächſten Tage laufen ſie ſchon herum und nach vier bis fünf Tagen folgen ſie der Alten überall hin. Sie wachſen raſch: im zweiten Monate ſproſſen ſchon die Hörnchen hervor; mit einem Jahre ſind ſie ausgewachſen.
Der Nutzen der Ziege iſt ſehr bedeutend. Sie iſt in vielen Gegenden, wie bemerkt, der größte Freund des Armen: denn ihre Unterhaltung koſtet wenig, im Sommer ſo zu ſagen gar Nichts; ſie verſorgt aber das Haus mit Milch, und liefert dem Unbemittelten auch noch den Dünger für ſein gemiethetes Feldſtück. Lenz hat gewiſſenhaft Buch geführt und gefunden, daß eine Ziege, wenn ſie gut gefüttert wird, in einem Jahre 1884 Nöſel Milch liefern kann, welche bereits im Jahre 1834 über 26 Thaler werth waren; gegenwärtig aber mag ſich der Ertrag einer Ziege etwa auf 30 Thaler belaufen, und der Ueberſchuß unzweifelhaft ein ſehr bedeutender ſein.
Jn vielen Gegenden, ſo z. B. in Egypten, treibt man die Ziegen mit ſtrotzendem Euter vor die Häuſer der Milchverkäufer und milkt hier die gewünſchte Menge gleich vor der Thür. Der Käufer hat dadurch den Vortheil, lauwarme Milch zu erhalten, und der Verkäufer braucht nicht erſt zu che- miſchen Künſteleien, namentlich zu der ihm ſo nothwendig ſcheinenden Verbeſſerung durch Waſſer ſeine Zuflucht zu nehmen. Man begegnet ſelbſt in den größten Städten Egyptens einer Frau, hinter welcher eine zahlreiche Ziegenherde meckernd herläuft. Sie ruft „lebn, lebn hilwe‟, oder „ſüße, ſüße Milch‟, und da und dort öffnet ſich ein Pförtchen, und ein mehr oder minder verſchleierter dienſt- barer Geiſt weiblichen Geſchlechts, oder ein brauner Aethiopier, welcher die Küche eines Junggeſellen zu beſorgen hat, kommt hervorgeſchlüpft, kauert ſich auf den Boden hin, die Verkäuferin milkt ihm ſein Gefäß voll, und weiter geht die Rufende mit ihrer meckernden Geſellſchaft. Die Ziegen der Nomaden und feſtwohnenden Sudahneſen werden täglich zwei Mal gemolken und rennen, wenn die Milch ſie drückt, wie toll zu dem einfachen Zelte oder Haus ihres Herrn, — gleichviel, ob ſie heute hier und morgen dort eingeſtellt werden: ſie wiſſen den jeweiligen Wohnplatz ihres Gebieters ſchon aufzufinden.
Weit bedeutender noch als der Nutzen, welchen die Ziege durch ihre Milch bringt, iſt der Ge- winn, welchen man von den feinen Wollhaaren der edleren Raſſen oder Arten erzielt. Die Angora-, Kaſchmir- und zottigen Ziegen werden faſt ausſchließlich zu dem Zwecke gehalten, Wolle zu erzeu- gen, und namentlich die erſtgenannten liefern einen wirklich namhaften Ertrag.
Außer der Milch und des von ihr gewonnenen Käſe, welcher in Griechenland eine große Rolle ſpielt, oder der Butter und der Wolle nutzt die Ziege durch ihr Fleiſch, ihr Fell und ihre Hörner. Junge Zicklein ſind ſehr wohlſchmeckend, obwohl faſt etwas zu zart, und auch das Fleiſch älterer Ziegen iſt durchaus keine ſchlechte Koſt. Das Fell wird zu Korduan und Saffian, ſeltener zu Perga- ment verarbeitet; für erſtere Lederarten iſt immer noch das Morgenland die Hauptquelle. Aus den Fellen der Böcke verfertigt man Beinkleider und ſtarke Handſchuhe, in Griechenland Wein- oder in Afrika Waſſerſchläuche. Das grobe Haar wird hier und da zu Pinſeln benutzt oder zu Stricken gedreht. Die Hörner fallen den Drechslern, und im Morgenlande dem Wundarzt anheim, welcher ſie als Schröpfköpfe zu verwenden pflegt. So nutzt alſo das vortreffliche Thier im Leben wie im Tode.
Nach dieſer ausführlichen Schilderung der wichtigeren Ziegen wollen wir der Halbziegen (Hemitragus) wenigſtens noch flüchtig gedenken. Als Vertreter dieſer Thiere gilt der Thar oder Tahir, welchen ſein Entdecker, Hamilton Smith, Jraharal nannte (Hemitragus jemlaieus). Die Eigenthümlichkeiten der Sippe liegen in den ſeitlich zuſammengedrückten, vorn gekanteten Hör- nern, welche bei dem Männchen drei- oder vierſeitig und mit ringelartigen Querwülſten bedeckt, beim Weibchen aber mehr gerundet und gerunzelt ſind, in der nackten und kleinen Naſenkuppe und den vier Zitzen des Weibchens.
Der Thar iſt ein ſchönes großes Thier von 4½ Fuß Leibes-, 3½ Zoll Schwanzeslänge und 2¾ Fuß Höhe am Widerriſt; die Hörner werden höchſtens fußlang. Hinſichtlich ſeines Leibesbaues
Brehm, Thierleben. II. 38
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[593/0623]
Die Hausziegen. — Die Halbziegen.
ihrer Geburt richten ſich die Zicklein auf und ſuchen das Euter ihrer Erzeugerin; am nächſten Tage
laufen ſie ſchon herum und nach vier bis fünf Tagen folgen ſie der Alten überall hin. Sie wachſen
raſch: im zweiten Monate ſproſſen ſchon die Hörnchen hervor; mit einem Jahre ſind ſie ausgewachſen.
Der Nutzen der Ziege iſt ſehr bedeutend. Sie iſt in vielen Gegenden, wie bemerkt, der größte
Freund des Armen: denn ihre Unterhaltung koſtet wenig, im Sommer ſo zu ſagen gar Nichts;
ſie verſorgt aber das Haus mit Milch, und liefert dem Unbemittelten auch noch den Dünger für ſein
gemiethetes Feldſtück. Lenz hat gewiſſenhaft Buch geführt und gefunden, daß eine Ziege, wenn ſie
gut gefüttert wird, in einem Jahre 1884 Nöſel Milch liefern kann, welche bereits im Jahre 1834
über 26 Thaler werth waren; gegenwärtig aber mag ſich der Ertrag einer Ziege etwa auf 30 Thaler
belaufen, und der Ueberſchuß unzweifelhaft ein ſehr bedeutender ſein.
Jn vielen Gegenden, ſo z. B. in Egypten, treibt man die Ziegen mit ſtrotzendem Euter vor die
Häuſer der Milchverkäufer und milkt hier die gewünſchte Menge gleich vor der Thür. Der Käufer
hat dadurch den Vortheil, lauwarme Milch zu erhalten, und der Verkäufer braucht nicht erſt zu che-
miſchen Künſteleien, namentlich zu der ihm ſo nothwendig ſcheinenden Verbeſſerung durch Waſſer
ſeine Zuflucht zu nehmen. Man begegnet ſelbſt in den größten Städten Egyptens einer Frau, hinter
welcher eine zahlreiche Ziegenherde meckernd herläuft. Sie ruft „lebn, lebn hilwe‟, oder „ſüße,
ſüße Milch‟, und da und dort öffnet ſich ein Pförtchen, und ein mehr oder minder verſchleierter dienſt-
barer Geiſt weiblichen Geſchlechts, oder ein brauner Aethiopier, welcher die Küche eines Junggeſellen
zu beſorgen hat, kommt hervorgeſchlüpft, kauert ſich auf den Boden hin, die Verkäuferin milkt ihm
ſein Gefäß voll, und weiter geht die Rufende mit ihrer meckernden Geſellſchaft. Die Ziegen der
Nomaden und feſtwohnenden Sudahneſen werden täglich zwei Mal gemolken und rennen, wenn die
Milch ſie drückt, wie toll zu dem einfachen Zelte oder Haus ihres Herrn, — gleichviel, ob ſie heute
hier und morgen dort eingeſtellt werden: ſie wiſſen den jeweiligen Wohnplatz ihres Gebieters ſchon
aufzufinden.
Weit bedeutender noch als der Nutzen, welchen die Ziege durch ihre Milch bringt, iſt der Ge-
winn, welchen man von den feinen Wollhaaren der edleren Raſſen oder Arten erzielt. Die Angora-,
Kaſchmir- und zottigen Ziegen werden faſt ausſchließlich zu dem Zwecke gehalten, Wolle zu erzeu-
gen, und namentlich die erſtgenannten liefern einen wirklich namhaften Ertrag.
Außer der Milch und des von ihr gewonnenen Käſe, welcher in Griechenland eine große Rolle
ſpielt, oder der Butter und der Wolle nutzt die Ziege durch ihr Fleiſch, ihr Fell und ihre Hörner.
Junge Zicklein ſind ſehr wohlſchmeckend, obwohl faſt etwas zu zart, und auch das Fleiſch älterer
Ziegen iſt durchaus keine ſchlechte Koſt. Das Fell wird zu Korduan und Saffian, ſeltener zu Perga-
ment verarbeitet; für erſtere Lederarten iſt immer noch das Morgenland die Hauptquelle. Aus den
Fellen der Böcke verfertigt man Beinkleider und ſtarke Handſchuhe, in Griechenland Wein- oder
in Afrika Waſſerſchläuche. Das grobe Haar wird hier und da zu Pinſeln benutzt oder zu Stricken
gedreht. Die Hörner fallen den Drechslern, und im Morgenlande dem Wundarzt anheim, welcher
ſie als Schröpfköpfe zu verwenden pflegt. So nutzt alſo das vortreffliche Thier im Leben wie im Tode.
Nach dieſer ausführlichen Schilderung der wichtigeren Ziegen wollen wir der Halbziegen
(Hemitragus) wenigſtens noch flüchtig gedenken. Als Vertreter dieſer Thiere gilt der Thar oder
Tahir, welchen ſein Entdecker, Hamilton Smith, Jraharal nannte (Hemitragus jemlaieus).
Die Eigenthümlichkeiten der Sippe liegen in den ſeitlich zuſammengedrückten, vorn gekanteten Hör-
nern, welche bei dem Männchen drei- oder vierſeitig und mit ringelartigen Querwülſten bedeckt, beim
Weibchen aber mehr gerundet und gerunzelt ſind, in der nackten und kleinen Naſenkuppe und den
vier Zitzen des Weibchens.
Der Thar iſt ein ſchönes großes Thier von 4½ Fuß Leibes-, 3½ Zoll Schwanzeslänge und
2¾ Fuß Höhe am Widerriſt; die Hörner werden höchſtens fußlang. Hinſichtlich ſeines Leibesbaues
Brehm, Thierleben. II. 38
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/623>, abgerufen am 23.11.2024.
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